Die politische Auseinandersetzung vor den Wahlen verläuft in Luxemburg traditionell gemächlicher als in anderen Ländern. In diesem Jahr wurde aber ein neuer Höhepunkt der Wahlkampfverweigerung erreicht. Ein Kommentar.

Eigentlich kann man ja froh sein, dass bei uns Wahlkämpfe auf eine zivilisierte Art und Weise geführt werden. Wer die jüngsten Schlammschlachten vor den Wahlen in den USA, Frankreich oder Italien verfolgte, kann mit Recht sagen, dass Luxemburg eine wohltuende Ausnahme in Sachen politischer Stil ist. Doch spätestens seit der laufenden Kampagne für die Parlamentswahlen am 14. Oktober haben wir es mit einem anderen Problem zu tun: Luxemburgs Politiker verweigern sich fast vollständig dem Wahlkampf – und damit nicht zuletzt der Konfrontation mit den Wählern.

In einer Woche wird feststehen, wie die Wahlen ausgegangen sind. Und doch hat man den Eindruck, dass die politische Auseinandersetzung immer noch im Leerlauf ist. Vor allem die vier größten Parteien vermeiden einen offenen Schlagabtausch über ihre Ideen und Visionen. Als würde ein Nichtangriffspakt herrschen, tingeln die Kandidaten von einer Wahlveranstaltung zur nächsten, posten fleißig Fotos und professionell gestaltete Videos in den sozialen Netzwerken und geben in öffentlichen Debatten zumindest den Anschein, dass sie Vertreter unterschiedlicher Parteien sind.

Inhaltsvermeidung als Strategie

Die inhaltliche Auseinandersetzung über die wichtigen Themen des Landes findet indes nicht statt. Das war zwar auch schon bei früheren Wahlkämpfen so. Doch die Inhalts- und Kontroversenarmut ist in diesem Jahr akuter als zuvor. Dabei ist es nicht so, dass sich die Parteien überhaupt nicht mehr voneinander unterscheiden. Liest man die Wahlprogramme, so lassen sich durchaus unterschiedliche Ideologien und Ansätze zur Lösung von politischen Problemen erkennen.

Was jedoch fehlt, sind Politiker, die diese Lösungsansätze und Unterschiede offensiv im Wahlkampf thematisieren. Stattdessen plätschert die Diskussion dahin, so als ob die meisten Protagonisten froh sind, wenn der Wahltag endlich vorüber ist und man wieder zum politischen Alltag übergehen kann.

Von einer nachvollziehbaren, nach außen als solche offensiv verkauften Alternative zur Regierungspolitik fehlt bei der CSV fast jede Spur.“

Am gravierendsten ist dieser Befund bei den Oppositionsparteien. Vor allem die CSV hält sich mit politischen Äußerungen zurück und hofft nur noch, dass sie den durch die Umfragen seit Monaten gefühlten Wahlsieg noch über das Ziel retten kann. Spitzenkandidat Claude Wiseler bleibt sich indes treu. Das Programm seiner Partei trägt der promovierte Literaturwissenschaftler wie ein Dozent an der Universität vor, nicht wie ein Oppositionsführer, der die Macht im Staat übernehmen will.

Zur Erinnerung: Die CSV und ihr Spitzenkandidat Claude Wiseler sind die Herausforderer, die die Wähler eigentlich davon überzeugen müssten, warum es ihrer Meinung nach zu einem Regierungswechsel kommen müsste. Warum diese Wahlen von Bedeutung sind und jede Stimme entscheiden könnte. Das Problem: Von einer nachvollziehbaren, nach außen als solche offensiv verkauften Alternative zur Regierungspolitik fehlt bei der CSV fast jede Spur.

Die politische Enthaltsamkeit der CSV

Selbst wenn die Regierungsparteien offensichtlich patzen, traut sich die CSV nicht oder nur sehr spät aus der Deckung. So etwa bei der Debatte um die wiederholte falsche Aussage von Etienne Schneider bezüglich der „60 Millionen Euro“ an Steuerzahlungen des Molkereikonzerns Fage. Ein von Medien dokumentierter und vom Vizepremier öffentlich eingeräumter Patzer mitten im Wahlkampf – eigentlich ein gefundenes Fressen für eine Oppositionspartei. Nicht so aber für die CSV, die ganze 15 Tage(!) brauchte, um schließlich auf einer Pressekonferenz den „Skandal“ auszurufen.

Ein weiteres Beispiel: Die Diskussionen um die jüngsten Ereignisse bei „Radio 100,7“. In einer Erklärung in eigener Sache machte die Chefredaktion, auf eine „Gefahr für die Unabhängigkeit“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufmerksam. Der Premier, und damit der DP-Spitzenkandidat, wird frontal von einem Medium attackiert und der politischen Einflussnahme bezichtigt – und was macht die größte Oppositionspartei CSV? Sie beruft eine Sitzung des zuständigen Parlamentsausschusses ein, der sich irgendwann nach den Wahlen mit der Sache befassen soll. Die politische Enthaltsamkeit der Christsozialen hat jedenfalls ein neues Niveau erreicht.

Keine Fehler machen, bloß nicht anecken, keine Angriffsfläche bieten: An dieser Stelle wird deutlich, dass die abwartende Haltung der CSV nicht nur eine Wahlkampfstrategie ist. Über die gesamte Legislaturperiode hat sich die Oppositionspartei nämlich immer wieder einer substanziellen Debatte und damit einer wirksamen Kontrolle der Regierung verweigert.

Konfliktscheue Koalitionsparteien

Doch der Befund eines Wahlkampfs, der keiner ist, trifft mit gewissen Abstrichen auch auf die anderen Parteien zu.

Die DP versucht, gute Stimmung zu verbreiten und allein mit der Bekanntheit des Premiers, dem ultimativen „Xavier“-Faktor, zu punkten. So hofft sie bei den Wahlen vor allem auf den Ministerbonus ihrer Regierungsneulinge. Dass sie in manchen Politikfeldern – etwa der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik – eine wesentlich andere Richtung einschlagen will als ihre Konkurrenten, thematisiert sie von sich aus nur selten. Auch Xavier Bettel, Corinne Cahen und Co. halten sich aus der Auseinandersetzung um Inhalte fern und damit nicht zuletzt die Option einer Koalition mit der CSV offen. Nichts darf das übergeordnete Ziel des Verbleibs in der Regierung gefährden.

Der stets hochgehaltene Konsens des politischen Systems in Luxemburg stellt mittlerweile selbst einen Exzess dar.“

Die Grünen treten dagegen im Wahlkampf genauso auf, wie sie ihre Regierungsarbeit interpretierten. Die Realpolitik ihrer Führungsleute hat in der Wahlauseinandersetzung aber eine fast schon einschläfernde Wirkung. Sachlichkeit und Pragmatismus mögen in der Regierung Trumpf sein. Im Wahlkampf erschweren diese Tugenden jedoch sowohl die Mobilisierung der eigenen Stammklientel als auch die Überzeugung von möglichen Wechselwählern. Auch die einstige offensive Oppositionspartei um François Bausch, Carole Dieschbourg und Felix Braz lässt sich vom generellen Trend zur biederen Einfallslosigkeit anstecken.

Nur die LSAP versucht indes in Person ihres streitbaren Spitzenkandidaten etwas aggressiver vorzugehen. „Was heißt hier attackieren? Wir sind schließlich im Wahlkampf!“, drückte es Etienne Schneider im Interview mit REPORTER aus, als er auf seine persönlichen Attacken gegen die CSV angesprochen wurde. Zumindest das muss man dem Vizepremier zugute halten. Doch ohne Sparringspartner hilft auch das nicht. Und vielleicht ist der „Lucky Luke“ der luxemburgischen Politik, der mitunter schneller schießt als sein Schatten, auch nicht das beste Beispiel. Denn das selbstbewusste Angehen von politischen Gegnern kann auch schon einmal nach hinten losgehen – siehe „60 Millionen“.

Nach den Wahlen geht es zur Sache

Das mangelnde Niveau des Wahlkampfs wird auch an anderer Stelle deutlich. Die Parteien versprechen in ihren Programmen etliche Mehrausgaben, öffentliche Investitionen und Steuersenkungen, doch die Finanzierungsfrage bleibt komplett außen vor. Mehr noch: Es wird noch nicht einmal eine grobe Schätzung vorgenommen, geschweige denn öffentlich thematisiert. Dabei sind nicht nur die Parteien in der Bringschuld. Auch die Medien und die weitere Zivilgesellschaft tragen ein gewisses Maß an Verantwortung, um von den Parteien die nötige Rechenschaft einzufordern.

In einem Punkt sind die Parteien aber erfrischend ehrlich. Die Gegenfinanzierung ihrer nicht bezifferten Versprechen aus dem Wahlkampf und alle weiteren Details würden nämlich nicht vor, sondern nach den Wahlen geklärt. Erst bei den Koalitionsverhandlungen könne man mit Hilfe der staatlichen Verwaltungen alles durchrechnen und eventuell sagen, welche Punkte aus den Wahlprogrammen überhaupt realistisch sind.

Dem Ziel einer Regierungsbeteiligung wird der angemessene Streit um die besten politischen Ideen geopfert. Die Konfrontation und die Austragung der Konflikte wird verlagert.“

Nicht zuletzt dieses Eingeständnis deutet darauf hin, warum der Wahlkampf bisher ohne wirkliche Kontroversen so dahin plätschert. Der überwältigende Konsens zwischen den großen Parteien ist zwar ein Schutzschild gegen exzessive Schlammschlachten. Doch er lähmt gleichzeitig den Streit um politische Konzepte, da mindestens zwei der vier etablierten Parteien der „politischen Mitte“ nach den Wahlen eine Koalition eingehen werden. Der stets hochgehaltene Konsens des politischen Systems in Luxemburg stellt mittlerweile selbst einen Exzess dar.

Das Resultat ist für Beteiligte und Beobachter gleichermaßen spürbar: Dem Ziel einer Regierungsbeteiligung wird der angemessene Streit um die besten politischen Ideen geopfert. Die Konfrontation und die Austragung der Konflikte wird verlagert. Erst nach den Wahlen wird nämlich traditionell Tacheles geredet. Nur blöd, dass dann eben schon gewählt wurde und die Bürger wieder fünf Jahre auf ihre Chance warten dürfen, ihre politischen Willen unabhängig von klaren Positionierungen der großen Parteien zu äußern.