Gaston Vogel steht wegen Diskriminierung und Aufrufs zum Hass vor Gericht. Am ersten Prozesstag wurde der Kern der Anklage jedoch nur am Rand thematisiert. Die Verteidigung versuchte hartnäckig, dem Prozess eine politische Dimension zu geben – vorerst erfolgreich.

Nach rund zwei Stunden Prozess reicht es Staatsanwalt Georges Oswald dann doch. Am späten Freitagnachmittag im größten Saal des hauptstädtischen Gerichts erinnert er die Anwesenden daran, worum es eigentlich geht: „Et geet ëm Wierder.“ Genauer gesagt, um strafrechtlich relevante Wörter. Die Anklage lautet auf „Discrimination“ und „Incitation à la haine“ nach Artikel 454 und Artikel 457-1 des Strafgesetzbuchs. Angeklagt ist der mittlerweile 83-jährige Anwalt Gaston Vogel. Auf der Anklagebank sitzen aber auch ein früherer Journalist des „Lëtzebuerger Journal“ sowie die Muttergesellschaft von „RTL“, CLT-Ufa.

Die Frage, mit der sich das Gericht an diesem Tag eigentlich befassen soll: Sind Passagen eines offenen Briefes von Gaston Vogel aus dem Jahr 2015 über Bettler in der Hauptstadt diskriminierend, rassistisch und volksverhetzend? Und tragen jene Medien, die ihn damals unkommentiert veröffentlichten, eine Mitschuld?

Konkret hatte Gaston Vogel die Bettler, die seiner Ansicht nach aus „dem fernen Rumänien“ stammen, als „Abschaum“ bezeichnet und mit Begrifflichkeiten wie „puanteurs“ und „mendiants dégueulasses“ beschrieben. Nach der Veröffentlichung des Briefes im Sommer 2015 war eine öffentliche Debatte entbrannt, in die sich neben der rumänischen Botschaft auch zahlreiche Menschenrechtsorganisationen einschalteten. Darunter war auch die „Ligue des Droits de l’Homme Luxembourg“, die wegen der Äußerungen dann auch Klage bei der Staatsanwaltschaft eingereicht hatte. Reporter.lu berichtete im vergangenen Jahr erstmals über den Fall.

Im „Ozean des Zorns“

Der Prozess am Freitag beginnt chaotisch. Was nicht zuletzt dem ausgeprägten Darstellungsbedürfnis des Hauptangeklagten geschuldet ist. Denn noch ehe die eigentliche Verhandlung beginnt, nimmt Gaston Vogel sich die Freiheit zu einigen Vorbemerkungen heraus. Bevor das Gericht dem wirklich stattgeben kann, steht der Anwalt bereits im Zeugenstand und redet sich, um seine eigenen Worte zu bemühen, in einen „Océan de colère“.

La lettre en discussion était la suite d’un événement qui a fait déborder un vase qui était déjà bien rempli depuis des mois.“Gaston Vogel vor Gericht

Die Anklage gegen ihn sei Rechtsverdrehung, der Prozess selbst habe einen „caractère absurde, surréaliste et dadaïque“, so der Rechtsanwalt. Den Brief versucht Gaston Vogel durch seine Erlebnisse an einem sommerlichen Tag vor mittlerweile mehr als sechs Jahren zu rechtfertigen. Wieder einmal sei er damals vor dem Eingang zu seiner Kanzlei einer „bande de Romes, cinq ou six avec trois chiens“ begegnet, die auf dem Boden gelegen hätten. Er habe über deren „immondices“ steigen müssen, um zum Aufzug zu gelangen. Fünf Minuten später habe er den offenen Brief aufgesetzt, so der Anwalt.

Den Vorwurf der „Incitation à la haine“ versucht der Anwalt im Zeugenstand dann auch mit dem eigenen Gefühlszustand zu entkräften. Der Brief sei lediglich das Resultat einer unfassbaren Wut, so Gaston Vogel, der seinen Äußerungen im Gerichtssaal mit Schlägen auf das Rednerpult Nachdruck zu verleihen versucht. Der Ton des Briefes habe nur dem Zweck gedient, auf ein politisches Versagen aufmerksam zu machen, so der 83-Jährige.

Uneinsichtiger Angeklagter

Den Vorwurf des Rassismus bestreitet Vogel vehement, schließlich sei er ein „Homme de gauche“ und die Linke kenne schlicht keinen Rassismus. Zeugnis seiner Haltung seien zudem seine zahlreichen Schriften und seine Reiseberichte aus Asien. Damit hat der bekannte Rechtsanwalt in seinen Augen alles gesagt. Nur die Chance für eine Entschuldigung lässt Gaston Vogel am ersten Prozesstag ungenutzt.

„Je ne pouvais pas faire autrement que d’écrire une lettre au ton dur“, verteidigte sich Gaston Vogel. Im Fall einer Verurteilung drohen dem meinungsfreudigen Rechtsanwalt eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren und ein Bußgeld von maximal 25.000 Euro. (Foto: Mike Zenari)

Die Verteidigungsstrategie von Gaston Vogel war schon absehbar, bevor sich die Türen zum Gerichtssaal T1.10, in dem die 19. Strafkammer tagte, überhaupt geöffnet hatten. Und sie liest sich ungefähr so: Von seinen Worten von damals ablenken. Ein Mittel dafür ist das Spiel auf Zeit. Eine Vorgehensweise, die auch erklärt, wieso zwischen Brief und Prozess geschlagene sechs Jahre liegen.

Denn der Beschuldigte und sein Rechtsbeistand, die Anwälte Lydie Lorang und François Prum, hatten wiederholt versucht, das Verfahren zu verhindern – oder zumindest zu verzögern. Eine Begründung: Der Brief dürfe nicht isoliert von seinem gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Das Kassationsgericht hatte diesem prozeduralen Einwand nicht stattgegeben. Dennoch bleiben die Anwälte von Gaston Vogel auch am Freitag vor dem Strafgericht bei dieser Strategie.

Polfer und Mosar im Zeugenstand

Nur Minuten vor Prozessbeginn verteilen sie eine Stellungnahme an die Pressevertreter. Darin erklären die Anwälte, dass der Vorwurf der „Incitation à la haine“ vom eigentlichen Ziel des Briefes ablenke. Dieser habe lediglich auf einen politischen Missstand aufmerksam machen wollen, so die Lesart der Verteidiger. Der eigentliche Gegenstand des Prozesses seien demnach nicht die Äußerungen von Gaston Vogel, sondern die fehlende Strafverfolgung von organisierten Bettlerbanden, deren Tun nach Artikel 382 des Strafgesetzbuchs strafbar ist. Den Brief müsse man in den größeren gesellschaftlichen Kontext setzten. Es handele sich um einen Hilfeschrei an die Politik, so die Anwälte von Gaston Vogel.

Der Versuch, aus der Verhandlung einen politischen Prozess zu machen, wird dabei spätestens bei den Zeugen deutlich, die die Anwälte von Gaston Vogel geladen haben. Neben dem früher als Regionaldirektor der Polizei für die Hauptstadt zuständigen René Lindenlaub haben seine Verteidiger auch die Bürgermeisterin der Hauptstadt, Lydie Polfer (DP), und ihren Schöffen Laurent Mosar (CSV) in den Zeugenstand berufen.

Ich muss sagen, dass bei der Bettelei die Realität damals nicht gut war. Und leider ist sie heute nicht besser.“Lydie Polfer, Bürgermeisterin der Hauptstadt

Die Aussagen im Brief des Anwalts thematisiert auch Lydie Polfer nur am Rande. Die Bürgermeisterin, die das Amt 2013 wieder von Xavier Bettel (DP) übernommen hatte, fokussiert sich bei ihren Aussagen auf den Kontext des Briefes: „Ich will und kann mich nicht zu den Aussagen von Herrn Vogel äußern. Aber ich muss sagen, dass bei der Bettelei die Realität damals nicht gut war. Und leider ist sie heute nicht besser.“ Eine Beobachtung, die Laurent Mosar kurz danach in seinen Aussagen zu bestätigen scheint: „Es ist schlimmer geworden. Mittlerweile wird man regelrecht bedrängt.“ Zu den relevanten Passagen im Brief von Gaston Vogel verliert Laurent Mosar kein Wort.

Nach gut zwei Stunden Prozess beschränkt sich der Erkenntnisgewinn demnach fast ausschließlich auf Folgendes: Es gibt organisierte Bettelei in der Hauptstadt. Bürgermeisterin Lydie Polfer, die – wie sie der Presse mitteilt – noch nie als Zeugin in einem Prozess ausgesagt habe, erhielt eigenen Aussagen zufolge noch am Vortag von einem Arzt aus der „Groussgaass“ Fotos von Bettlern. Gaston Vogel selbst sieht sich als missverstandener Menschenfreund und gar als vehementer Unterstützer der Sinti und Roma. Die Polizei ihrerseits habe Bettler beim Einkaufen beobachtet, was die Frage aufwerfe, ob es sich ausschließlich um organisierte Bettelei handele. Und der rechtliche Rahmen zur Bettelei erschwere den Ordnungskräften die Strafverfolgung.

Rolle der Medien bisher außen vor

Stille Gewinner der Prozessführung am ersten Verhandlungstag sind jene Medien, die in diesem Verfahren mitbeschuldigt sind. Zur Erinnerung: Sowohl „RTL“ als auch das „Lëtzebuerger Journal“ hatten den Brief des Anwalts damals veröffentlicht. Ein Schritt, von dem andere Medien abgesehen hatten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft an die Medienvertreter auf der Anklagebank: Sie haben sich bewusst für eine Publikation entschieden und haften deshalb für die Aussagen von Gaston Vogel mit.

Der Brief wurde als Meinungsbeitrag veröffentlicht und war auch als solcher gekennzeichnet.“Pol Urbany, Verteidiger von CLT-Ufa

In der Prozesspause relativiert der Verteidiger von CLT-Ufa, Pol Urbany, im Gespräch mit Reporter.lu die Verantwortung der Medien: „Der Brief wurde als Meinungsbeitrag veröffentlicht und war auch als solcher gekennzeichnet. Zudem fand keinerlei redaktionelle Bearbeitung seitens RTL statt. Für mich fällt die Veröffentlichung somit klar unter die Meinungsfreiheit.“ Sollte jemand für den Inhalt des Briefes haftbar gemacht werden, dann sei dies ausschließlich der Verfasser und nicht die Medien, die ihn veröffentlicht haben, so der Verteidiger zum Schluss.

Der erste Prozesstag endet nicht ohne eine gewisse Ironie. Denn als letztes Beweisstück führen die Anwälte von Gaston Vogel ausgerechnet eine TV-Reportage von „RTL“ aus dem Jahr 2013 an. Von jenem Medienunternehmen also, das mit auf der Anklagebank sitzt. Der rund siebenminütige Beitrag befasst sich mit der organisierten Bettelei und zeigt unter anderem ein Zeltlager jenseits der luxemburgischen Grenze in Frankreich. Gaston Vogel sieht den Beitrag nicht, er hatte die Verhandlung wegen Atembeschwerden frühzeitig verlassen.

Der zweite Prozesstag ist für den 15. Oktober angesetzt.


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