Jede ausländische Kritik an Steueroptimierung in Luxemburg wird von Politik und Medien empört zurückgewiesen – so auch bei „LuxFiles“. Die Gefahren dieses Geschäftsmodells bleiben so unter der Decke. Eine Analyse.
„Wir können kein Mickey-Maus-Land sein, das nur einen Finanzplatz hat und Dienstleistungen anbietet“, sagte Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) Mitte Februar im „Land“-Interview. Doch die Frage ist, ob Luxemburg nicht längst ein solches Land ohne (industrielle) Substanz ist. Über 46.000 Finanzbeteiliungsgesellschaften – sogenannte Soparfis – verzeichnet die Statistikbehörde Statec. Das entspricht knapp der Hälfte aller in Luxemburg registrierten Unternehmen und Vereine.
„So wie die Belgier sich mit Schokolade oder Bier auskennen und die Deutschen mit Autos, sind es bei uns halt die Finanzen“, frotzelte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vor den RTL-Mikros. Sein spröder Humor galt den „LuxFiles“-Recherchen der belgischen Zeitungen „Le Soir“ und „De Tijd“. Die Journalisten beschrieben diese Woche in der fünftägigen Serie, wie belgische Firmen und ein Großteil der reichsten Familien das Nachbarland Luxemburg zur Steueroptimierung nutzen.
„Kampagne“, „neue Attacke“, „der Skandal, der keiner ist“: Die Luxemburger Medien ließen kein gutes Haar an der Arbeit ihrer belgischen Kollegen. „Die Berichterstattung entspricht größtenteils nicht mehr der Realität. Da werden alte Geschichten aufgewärmt“, sagte Gramegna RTL.
Als ich 2013 begann, waren wir auf schwarzen Listen. Unser Bankenplatz wurde von allen Seiten angegriffen. Die Perspektiven waren schlecht.“Finanzminister Pierre Gramegna
Etwas peinlich war in der Tat, dass „Le Soir“ dem flämischen Bauunternehmer Jan de Nul vorwarf, eine Briefkastenfirma in Luxemburg zu haben. Dabei beschäftigt dessen Konzern hierzulande 500 Mitarbeiter, die vor allem im Bau von Konstruktionen auf See spezialisert sind, wie der „Quotidien“ berichtete. „Le Soir“ veröffentlichte am Freitag eine Richtigstellung.
Die frohe Botschaft dringt nicht durch
Das ändert am großen Bild nichts: 43 der 100 reichsten belgischen Familien halten in Luxemburger Gesellschaften ein Kapital von 48 Milliarden Euro. Diese Briefkastenfirmen dienen als Parkplatz oder als Kanal Richtung Steuerparadise. Gewinnausschüttungen blieben auf diese Weise unbesteuert, wie „Le Soir“ in mehreren Fällen beschreibt. Einzeln betrachtet sind diese aus Luxemburger Sicht weniger interessant, das dahinterstehende Muster aber durchaus.
Les révélations #LuxFiles @lesoir @tidj sont choquantes mais pas surprenantes. Poursuivons la lutte contre l’évasion fiscale dans l’UE en allant vers toujours plus de #transparence! #FairTaxation @EU_Commission https://t.co/9POIiLWzUY
— Pierre Moscovici (@pierremoscovici) 27. März 2018
Die Artikel lassen Zweifel aufkommen an den Transparenzbemühungen der Regierung. Ein Tag, bevor die belgischen Journalisten die erste „LuxFiles“-Episode veröffentlichten, strich Gramegna noch am Montag seine Verdienste hervor. „Als ich 2013 begann, waren wir auf schwarzen Listen. Unser Bankenplatz wurde von allen Seiten angegriffen. Die Perspektiven waren schlecht.“
Jetzt seien die Aussichten jedoch rosig: „Wir haben heute einen renovierten Finanzplatz. Das Bankgeheimnis ist weg, wir stehen auf keiner schwarzen Liste mehr“, meinte Gramegna. „Wir sind ein Land, das die Transparenz pflegt“, ergänzte er am Donnerstag gegenüber RTL.
Doch das ist nicht die Wahrnehmung von außen, die frohe Botschaft dringt nicht durch. „Die LuxFiles-Enthüllungen sind schockierend, aber nicht überraschend“, twitterte EU-Steuerkommissar Pierre Moscovici am Dienstagabend. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung in der EU müsse weitergehen, heißt es in der unverhüllten Kritik an der Luxemburger Regierung.
Sperrfeuer an Kritik
Feinfühliger war die Reaktion des belgischen Finanzministers Johan Van Overtveldt, als er im Parlament zu LuxFiles befragt wurde. Für die Steuerverwaltung würden die Berichte nichts Neues bringen, denn es gebe den automatischen Informationsaustausch. Ein Satz, der im Luxemburger Finanzministerium gerne gehört wird, entspricht er doch der eigenen Botschaft. Doch auch der belgische Minister warnte deutlich: „Wenn es weiterhin EU-Mitgliedsstaaten gibt, die Steuervermeidung ermöglichen, dann braucht es europäische Lösungen“, so Van Overtveldt. Er kündigte weitere nationale Maßnahmen noch vor dem Sommer an.
Und auch EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wird laut Berichten der Nachrichtenagentur Bloomberg wieder gegen Luxemburg aktiv. Diesmal soll es um unerlaubte Steuervorteile Luxemburgs für Volkswagen gehen.
„Gerüchte“ um mögliche Ermittlungen kommentiere man nicht, hieß es auf Nachfrage von REPORTER aus dem Finanzministerium. Allerdings betonte Gramegna am Montag ungefragt, Luxemburg kooperiere vollends mit der Kommission bei allen Ermittlungen. Dabei zielte die Frage eigentlich auf die Klagen der Regierung gegen die Entscheidungen der Kommission betreffend Amazon und Fiat ab.
Im November 2017 hatten „Der Spiegel“ und „Médiapart“ über das Finanzgebaren von Volkswagen in Luxemburg berichtet. Zu den beiden VW-Gesellschaften in Luxemburg flossen seit ihrer Gründung 5,8 Milliarden Euro an Dividenden aus aller Welt und sie verteilten Kredite ebenfalls in Milliardenhöhe, wie das „Lëtzebuerger Land“ vorrechnete.
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