Luxemburg will beides: Grün sein und trotzdem immer neue Betriebe anlocken. Die Folgen großer Industrieprojekte für Umwelt und Gesundheit behandelt die Politik aber oft als zweitrangig. Dabei könnte sie das Problem auch offen und transparent ansprechen. Ein Kommentar.

Wachstum. In Luxemburg dürfte das wohl das Unwort des Jahrzehnts sein. Ob „nachhaltig“, „qualitativ“ oder „moderat“ – inzwischen ist allen Parteien klar, dass Luxemburgs wirtschaftliche Entfaltung nicht grenzenlos ist. Doch die Frage, wie sich das Land in Zukunft entwickeln soll, wurde längst totdiskutiert. Der Begriff ist ausgehöhlt. Neue Antworten gibt es jedoch weiterhin keine.

Auf kollektive Ratlosigkeit der Politik stößt vor allem die Frage, wie Wirtschaftswachstum und Umweltschutz miteinander in Einklang zu bringen sind. Dass nicht einmal die Regierung sich über die Frage nach der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einig ist, ist schon länger klar. Blau-Rot-Grün verkauft das Großherzogtum auf internationaler Bühne zwar gerne als „grünes Vorbild“. Doch Zuhause hat dieses Image wenig Substanz, wie nicht zuletzt die Kontroversen um große Industrieprojekte wie „Fage“ oder „Knauf“ zeigen.

Das Problem des „Crassier“ in Differdingen zeigt einmal mehr, dass sich Luxemburg mit dem Verlust seines industriellen Erbes und dem langsamen Ende seines lukrativen Steuermodells weiter in einer Phase der Selbstfindung befindet.

Was ist wichtiger? Die Wirtschaftlichkeit eines Konzerns wie ArcelorMittal, dessen historische Bedeutung für Luxemburg unbestreitbar ist und wohl bis heute nachwirkt? Oder aber die Frage, welche unwiderruflichen und womöglich gesundheitsschädlichen Belastungen von den zum Teil unregulierten Praktiken der Stahlindustrie ausgehen?

Industriestaat oder Vorreiter im Umweltschutz?

In Zeiten, in denen Luxemburg sein Wirtschaftsmodell diversifiziert und neu definiert, spitzt sich das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz immer weiter zu. Beispiele, wie die der Mülldeponien im Süden des Landes, gibt es viele.

Da wäre etwa der offene regierungsinterne Streit um die Niederlassung des Steinwollproduzenten Knauf. Während der große Energieverbrauch und die hohen Schadstoffe für die grüne Umweltministerin Carole Dieschbourg untragbar waren, pochte Etienne Schneider (LSAP) auf lukrative Investitionen.

Oder der Konflikt um den Joghurtproduzenten Fage. Das Umweltministerium störte sich am enormen Wasserverbrauch der neuen Produktionsstätte. Etienne Schneider pochte auch hier auf das enorme Potenzial durch Arbeitsplätze und (imaginäre) Steuereinnahmen.

Anderes Projekt, ähnlicher Konflikt: Das Google-Datenzentrum Bissen. Der künftige Energie-und Wasserverbrauch des Großprojektes wurde bis heute nicht offen und breit in der Gesellschaft thematisiert.

Die Projekte lassen sich beliebig durch andere ersetzen. Das Kernproblem bleibt das gleiche: Wirtschaftlich attraktiv für Industriebetriebe und Vorreiter beim Umweltschutz – Luxemburg kann nicht beides sein. In manchen Fällen sind diese politischen Ziele nicht miteinander vereinbar.

Eine halbherzige, zum Scheitern verurteilte Politik

Tatsächlich wirkt das Land in seinem Bestreben, beide Konzepte zu vereinen, wie ein verwöhntes Kind, das das Wort „Nein“ nie gelernt hat: Sich als grünes Vorbild inszenieren und gleichzeitig die problematischen Auswirkungen der eigenen Politik auf Umwelt und Klima einfach verdrängen – diese Haltung ist letztlich zum Scheitern verurteilt.

Doch bis heute wird die Debatte um Umweltbelastungen immer neuer Industrieprojekte wahlweise nur halbherzig geführt oder gänzlich verdrängt. Die Kontroverse um Knauf ist längst vergessen.  Der Streit um Fage scheint bereits ausgefochten. Dabei befindet sich letzteres Projekt gerade einmal auf dem Instanzenweg. Und Google ist nur deshalb ein Thema, weil eine Bürgerinitiative sich unermüdlich für mehr Transparenz einsetzt.

Es reicht nicht immer nur dann zu kommunizieren, wenn der Inhalt einfach, positiv oder unproblematisch ist. Auch wenn es um unangenehme Fragen geht, sollte die Regierung dazu bereit sein, offen zu diskutieren. Das fängt bereits dabei an, alle Fakten auf, und alle Akteure an den Tisch zu bringen – ohne dass sich dazu erst eine Bürgerinitiative formieren muss.

Dazu, „die Fenster groß aufzureißen“, gehört auch, die betroffenen Akteure in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, statt sie bloß vor vollendete Tatsachen zu stellen. Viele Probleme ließen sich so bereits entschärfen, bevor es zum Eklat kommt.

Auswege aus dem „Mickey-Mouse-Land“

Doch es ist gerade die von Blau-Rot-Grün so hochgehaltene Transparenz, die in der Wachstumsdebatte fehlt. Der scheidende Vizepremier Etienne Schneider schreckt nicht einmal davor zurück, mit falschen Fakten zu jonglieren, um seine Projekte durchzuboxen. Und sogar die Grünen führen die Diskussionen um problematische Industrieabfälle, fehlende Deponien oder den umstrittenen Ressourcenbedarf lieber im Hinterstübchen von Ministerium und Fraktion als öffentlich mit den betroffenen Bürgern.

Sogar die Opposition hat sich der Frage nach Luxemburgs Entwicklung bisher nur aus elektoralem Opportunismus angenommen – substanzielle Kritik oder glaubhafte Vorschläge sind herzlich rar. Die Verlierer dieser Strategie sind letztlich jedoch die Einwohner, die auf einmal mit Konzernen um Ressourcen konkurrieren.

Es scheint, als verstehe sich Luxemburg weiterhin als Mickey-Mouse-Land, wie es Etienne Schneider ausdrücken würde. Also als ein Land, in dem die Steuern verhandelbar, die Ressourcen unendlich und die Folgen für Klima und Umwelt doch gar nicht so schlimm sind. Doch auch nach dem baldigen Abtritt des Wirtschaftsministers wird die Grundsatzdebatte sich nicht in Luft auflösen.