Luxemburg sieht den einfachen Zugang zu Ministern und Beamten als Standortvorteil. Doch Einflussnahme, Lobbyismus und der Wechsel in die Privatwirtschaft sind nicht oder mangelhaft geregelt, urteilt die internationale Expertengruppe Greco. Die Regierung lässt sich dennoch Zeit.
„Der ‚Luxembourg way of doing things‘ ist durch Pragmatismus, Anpassungsfähigkeit und den Willen zu ständiger Verbesserung gekennzeichnet, wobei gleichzeitig die Vorteile eines kleinen Landes, mit seinen kurzen Wegen, der Nähe zu den Entscheidungsträgern und seiner außerordentlichen Flexibilität, zum Tragen kommen.“ So wird das Wesens Luxemburgs in der offiziellen Broschüre des „Nation Branding“ beschrieben.
Dieser Nähe zwischen Politik und Wirtschaft sind bisher kaum Grenzen gesetzt. Ein Register, das Treffen mit Lobbyisten öffentlich macht, gibt es nicht. Seit 2014 gilt zwar ein „Code de déontologie“ für Minister, aber dem Text fehlt die Durchschlagkraft. Für die oft sehr mächtigen hohen Beamten gibt es kaum Regeln, die einer Einflussnahme von Unternehmen oder anderen Interessenträgern entgegenwirken.
All dies kritisiert der Expertenbericht der Staatengruppe gegen Korruption (Greco). Lediglich acht von 21 Empfehlungen aus der Evaluierung von 2018 hat die Regierung seitdem umgesetzt, heißt es in dem jüngsten „Compliance Report“. Unter anderem die Reform der Ethikregeln für Minister, ein Verhaltenskodex für hohe Beamte und ein Lobbyregister stehen noch aus.
Kommt Zeit, kommt Rat
Dabei war die Regierung schon einmal weiter. Kurz vor Weihnachten 2019 nahm das Kabinett zwei Entwürfe von großherzoglichen Verordnungen an. Die Beschlüsse umfassen eine Neufassung des Ethikkodex für Minister und ein Gegenstück, das für hohe Beamten gelten soll. Bevor diese Regeln in Kraft treten, wollte die Regierung das Gutachten des Greco abwarten.
Nun liegt die umfassende Kritik der Experten zwar vor, aber Blau-Rot-Grün will nichts überstürzen. Man wolle den Bericht im Detail prüfen und die nötigen Anpassungen in den aktuellen Entwürfen vornehmen, heißt es auf Nachfrage von Reporter.lu aus dem Staatsministerium. Erst dann kommen die Texte erneut ins Kabinett und werden dem Großherzog zur Unterschrift vorgelegt.
Formal handelt die Regierung dabei im vorgegebenen Zeitraum. Laut den Prozeduren der Greco hat Luxemburg bis April 2022 Zeit, um den Empfehlungen nachzukommen. Die Regierung wolle dies auch in der vorgegebenen Zeitspanne tun, betont das Staatsministerium.
Mögliche Vetternwirtschaft
Allerdings ist die Kritik der Experten des Europarats eben schon seit Jahren überaus deutlich. In der vorangegangenen Evaluierung von 2018 hatte der Greco-Bericht das Fehlen eines Ethikkodex angesichts der zentralen Rolle der hohen Beamten im Luxemburger Staat als „besorgniserregend“ gewertet. Auch die Europäische Kommission mahnte in ihrem Bericht zur Rechtsstaatlichkeit in Luxemburg Reformen an. Vor allem die Kontrolle von Lobbyismus und der Wechsel von Beamten in die Wirtschaft müssten reguliert werden.
Doch nicht nur internationale Beobachter, auch Unternehmen sehen die sprichwörtlich kurzen Wege in Luxemburg zwiespältig. In einer Eurobarometer-Umfrage gaben zwei Drittel der Befragten an, Korruption sei in Luxemburg selten oder nicht existent. Nur in Dänemark fällt diese Bewertung besser aus. Die Hälfte glaubte nicht, dass die große Nähe zwischen Politik und Wirtschaft zu Korruption führe.
Allerdings: Knapp die Hälfte der Unternehmen gaben 2019 an, dass Beamten in ihren Entscheidungen häufig Freunde oder Verwandte bevorzugen. Ein Drittel gab an, dass es bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen Interessenkonflikte auf Seiten des Staates gebe. Die von der Politik gepredigte Nähe zu den einen kann eben auch den Ausschluss der anderen bedeuten. Und dieser Ruf der Luxemburger Vetternwirtschaft ist wiederum nicht allzu „business friendly“.
Der gescheiterte erste Versuch
Doch die wechselnden Regierungen tun sich seit fast einem Jahrzehnt schwer mit einer Lösung für diese Missstände. Ende Oktober 2011 beschloss die damalige CSV-LSAP-Regierung eine umfassende Neuordnung des öffentlichen Dienstes. Teil des Reformpakets war ein Ethikkodex für alle Beamten in Form einer Verordnung und ein neuer Artikel im Beamtenstatut, der den Wechsel in die Privatwirtschaft regelte. Auffällig war der Zeitpunkt – die „Affäre Livingen-Wickringen“ erreichte damals ihren Höhepunkt.
In der Reform, die das Parlament letztlich erst im März 2015 unter Blau-Rot-Grün beschloss, fehlten jedoch die entsprechenden Passagen zu den Verhaltensregeln für hohe Beamte. Der Staatsrat übte derart grundsätzliche Kritik, dass Parlament und Regierung einen Rückzieher machten. Vor allem die Auslagerung von Verhaltensregeln aus dem Gesetz zum Beamtenstatut in einen Ethikkodex fand der Staatsrat nicht überzeugend.
Regelrecht revoltiert zeigten sich die „Weisen“, dass sich ein Beamter, der aus dem Dienst ausscheidet, um eine Firma zu übernehmen oder als Berater zu arbeiten, einer Kontrolle unterwerfen müsse. Der Entwurf von 2011 sah vor, dass während einer Karenzzeit von drei Jahren ein „Comité de prévention de la corruption“ ein Gutachten erstellen müsse. Sollte ein Risiko für die Neutralität oder die Integrität der Verwaltung bestehen, könnte dieses Gremium dem Beamten untersagen, einen bestimmten Job anzunehmen. Der Minister als früherer Chef des Beamten könnte gar eine Geldstrafe verhängen, falls dieses Verbot nicht respektiert würde. Der Staatsrat sah darin einen Verstoß gegen die Grundrechte, da die Regierung dann allmächtig über die Karriere von (Ex-)Beamten entscheiden könne.
Angst vor der eigenen Courage
Aufgrund der Kritik bleibe es daher vorerst beim Status-quo, sagte 2015 der damalige Minister für den öffentlichen Dienst, Dan Kersch (LSAP). Doch er betonte gleichzeitig: „En Deontologiekodex fir d’Chamber hu mer kritt. Mir hunn ee fir d’Regierung kritt. Mir hunn ee fir de Staatsrot kritt. […] A mir brauchen och en erweiderten Deontologiekodex fir d’Fonction publique.“
Im Koalitionsprogramm 2018 fehlte davon jedoch jede Spur. Das Ministerium für den öffentlichen Dienst verweist auf Nachfrage auf das allgemeine Beamtenstatut. Seit 2017 gebe es die „Lignes de bonne conduite administrative“.
In der Tat nahm die Regierung statt eines Ethikkodex für alle Beamte 2019 den Entwurf eines Erlasses an, der sich ausschließlich auf die „Conseillers de gouvernement“ bezieht. Also jene Beamte, die als direkte Vertrauensleute eines Ministers und an den sonst für Staatsbedienstete geltenden Bedingungen vorbei politisch ernannt werden können. Seit der Wiederwahl 2018 baute Blau-Rot-Grün den politischen Beamtenstaat kontinuierlich aus.
Im Vergleich zu den Plänen von 2015 stellt dieser Kodex-Entwurf aber einen Schritt zurück dar. Der formale Grund scheint dabei klar: Mit einem „Arrêté“ will die Regierung sowohl das Parlament als auch den Staatsrat umgehen. Gleichzeitig löst die Koalition damit aber nicht die Probleme, auf die Luxemburg von internationalen Beobachtern seit Jahren aufmerksam gemacht wird.
Starker Premier, schwaches Ethikkomitee
Auch die Regeln bei einem Wechsel in die Privatwirtschaft bleiben im aktuellen Entwurf weit hinter den früheren Plänen zurück. Statt einer Übergangszeit von drei Jahren müssen Ex-Beamte neue Tätigkeiten dem „Comité d’éthique“ nur noch während einem Jahr vorlegen. Das Komitee darf nur Leitlinien für die ehemaligen Beamten definieren, aber die Annahme des neuen Jobs nicht verbieten, so der Plan.
Die Regierung begründet die kurze Karenzzeit damit, dass Beamte anders als Minister kein Übergangsgehalt erhalten. Dass Beamte über einen „Congé sans solde“ jahrelang in der Privatwirtschaft arbeiten können, ohne aus dem Staatsdienst auszuscheiden, findet dagegen keine Erwähnung.
Genau wie Minister müssen politische Beamte künftig ihre Vermögensverhältnisse, frühere Arbeitgeber und die Tätigkeiten des Partners offenlegen. Anders als bei den Ministern soll diese Erklärung nicht veröffentlicht werden – dies zum Schutz der Privatsphäre. In Frankreich hatte der „Conseil constitutionnel“ ein entsprechendes Gesetz gekippt. Bei Beamten sei die Veröffentlichung nicht verhältnismäßig.
Auffällig ist, dass Premierminister Xavier Bettel (DP) sich selbst einen zentralen Platz einräumt. Die Transparenzerklärungen müssen die Minister und Beamten an den Premier adressieren, der sie dann an das Ethikkomitee weiterreicht. Unklar ist, inwiefern der Staatsminister bei politischen Beamten, die er zum Teil selbst ernannt hat, neutral sein kann. Zudem bleibt die Frage offen, ob sich der Staatsminister über ein negatives Gutachten des Ethikrates hinwegsetzen kann.
Transparenz mit Lücken
Die Vereinigung „Stop Corrupt“ kritisierte vergangene Woche, dass der Ethikrat laut den neuen Regeln nicht gestärkt wird. Die NGO forderte eine unabhängige Institution, die Sanktionen gegen Minister und andere öffentliche Akteure verhängen könne. Dies ist in Frankreich beispielsweise durch die „Haute Autorité pour la transparence de la vie publique“ (HATVP) gewährleistet, die auch ein Lobbyregister führt.
Laut Plänen der Luxemburger Regierung sollen zwei solcher Verzeichnisse erstellt werden: eines für die Gespräche der Minister mit Interessenvertretern und eines für die Treffen der Beamten mit Lobbyisten. Die Verwaltung der Listen soll das Staatsministerium übernehmen. Wie dabei die Unabhängigkeit gewährleistet sein kann, wenn es bedenklich wird oder etwa Mitarbeiter des Premiers selbst betroffen sind, bleibt offen.
Die Experten der Greco kritisieren in ihrem jüngsten Bericht zudem, dass die Offenlegung von Treffen viel zu eingeschränkt sei. Es sei nur auf hauptberufliche Lobbyisten ausgerichtet. Wenn jedoch Unternehmenschefs für eigene Interessen einstehen, müssten Treffen nicht veröffentlicht werden. Auch welches Thema besprochen wurde, bleibe vertraulich.
Demnach dürfte es noch eine Weile bei der Nähe und der großen Flexibilität der kurzen Wege zwischen Politik und Wirtschaft bleiben. Allzu sehr will die Regierung offenbar nicht am „Luxembourg way of doing things“ rütteln.
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