Impfen und Massentests: In diesen Bereichen greift die Regierung zu großen Teilen auf private Dienstleister zurück. Wer für was verantwortlich ist, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Die Regierung gibt Millionen Euro aus, ohne Rechenschaft abzulegen, wie das Geld verwendet wird.

„Bitte rufen Sie nicht mehr bei der Impfhotline an“, flehte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) die Bürger vor zwei Wochen an. Die Hotline hat eine Kapazität von bis zu 3.000 Anrufen pro Tag. Mitte März waren es aber bis zu 22.000 am Tag. „Wir werden überrannt“, meinte die Ministerin.

Das „wir“ ist allerdings irreführend. Das Gesundheitsministerium hat die Impfhotline an das Beratungsunternehmen „PricewaterhouseCoopers“ und das Callcenter „LDL Connect“ abgegeben. Auch die Koordination der Impfkampagne übernehmen private Dienstleister. Diese dachten offenbar nicht daran, dass Zehntausende der über 75-Jährigen, die zeitgleich eine Einladung zur Impfung erhielten, die Hotline fluten könnten.

Es ist ein Vorfall, der das flächendeckende und teils chaotische Outsourcing illustriert, über das zentrale Elemente der Pandemiebekämpfung geregelt werden. Und dennoch ist fast nichts darüber bekannt, wer welche Aufgaben übernimmt und für mögliche Fehler verantwortlich ist.

Laut öffentlich verfügbaren Daten hat die Regierung Aufträge für insgesamt 160 Millionen Euro an private Firmen ausgelagert. Es geht um Koordination, Kommunikation, Datenverarbeitung und Personal für die Impfkampagne und das Large Scale Testing.

Blackbox Impfkampagne

Informationen zur Vergabe von staatlichen Aufträgen müssen laut EU-Recht mitgeteilt werden. Anders als andere Länder veröffentlicht der Luxemburger Staat jedoch nur den Auftragnehmer und die Auftragssumme und nicht die vollständigen Verträge. In diesem Rahmen gab die Regierung im EU-Amtsblatt an, dass das Beratungsunternehmen PwC neben der Telefon-Hotline ebenfalls den Auftrag für Koordinationsstellen der Impfkampagne bekommen habe. Auch der Gesundheitsausschuss des Parlaments erhielt diese Information.

Der Staat soll weiter die Kontrolle über die Impfkampagne haben.“Claude Wiseler, CSV

Als „Coordinateur général des campagnes de vaccination au Grand-Duché de Luxembourg“ stellt sich aber ein Manager eines anderen Beratungsunternehmens auf dem sozialen Netzwerk „LinkedIn“ vor. Es handelt sich um Thierry Barré, „Lead Advisor“ bei „Arendt Business Advisory“. Ein weiterer Mitarbeiter des Tochterunternehmens der Anwaltskanzlei Arendt&Medernach gibt sich auf „LinkedIn“ als „Koordinator“ der Impfkampagne in Luxemburg aus. Laut Informationen von Reporter.lu erfüllt Thierry Barré tatsächlich auch die Funktion, die er auf „LinkedIn“ angibt.

Auf Nachfrage von Reporter.lu räumte das Gesundheitsministerium ein, bei der Veröffentlichung zum Auftragnehmer sei es zu einem Fehler gekommen: Es sei tatsächlich „Arendt Business Advisory“ das den Koordinationsauftrag erhalten habe und nicht PwC. Das Ministerium werde dies sofort berichtigen. Es geht dabei um eine Auftragssumme von 835.000 Euro.

Unklare Zuständigkeiten

In einer großherzoglichen Verordnung legte die Regierung im Dezember die Hierarchie und Zuständigkeiten in den Impfzentren fest. Der medizinische Direktor ist ein Beamter, der das Zentrum zusammen mit einem kommunalen Verantwortlichen und einem Verwaltungskoordinator leitet. Den letzteren stellt nun „Arendt“. Doch in der Stufe über den Impfzentren hat die Regierung die Generalkoordination der nationalen Kampagne ebenfalls an „Arendt“ vergeben. Diese Stufe zwischen Krisenstab und Impfzentren ist in der Verordnung nicht vorgesehen. Der Generalkoordinator und sein Stellvertreter üben aber de facto einen weitreichenden Einfluss auf die Impfkampagne aus. Im Guten, wie im Schlechten.

Auch das Reinigungspersonal und Security der Impfzentren wie hier in Mondorf hat die Regierung ausgelagert. (Foto: Gilles Kayser)

In der Frage, ob die Regierung zurecht Schlüsselposten der Impfkampagne an Beratungsunternehmen auslagert, ist die Opposition im Parlament gespalten. Der Abgeordnete Marc Baum (Déi Lénk) hat für das Outsourcing kein Verständnis: „Wir beauftragen Steuerberater, unsere Impfkampagne zu leiten, die das Ganze wieder an ein Subunternehmen weiterreichen. Es ist grotesk.“

Der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler ist nuancierter: „Der Staat soll weiter die Kontrolle über die Impfkampagne haben. Wenn allerdings Personal für die administrative Arbeit fehlt, erachte ich es als sinnvoll, sich Unterstützung aus dem Privatsektor zu holen.“

Interim-Kräfte für Impfzentren gesucht

Doch beim komplexen Mosaik an Aufträgen drängt sich der Eindruck auf, dass das Gesundheitsministerium selbst den Überblick verloren hat, wer welchen Auftrag ausführt. Ein Beispiel: Online findet sich die Stellenanzeige einer Zeitarbeitsfirma, die Pflegekräfte für ein Impfzentrum in Luxemburg sucht. Wie passt das zur Aussage, die Mitarbeiter der Impfzentren kämen ausschließlich aus der „Réserve sanitaire“? Zumindest war das die Antwort der Gesundheitsministerin Paulette Lenert auf eine Frage des ADR-Abgeordneten Jeff Engelen.

Das Gesundheitsministerium bestätigt auf Nachfrage von Reporter.lu dann doch, dass die Regierung die Rekrutierung von Pflegekräften über einen externen Dienstleister eingeleitet habe. Damit solle möglichen Engpässen beim medizinischen Personal aus der „Réserve sanitaire“ vorgegriffen werden.

Gerade in Ferienzeiten könnte das Personal fehlen, um alle Impfstraßen zu besetzen, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Allerdings helfe hier die Entscheidung der Regierung, auf die ärztliche Beratung vor der Impfung im Regelfall zu verzichten. Dadurch stünden diese Ärzte zur Verfügung, um tatsächlich zu impfen. Es sei deshalb nicht sicher, ob außerhalb der „Réserve sanitaire“ rekrutiert werden müsse.

Verwaltung der „Réserve sanitaire“ ausgelagert

Die Gesundheitsministerin verteidigte das Outsourcing immer wieder mit dem Argument, ihr Ministerium habe zu wenig Personal. Und selbst mit den aus anderen Verwaltungen hinzugekommenen Beamten würde es nicht ausreichen. Luc Feller, der Verantwortliche des „Haut Commissariat à la Protection nationale“ (HCPN) wies darauf hin, dass, neben den unzureichenden Lieferungen der Pharmaunternehmen, das Personal ein Engpass in der Organisation der Impfkampagne sei.

Es muss klarer kommuniziert werden, auf welche externen Dienstleister der Staat zurückgreift.“Sven Clement, Piraten

Die „Réserve sanitaire“ soll das Personal für die Impfzentren stellen. Die entsprechende Datenbank umfasst über 11.000 Menschen aus Gesundheitsberufen sowie Freiwillige. Doch auch der Krisenstab gerät bei der Verwaltung dieses Personals offenbar an seine Grenzen. In einer Ausschreibung suchen HCPN und Gesundheitsministerium nach Dienstleistern, die mit vier Personen die Verwaltung der „Réserve sanitaire“ unterstützen. Der Auftrag soll am 1. April beginnen.

Sogar das Outsourcing hat das Gesundheitsministerium outgesourct: In den Metadaten mehrerer „Cahiers de charges“, die auf der staatlichen Plattform heruntergeladen werden können, wird ein Direktor des Beratungsunternehmens „Deloitte“ als Autor angegeben.

Hohe Preise, fehlende Flexibilität

„Es muss klarer kommuniziert werden, auf welche externen Dienstleister der Staat zurückgreift“, betonte der Piratenabgeordnete Sven Clement anlässlich der Abstimmung zur dritten Phase des „Large Scale Testing“. Denn es zeige sich, dass die Subunternehmen noch weiter Sub-Sub-Unternehmen beschäftigen würden. „Wir brauchen Transparenz, wenn es um Verwendung öffentlicher Gelder geht“, sagte er am 11. März. Er kritisierte die hohen Ausgaben für die Hotlines, die nicht ausreichend begründet würden.

Die Massentests sind neben der Impfkampagne das zweite Mammutprojekt, bei dem die Regierung massiv auf externe Dienstleister setzt. Das gilt für die Tests selbst, aber auch für die Koordination, die Auswertung und die Kommunikation. „Ich bezweifele, dass es möglich gewesen wäre, das Large Scale Testing ohne Outsourcing durchzuführen“, erklärt der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler auf Nachfrage von Reporter.lu.

Doch obwohl das Outsourcing Flexibilität bringen soll, sind die Verträge starr und nachträglich kaum veränderbar. Das führt zu absurden Situationen. Vergangene Woche wurden im Rahmen des „Large Scale Testing“ 63.500 Tests durchgeführt. Gleichzeitig fehlt aber das Personal in den Altersheimen, um Personal und Besucher regelmässig zu testen. Die wegen hoher Todeszahlen heftig kritisierte Familienministerin Corinne Cahen brachte nun ins Spiel, dass Familienmitglieder die Massentestkapazität nutzen könnten. Wie das umgesetzt werden sollte, blieb unklar. Gleichzeitig fehlt es an Testkapazitäten für berufliche Reisen, weil Urlauber für die Osterferien massenweise Tests buchen.

Die CSV forderte, das medizinische Personal aus den Testzentren in die Impfzentren zu überführen – zumindest wenn im Frühsommer das Impfen auf Touren kommen soll. Premier Xavier Bettel antwortete, das sei schwierig, da die Regierung sich vertraglich verpflichtet habe.

Kontrolle durch Rechnungshof gefordert

Gesundheitsministerin Paulette Lenert bestätigte, dass für die Fortsetzung der Massentests die gleichen Dienstleister zum Einsatz kommen. Auf eine erneute Ausschreibung habe man verzichtet, da sich für die zweite Phase nur ein Unternehmen gemeldet habe: „Laboratoires Réunis“.

Beim Start des „Large Scale Testing“ im Mai 2020 hatte das „Luxembourg Institute of Health“ dem Privatlabor aus Junglinster den Auftrag ohne Ausschreibung gegeben. Für die drei Phasen des „Large Scale Testing“ wird „Laboratoires Réunis“ einen Umsatz von über 120 Millionen Euro machen, wenn die Massentests bis September 2021 laufen. „Es ist logisch, private Labore mit einzubeziehen. Wenn der Auftrag nur an ein Unternehmen geht und keine Ausschreibung stattgefunden hat, ist das allerdings problematisch“, sagt Claude Wiseler.

Die Vergabepraxis der Regierung gerät vermehrt in die Kritik. Vor allem die finanziellen Aspekte bleiben intransparent. Die CSV fordert deshalb eine unabhängige Prüfung, betont der CSV-Abgeordnete: „Wir wollen den Rechnungshof mit einem Gutachten zum Large Scale Testing beauftragen. Es muss sich aber noch zeigen, ob die Regierungsparteien bereit sind, diesen Weg zu gehen.“


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