Statt einer „Seniorenresidenz“ soll in Diekirch nun eine Musikschule entstehen. Doch die Pläne stoßen auf Kritik. Der Verdacht: Die Gemeinde soll für die Kosten des privaten Bauherrn geradestehen. Dokumente, die Reporter.lu vorliegen, deuten in diese Richtung.

Ein Gerichtsurteil kann magische Kräfte freisetzen. So wie in Diekirch etwa. Dort verwandelte sich eine private „Seniorenresidenz“ kurzerhand in eine öffentliche Musikschule. Der Hintergrund ist jedoch weniger zauberhaft. Ende 2021 entschied der Verwaltungsgerichtshof, dass das geplante „Seniorenresidenz“-Projekt nicht mit geltendem Recht in Einklang zu bringen ist. Demnach war die Baugenehmigung, die der damalige Bürgermeister und heutige Minister Claude Haagen (LSAP) für das Vorhaben vergeben hatte, illegal.

Die Begründung: Die betroffenen Grundstücke befinden sich in einer sogenannten „Zone BEP“ des allgemeinen Bebauungsplans (PAG). In dieser dürfen nur Gebäude errichtet werden, die einen öffentlichen Nutzen erfüllen, wie etwa Altenheime, Wohnungen für Studenten oder Internate. Da die geplanten 37 Wohneinheiten in der „Seniorenresidenz“ jedoch einen privatwirtschaftlichen Charakter hätten, würden sie diesen Kriterien nicht entsprechen, so die Richter des obersten Verwaltungsgerichts.

Damit stand vor allem die „Seniorenresidenz Diekirch Sàrl“ vor einem Problem, also jene Gesellschaft, die das Projekt bauen sollte. Denn das Unternehmen hatte bereits Wohnungen in den Verkauf gebracht und mit Erdarbeiten auf dem Gelände begonnen. Aktuell markiert denn auch ein großer Hügel aus Erdaushub den Standort, an dem das Projekt entstehen sollte. Eine Lösung musste demnach her. Gefunden wurde sie im Frühherbst 2022. Am 29. September unterschrieb der Diekircher Schöffenrat einen „Compromis de vente“ mit der Immobiliengesellschaft.

Zweifel an salomonischer Lösung

In dem Dokument, das Reporter.lu vorliegt, verständigten sich beide Parteien auf einen Deal: Die Gemeinde übernimmt die Grundstücke. Zusätzlich erklärt sie sich bereit, für die bereits durchgeführten Arbeiten und Studien aufzukommen. Zudem legt der Vertrag fest, was zukünftig auf dem Gelände entstehen soll: eine neue Musikschule für die Gemeinde. Eine salomonische Lösung für ein vertracktes Problem, könnte man denken.

Doch spätestens bei der Finanzierung kommen berechtigte Zweifel auf, ob es sich auch für die Gemeinde um eine vorteilhafte Lösung handelt. Denn insgesamt soll die Transaktion 9,9 Millionen Euro kosten. Wie dieser Preis im Detail zustande kam, dazu schweigt der Vorvertrag. Es heißt darin lediglich: Grundlage seien Schätzungen des „Cabinet d’expertises Molitor“, die im Mai 2022 durchgeführt wurden.

D’après renseignements transmis oralement par la société Immo Weydert Welter, celui-ci a fait l’objet d’études de sols et de travaux d’aménagements.“Bericht des „Cabinet d’expertises Molitor“

Kurz nachdem der Kauf durch die Gemeinde Diekirch öffentlich wurde, lief die Opposition aus CSV, DP und Déi Gréng geschlossen Sturm gegen die Transaktion. In einer gemeinsamen Stellungnahme sprachen sie sich unisono gegen das Projekt aus. Zwar sei man nicht kategorisch dagegen, dass die Gemeinde die Grundstücke übernehme. Doch man wehre sich vehement gegen die Übernahme des vom Bauherren und der LSAP-Mehrheit verkorksten Bauprojektes auf Kosten der Gemeindekasse, so die Opposition am 29. November 2022. Es sei nicht die Aufgabe der Gemeindekasse, jegliche private Investitionen schadlos zu halten, indem sie deren Geschäftsrisiko übernehme und Gewinnmargen für nie verwirklichte Projekte auszahle, hieß es in einer entsprechenden Pressemitteilung.

Neben der „Seniorenresidenz“, über die Reporter.lu erstmals 2019 exklusiv berichtete, hatte in der Vergangenheit bereits ein weiteres Projekt zwischen dem Unternehmen „Immo Weydert & Welter“ und der Gemeinde für Diskussionen gesorgt. Denn gleich neben der geplanten „Residenz“ baut die Immobilienfirma das 100 Jahre alte „Pensionnat Notre-Dame de Lourdes“ seit 2019 zu einer Einrichtung für Kinderbetreuung um. Wie Reporter.lu bereits berichtete, soll die Stadt Diekirch die „Maison relais“ nach der Fertigstellung vom Bauträger mieten. Der Mietbetrag von mehr als 1,3 Millionen Euro jährlich sorgte damals für Stirnrunzeln in der Gemeinde.

Differenz von drei Millionen Euro

Aber was ist dran an den jüngsten Vorwürfen der Oppositionsparteien? Entsteht durch den Kaufvertrag wirklich ein Gewinn für die „Seniorenresidenz Diekirch Sàrl“ und somit für deren Inhaber Pierre Weydert und Tom Welter? Eine Antwort darauf steht und fällt mit den ursprünglichen Anschaffungskosten der Grundstücke in der Rue de l’Hôpital.

Den Besitzer wechselten die Grundstücke erstmals am 8. August 2019. Damals verkaufte die „Sedec SA“ sie an die „Seniorenresidenz Diekirch“, dies geht aus einem notariellen Kaufvertrag hervor, der Reporter.lu vorliegt. Bei „Sedec SA“ handelt es sich um die Immobiliengesellschaft der „Soeurs de la doctrine chrétienne“ , die ursprünglich auf dem Gelände ein Krankenhaus betrieben hatten. Neben den Kaufmodalitäten gibt der Vertrag auch Auskunft über den Preis für die betroffenen Grundstücke. Demnach zahlte die „Seniorenresidenz Diekirch“ damals 4,592 Millionen Euro, um in den Besitz der beiden Parzellen zu kommen.

Wir als Gemeinde haben kein Grundstück erworben, sondern ein Projekt für eine zukünftige Musikschule.“Bürgermeister Claude Thill (LSAP)

Rechnet man etwaige notarielle Eintragungsgebühren hinzu, liegt der Kaufpreis damit in etwa auf jenem Preisniveau, den die „Seniorenresidenz Diekirch“ auch in ihren Jahresbilanzen für die Grundstücke angibt. Dort heißt es in einer Anmerkung zum Inventar: „Le poste «Stocks» comprend un terrain acheté par la société pour y construire une résidence pour seniors et qui sera revendu au fur et à mesure de la vente des appartements de la résidence à construire pour un montant de 4.826.334,143 EUR.“

Neben dem Grundstückspreis geben die Bilanzen der Gesellschaft auch Aufschluss über die Erschließungs- und Baukosten für das angedachte Projekt. Demnach hätte die „Seniorenresidenz Diekirch“ bis zum 31. Dezember 2021 insgesamt 1,81 Millionen Euro ausgegeben für „frais liés en relation avec la résidence“.

Rechnet man beide Posten zusammen, kommt man auf Gesamtkosten für das Projekt von 6,63 Millionen Euro. Demnach gäbe es zwischen den Gesamtkosten für das Projekt Seniorenresidenz und jenem Betrag, dem die Gemeinde im Kaufvorvertrag zustimmte, eine Differenz von 3,27 Millionen Euro.

Gutachten wirft Fragen auf

Ein Grund für diese Diskrepanz ist sicherlich, dass der Preis im Vorvertrag auf der oben genannten Expertise des „Cabinet d’expertises Molitor“ beruht. Denn laut diesem Dokument, das Reporter.lu ebenfalls vorliegt, wird der Wert der Grundstücke auf 6,78 Millionen Euro geschätzt. Dieser Wert ergebe sich aus der bebaubaren Fläche und den lokal festgestellten Verkaufspreisen, so das Gutachten. Ob für diesen Marktvergleich jedoch ausschließlich Grundstücke analysiert wurden, die ebenfalls in einer „Zone BEP“ liegen und demnach ausschließlich von öffentlichen Bauträgern bebaut werden können, lässt die Expertise offen.

Bei den ausgeführten Arbeiten fasst das Gutachten sowohl jene im Zuge der angedachten „Seniorenresidenz“ wie auch die Vorpläne zur Musikschule zusammen und kommt auf Kosten von 3,8 Millionen Euro. Im Ganzen ergibt sich dadurch ein Schätzpreis von 10,6 Millionen Euro. Die Analyse stützt sich dabei auf Aussagen der Bauträger. So hält das Dokument zu den bereits durchgeführten Arbeiten vor Ort fest: „D’après renseignements transmis oralement par la société Immo Weydert Welter, celui-ci a fait l’objet d’études de sols et de travaux d’aménagements.“

In direkter Nachbarschaft stießen die Pläne der Immobiliengesellschaft ebenfalls auf Widerstand. Mehrere Anwohner klagten gegen das Projekt. (Foto: Mike Zenari)

Allerdings hält das Dokument auch fest, dass durch das künftige Konservatorium noch einmal zusätzlich 15 Millionen Euro auf die Gemeindekasse zukommen würden. Auch bei diesem Vorhaben soll weiterhin „Immo Weydert & Welter“ Regie führen. Auffällig hier: Arbeiten, die bereits im Zuge der Erschließung des Geländes für die „Seniorenresidenz“ durchgeführt wurden, sollen noch einmal für den Bau der Musikschule getätigt werden.

Ein Projekt erworben

Der Bürgermeister von Diekirch, Claude Thill (LSAP), will die Vorwürfe der Opposition, die Immobiliengesellschaft würde Profite auf dem Rücken der Gemeinde machen, im Gespräch mit Reporter.lu so nicht stehen lassen: „Wenn Sie die Expertise mit dem Kaufvertrag vergleichen, stellen Sie fest, dass die Summe im Kaufvertrag unter jener der Schätzung liegt.“ Auf die Frage, ob die Immobiliengesellschaft mit dem Grundstücksverkauf an die Gemeinde einen Gewinn erwirtschaftet habe, antwortet der amtierende Bürgermeister: „Wir als Gemeinde haben kein Grundstück erworben, sondern ein Projekt für eine zukünftige Musikschule. Zusätzlich haben wir die Kosten, die bereits entstanden waren, übernommen. Das Projekt hat den Vorteil, dass wir quasi sofort mit den Arbeiten beginnen können, da die Vorarbeiten bereits abgeschlossen sind. Das sollte man nicht unterschätzen.“

Die Immobilienfirma „Immo Weydert & Welter“ will sich auf Nachfrage von Reporter.lu nicht zur Frage nach einem möglichen Gewinn durch den Verkauf an die Gemeinde Diekirch äußern.

Ob das Musikschule-Projekt in dieser Form umgesetzt werden kann, ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht abschließend geklärt. Denn damit der Kaufvertrag rechtskräftig wird, braucht es neben der Zustimmung durch den Gemeinderat, die Ende 2022 erfolgte, auch die Zustimmung des Innenministeriums. Auf Nachfrage von Reporter.lu teilt das Ministerium mit, dass es die Pläne für das Projekt erhalten habe. Diese würden aktuell analysiert, so eine Sprecherin schriftlich. Wann diese Analyse abgeschlossen sein könnte, ließ das Ministerium jedoch offen.

Bürgermeister Claude Thill gibt sich dennoch zuversichtlich: „Es ist doch offensichtlich, dass das Innenministerium ein solches Projekt nicht in ein, zwei Wochen bewerten kann. Das braucht eben seine Zeit.“


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