Die Regierung lehnt es ab, Smartphones zu nutzen, um Ansteckungsketten zu kontrollieren. Der Datenschutz sei nicht gewährleistet, meint der Premier. Zwar plant die „Santé“ in den nächsten Wochen wieder Kontakte der Infizierten zurückzuverfolgen, doch ein Gesamtkonzept fehlt.
„Der Datenschutz ist die Hauptpriorität“, antwortete Premierminister Xavier Bettel (DP) auf die Frage, ob die Regierung auf eine Tracing-App zurückgreifen wolle. Dabei dienen Smartphones dazu, Kontakte zwischen Personen aufzuzeichnen und zu warnen, wenn einer dieser Kontakte positiv auf Covid-19 getestet wurde. Das Problem sei aktuell, dass man nicht wisse, wie die Daten genutzt und gespeichert würden, warnte der Premier anlässlich einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Unklar sei außerdem, ob es eine grenzüberschreitende Lösung geben werde, die auch die Grenzgänger erfassen könne. Und schließlich müsse verhindert werden, dass die App eine Warnung ausgibt, ohne dass es eine Übertragungsmöglichkeit gegeben hat. „Es gibt heute zu viele offene Fragen, damit die Regierung sagen könnte, wir sind für eine solche App“, so Xavier Bettel.
Doch diese Position der Regierung wirft selbst viele Fragen auf. Wie steht der Datenschutz im Verhältnis zu der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit im „état de crise“? Wie will die Regierung Neuinfektionen verhindern, wenn sie nicht nachverfolgen kann, mit wem ein Infizierter in Kontakt war?
Klar ist: In einer Exit-Strategie aus dem Lockdown spielt das „Tracing“, also die Verfolgung der Kontakte von Infizierten, eine wichtige Rolle. Die Debatte darüber ist brandaktuell. Am Mittwoch forderte die Europäische Kommission in ihrem Fahrplan zur Aufhebung des Lockdown, dass es „Meldesysteme zur Ermittlung von Kontaktpersonen, auch mithilfe digitaler Instrumente“ in den Mitgliedstaaten geben müsse.
Warum das Contact-Tracing so wichtig ist
Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) sieht allerdings wenig Bedarf für eine digitale Nachverfolgung der Kontakte: „Luxemburg liegt weit weit vorn mit seiner Teststrategie. Wir haben eine relativ geringe Dunkelziffer. Deshalb ist der Druck, eine Tracing-App zu nutzen, bei uns geringer als in Ländern mit einer hohen Dunkelziffer.“
Ohne die Nachverfolgung von Kontakten kann jedoch jeder, der mit einem Infizierten in Kontakt stand, unwissentlich weitere Menschen anstecken. Wird etwa jemand positiv auf das Virus getestet, könnte er oder sie bereits andere Menschen angesteckt haben, die noch keine Symptome zeigen, aber bereits infektiös sind.
Deshalb empfahl der Luxemburger Virologe Claude Muller schon vor Wochen, dass die Menschen Tagebuch führen sollen, mit wem sie wo in Kontakt standen. Auf dieser Grundlage könnten die Gesundheitsbehörden leichter nachvollziehen, wo man sich infiziert hat und wer potenziell gewarnt werden muss.
Wie eine Tracing-App funktioniert
Der Bluetooth-Chip des Smartphones sendet Signale und empfängt jene der Geräte im näheren Umkreis. Bluetooth kommt sonst etwa zum Einsatz, wenn man im Auto Musik vom Handy hört oder kabellose Kopfhörer nutzt. Der Vorteil: Die Signale reichen nur wenige Meter. Das eigene Smartphone speichert Codes, die es von anderen Geräten empfängt, im Idealfall in einer Distanz, auf der man sich auch anstecken könnte. Diese Codes ändern sich alle 15 Minuten.
Wird eine Person positiv auf das Sars-CoV-2-Virus getestet, dann erhält sie einen Code, den sie in ihre App tippt oder scannt. So wird verhindert, dass jemand sich mutwillig als krank ausgibt. Die Personen, mit denen der Infizierte in Kontakt war, erhalten eine Nachricht auf ihrer App – etwa damit sie eine Hotline anrufen und dann ebenfalls getestet werden. Es gibt unterschiedliche Konzepte, aber dieses Szenario scheint sich durchzusetzen.
Bei einer Lockerung der Maßnahmen würde das Führen eines Tagebuchs aber nicht mehr reichen, erklärt der Virologe im Gespräch mit REPORTER. Die Kontaktverfolgung durch Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums könne den wahrscheinlich wieder steigenden Infektionszahlen nicht gerecht werden. Verschiedene Länder und Staaten versuchen es trotzdem.
Tracing-Konzept noch nicht ausgearbeitet
Allein das Bayrische Gesundheitsamt hat in den letzten Wochen 4.000 Menschen eingestellt, um die Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen. Der US-Bundesstaat Massachusetts will 1.000 Menschen mit dieser Aufgabe betrauen.
Laut dem Gesundheitsministerium übernahmen in Luxemburg etwa zehn Angestellte der „Inspection sanitaire“ in der Anfangsphase diese Aufgabe. Seit dem Lockdown betreibt das Ministerium allerdings keine Fallverfolgung mehr – lediglich die Familien der positiv Getesteten wurden informiert, weiterhin in Quarantäne zu bleiben.
„Unsere Idee ist durchaus mit Contact-Tracing wieder anzufangen, am „Wie“ arbeiten wir noch“, sagt Dr. Jean-Claude Schmit im Gespräch mit REPORTER. Am Anfang war das „reinste Handarbeit“, so der Direktor der „Santé“. Das war auch nur dadurch möglich, weil die Zahl der Infizierten pro Tag nur gering anstieg. Auf eine solche Entwicklung hofft man jetzt auch. Erst dann könne man wieder einzelne Fälle verfolgen. Ob das durch die Lockerung der Ausgangssperre gelingt, ist allerdings mehr als fraglich.
Laut dem deutschen Virologen Christian Drosten könnten die Behörden die Zeit der leicht gelockerten Ausgangssperre nutzen, um eine digitale Fallverfolgung aufzubauen. Die könnte dann mit der manuellen Fallverfolgung kombiniert werden. Für was sich die Luxemburger Regierung entscheidet, wird sich erst nächste Woche zeigen. Wie das Konzept aussehen wird, hängt jedoch auch von Beschlüssen auf europäischer Ebene ab.
Europäische Kommission erhöht das Tempo
Am Donnerstag legte die Kommission ein Konzept für Tracing-Apps vor. In dieser Strategie geht Brüssel unter anderem auf die Bedenken der Luxemburger Regierung ein. Alle Vorschriften zum Datenschutz und der Wahrung der Privatsphäre sollen respektiert werden, heißt es. Die Installation der App soll zudem freiwillig sein. Und schließlich soll die App grenzüberschreitend nutzbar sein.
Offenbar ist die Regierung trotzdem skeptisch. „Momentan haben wir keine europäische Lösung“, betonte Xavier Bettel. Allerdings sei die Regierung bereit, die Einführung einer App zu diskutieren, falls alle Garantien – etwa in Sachen Datenschutz – gegeben seien.
Ein wesentlicher Fortschritt kommt allerdings nicht von der EU, sondern von den Internetriesen Google und Apple. Die Konzerne haben über die Betriebssysteme iOS und Android Einfluss auf knapp 3,5 Milliarden Smartphones weltweit – was nahezu allen Geräten entspricht. Ihre Ankündigung, bis Mai gemeinsame technische Standards für eine geeignete App zu entwickeln, räumt eine ganze Reihe Probleme aus dem Weg. So ist gesichert, dass EU-weit die Apps die gleiche technische Grundlage haben und so auch vergleichbare Resultate erbringen, betont die Europäische Kommission.
Datenschutz ist ein Problem, aber lösbar
Das System, das Google und Apple in den nächsten Wochen entwerfen wollen, hat mehrere Vorteile: Der Smartphone-Nutzer muss es einschalten, sich also freiwillig „tracen“ lassen. Das System ist anonymisiert und speichert die Kontaktdaten auf dem Handy und nicht zentral auf einem Server. Die Vorschläge der Tech-Konzerne erfüllen damit viele der Vorgaben des Europäischen Datenschutzausschusses.
Dieses Gremium aus Vertretern der nationalen Datenschutzbehörden sieht demnach keine grundsätzlichen Probleme bei Tracing-Apps, sofern mehrere Bedingungen erfüllt sind. Deren Nutzung müsse via ein nationales Gesetz geregelt werden, aber absolut freiwillig bleiben. Außerdem sollen keine Bewegungsdaten gespeichert werden. Es dürfe zudem zu keiner Stigmatisierung der infizierten Personen kommen. Das heißt: Nur Gesundheitsbehörden sollen wissen, wer sich angesteckt hat.
Letztlich sind Tracing-Apps aus Datenschutzsicht weniger problematisch als etwa die bedingungslose Vorratsdatenspeicherung zur Verbrechensbekämpfung. Da die blau-rot-grüne Regierung an dieser Überwachungsmaßnahme trotz negativer Urteile des Europäischen Gerichtshofs festhält, erscheint ihre Ablehnung der Tracing-Apps nicht allzu kohärent. Denn die Vorratsdaten umfassen sowohl Bewegungs- als auch Verbindungsdaten. Also: Wo und wann war ich mit meinem Handy? Mit wem habe ich telefoniert oder eine SMS geschrieben? Eine Tracing-App erfasst eindeutig weniger Daten.
Andere Hindernisse einer Tracing-Strategie
Dagegen könnten andere Probleme die Tracing-Strategie stärker beeinflussen. Damit eine App überhaupt sinnvoll ist, müssen auch Virus-Tests in ausreichender Zahl durchgeführt werden. Das ist in Luxemburg bisher der Fall. Hinzu kommt aber das Problem, dass viele Menschen, die besonders gefährdet sind, nicht unbedingt ein modernes Handy mit Bluetooth besitzen.
Zudem produziert ein solches System unzählige falsche Ergebnisse – die Lösung ist bei weitem nicht perfekt. Der Chef-Entwickler der App in Singapur – oft als Vorbild zitiert – betont etwa, dass dieses Instrument kein Contact-Tracing durch Menschen ersetzen kann. Der asiatische Stadtstaat ließ parallel jeden Tag 4.000 Kontakte durch Mitarbeiter überprüfen.
Schließlich soll die Nutzung der App freiwillig sein, da sind sich viele Experten einig. Doch damit das Instrument wirkungsvoll ist, müssen mindestens die Hälfte der Bevölkerung eine solche App auch tatsächlich nutzen. In Singapur haben aber nur ein Sechstel der Bürger die App auch tatsächlich genutzt.
Das Vertrauen der Bürger und die Überzeugung, dass die Nutzung der App allen hilft, sind zwei wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg. Doch die Regierung hat durch eine teils vorschnelle Ablehnung der Tracing-Apps dieses Vertrauen vielleicht schon verspielt. Auch das dürfte die weiteren Etappen der diese Woche vorgestellten Exit-Strategie beeinflussen.