Die prekären Arbeitsverhältnisse für manche Mitarbeiter der EU-Kommission sind der Ausdruck einer gefährlichen Doppelmoral. Das Haus von Jean-Claude Juncker macht sich damit noch angreifbarer als es ohnehin schon ist.  Ein Kommentar.

Doppelmoral. So nennt der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold die Einstellungspolitik der EU-Kommission. Es ist ein Begriff, der auf vieles passt, was Brüssel zur Zeit tut. Da wäre ein Präsident, der die Steuerpraktiken bekämpft, die er im eigenen Land zum Nationalsport erhoben hat. Oder eine Migrationspolitik, die sich von Rechtsparteien treiben lässt und mittlerweile zynischer nicht sein könnte.

Die Kommission rühmt sich damit, die Welt für Arbeitnehmer ein wenig gerechter zu machen. Allen voran Jean-Claude Juncker, der schon in seinen fast zwei Jahrzehnten als Luxemburgs Premierminister sein soziales Gewissen vor sich her trug. Doch bis in die eigenen vier Wände scheint die Moral der Brüsseler Exekutivbehörde nicht zu reichen.

Die sogenannten Intramuros-Angestellten tragen ihr Stigma um den Hals: Ihr EU-Ausweis markiert sie als „externe“ Experten und so dürfen sie jeden Morgen in der Rushhour erst einmal ihre Rucksäcke und Taschen dem Sicherheitspersonal vorzeigen. Ganz egal, ob sie zwei Monate oder fünf Jahre im selben Gebäude arbeiten, die gleichen Qualifikationen haben, dieselbe Arbeit leisten und innerhalb ihrer Einheiten den gleichen Chefs unterstehen wie ihre verbeamteten Kollegen.

Die prekären Arbeitsverhältnisse der EU-Kommission

Sie könnte klarer nicht sein, die Trennung zwischen den direkten EU-Angestellten und denjenigen, die über Drittfirmen bei der Kommission arbeiten. Nein, rein rechtlich ist die Kommission nicht unmittelbar verantwortlich für ihre oft prekäre Lage, auch nicht für die niedrigen Löhne oder die fragwürdigen Arbeitsverträge. Doch da wären wir wieder bei der Moral.

Junge, aber hoch qualifizierte Arbeitnehmer werden rekrutiert, um die von der Kommission gewünschte Arbeit zu leisten. Denn sie wollen ohnehin genau dorthin und würden fast alles dafür tun, um für das Projekt Europa zu arbeiten und irgendwann wie ihre Kollegen vollwertige Beschäftigte mit allen Vorzügen zu werden.

Kommission stiehlt sich aus der Verantwortung

Die Beschäftigung der Intramuros sei ein Weg, jungen Arbeitnehmer eine Chance auf einen Job „in“ einer EU-Institution zu geben, heißt es oft zur Legitimierung der Praxis. Es sei quasi ein Sprungbrett in die Brüsseler Blase.

Doch dieses Argument ist nicht stichhaltig. Denn zum einen kritisiert die Kommission oft und gerne die Ausnutzung junger Menschen durch den Privatsektor. Zum anderen werden die Verträge mit Dienstleistern damit gerechtfertigt, dass man äußerst spezifische Profile suche. Das passt nicht zusammen. Um einen ersten Einblick in die Arbeit der Institutionen zu bekommen, gibt es die umkämpften „Blue Book“-Praktika. Deren Bezahlung kann übrigens in vielen Fällen mit dem Nettogehalt so mancher Intramuros mithalten.

Nicht nur sind die Intramuros-Verträge ein fragwürdiges Sprungbrett. Die betroffenen Mitarbeiter sind der Kommission auch egal. Man bezahle für die Dienstleistung und nicht für das Personal, heißt aus EU-Quellen. Die Kommission ist aber maßgeblich für die fragwürdigen Praktiken ihrer Dienstleister mitverantwortlich, sind sie doch ein Symptom der eigenen Politik.

Wenn die Einheiten gezwungen sind mehr mit weniger zu leisten, dann drängt sich das Lohndumping fast auf. Da kann sich Jean-Claude Juncker noch so sehr auf die Schulter klopfen und behaupten, die Kommission erfülle ihre Sparziele. An den Vorteilen, die die Beamten genießen, will man dagegen ungerne rütteln – dafür ist deren Lobby zu groß.

Die Risiken eines Outsourcing-Wildwuchses

Doch jenseits der Moral stellen die Intramuros ein ernsthaftes Managementproblem für die Kommission dar. Die unterschiedlichen Einheiten vergeben ohne zentrale Kontrolle Verträge. Wie viele Intramuros eigentlich in den Kommissionsgebäuden arbeiten, weiß scheinbar niemand. Es sei eine „Riesenaufgabe“, die ganzen Rahmenverträge und deren Ausführung zu untersuchen, um so die genauen Zahlen so zu bestimmen, sagt die Kommission.

Zur Erinnerung: Innerhalb der EU-Institutionen herrscht „Alerte Jaune“. Überall tummelt sich Sicherheitspersonal. Da ist es doch befremdlich, dass sie nicht zu sagen vermag, wer denn eigentlich so Tag für Tag in den eigenen Gebäuden sitzt.

Junckers Mitarbeiter zweiter Klasse

Das Intramuros-Personalkarussell dreht indes in vollem Tempo. Denn die Rahmenverträge mit den verschiedenen Firmen gelten – theoretisch – für vier Jahre und sind so formuliert, dass die Arbeitskräfte rasch ersetzt werden können. Haben die externen Mitarbeiter die EU-internen Abläufe einmal heraus, sind sie oft schon wieder weg und mit ihnen die gewonnene Erfahrung und ihr Wissen. Indem die Institutionen ihre Expertise externalisieren, schaden sie am Ende sich selbst.

Mit dem Trend des Outsourcing verfolgt die EU-Kommission einen gefährlichen Weg. Er ist der Krise, in der sie sich befindet, mit Sicherheit nicht dienlich. Das Projekt Europa steht unter Beschuss. Doch anstatt die Werte zu leben, die zur Zeit so gewaltig auf der Kippe stehen, könnte der Graben zwischen Rhetorik und Praxis kaum größer sein. Statt zum Vorzeigemodell wird die EU-Kommission zum Problemkind. Und macht sich selbst noch angreifbarer als sie ohnehin schon ist – und das nicht nur für die ewigen Kritiker und EU-Gegner.

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