Die CSV wollte die Verfassungsreform nur mittragen, wenn das Volk stärker einbezogen wird. Jetzt spricht sie sich für einen Kompromiss aus, der hinter den Kulissen ausgehandelt wurde. Damit offenbart die Partei, dass es ihr von Beginn an um etwas anderes ging. Ein Kommentar.
„Das Volk muss die Möglichkeit haben, die Verfassungsreform mitzuschreiben“, sagte Frank Engel noch vor wenigen Monaten. Der Mangel an demokratischer Partizipation war für den CSV-Parteichef das Hauptargument, um die neue Verfassung zu blockieren. Nur, wenn es zu einer Reihe von Volksbefragungen über die Kernpunkte der Reform komme, wolle man das neue Grundgesetz mittragen, lautete die neue Position der CSV.
Spätestens jetzt weiß man: Diese Position war nur ein Vorwand. Nach mehreren vertraulichen Gesprächen zwischen CSV und Koalitionsparteien einigte man sich in den vergangenen Tagen auf einen Kompromiss. Demnach wird der seit Jahren diskutierte neue Verfassungstext zu den Akten gelegt. Stattdessen wolle man jene Revisionen, bei denen zwischen den Parteien Einigkeit herrscht, punktuell vornehmen, wie Anfang dieser Woche bekannt wurde.
Ein vorgeschobenes Argument
Eine stärkere Beteiligung des Volkes spielt dabei offenbar keine Rolle mehr. Statt einer „breiten gesellschaftlichen Debatte“ (Frank Engel) über die neue Verfassung wählte man lieber den bewährten Weg von Verhandlungen im politischen Hinterzimmer. Damit entlarvt die CSV ihre einstige Forderung nach „mehr Demokratie“ als vorgeschobenes, ja scheinheiliges Argument.
Die CSV will der Dreierkoalition keinen Erfolg gönnen, selbst wenn es sich um etwas Sinnvolles wie das überfällige neue Grundgesetz handelt.“
Letztlich ging es der Oppositionspartei weniger darum, die Bürger stärker einzubeziehen, als die politische Richtung der Reform selbst mitzugestalten. So gingen manche Artikel des Reformentwurfs, etwa bei der Unabhängigkeit der Justiz oder den Prärogativen des Staatschefs, den Christsozialen zu weit. Zudem wollte die CSV auch noch über Fragen wie die Abschaffung der Doppelmandate oder die Reform des Wahlrechts neu diskutieren. Zuvor galt ein Konsens, dass diese strittigen Fragen aus der großen Verfassungsreform ausgeklammert werden.
Erfolgreiche Erpressungstaktik
Darüber hinaus geht es natürlich um mehr als nur die Verfassungsreform. Die CSV will der Dreierkoalition keinen Erfolg gönnen, selbst wenn es sich um etwas Sinnvolles wie das überfällige neue Grundgesetz handelt. In diesem Sinn kann die Engel-Partei jetzt heimlich einen kleinen Etappensieg feiern. Allerdings ist die Verfassungsreform, bei der Blau-Rot-Grün allein nicht über die nötige Zweidrittel-Mehrheit verfügt, nach wie vor der einzige verbliebene machtpolitische Hebel der CSV.
Angesichts der Sprunghaftigkeit der CSV ist nicht auszuschließen, dass die größte Oppositionspartei ihre Taktik in Zukunft noch einmal ändern wird.“
In den kommenden Wochen wird sich zudem zeigen, wie ernst die CSV denn ihre abermalig neue Position meint. „Wenn man ein Mal auf eine Erpressung eingeht, dann steht die nächste schon ins Haus“, prophezeite der scheidende LSAP-Fraktionschef Alex Bodry nach dem Kurswechsel der CSV im Sommer. Der jetzt gefundene Kompromiss lässt sich zwar realpolitisch als Erfolg ansehen, denn damit ist die Reform nicht komplett begraben. Doch die Koalition ist letztlich auf die Erpressung und das Ultimatum der CSV eingegangen.
Referendum immer noch möglich
So oder so wird das nicht ohne Folgen für den weiteren Verlauf der Verhandlungen in diesem Dossier sein. Angesichts der Sprunghaftigkeit der CSV ist nämlich nicht auszuschließen, dass die größte Oppositionspartei ihre Taktik in Zukunft noch einmal ändern wird. Jetzt trägt sie zwar die abgespeckte Verfassungsreform mit. Doch zu jeder Zeit könnte sie wieder auf Blockade schalten, denn – Kompromiss hin oder her – ohne die 21 Stimmen der CSV gibt es im Parlament keine Verfassungsmehrheit.
Dabei könnte auch die wohlklingende, aber nur taktisch genutzte CSV-Forderung nach „mehr Demokratie“ eine Renaissance erleben. Bei jeder einzelnen Verfassungsänderung können nämlich entweder mindestens 16 Abgeordnete oder 25.000 Wähler ein verbindliches Referendum über die Reform herbeiführen. Auch wenn die Bürger damit die Verfassung nicht mehr „mitschreiben“ können, behält die CSV zumindest ein großes Drohpotenzial in der Hand: ein Referendum, das immer wieder im Raum stand, aber eigentlich keine der großen Parteien will.