Der Premier reagiert genervt auf die Debatte über eine App zur Kontaktverfolgung in der Corona-Pandemie. Doch die Regierung hat keine haltbare Position. Sie ist weder dafür noch dagegen. Zudem ist Blau-Rot-Grün gerade beim Datenschutz besonders unglaubwürdig. Ein Kommentar.

Die Lockerungen gehen weiter, der Ausnahmezustand endet offiziell in knapp zwei Wochen. Das Risiko einer zweiten Infektionswelle bleibt. Und so sollen die Covid-19-Gesetze Grundrechte weiter massiv einschränken. Doch bei all den wohl begründeten Bedenken zu den Grund- und Freiheitsrechten der Bürger, will die Regierung eines nicht: eine Tracing-App.

Solche Apps kommen nun in Frankreich und bald auch in Deutschland zum Einsatz. Sie helfen, neue Infektionsherde schnell zu erkennen, so die Theorie. Das ist gerade in der Phase neuer Lockerungen wichtig. Doch Premier Xavier Bettel sieht keine Notwendigkeit für die digitale Kontaktverfolgung. Gleichzeitig will er nichts ausschließen. Nachzuvollziehen sind seine Argumente nicht.

Ablehnung mit unschlüssigen Argumenten

Erstes Argument: Eine App bringe nichts, weil die deutschen und französischen Grenzgänger ja unterschiedliche Anwendungssoftwares nutzen würden, erklärte Bettel im Pressebriefing am Mittwoch. Doch das sagt noch nichts über den Nutzen einer digitalen Verfolgung ihrer Kontakte in Luxemburg aus.

Zweites Argument: Aktuell seien die Fallzahlen sehr gering und deshalb reiche das analoge Tracing. Wenn sich das ändere, könne man die Lage neu bewerten, so der Premier. Um dann im nächsten Satz zu sagen, dass Deutschland Monate länger für die App brauchte, als anfangs geplant.

Klar ist: Wenn die Regierung sich jetzt nicht mit einer App und dem passenden Gesetz rüstet, dann wird es zu spät sein, wenn eine mögliche zweite Infizierungswelle kommt. Im März gab die Gesundheitsbehörde das analoge Tracing innerhalb von Tagen auf, weil es nicht mehr machbar war.

Und schließlich meinte der Premier: Wenn weniger als 60 Prozent der Menschen die Tracing-App nutzen würden, „hat das sowieso keinen Sinn“. Auch das ist aber ein Scheinargument: Eine Studie der University of Oxford kommt zum Schluss, dass „eine App bei jedem Niveau der Nutzung einen Effekt hat“. Also dazu führt, dass weniger Menschen an Covid-19 erkranken oder gar sterben, betonen die Autoren.

Blau-Rot-Grün als unglaubwürdige Datenschützer

Der Vorwurf des „politischen Opportunismus“, den der nationale Ethikrat der Regierung rezent machte, trifft demnach ins Schwarze. Blau-Rot-Grün sucht sich in dieser Debatte die Argumente heraus, die zu ihrem politischen Spin passen.

Das zeigt sich vor allem beim Datenschutz. Experten sind sich einig, dass die Entwicklung einer App möglich ist, die die Privatsphäre nicht verletzt. Das ist anders bei der Vorratsdatenspeicherung, die der Luxemburger Staat weiterhin betreibt, obwohl sie klar die Grundrechte der Bürger missachtet.

Ein weiteres Beispiel dafür, warum es unglaubwürdig ist, wenn sich Blau-Rot-Grün plötzlich als überzeugter Datenschützer aufspielt: Wer einen Strafzettel bekommt, weil er keine Maske trägt, dessen Daten werden wie bei jedem „avertissement taxé“ auf unbestimmte Zeit gespeichert.

Eine unbefriedigende Lösung in außerordentlichen Zeiten

Natürlich ist eine Tracing-App keine perfekte Lösung. Sie birgt Risiken für die Privatsphäre und ist sicher kein Allheilmittel im Kampf gegen das Coronavirus. Doch alle Maßnahmen gegen die Pandemie haben Schwächen. Masken bergen die Gefahr eines falschen Sicherheitsgefühls. Das „large scale testing“ hängt von der freiwilligen Teilnahme ab, die bisher bescheiden ist. Selbst die analoge Kontaktverfolgung, die die „Santé“ aktuell betreibt, hat Lücken und Grenzen. An manche unserer Kontakte erinnern wir uns nicht, andere kennen wir nicht.

Es bleibt der Regierung also nur das Abwägen von Nutzen, Kosten und Risiken. Doch genau diesem Denkprozess verweigert sie sich bei der Tracing-App. Luxemburg droht damit völlig unvorbereitet zu sein, wenn eine zweite Welle anrollt. Doch selbst wenn sich die Regierung gegen eine App entscheidet, dann doch bitte mit besseren Argumenten.