Impfstoff wird gebunkert, Impfzentren sind im Leerlauf, die Pannen häufen sich: Die Regierung lässt im Kampf gegen die Pandemie wertvolle Zeit verstreichen. Das liegt nicht nur an den Lieferengpässen. Die Kommunikation ist unübersichtlich und die Umsetzung mitunter chaotisch.
1.100 Menschen könnten in der Victor-Hugo-Halle bei voller Auslastung täglich geimpft werden. Am Dienstag waren es genau 374. Im Impfzentrum in Mondorf liegt die maximale Kapazität bei etwa 800. Am Dienstag wurde gerade einmal ein Fünftel davon erreicht. Die Regierung erklärt die schleppende Kampagne mit der Knappheit der Impfstoffe. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Eine Analyse der verfügbaren Daten zeigt: Luxemburg hortet einen wachsenden Anteil seines Impfstoffes. Die Impfungen hinken den Lieferungen hinterher. Zusätzlich werden die Probleme der Aufklärungskampagne immer offensichtlicher: Die Phase 2 läuft bereits, doch die Listen der zu Impfenden sind noch nicht fertiggestellt.
Sinnbildlich für die Strategie ist der Zickzackkurs rund um den AstraZeneca-Impfstoff. Am 1. März verschickte das Gesundheitsministerium eine Pressemitteilung. Darin hieß es: Die Phase 4 der Impfkampagne werde vorgezogen. Eine halbe Stunde später folgte eine Richtigstellung: Nicht die Phase 4, sondern die Phase 5 sei angelaufen. Der Grund: Der „Conseil Supérieur des Maladies Infectieuses“ hatte den Einsatz des AstraZeneca-Impfstoffes nur für Personen unter 65 Jahren empfohlen.
Nach fünf Tagen legte die Regierung die Phase 5 nun wieder auf Eis, sie soll zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen werden. Der Grund war ein erneutes Gutachten des „Conseil Supérieur des Maladies Infectieuses“ mit der Empfehlung, dass AstraZeneca nun doch auch älteren Menschen verabreicht werden könne.
Übertriebene Vorsicht
„Wenn wir so arbeiten würden, würde man uns lynchen“, sagt Edmée Anen, Generalsekretärin der „Amicale des personnes retraitées, âgées et solitaires“ (Amiperas), im Gespräch mit Reporter.lu. Sie kritisiert den vorherrschenden Informationsmangel, man fühle sich von der Planung ausgeschlossen.
Premierminister Xavier Bettel (DP) und Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) wehrten vergangen Freitag jede Kritik am langsamen Start der Kampagne ab. Alles laufe nach Plan. Die Verteidigungslinie der Regierung ist klar. Die zweite Dosis für jeden Geimpften soll gesichert sein. Demnach könne der nationale Vorrat stets nur zur Hälfte aufgebraucht werden.
Nur vom AstraZeneca-Impfstoff dürften bis zu Dreiviertel des Bestands verabreicht werden. Tatsächlich fiel die Lieferung von AstraZeneca kleiner aus als geplant. Eigentlich sollte der Pharmakonzern in der letzten Woche 9.600 Dosen liefern, angekommen sind allerdings nur 2.400. Das bestätigte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Eine detaillierte Anfrage von Reporter.lu zu Daten der Impfkampagne ließ das Gesundheitsministerium unbeantwortet – trotz einer Woche Vorlauf.
Europäischer Extremfall
Durch diese Strategie des Hortens wolle die Regierung sicherstellen, dass sie auch bei Lieferengpässen den zweiten Impftermin garantieren könne, sagten Bettel und Lenert vergangene Woche. Allerdings ist Luxemburg mit diesem Vorgehen ein Extremfall. In der EU verabreicht kein anderes Land einen geringeren Anteil des gelieferten Impfstoffs als Luxemburg.
Laut dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hat Luxemburg etwa 55 Prozent des vorhandenen Impfstoffs verabreicht. In Belgien liegt der Wert bei 66 Prozent. Im Gegensatz zu Luxemburg hat das Nachbarland bereits Anfang Februar beschlossen, den Vorrat von AstraZeneca vollständig auszuschöpfen. In Frankreich und Deutschland wurden währenddessen fast Dreiviertel des Vorrats aufgebraucht.
Die Kritik an der schlechten Lage im Vergleich zum Ausland, ließ der Premierminister am Freitag nicht gelten. „Ich habe vier verschiedene Seiten besucht und Luxemburg befindet sich stets auf einem anderen Platz“, verteidigte sich Xavier Bettel vor der Presse. Die unterschiedlichen Ranglisten sprechen jedoch insgesamt eine deutliche Sprache. Auch wenn vergangene Woche mit knapp 9.000 Impfungen ein neuer Rekord aufgestellt wurde, können die Zahlen nicht über den bestehenden Rückstand hinwegtäuschen.
Anhand der wöchentlich kommunizierten Daten zu den gelieferten Impfstoffen lässt sich feststellen, dass höchstens 45 Prozent des Vorrats als erste Dosis verabreicht wurden. Laut dem Premier liegt der eigentliche Vorrat jedoch bei Null. Die restlichen Dosen würden in den nächsten Tagen in Krankenhäusern und Impfzentren eingesetzt werden, so Xavier Bettel weiter.
Argumente für ein Umdenken
Allerdings stellt sich die Frage, ob es in der jetzigen Lage überhaupt sinnvoll ist, sämtliche Zweitdosen zurückzubehalten. Für den Virologen Claude Muller ist dies nicht notwendig, weil vieles dafür spreche, dass auch eine verzögerte Zweitdosis nicht weniger wirksam sei. Indem die Gesundheitsministerin jegliche Verlängerung des Zeitraums zwischen der ersten und zweiten Spritze im Parlament als „piddelen“ abtat, habe die Regierung sich selbst viel Flexibilität genommen, so Claude Muller im Interview mit Reporter.lu.
Dabei gibt es durchaus gute Argumente für ein späteres Verabreichen der zweiten Dosis. Ein drei- bis vierwöchiges Intervall sei in der Impfforschung Standard, sagt Claude Muller. Dies würde nicht bedeuten, dass der zweite Impfstoff nach diesem Zeitraum keine Wirkung mehr entfalten würde. Im Gegenteil: „Aus immunologischer Sicht kann sich eine Verlängerung positiv auswirken“, so der Luxemburger Virenexperte. Der Grund, warum die Pharmakonzerne keine Verlängerung empfehlen, liegt laut Muller schlicht darin, dass der Impfstoff nur unter diesen Standardbedingungen getestet wurde.
Impfung als vitaler „Teilschutz“
Für den Virologen des „Luxembourg Institute of Health“ spricht demnach nichts gegen eine Verlängerung des Zeitraums zwischen der ersten und zweiten Dosis der Impfstoffe von Pfizer/BioNTech oder Moderna auf sechs Wochen. Dies würde es erlauben, die zweite Dosis nicht mehr pauschal zu reservieren und somit einem größeren Teil der Bevölkerung durch eine erste Impfung einen „Teilschutz“ gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 zu bieten.
Wie wichtig bereits dieser Schutz ist, zeigt sich anhand von Daten aus Großbritannien, das in der Durchimpfung schon weiter ist als die EU-Staaten. Demnach würde bereits eine erste Dosis die Krankenhausaufenthalte von über 80-Jährigen um rund 80 Prozent senken. Angesichts jener neuen Varianten des Virus, die eine höheres Infektionsrisiko aufweisen, ist eine schnelle Impfung umso wichtiger. Allerdings darf das Intervall zwischen den beiden Dosen laut Experten nicht länger als drei Monate sein, da sonst die Gefahr von sogenannten Fluchtmutanten steigt.
Die Kommunikation der Regierung ist chaotisch, aber Luxemburg ist kein Einzelfall.“Claus Vögele, Professor für Psychologie
Bereits Anfang Februar forderte Claude Muller deshalb eine schnellere Impfkampagne in den Alters- und Pflegeheimen und eine Priorisierung der Strukturen in denen ein erster Fall aufgetreten ist. „In der Klinischen Phase III war schon ab dem 12 Tag ein deutlicher Schutz gegen erste Symptome erkennbar. Da diese erst fünf bis sieben Tage nach der Infektion auftreten, kann man davon ausgehen, dass sich bereits nach wenigen Tagen ein gewisser Schutz entwickelt“, so der Virologe.
„Die Schnelltests könnten mit den Impfungen zusammenspielen. Nachdem ein erster Fall entdeckt wurde, sollten sofort die Kontaktpersonen, die in dieser Impfphase eh an der Reihe sind, geimpft werden. Mehr noch: Bei rascher Durchimpfung einer Struktur profitieren auf jeden Fall die, die sich erst später infizieren“, sagt Claude Muller. „Wir sind nicht dagegen, es ist allerdings auch eine Frage der Organisation. Die Logistik dahinter ist sehr komplex“, relativierte dagegen der Direktor der Gesundheitsbehörde, Jean-Claude Schmit, jüngst bei „RTL-Radio“.
Warten auf die Einladung
In der ersten Phase haben sich 25.999 Personen impfen lassen, erklärte der Premierminister vergangene Woche. Die Phase gilt als abgeschlossen, die Teilnahmequote lag knapp über 50 Prozent. Bis Montag bestand für zögernde Personen aus dem Gesundheits- und Pflegesektor noch die Möglichkeit, sich auf einer Warteliste einzutragen, um am Ende der zweiten Phase eine weitere Einladung zu erhalten.
Schwerer als die suboptimale Teilnahmequote wiegt jedoch das Problem, dass einige innerhalb der Zielgruppe nie eine Einladung erhielten. Am 17. Dezember richtete Paulette Lenert (LSAP) sich per Brief an die Vertretung der Tierärzte. Da diese auch Teil der „Réserve Sanitaire“ seien, würden auch Tierärzte eine Einladung für einen Impftermin erhalten, so die Ministerin. Die Einladungen wurden jedoch nie verschickt. Nach der Ankündigung, wonach die Phase 1 abgeschlossen sein sollte, meldete sich die Vertretung der Tierärzte beim Gesundheitsministerium.

Das Ministerium antwortete dem „Collège vétérinaire“ am vergangen Freitag. „Etant donné que la profession de médecin-vétérinaire ne peut être retenue comme participant en premier lieu à la mise en place d’un cordon sanitaire autour des personnes les plus vulnérables, elle ne peut bénéficier d’un accès prioritaire à la vaccination contre le Covid-19“, so Paulette Lenert. „Das ist eine unilaterale Entscheidung des Ministeriums, wir wurden darüber nicht informiert“, sagt Dr. Jean Schoos im Gespräch mit Reporter.lu. Der Präsident der „Association des médecins-vétérinaires“ habe diese Klarstellung erst nach eigener Anfrage bei den Behörden erhalten.
Die Tierärzte sind allerdings nicht die einzigen, die in der ersten Phase nicht berücksichtigt wurden. Auf Nachfrage von Reporter.lu bestätigt auch die Vereinigung der Hebammen, dass ein Teil ihrer freischaffenden Mitglieder keine Einladung für einen Impftermin erhalten habe. Gleiches gelte für das Personal in den Laboren, wie „Radio 100,7“ am Mittwoch berichtete.
Die Pannen häufen sich
Gleichzeitig wurden mehrmals fälschlicherweise Menschen eingeladen – trotz des knappen Impfstoffs. Etwa 600 Einladungen soll das Ministerium in der ersten Phase aus Versehen versendet haben. „Das ist dem System inhärent, dass man nicht hundertprozentig sicher sein kann, dass man die Leute anschreibt, die tatsächlich in der jeweiligen Phase eingeladen werden sollen“, erklärte der Direktor der „Inspection Générale de la Sécurité sociale“ (IGSS), Tom Dominique, am Samstag bei „Radio 100,7“.
Der Leiter der IGSS räumte ein, dass bei den Einladungen ausschließlich der Sektor des Arbeitgebers beachtet werde. Demnach sei es vorgekommen, dass soziale Träger, die sowohl im Bereich der Pflege als auch in der Kinderbetreuung aktiv sind, Einladungen für ihr gesamtes Personal erhalten haben. Zudem sollen Beschäftigte mehrerer interkommunaler Syndikate auch einen Zugangscode für die Buchung eines Impftermins erhalten haben. Obwohl diese Zugänge gleich nach Entdecken des Fehlers gesperrt wurden, konnte dennoch fast die Hälfte der Angeschriebenen einen Termin buchen und sich impfen lassen.
Verkannte Herausforderungen
In der aktuellen Impfphase 2 sollen auch jüngere Menschen mit erhöhtem gesundheitlichen Risiko geimpft werden – das betrifft unter anderen Krebspatienten, Transplantationspatienten und Erwachsene mit Trisomie 21. Die betroffenen Personen wurden aber lange im Ungewissen gelassen. Der Verein „Luxembourg Transplant“ und der Verband der Fachärzte forderten am 19. Januar in einem Schreiben an die Gesundheitsministerin, dass ihre Mitglieder und Patienten prioritär geimpft werden sollen. Auch der Verein „Trisomie 21“ schrieb die Familien- und die Gesundheitsministerin an, sagt die Präsidentin Martine Eischen im Gespräch mit Reporter.lu.
Der „Conseil Supérieur des Maladies Infectieuses“ empfahl denn auch eine Woche später, diese Gruppen vorrangig zu impfen. Doch es gibt dabei ein wesentliches Problem: Es gibt keine zentralisierten Listen der betroffenen Personen. In einer Pressemitteilung der Regierung hieß es knapp, dass sie „über ihren Haus- oder Facharzt zur Impfung angemeldet werden“ können. In den Wohnstrukturen für Menschen mit einer Behinderung wurden bis zum vergangenen Freitag 576 Personen geimpft. Bis zum 25. März soll dieser Teil der Kampagne abgeschlossen sein, meldete „Radio 100,7“.
Eine Impfbereitschaft von etwa 50 Prozent ist ein Desaster.“Claude Muller, Virologe
Schwieriger ist die Organisation bei Menschen mit Trisomie 21, die etwa mit ihren Eltern zusammenwohnen. Der Verein „Trisomie 21“ arbeite mit dem „Service d’Evaluation et de Rééducation Fonctionnelles“ des „Centre Hospitalier de Luxembourg“ (CHL) zusammen, erklärt Martine Eischen. Die Fachärzte erstellen die Listen und werden die betroffenen Personen Ende März im CHL impfen.
Doch die Vereinspräsidentin befürchtet, dass nicht alle Betroffenen erreicht wurden. Eine gute Nachricht: „Im CHL meldeten sich auch Personen, die nicht Mitglied bei uns sind. Die Information zirkuliert also“, betont Martine Eischen. Andere wiederum hätten ohne ihr Zutun eine Einladung erhalten und seien sehr früh geimpft worden. Kurzum: Es fehlt die Übersicht.
Unklare Zuständigkeiten
Auch Alain Schmit von der Ärztevereinigung AMMD äußert Bedenken an der Prozedur. „Oft werden Patienten von mehreren Ärzten betreut. Bis jetzt wissen wir nicht, wer in einem solchen Fall für die Anmeldung zuständig ist“, so der AMMD-Präsident im Gespräch mit Reporter.lu. Diese Woche soll ein Treffen mit dem Ministerium für Klarheit sorgen.
Der Informationsfluss lässt allerdings vielerorts zu wünschen übrig. Die Regierung hatte die Frage des Transports offenbar erst sehr spät auf dem Schirm. Erst eine Woche nach dem Start der zweiten Phase traf die Gesundheitsministerin etwa den Gemeindeverband Syvicol, um die Organisation des Transports von Impfkandidaten zu besprechen. Beim Gespräch blieb aber vieles ungeklärt – unter anderem die Finanzierung des Transportangebots.
„Wir haben genau eine 90-jährige Person zu ihrem Impftermin befördert“, sagt Edmée Anen von Amiperas. Ihre Organisation bietet seit Beginn des „Large Scale Testing“-Programms ihren Mitgliedern eine Transportmöglichkeit an. Sie könne die fast inexistente Nachfrage deshalb kaum nachvollziehen.
Auch die Gemeinde Hesperingen bietet ein Rufbussystem für Impftermine an. „In der letzten Woche haben sich 16 Personen bei uns gemeldet. Diese Woche sind es bereits 21“, sagt Marc Lies (CSV) auf Nachfrage von Reporter.lu. Die Informationskampagne in den sozialen Netzwerken habe bereits Früchte getragen, zudem verteilte die Gemeinde an jeden Haushalt ein Informationsblatt, so der Bürgermeister.
Die Gemeinden sind selbst dazu angehalten, das Ministerium über ihr Angebot zu informieren, die Covid-19-Hotline könne diese Information an Bürger weiterreichen. „Eine nationale Organisation, mit einer einzigen Hotline für den Transport, erscheint deshalb nicht als die bessere Lösung“, antwortete Paulette Lenert kürzlich auf eine parlamentarische Frage von Marc Lies.
Verfehlte Kommunikation
„Die Kommunikation der Regierung ist chaotisch, aber Luxemburg ist kein Einzelfall“, sagt seinerseits Claus Vögele, Professor für Gesundheitspsychologie an der Universität Luxemburg. „Eine Gesundheitskampagne der Regierung sollte vor allem aufklären, damit alle eine informierte Entscheidung treffen können“, erklärt er. Fehler, die es zu vermeiden gelte, seien widersprüchliche Botschaften, ein Schlingerkurs bei Entscheidungen, generell unklare Kommunikation, sagt der Experte. „Der Wissensstand ändert sich wöchentlich oder gar täglich. Von der Politik werden aber trotzdem klare Entscheidungen verlangt“, formuliert Claus Vögele eine weitere Herausforderung der Krisenkommunikation der Regierung.
Der AstraZeneca-Impfstoff ist ein gutes Beispiel, was alles schieflaufen kann, wenn die Kommunikation nicht stimmt. Die Altersheime bekamen Mitte Februar kurzfristig mitgeteilt, dass statt Pfizer/BioNTech ab diesem Zeitpunkt AstraZeneca verabreicht werden solle. Prompt sprang bis zu einem Drittel des Personals ab und wollte sich nicht mehr impfen lassen, berichtete „Radio 100,7“. Es ging vor allem um die vermeintlich heftigeren Nebenwirkungen dieses Impfstoffes.
Der Direktor der Gesundheitsbehörde, Jean-Claude Schmit, zeigte sich im „RTL“-Interview „erstaunt“ darüber, wie häufig Geimpfte sich wegen Nebenwirkungen krankschreiben ließen. In der gleichen Sendung sagte der Virologe Claude Muller, die Symptome nach einer AstraZeneca-Impfung seien „hochgespielt“.
„Transparenz ist von überragender Bedeutung, damit Vertrauen geschaffen wird“, meint wiederum Claus Vögele. Sie müsse aber mit einer verständlichen Kommunikation von relevanten Tatsachen und Studienergebnissen begleitet werden. Das sei eine weitere Herausforderung: „Es ist manchmal schwer, wissenschaftliche Erkenntnis, die normalerweise über Wahrscheinlichkeiten Aussagen trifft, der breiten Öffentlichkeit verständlich darzustellen. Im Alltag sind wir alle daran gewöhnt, eher in Ja-oder-Nein Antworten zu denken, also zum Beispiel: ‚Ist der AstraZeneca Impfstoff sicher oder nicht?‘“
Wachsende Impfskepsis
Auch Alain Schmit äußert Vorbehalte gegenüber der Kommunikation der Regierung. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, die Regierung würde würfeln, um die Reihenfolge der Phasen festzulegen“, so der Vorsitzende des Ärzteverbandes AMMD. Es sei allerdings verständlich, dass zurzeit ein großer Informationsbedarf bestehe und es schwierig sei, auf alle Fragen zufriedenstellend zu antworten, verteidigt er das Gesundheitsministerium.
Wie wichtig es ist, auf die Bedenken der Menschen zu reagieren, zeigt sich letztlich in den Zahlen der Geimpften. „Bei den freischaffenden Ärzten und dem Gesundheitspersonal außerhalb der Krankenhäuser liegen wir bei einem Wert zwischen 50 und 55 Prozent. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können“, sagte Gesundheitsministerin Paulette Lenert am vergangenen Freitag. Insgesamt sollen 52,9 Prozent die Einladung zum Impftermin wahrgenommen haben.
„Eine Impfbereitschaft von etwa 50 Prozent ist ein Desaster“, entgegnet allerdings Claude Muller mit Bezug auf die Impfakzeptanz des Gesundheitspersonals. In den Altersheimen und Krankenhäusern müsste Impfverweigerern der direkte Kontakt mit gefährdeten Menschen untersagt werden, fordert der Virologe. „Nach jahrzehntelanger Erfahrung mit Dutzenden von Impfstoffen gibt es nur eine Studie, die Spätschäden einer Impfung nachweisen konnte. Diese wurde aber in ähnlichen Studien in anderen Ländern nicht beobachtet“, so Claude Muller.

Bei den Corona-Impfungen sei es sinnvoll, über die typischen Impfreaktionen ein bis zwei Tage nach der Impfung zu informieren, so der Virologe weiter. Dazu gehöre etwa Müdigkeit, Schmerzen der Gelenken und Muskeln und in einzelnen Fällen auch Fieber. Auf der offiziellen Webseite der Regierung stehen diesbezüglich nur sehr allgemeine Informationen. Für AstraZeneca gibt es lediglich den Link auf die Seite der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die aber nur auf Englisch verfügbar ist. Für die Impfstoffe von Moderna und Pfizer/BioNTech verweist die Regierung außerdem auf die Webseiten der Hersteller.
„Es ist völlig in Ordnung, Angst davor zu haben, eine Spritze mit inaktiviertem Virusmaterial, also eine Impfung, zu bekommen. Aber dann sollte man seinen Verstand einschalten“, sagt Claus Vögele. Denn Angst und Panik seien selten gute Ratgeber.
Hoffnungen und kreative Lösungen
Nicht nur der Rhythmus, die Pannen und die Kommunikation, auch die bekannt gewordenen Fälle von sogenannten Impfdränglern verstärken den Eindruck einer chaotischen Strategie. Dass Mitglieder von Verwaltungsräten mit Pfizer/BioNTech versorgt wurden, während das Personal in Altersheimen „nur“ AstraZeneca bekomme, habe für Frust gesorgt, sagte der Verantwortliche eines Altersheimes jüngst bei „Radio 100,7“. Ein weiteres Beispiel für mangelnde Voraussicht und Nachvollziehbarkeit der Regierungspolitik ist auch, dass die Konvention zum Impfen zwischen Gesundheitsministerium und Krankenhäusern keinerlei Sanktionen bei Missbrauch vorsieht.
Indes will die Regierung die vergangenen Monate am liebsten hinter sich lassen. Der Blick richtet sich auf April. „Wir prüfen zurzeit mehrere Szenarien, damit im April, wenn der Großteil der Impfstoffe eintrifft, die erste Dosis so schnell wie möglich verabreicht werden kann“, sagte Premierminister Xavier Bettel am Freitag. Eine dieser Möglichkeiten wäre, den Impfstoff in Arztpraxen zu verabreichen. „Das macht allerdings erst Sinn, wenn wir mit der Massenimpfung beginnen“, sagt Alain Schmit. Der Impfstoff würde hierfür in naher Zukunft nicht reichen.
Am Mittwoch haben sich nun Vertreter des Ministeriums erneut mit der Ärztevereinigung getroffen. Laut Informationen von Reporter.lu wurden mehrere Vereinbarungen über den weiteren Verlauf der Impfkampagne getroffen. Das Ziel: Das Tempo schnellstmöglich beschleunigen. Dazu gehört die Entscheidung, den Kompetenzbereich der Pflegekräfte zu erweitern. Ihnen ist es nun erlaubt, den Impfstoff vorzubereiten und zu verabreichen, somit können Ärzte entlastet werden.
Und wenn alle Stricke reißen, könnte am Ende auch eine bisher als nicht allzu realistisch eingeschätzte Lösung ins Spiel kommen. Laut dem „Tageblatt“ hat Premier Xavier Bettel Anfang der Woche mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert. Wie eine Sprecherin des Staatsministeriums der Zeitung bestätigte, sei es dabei auch um mögliche Bestellungen des russischen Impfstoffes „Sputnik V“ gegangen. Eine Prüfung des Wirkstoffes durch die EMA ist noch im Gange, Gespräche auf europäischer Ebene könnten folgen. Anders als bei den bisher verfügbaren Impfstoffen schließt das Staatsministerium laut dem Artikel bei „Sputnik V“ allerdings auch einen Luxemburger Alleingang nicht aus.