Die Klimaziele der Regierung sind ehrgeizig. Das Beispiel der Zementproduktion zeigt jedoch, wie schwierig eine schnelle Reduzierung der Emissionen in der Praxis sein kann. Damit der nachhaltige Wandel gelingt, fordert die Industrie klarere Leitlinien – und mehr Staat.

Die Zuversicht von Premierminister Xavier Bettel (DP) macht selbst vor Zement nicht halt. Als der Regierungschef vor einer Woche die Fabrik des luxemburgischen Herstellers „Cimalux“  besuchte, unterstrich er im Anschluss die Nachhaltigkeit des Produkts. „Eine klimafreundliche Produktion von Zement. Das ist die Devise von „Cimalux“, einem Traditionsbetrieb, der seit mehr als 100 Jahren in Rümelingen aktiv ist“, so das offizielle Statement des Premierministers auf Twitter.

Es war eine Lesart des Besuchs, die selbst Christian Rech, Ingenieur bei „Cimalux“, im Gespräch mit Reporter.lu ein Schmunzeln auf die Lippen treibt. Denn klimafreundlicher Zement ist auch in Luxemburg ein Ziel, das sich noch in weiter Ferne befindet.

Dabei verdeutlichen die globalen Fakten die Bedeutung dieses Industriezweigs: Schätzungen des „World Wide Fund For Nature“ zufolge stößt die Zementproduktion rund 2,8 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr aus, was rund acht Prozent der weltweiten Emissionen ausmacht. Oder anders ausgedrückt: Wäre die weltweite Zementindustrie ein Staat, wäre sie der drittgrößte CO2-Emittent der Welt. Knapp vor Indien und etwas hinter China und den Vereinigten Staaten.

Das CO2-intensivste Produkt der Welt

Die schlechte CO2-Bilanz liegt nicht zuletzt an der schieren Masse an Zement, die die Menschheit verbraucht. Jährlich liegt der Bedarf bei rund 4,6 Milliarden Tonnen. Damit ist Zement, nach Wasser, die am meisten genutzte Ressource auf dem Planeten – vor Stahl, vor Plastik und vor Holz. Keine Brücke, keine Tiefgarage, nicht einmal ein Windrad ist denkbar, ohne dass dafür das gräuliche Pulver zum Einsatz kommt.

Hier arbeiten hauptsächlich Ingenieure, die auch den IPCC-Bericht lesen, die auch Kinder haben und die sich sagen: Das geht so nicht weiter.“Christian Rech, Ingenieur bei „Cimalux“

Dass Zement ein CO2-intensives Produkt ist, verdeutlicht sowohl seine Schädlichkeit als auch sein Potenzial. Ersteres liegt an der Produktionsweise. Damit Zement entsteht, muss zuerst Kalk gebrannt werden. In einem Ofen wird das Gestein auf 1.450 Grad Celsius erhitzt und mit Mergel oder Silikaten vermischt. Es beginnt eine chemische Reaktion. Aus CaCO3 – ein Kalziumkarbonat – entsteht CaO – ein Kalziumoxid, das mit Mergel reagiert oder „sintert“ und zu Zementklinker wird. Dieser wird anschließend, mit weiteren Haupt- und Nebenbestandteilen, zu Zement gemahlen.

Wer die beiden chemischen Formeln vergleicht, sieht, dass etwas fehlt: CO2. Dieser wird während des Prozesses freigesetzt und entweicht in die Atmosphäre. Rund 60 Prozent seines Kohlendioxid-Fußabdrucks verdankt Klinker dieser „Kalzinierung“ während der Produktion. Diese CO2-Emissionen sind, technisch ausgedrückt, „prozessbedingt“.

Weitere 30 Prozent entstehen beim Heizen der Öfen. In den großen Drehröhrenöfen wird zum Brennen des Kalks oft Kohle verwendet. Seit einigen Jahren greift die Zementindustrie auf sekundäre Brennstoffe zurück um den fossilen Anteil seiner Brennstoffe zu reduzieren. Die restlichen zehn Prozent des CO2-Ausstoßes gehen auf die Weiterverarbeitung von Zement zurück, etwa auf den Mahl- oder den Mischvorgang nach dem Brennvorgang.

Nachdenkliche Zementproduzenten

In Luxemburg ist die Firma „Cimalux“ faktisch die Luxemburger Zementindustrie. Die Anfänge der Firma gehen auf das Jahr 1886 zurück und sind eng mit der Luxemburger Stahlindustrie verbunden. Als Ausgangsstoff der ersten Zementproduktion diente Hochofenschlacke aus den Öfen der Arbed. Nach einigen Firmenfusionen entsteht 1920 die „Société Anonyme des Ciments Luxembourgeois“.

Heute beschäftigt das Unternehmen mit Sitz in Esch/Alzette und einer Produktionsanlage in Rümelingen 165 Mitarbeiter. Neben der Zementproduktion hält „Cimalux“ auch Anteile an den Betonmischwerken von „Bétons Feidt“ und ist heute Teil der italienischen „Buzzi Unicem Gruppe“. Diese ist mit 10.000 Mitarbeitern in 14 Ländern einer der größten Zementhersteller der Welt.

Seit mehr als 100 Jahren wird im Süden Luxemburgs Zement hergestellt. Auf seiner Produktionsanlage in Rümelingen beschäftigt das Unternehmen „Cimalux“ rund 160 Mitarbeiter. (Foto: Robert Glod/Flickr.com)

Während in der Industriezone „Um Monkeler“ in Esch/Alzette die Betonmischer am Fenster vorbeiziehen, will Christian Rech von „Cimalux“ gleich mit einem Vorurteil aufräumen: „Bei Zementproduzenten stellen sich viele Zigarren rauchende Männer in Nadelstreifenanzügen vor, die den ganzen Tag ihr Geld zählen und denen der Rest egal ist. Das ist falsch. Hier arbeiten hauptsächlich Ingenieure, die auch den IPCC-Bericht lesen, die auch Kinder haben und die sich sagen, das geht so nicht weiter.“

Zu dieser Wahrheit gehört jedoch, dass „Cimalux“ mit einem jährlichen CO2-Ausstoß von rund 650.000 Tonnen der größte Emittent in der Luxemburger Industrie ist. Da die Firma einer besonders energieintensiven Industrie angehört, ist sie zudem seit 15 Jahren Teil des europäischen Emissionszertifikate-Handelssystems ETS. Eigentlich war dieser Zertifikate-Handel dazu gedacht, um durch eine langfristige Verknappung und somit steigende Preise für Zertifikate die Emissionen in der Industrie zu senken.

Die Bilanz des Systems fällt jedoch auch bei Christian Rech nüchtern aus: „Über Jahre ist der Zertifikate-Handel dahingedümpelt. Erst in den vergangenen Jahren haben sich die Preise drastisch erhöht. Was auch mit gesellschaftlichem Druck zu tun hat.“

Schnellstmöglich weg von der Kohle

Den Vorwurf, man habe nichts getan, streitet der Ingenieur jedoch strikt ab: „Wir konzentrieren uns momentan darauf, die Kohle bei der Verbrennung durch sogenannte Sekundärbrennstoffe zu ersetzen. In den letzten Jahren konnten wir so schon 65 Prozent der Kohle durch andere Stoffe ersetzen.“ Dabei handelt es sich um Stoffe, die beim Recycling von Plastik, Holz oder Reifen anfallen. Zudem wird getrockneter Klärschlamm als Brennstoff genutzt. Eine Nutzung, die laut Christian Rech mit hohen Investitionen einhergeht, da beispielsweise die Bedüsung und Steuerung in der Brennkammer ganz anders erfolgt als bei reinem Kohlebetrieb.

Der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen und bei neuen Bauprojekten CO2-ärmeren Zement nutzen, sonst etabliert sich diese Nutzung schlicht nicht.“
Christian Rech, Ingenieur bei „Cimalux“

„Cimalux“ profitiert jedoch auch finanziell von der Nutzung dieser Sekundärbrennstoffe. Denn anders als bei Kohle wird der Einsatz von alternativen Brennstoffen zum Teil als CO2-neutral bilanziert, da es sich dabei teilweise um nachwachsende Ressourcen handelt. Es müssen also keine Zertifikate dazugekauft werden. Also eigentlich doch eine Milchmädchenrechnung?

„CO2 in der Atmosphäre bleibt natürlich CO2 in der Atmosphäre. Dennoch macht uns diese Nutzung weniger abhängig von fossilen Energieträgern und wir müssen die Kohle nicht aus Südafrika importieren“, erklärt Christian Rech. Zudem finde so eine Valorisierung von Abfall statt, der sonst auf der Deponie landen würde. Langfristig bestehe zudem die Möglichkeit, den in Luxemburg anfallenden Klärschlamm im Land zu nutzen, anstatt ihn ins Ausland zu transportieren.

Wasserstoffnutzung fraglich

Bei der Vorstellung der nationalen Wasserstoffstrategie vor zwei Wochen hatte Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) ausdrücklich auch den Zementproduzenten aus Rümelingen als möglichen Partner genannt. Dabei ist die Wasserstoffnutzung in der Zementindustrie kurzfristig wohl eher unwahrscheinlich. „In der Stahlindustrie ist die Verwendung von Wasserstoff in der Entwicklung. Beim Zement sieht das anders aus. Die Wärmeverteilung von Wasserstoff innerhalb der Brennkammer ist schlecht. Und momentan gibt es keine Technologie, die das verbessern könnte,“ so Christian Rech.

Nützlich für die Zementindustrie wäre Wasserstoff eher indirekt. Denn langfristig müsse man bei den Prozessemissionen über „Carbon Capture and Usage“ nachdenken, so der Ingenieur. Damit ist die CO2-Abscheidung und anschließende Nutzung während der Produktion gemeint. „Wenn wir in 30 Jahren erneuerbaren Strom im Überfluss haben, können wir daran denken, in Carbon Capture zu investieren. Da existieren bereits technologische Ansätze, die in den kommenden Jahren marktreif sein werden. Wasserstoff öffnet in diesem Zusammenhang viele Türen, etwa bei der Herstellung von E-Fuels. Doch das ist alles sehr energieintensiv, dessen muss man sich bewusst sein.“

Staat in der Verantwortung

Angesichts dieser eher langfristig angelegten Ziele erscheinen die von der Regierung beschlossenen sektoriellen Reduktionsziele von 50 Prozent in der Industrie bis 2030 für die Zementindustrie eher fraglich. Auf die Ziele angesprochen, gibt sich Christian Rech durchaus ambitiös: „Bis 2050 müssen wir klimaneutral sein, so viel ist sicher.“

Bei den Zielen bis 2030 ist die Antwort jedoch etwas nuancierter: „Wenn wir es allein schaffen müssen, dann sage ich nein, wenn wir jedoch die ganze Wertschöpfungskette der Zement- und Betonbranche mit einbeziehen und an einem Strang ziehen, dann sage ich ja.“ Denn während die CO2-Reduktion in der Klinkerproduktion aufwendig ist, gibt es noch einen zweiten Lösungsansatz, um die CO2-Emissionen beim Zement zu vermindern. Und zwar in der Nutzung.

Die Regierung muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die direkten Staatshilfen für Betriebe reformiert werden. Es muss dem Staat erlaubt werden, Firmen direkt beim Wandel zu unterstützen.“René Winkin, Geschäftsführer der „Fedil“

Der Ansatz besteht darin, den Klinker-Anteil im Beton zu reduzieren und durch andere Bestandteile, wie etwa Kalkstein, Trass oder Hüttensand, zu ersetzen. Doch dadurch ändern sich die Eigenschaften des Zements; er härtet weniger schnell aus. Was wiederum die Bauzeit bei Projekten verlängert. Christian Rech spricht auch deswegen von der ganzen Wertschöpfungskette, da an deren Anfang die Bauträger stehen. Will heißen: Jene, die durch das Lastenheft maßgeblichen Einfluss auf die Bauprojekte haben.

In vielen Fällen, etwa bei großen Infrastrukturprojekten, ist das die öffentliche Hand. „Der Staat muss mit gutem Beispiel vorangehen und bei neuen Bauprojekten CO2-ärmeren Zement nutzen, sonst etabliert sich diese Nutzung schlicht nicht.“ Zudem müsse man vermehrt über die Funktionalität und langfristige Nutzung von Bauwerken nachdenken, so der Ingenieur von „Cimalux“ abschließend.

Auch für René Winkin, Geschäftsführer des Industrieverbands „Fedil“, steht der Staat bei den Reduktionszielen in der Verantwortung. Das gelte besonders bei Investitionen, die sich für Firmen nicht rechnen würden. „Die Regierung muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass die direkten Staatshilfen für Betriebe reformiert werden. Es muss dem Staat erlaubt werden, Firmen direkt beim Wandel zu unterstützen.“


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