Der Druck der Lobbys wächst, um den Steuersatz für Unternehmen deutlich zu senken. Doch es stehen Hunderte Millionen Euro pro Jahr auf dem Spiel. Die Koalitionäre stehen vor einem komplexen und gefährlichen Puzzlespiel. Eine Analyse.
Das Bankgeheimnis dürfe niemals aufgegeben werden, warnten 2013 die „Big Four“ während den Koalitionsverhandlungen und malten Schreckensszenarien an die Wand – kein Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit. Auch 2018 geht es wieder einmal um Steuern und den Fortbestand des Luxemburger Wirtschaftsmodells. Die Herausforderung diesmal: „Steuernischen, die Luxemburg in der Vergangenheit bis auf das Letzte ausgereizt hat, werden nun unmöglich“, sagte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) im Juni.
Die Nischen verschwinden, das heißt die Unternehmen werden künftig weniger von den Steuern abhalten können. Das Resultat: Firmen werden mehr an den Staat zahlen müssen. Der Grund sind neue internationale Regeln, die zum Zweck haben, dass große Konzerne sich nicht mehr an ihrer Steuerpflicht vorbei mogeln. Diese Maßnahmen sind bekannt unter den Kürzeln Atad, Beps und CCCTB, doch ihre Wirkung ist sehr ähnlich.
Das Problem: Im aktuellen System ist Luxemburg ein gigantischer Geldkanal, der die Gewinne von Konzernen dorthin verteilt, wo sie gerade benötigt werden – sei es zur optimalen Organisation oder zur minimalen Besteuerung. Die alles entscheidende Frage ist demnach, ob die Konzerne diesen Geldkanal und den Standort Luxemburg noch benötigen, wenn ihre Steuersparmodelle hinfällig werden. Das ist der Hintergrund einer erneuten Steuerreform, die nun auf der Agenda steht. „Wir müssen darauf achten, den Bogen nicht zu überspannen“, sagte UEL-Präsident Michel Wurth am Rande der Koalitionsverhandlungen.
Das wacklige Argument der „Attraktivität“
Große Länder wie etwa Frankreich oder die USA gehen aktuell ein Geschäft mit ihren Konzernen ein: Sie senken die Steuern und im Gegenzug akzeptieren die großen Unternehmen auch in diesen Ländern tatsächlich Steuern zu zahlen – was sie bisher möglichst vermieden.
In Luxemburg ist die Lage etwas anders. Die Handelskammer fordert in den laufenden Koalitionsverhandlungen eine Senkung des Steuersatzes von aktuell 26 auf 21 Prozent bis zum Ende der Legislaturperiode. Die DP hatte eine ähnliche Forderung in ihrem Wahlprogramm, genau wie die CSV. Das Argument: Nur wenn Luxemburg sich mit seinem Steuersatz anpasst, wird das Land weiterhin Unternehmen anziehen können oder zumindest überzeugen, hier zu bleiben. LSAP und Déi Gréng sahen bisher keinen Grund für eine weitere Senkung der Betriebssteuern.
Was bedeutet ein Steuersatz von 26 Prozent?
Es gibt nicht den einen Steuersatz, denn die oft genannten 26 Prozent bestehen aus drei unterschiedlichen Steuern. Der Hauptteil ist die sogenannte Körperschaftssteuer (impôt sur le revenu des collectivités), die seit diesem Jahr bei 18 Prozent liegt. Für kleine Unternehmen gilt 15 Prozent. Im Regelfall kommt der Beitrag zum „Fonds de l’emploi“ von aktuell 1,26 Prozent hinzu. Und schlussendlich die kommunale Gewerbesteuer, die zwischen 6,75 und 10,5 Prozent liegt – je nach Gemeinde. Gewohnheitsmässig wird der Steuersatz in Luxemburg-Stadt als Referenz genommen, also 18+1,26+6,75=26,01 Prozent.
Das Argument der Unternehmenslobby hakt an mehreren Stellen. Die Handelskammer nimmt etwa den mittleren Steuersatz in der EU als Maßstab. Doch damit vergleicht sie Luxemburg vor allem mit Ländern wie Bulgarien oder Ungarn, die mit 10 bzw. 10,8 Prozent besteuern. Und sie verschweigt, dass die direkten Nachbarländer deutlich über dem Luxemburger Niveau liegen.
Selbst die Niederlande, die zahlreiche internationale Konzerne beherbergen, haben mit 25 Prozent einen Satz, der nur leicht unter dem luxemburgischen liegt. Gegenbeispiele sind Irland und Großbritannien, die bei 12,5 bzw. 19 Prozent stehen. Die Ungewissheiten des Brexit lassen diese Länder aktuell als wenig attraktiv erscheinen.
Warnstufe Orange
Die Hälfte aller Einnahmen aus der Unternehmensbesteuerung stammte 2015 von Konzernen, die in Luxemburg vor allem aus steuerlichen Gründen sind. Das haben der französische Ökonom Gabriel Zucman und seine Kollegen berechnet. Es steht also für Luxemburg viel auf dem Spiel – eine knappe Milliarde Euro.
Selbst wenn der Steuersatz extrem gesenkt wird, dann löst das also noch nicht das Problem. Zehntausende Strukturen existieren in Luxemburg nur, weil sie helfen in anderen Ländern Steuern zu vermeiden. Verschwinden diese Möglichkeiten, dann endet die Daseinsberechtigung dieser Briefkastenfirmen. Sie zahlen außerdem häufig nur die minimale Vermögenssteuer von 4.815 Euro pro Jahr. Da ist der Steuersatz für Unternehmen kaum relevant.
Erste Anzeichen deuten auf das Verschwinden von Briefkastenfirmen hin, zeigen Angaben der Statistikbehörde Statec. Die Zahl der Beteiligungsgesellschaften – bekannt unter der Abkürzung Soparfi – stieg seit 2011 stetig, doch zwischen Januar 2017 und März 2018 gab es erstmals wieder einen Rückgang um 1.000 Einheiten auf 45.231.
Das hat auch Auswirkungen auf die Luxemburger Außenhandelsstatistiken. Im ersten Halbjahr 2018 zeigte die Zahlungsbilanz ein deutliches Minus der Direktinvestitionen, weil eine „kleine Zahl“ von Soparfi Luxemburg verlassen habe, meldete das Statec.
Eine Ursache für die Veränderungen könnte die US-Steuerreform sein, die am 1. Januar in Kraft trat. Der Steuersatz sank von 35 auf 21 Prozent und die im Ausland geparkten Gewinne können US-Konzerne zu günstigen Bedingungen rückführen.
Und das tun sie in beachtlichem Ausmaß: Von den Bermudainseln flossen 100 Milliarden US-Dollar zurück, auch die Niederlande und die Schweiz verzeichneten deutliche Rückgänge. Allerdings bildet hier Luxemburg die Ausnahme mit stabilem investierten US-Kapital, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hervorhebt. Und das obwohl Luxemburg zu den wichtigsten europäischen Standorten für US-Unternehmen zählt.
Die unmögliche Kostenfrage
Die entscheidende Frage ist, ob die von den Verbänden gewollte Reform finanzierbar ist. Im Wahlkampf kritisierten sowohl der grüne Spitzenmann François Bausch als auch der LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider die Pläne der CSV, den Steuersatz auf 21 Prozent zu senken. Sie schätzen den Einnahmeverlust auf zwischen 500 und 600 Millionen Euro – pro Jahr. Die Arbeitnehmerkammer kam auf einen Betrag von 620 Millionen Euro, auch wenn das eine Rechnung „Pi mal Daumen“ sei, wie es auf Nachfrage heißt.
Diese Berechnungen geben nur grob eine Richtung vor. Denn sie gehen davon aus, dass die Unternehmen auch tatsächlich den vollen Steuersatz auf ihrem Gewinn zahlen müssen. Das ist aber nicht der Fall, aufgrund vielfältiger Abzugsmöglichkeiten, die den besteuerbaren Gewinn schrumpfen lassen.
Das EU-Statistikamt berechnet einen theoretischen Prozentsatz, der die tatsächliche Steuerlast abbilden soll. Dieser lag 2017 für Luxemburg bei 23,5 Prozent, also deutlich unter den zu diesem Zeitpunkt gültigen 27 Prozent. Das gilt allerdings nur für Firmen außerhalb des Finanzsektors. Banken zahlen einen effektiven Steuersatz von 15,5 Prozent, viele andere wie etwa Fondsverwalter oder Beteiligungsgesellschaften liegen noch deutlich tiefer. In der Theorie könnte die künftige Regierung den Steuersatz in Richtung der 23,5 Prozent senken, die Nischen schließen und trotzdem die Einnahmen stabil halten.
Das Zusammenspiel von Steuersatz und Bemessungsgrundlage
In der Steuerpolitik gibt es zwei wichtige Stellschrauben: den Steuersatz und auf was dieser angewendet wird. Grundsätzlich werden die Gewinne von Unternehmen besteuert. Allerdings lässt der Staat zu, dass die Firmen gewisse Summen wie etwa Zinsen oder frühere Verluste von diesem Gewinn abziehen.
Nehmen wir das (theoretische) Beispiel eines Unternehmens, das 200 Millionen Euro Gewinn verzeichnet. Nach den Abzügen bleibt ein besteuerbarer Gewinn von 100 Millionen – die Bemessungsgrundlage oder base imposable. Darauf muss es nach aktuellem Stand 26 Prozent Steuern zahlen – in diesem Fall also 26 Millionen Euro – 26 von Hundert.
In einem System, nachdem die neuen internationalen Regeln greifen, gibt es weniger bis keine Möglichkeiten, Summen von den Steuern abzuhalten. Die Folge: Das Unternehmen wird auf den vollen 200 Millionen Euro besteuert. Inzwischen hat die Regierung den Steuersatz auf 13 Prozent gesenkt. Da die Bemessungslage jedoch doppelt so breit ist, erhält der Staat weiterhin 26 Millionen Euro an Steuereinnahmen.
Problematisch sind diese Berechnungen, weil sie vom Ist-Zustand ausgehen und nur die Veränderung des Steuersatzes beachten. Das ergibt aber mit Sicherheit ein falsches Bild, da die Regeln sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern und zahlreiche Gesellschaften sich neu aufstellen werden – entweder mehr Aktivitäten in Luxemburg ansiedeln oder das Land verlassen.
Die Handelskammer fordert, dass das Finanzministerium eine Arbeitsgruppe zusammenstellt, die die Auswirkungen genauer berechnen könnte. Allerdings sollen bereits in den nächsten Wochen neue Informationen vorliegen. Die Steuerverwaltungen haben Daten gesammelt und an den Wirtschafts- und Sozialrat weitergereicht, bestätigt das Finanzministerium auf Nachfrage hin. Dieses Gremium soll bis Ende November einen Bericht zur Steuerlandschaft vorlegen – als Update einer Studie von 2015. Das ist aus Kreisen der Sozialpartner zu erfahren. Von diesem Bericht ist zumindest eine aktuelle Bestandsaufnahme zu erwarten.
Lange Wunschliste der Unternehmerverbände
Die Wirtschaftsvertreter argumentieren anders. Die neuen internationalen Steuerregeln zeigen bereits ihre Wirkung, erklärte Handelskammer-Präsident Michel Wurth. Zwischen 2013 und 2017 hätten die Unternehmen 41 Prozent mehr Steuern gezahlt. „Dieses Jahr sprudelten die Einnahmen aus den Betriebssteuern besonders“, so Wurth. In den ersten neun Monaten des Jahres verzeichnete der Statec ein Plus von 1,8 Prozent bei den Unternehmenssteuern und von 28 Prozent bei der Vermögenssteuer. Die Unternehmensvertreter forderten beim Treffen mit den Delegationen von DP, LSAP und Déi Gréng am Donnerstag eine Senkung des Steuersatzes in Richtung 21 Prozent.
Ein Senkung würde in dieser Argumentationslinie lediglich die Mehreinnahmen ausgleichen. Immer wieder betonen Steuerexperten, dass es nicht darum gehe, dass die Unternehmen weniger Steuern zahlen, sondern den Wegfall der Nischen auszugleichen. Es brauche eine „Roadmap“, damit die Unternehmen wissen, wie sich die Besteuerung in den nächsten Jahren entwickelt – um zu entscheiden, ob sie bleiben oder gehen.
2019 und 2020 treten wichtige neue Regeln in Kraft – jene aus den beiden EU-Richtlinien gegen Steuervermeidung – kurz Atad 1 und 2. Die Steuerlast mancher Luxemburger Konzerntöchter könnte deutlich ansteigen, sagen Experten.
Den Steuersatz zu reduzieren, ist in den Augen der Handelskammer nur ein erster Schritt. Um die ausländischen Unternehmen zu halten, fordern die Handelskammer und der Verband UEL zusätzliche, weitgehende Steuersenkungen: Die Vermögenssteuer, die Gewerbesteuer und die Quellensteuer auf Dividenden und Gewinnausschüttungen sollen mittelfristig abgeschafft werden. Dabei geht es um empfindliche Summen, denn die drei Steuern erzeugten 2016 insgesamt knapp 1,6 Milliarden Euro an Einnahmen.
Nur den Steuersatz senken reicht nicht
Will die nächste Regierung eine Steuerreform durchführen, dann kann sie allerdings nicht nur an einer Stellschraube drehen. Die berühmten 26,01 Prozent zahlen nur Unternehmen, die in Luxemburg-Stadt und mehreren Gemeinden im Speckgürtel um die Hauptstadt. Etwa in Rümelingen oder Kehlen sind es 29,76 Prozent. Diese doch deutlichen Unterschiede zeigen, dass die Gewerbesteuer eine nicht zu unterschätzende Rolle im Gesamtgefüge spielt.
Ohne Senkung der Gewerbesteuer sei es demnach unmöglich, einen Gesamtsteuersatz von 21 Prozent zu erreichen, sagte Finanzminister Pierre Gramegna bereits im Juni 2017. Tatsächlich müsste die Körperschaftssteuer auf 13,33 Prozent sinken, damit insgesamt 21 Prozent herauskommen, wie die Arbeitnehmerkammer vorrechnete.
Gramegna erwartete, dass die Gemeinden infolge der Reform der kommunalen Finanzen, ihre Gewerbesteuer senken würden. Für das laufende Jahr ist das nicht passiert; die 2017 neu gewählten Gemeinderäte ließen die Sätze unangetastet. Eine oft genannte Lösung wäre, die in Luxemburg lächerlich geringe Grundsteuer zu erhöhen und so einen Ausfall bei der Gewerbesteuer gegenzufinanzieren.
Damit würde sich die Steuerlast allerdings weiter in Richtung Bürger verlagern. Und die Grundsteuer zu reformieren, ist eine schwierige und langwierige Angelegenheit. So langwierig, dass die Dreierkoalition das Vorhaben in ihrer ersten Amtszeit verschob, um die Steuerreform von 2017 nicht zu verzögern. Einfach wird es auch diesmal nicht.