Die Regierung hat einen Entwurf für einen neuen Deontologiekodex ausgearbeitet. Der Text, der Reporter.lu vorliegt, sieht zudem ein Lobbyregister für Treffen zwischen Interessenvertretern und Ministerien vor. Es wäre ein gewaltiger Schritt, um Interessenkonflikten vorzubeugen.

Die Kritik an Etienne Schneider war deutlich. Trotz des Angriffs von Russland auf die Ukraine weigerte sich der ehemalige LSAP-Wirtschaftsminister von seinem Posten beim russischen Finanzdienstleister „Sistema“ zurückzutreten. Erst vier Tage nach Kriegsbeginn und anhaltender Kritik machte er diesen Schritt dann doch. Der Fall wirft abermals Fragen auf zu den engen Verbindungen zwischen (Ex-)Politikern und der Wirtschaft. Verbindungen, die in Zukunft strenger geregelt werden sollen. Denn hätte die Regierung bereits bei Etienne Schneiders Rückzug aus der Politik über ihren neuen Deontologiekodex verfügt, ist fraglich, ob der scheidende Minister den Verwaltungsratssitz bei Sistema je hätte annehmen dürfen.

Reporter.lu liegt der Entwurf des neuen Kodex für Regierungsmitglieder vor. Der Text wurde am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet, jedoch noch nicht von Premierminister Xavier Bettel (DP) unterschrieben. Der überarbeitete Kodex soll Ministern und früheren Mandatsträgern deutlich strengere Regeln auferlegen und zusätzlich den Kontakt zwischen Regierung und Interessenvertretern transparenter gestalten.

Mehr Macht für Ethikkommission

Etienne Schneider steht denn auch am Anfang der Entstehung des neuen Kodex für Minister. Als ihm nach seinem Rücktritt im Februar 2020 ein Posten im Aufsichtsrat des Stahlkonzerns ArcelorMittal angeboten wurde, wollte der LSAP-Minister nämlich möglichen Interessenkonflikten vorbeugen, indem er die zuständige Ethikkommission selbst mit der Prüfung seines Falls betraute. Zusätzlich wollte er auch vor der Gründung seines Privatunternehmens „Beta Aquarii SA“ eine Stellungnahme des Gremiums erhalten.

Die Ethikkommission, die sich aus ehemaligen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern zusammensetzt, konnte sich allerdings nicht klar zu dem Fall äußern. Sie verwies auf eine schwammige Formulierung im aktuellen, 2014 eingeführten und 2015 überarbeiteten, Verhaltenskodex. Laut dieser Version steht es ehemaligen Ministern während zwei Jahren nicht zu, unveröffentlichte Informationen, die sie bei der Ausübung ihres Mandats erhalten haben, zu nutzen. Allerdings konnte die Ethikkommission nicht unabhängig überprüfen, ob der Kodex auch eingehalten wird. „Es ist unmöglich, die dem ehemaligen Minister auferlegten Verpflichtungen durchzusetzen und zu überwachen, wenn er wie im vorliegenden Fall beschließt, eine private berufliche Tätigkeit in einem Bereich auszuüben, den er zuvor im Rahmen seiner Regierungsaufgaben geleitet und überwacht hatte“, schrieb die Kommission in ihrem Gutachten.

Dem Papiertiger wachsen Zähne

Das Staatsministerium hat nun versucht, die Lücke im aktuellen Text zu schließen. Laut dem Entwurf des neuen Deontologiekodex kann die Ethikkommission einem Minister Verhaltensregeln auferlegen, wenn dieser in den ersten beiden Jahren nach seinem Mandat für ein Unternehmen tätig ist, für dessen Überwachung er zuvor zuständig war. Reichen Verhaltensregeln nicht aus, um den Interessenkonflikt aufzulösen, kann das Gremium dem ehemaligen Minister die Ausübung des neuen Mandats gar verbieten.

Demnach genügt es schon, dass ein ehemaliger Minister ein Mandat in seinem früheren Kompetenzbereich ausüben will, damit die Ethikkommission ihm spezielle Auflagen auferlegt – unabhängig davon, ob die betroffene Person tatsächlich nicht-öffentliche Informationen nutzen will oder nicht. Die Ethikkommission erhält so deutlich mehr Macht.

Bereits jetzt müssen Minister den Premierminister und die Ethikkommission vor ihrer Ernennung über mögliche Interessenkonflikte informieren. Laut der jetzigen Fassung des Textes müssen die Minister etwa eine Liste ihrer beruflichen Tätigkeiten der letzten zehn Jahre erstellen, den Arbeitgeber und Beruf ihres Partners angeben und ihren Aktienbesitz offenlegen. Neu ist allerdings, dass auch alle Immobilien, in denen Minister oder ihre Familie nicht wohnen, erfasst werden sollen. Zudem müssen die Regierungsmitglieder den Stand ihrer eigenen Verschuldung angeben, wenn diese über 100.000 Euro liegt und nicht auf den Kauf ihres Hauptwohnsitzes zurückzuführen ist. Diese zusätzlichen Informationen müssen jedoch nicht veröffentlicht werden.

Liegen der Kommission diese Informationen vor, erstellt sie ein Gutachten über mögliche Interessenkonflikte. Besteht ein Risiko einer Vermischung von Interessen, müsse der Minister „die nötigen Maßnahmen treffen, um diesen Interessenkonflikt zu lösen“, heißt es in dem Entwurf. Wie diese zu lösen sind, wird weder im alten noch im neuen Text erwähnt. Doch der neue Deontologiekodex geht weit über die Verhaltensregeln für Mandatsträger vor und nach dem Mandat hinaus.

Reaktion auf Greco-Empfehlungen

Nachdem das Parlament sich vor einigen Monaten ein Lobbyregister gegeben hat, will die Regierung nun nachziehen. Doch der Entwurf der Regierung geht bei der Transparenz um einiges weiter: Während Lobbyisten sich im Parlamentsregister nur eintragen müssen, ohne dabei Zweck, Datum oder Gesprächspartner hinzuzufügen, müssen sie für Gespräche mit Ministerien eben diese Informationen offenlegen.

Damit reagiert die Regierung auch auf Empfehlungen der Staatengruppe gegen Korruption (Greco). Luxemburg wurde bereits mehrmals von dem Gremium des Europarats für seine laschen Regeln im Umgang mit Lobbyisten kritisiert. In ihrem Bericht forderte die Greco 2018, „Informationen über den Zweck dieser Kontakte offenzulegen, wie die Identität der Personen, mit denen das Treffen stattfand und worum es bei den Gesprächen genau ging“. Dies soll nun vollkommen umgesetzt werden. Demnach wird das Register es künftig erlauben nachzuvollziehen, wie unterschiedliche Interessen bei der Erstellung eines Gesetzentwurfs mitgewirkt haben könnten.

Wie wichtig dies ist, zeigte sich etwa vor wenigen Monaten. Damals hatte das Gesundheitsministerium laut Medienberichten einen Text des „Collège Medical“ und der Ärztevertretung AMMD zu Ärztegesellschaften ohne größere Änderungen übernommen. Mit dem neuen Register wäre spätestens sechs Wochen nach dem Treffen mit dem Ministerium auf der Internetseite der Regierung erkenntlich, dass die beiden Organisationen einen eigenen Text vorgelegt haben.

Nur auf einen Kritikpunkt ist die Regierung in Zusammenhang mit dem Verhaltenskodex bisher nicht eingegangen. Während einer Parlamentsdebatte Mitte Januar dieses Jahres hatte Fernand Kartheiser (ADR) gefordert, dass die Mitglieder der Ethikkommission vom Parlament ernannt werden sollen, statt von der Regierung. So könne der Kontrollfunktion des Parlaments Rechnung getragen werden, so der Abgeordnete. Dieser Vorschlag wurde vom Staatsministerium nicht übernommen.

Kodex betrifft auch politische Beamte

Die neue Transparenzoffensive endet jedoch nicht bei den Ministern. Politische Beamte unterliegen fortan fast den gleichen Regeln. Nachdem Xavier Bettel den Text unterzeichnet hat, würde damit erstmals auch für hohe Beamte ein Deontologiekodex gelten. Auch sie müssten dann jegliche Kontakte mit Lobbyisten an das Staatsministerium melden.

Lediglich in zwei Punkten unterscheiden sich die Verhaltensregeln für Beamte von den Auflagen für Minister. Die Karenzzeit, in denen Beamte möglichst vermeiden sollen, für ein Privatunternehmen zu arbeiten, das in den Kompetenzbereich ihres früheren Ministeriums fällt, würde für Beamte nur ein Jahr betragen, bei Ministern hingegen zwei. Ein Wechsel, wie etwa im Fall von Paul Konsbruck, müsste von der Ethikkommission gutgeheißen werden. Anders als ein Minister müsste der ehemalige Kabinettschef von Xavier Bettel (DP) jedoch nicht fürchten, auf sein neues Mandat als Vorsitzender von „LuxConnect“ verzichten zu müssen. Die Ethikkommission kann bei Beamten höchstens Maßnahmen für die „Betreuung der Aktivität“ für ein Jahr formulieren, wenn ein Interessenkonflikt vorliegen würde. Sie kann das Antreten des neuen Postens aber nicht verbieten.

Die Reichweite des Vorschlags der Regierung überrascht vor dem Hintergrund der Diskussionen im Parlament über die Einführung eines Lobbyregisters. Nachdem das Parlament bereits einen ersten Entwurf für sein Register angenommen hatte, blockierten nämlich die DP und CSV die Verabschiedung des Textes. Das Register würde die Arbeit der Abgeordneten zu sehr einschränken, so die Argumentation. Auch Vertreter von Wirtschaftsverbänden äußerten sich kritisch. Erst durch eine starke Abschwächung des ursprünglichen Textes konnte eine Einigung zwischen den Parteien erzielt werden. Dass Interessenvertreter den noch weiter reichenden Vorschlag der Regierung begrüßen, kann deshalb als ausgeschlossen gelten.

Infragestellung des Luxemburger Modells

In einem Meinungsbeitrag bei „Radio 100,7“ kritisierte etwa Jean-Jacques Rommes den Drang zu mehr Transparenz. Der „Vorteil der kleinen Wege werde im Kern erstickt“ und ein „Generalverdacht geschürt“, so der ehemalige Direktor der Arbeitgebervereinigung UEL und der Bankenvereinigung ABBL. Zu diesen Positionen steht Jean-Jacques Rommes auch weiterhin, wie er gegenüber Reporter.lu bestätigt.

„Bei schwierigen Themen, wie etwa dem Umweltschutz, sind Wirtschaft und Umweltorganisationen sich etwa einig über das Ziel, aber nicht den Weg, wie CO2-Emissionen reduziert werden sollen. Wird danach öffentlich, wer wie viel über was genau mit wem geredet hat, könnte ein falscher Verdacht entstehen. Dann werden Gespräche gar nicht mehr möglich“, so Jean-Jacques Rommes gegenüber Reporter.lu. Zudem könne ein solches Register nicht vollständig sein. „Zufallsbegegnungen sind in Luxemburg üblich, diese können aber nicht alle vom Register erfasst werden. „Die ehrliche Erfassung aller möglichen Begegnungen ist in Luxemburg also schwierig und somit kann es nur zu einer Scheintransparenz führen“, sagt Jean-Jacques Rommes.

Ob dem jetzigen Vorschlag das gleiche Schicksal wie dem Lobbyregister des Parlaments blüht, wird sich noch zeigen. Im Januar meinte Xavier Bettel noch im Parlament, die Regierung wolle Anfang März einen Text verabschieden, der mit den Forderungen der Greco vereinbar wäre. Nun heißt es auf Nachfrage von Reporter.lu, die beiden Texte, zu den Ministern und zu den Beamten, seien bereits verabschiedet worden, jedoch noch nicht unterschrieben. Man müsse noch „interne administrative Maßnahmen vorbereiten“, heißt es aus dem Ministerium. Ende des Monats sollen die Arbeiten aber abgeschlossen werden. Die neuen Regeln könnten dann bereits zum 1. Mai in Kraft treten.


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