Die CSV hat anscheinend endlich erkannt, dass sie eine Oppositionspartei ist. Bei allem Frust über den andauernden Machtverlust könnten die Christsozialen die kommenden fünf Jahre aber auch als Chance auffassen und damit die politische Debatte bereichern. Ein Kommentar.
Fünf Jahre lang war die CSV auf der Suche nach einer politischen Strategie. So viel steht fest: Die ungewohnte Oppositionszeit hat sie bisher nicht genutzt, um sich personell und inhaltlich neu aufzustellen. Das Wahlresultat war letztlich die ernüchternde Konsequenz einer verpassten Chance zur Profilierung. Jetzt gibt es zumindest eine zweite Chance.
Mindestens seit 2013 befindet sich die CSV in einer schmerzlichen Übergangsphase. Zunächst verweigerte sie sich ihrem Schicksal als eine Partei, die für die Macht im Staat nicht mehr unerlässlich ist. Dann schalteten zumindest einige ihrer Abgeordneten in den Oppositionsmodus, dessen Nutzung für eigene politische Zwecke sie aber erst noch lernen mussten. Gefördert durch die guten Umfragewerte wurde die Oppositionspolitik jedoch bald schon wieder eingestellt.
Es ist höchste Zeit für eine kritische, selbstbewusste und nicht zuletzt auch arbeitsame Oppositionspartei.“
Auch im Wahlkampf ging die Partei der politischen Auseinandersetzung aus dem Weg. Letztlich konnte die CSV dem Wahlvolk kaum Anhaltspunkte vorlegen, warum es unbedingt zu einem Regierungswechsel kommen sollte. Am 14. Oktober erhielt sie für ihre strategische Schwammigkeit jedenfalls die Quittung.
Die CSV hat ihre parlamentarische Rolle nicht erfüllt
Seitdem erwecken manche Christsoziale aber den Eindruck, als ob sie jetzt endlich verstanden hätten, was von ihnen als Oppositionspartei erwartet wird. Plötzlich gehen sie manche Regierungsmitglieder hart an, fordern Aufklärung in längst bekannten politischen Problemfeldern und drohen mit einer stärkeren Konfrontation im Parlament.
Und es stimmt: Wer, wenn nicht die CSV, müsste im Parlament konsequent die Rolle des Warners und Mahners einnehmen? Wer, wenn nicht die größte Partei des Landes, könnte die Regierung wirksam kontrollieren und bei Bedarf vor sich hertreiben? Es ist höchste Zeit für eine kritische, selbstbewusste und nicht zuletzt auch arbeitsame Oppositionspartei.
Die CSV wurde ihrer Verantwortung als wirksames Kontrollorgan der Regierungsmehrheit nur selten gerecht.“
Denn auch das gehört zur gemischten Bilanz der vergangenen fünf Jahre. Ohne eine starke Opposition konnten die Koalitionsparteien in vielen Bereichen schalten und walten. Eine CSV, die lange mit sich selbst beschäftigt war und dann vor Siegessicherheit nur so strotzte, leistete der demokratischen Debatte einen Bärendienst. Die CSV wurde ihrer Verantwortung als wirksames Kontrollorgan der Regierungsmehrheit nur selten gerecht.
Die Opposition als Pflicht und als Chance begreifen
Das wirkliche Problem der CSV liegt allerdings darin, das sie in ihrer aktuellen Aufstellung offensichtlich nicht mehr zum Regieren gebraucht wird. Nach fünf Jahren blau-rot-grüner Regierungszeit ist das Land nicht nur nicht untergegangen, sondern es steht in manchen Bereichen sogar besser da als 2013.
Die CSV sollte sich nicht nur widerwillig mit der Oppositionsrolle arrangieren, sondern diese als demokratische Pflicht auffassen.“
Vor allem beweist die Dreierkoalition, dass sie die machterhaltenden Methoden des „CSV-Staats“ längst verinnerlicht hat. Auch in den kommenden fünf Jahren wird sie die Früchte des Wachstums wohldosiert im Wahlvolk verteilen und der Opposition damit das Leben bzw. die Rückkehr an die Macht schwerer machen.
Der Plan der CSV, sich als Ersatzregierung ohne wirkliche politische Alternativen bereit zu halten, ging jedenfalls nicht auf. Stattdessen sollte sie die kommenden fünf Jahre tatsächlich als Chance begreifen. Sie sollte sich nicht nur widerwillig mit der Oppositionsrolle arrangieren, sondern diese als demokratische Pflicht auffassen. Nur so kann sie sich neu erfinden und bei den Wählern als tatsächliche Alternative präsentieren.
Politisches Korrektiv der Regierungspolitik gesucht
Letztlich bleibt der CSV nichts anderes übrig als die kommenden fünf Jahre wirklich zur Erneuerung zu nutzen. Die über Jahrzehnte verschleppte personelle Neuaufstellung ist dabei nur ein Problem. Viel schwerer wiegt das inhaltliche Vakuum einer Partei, die ihre Daseinsberechtigung lange ohnehin nicht aus einer nachvollziehbaren Programmatik, sondern aus ihrem dauernden Machtanspruch ableitete.
Als politische Kraft, der es nur um die Rückkehr an die Macht geht, wird die CSV nicht mehr gebraucht.“
Ein Patentrezept gibt es nicht. Der Weg zur Neuerfindung führt auch nicht zwingend über eine innerparteiliche Debatte zum künftigen Kurs. Viel wichtiger ist die künftige Strategie und die Definition eines neuen Selbstverständnisses der jetzt erst recht zur Opposition verdammten Partei.
Für die CSV wäre es demnach schon ein Fortschritt, wenn sie sich der Herausforderung einer strategischen Neuausrichtung überhaupt stellt. Sie sollte die kommenden Jahre nutzen, sich in Abgrenzung zur Regierung inhaltlich zu profilieren. Als politische Kraft, der es nur um die Rückkehr an die Macht geht, wird die CSV nicht mehr gebraucht. Als Partei, die ein parlamentarisches und inhaltliches Korrektiv zu den Regierenden darstellt, könnte sie sich jedoch zumindest der Demokratie als dienlich erweisen.
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