Die Europäische Kommission setzt in ihren Verwaltungen verstärkt auf externe Mitarbeiter. Deren Arbeitsbedingungen sind zum Teil prekär. Die Praxis ist laut REPORTER-Recherchen weit verbreitet.
„In einer Union der Gleichen kann es keine Arbeitnehmer zweiter Klasse geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten das gleiche Gehalt bekommen.“ Der Satz stammt von Jean-Claude Juncker. In seiner „Rede zur Lage der Union“ von 2017 betonte der EU-Kommissionspräsident die Gleichheit als Grundprinzip des europäischen Gedankens. Besonders in der Arbeitswelt dürfe es keine Doppelstandards geben, die zu Lasten der Arbeitnehmer gehen.
Wie so oft bei politischen Grundsatzreden gibt es auch hier eine große Kluft zwischen Wort und Tat. Denn selbst in Junckers Haus, der Europäischen Kommission, hält man sich offensichtlich nicht an diese hehren Prinzipien. Im Gegenteil setzt die Kommission verstärkt auf Outsourcing von Arbeitsstellen. Für Dienste, die eigentlich vom eigenen Personal erledigt werden könnten, greift sie so seit Jahren – auch in Luxemburg – auf externe Mitarbeiter zurück. Betroffen sind vor allem junge Arbeitnehmer in den Kommunikations- und IT-Abteilungen. Das Phänomen beschränkt sich zudem nicht auf die EU-Kommission.
Ein besonderer Fall sind die sogenannten „Intramuros“-Angestellten. Auf den ersten Blick unterscheidet sie wenig von gewöhnlichen Angestellten der EU-Institutionen, seien es Beamte oder Vertragsbedienstete. Sie sind oft Teil der gleichen Teams und arbeiten in den Büros der Institutionen an Projekten der EU. Doch die Intramuros werden von externen Firmen vermittelt und bezahlt. Die entsprechenden Arbeitsverträge, mit weitaus weniger lukrativen Bedingungen als beim regulären Personal, werden über eine öffentliche Ausschreibung an diese Firmen jeweils für mehrere Jahre vergeben.
Kommission entzieht sich der Verantwortung
Das Ausmaß der Doppelstandards der EU-Kommission ist bemerkenswert. Laut REPORTER-Recherchen nutzen die Vermittlungsfirmen die Grauzonen des Arbeitsrechts geschickt aus und entlohnen die Betroffenen zum Teil nur mit einem Drittel von dem, was die Beamten und Vertragsbediensteten in den EU-Institutionen für gleiche oder ähnliche Tätigkeiten verdienen. In manchen Fällen kommt das Nettogehalt selbst hoch qualifizierter Intramuros in etwa dem gleich, was die offiziellen EU-Praktikanten verdienen.
Hinzu kommt die Tatsache, dass Intramuros-Angestellte dank entsprechender Rahmenverträge schneller ersetzt, also entlassen werden können, wenn die Kommission das wünscht. Im Gegenzug ist für die Bediensteten nicht die EU-Kommission, sondern die jeweilige externe Firma der Ansprechpartner. So kann die Kommission sich jeder Verantwortung entziehen. Die Intramuros sind rechtlich reine Vertragsgegenstände in den Vereinbarungen zwischen Kommission und Vermittler.
Kein Wunder also, dass die Gewerkschaften der EU-Bediensteten von hausgemachtem „Sozialdumping“ sprechen. Das Besondere an den Beschäftigungskonstrukten ist zudem: Die EU-Kommission zahlt selbst beachtliche Summen an die Vermittlungsfirmen, die dann selbst einen wesentlichen Gewinn auf jeden vermittelten Arbeitnehmer machen. Der Druck kommt dabei von oben. Die ganze EU will sparen. In den Verwaltungen der Kommission äußert sich dies aber auch durch die Praxis, dass die üblichen Personalbudgets durch die Intramuros-Praxis umgangen werden.
Im Rahmen einer umfangreichen Recherche hat REPORTER sich mit mehreren Betroffenen unterhalten. Mehrere mit dem Problem vertraute Personen erhärten mit ihren Aussagen zudem den Verdacht, dass die Europäische Kommission Lohndumping in den eigenen Verwaltungen zumindest bewusst in Kauf nimmt.
Unsere komplette Recherche-Serie lesen Sie hier:
- Junckers Mitarbeiter zweiter Klasse
- Das lukrative Geschäft mit den EU-Institutionen
- Kommentar: Brüsseler Doppelmoral