Laut Medienberichten will Blau-Rot-Grün Tickets in Bus und Bahn abschaffen. Um diese Maßnahme zu finanzieren, soll den Beschäftigten eine geringere Kilometerpauschale auf ihrem Gehalt angerechnet werden. Diese Steuererhöhung wäre aber ungerecht und wenig wirksam. Eine Analyse.
Die Berichte von „RTL“ und „Radio 100,7“ sind übereinstimmend. In den Koalitionsverhandlungen haben sich DP, LSAP und Déi Gréng auf den Kompromiss geeinigt, den gratis öffentlichen Transport einzuführen. Um den Verlust an Einnahmen durch das Abschaffen von Tickets und Abos aufzufangen, soll die Kilometerpauschale sinken.
Um was geht es? Die „frais de déplacement“ werden auf der Entfernung zwischen Wohnsitz und dem Arbeitsplatz jedes Beschäftigten berechnet. Dieser Steuervorteil (mit dem Kürzel „FD“ auf Steuerkarte und Lohnzettel) wird vom Bruttogehalt abgehalten, so dass darauf keine Steuern anfallen. Die Pauschale liegt bei 99 Euro pro Kilometer, das Maximum beträgt 2.574 Euro pro Jahr, sprich 26 Kilometer. Die ersten vier Kilometer gelten nicht.
Pauschale müsste drastisch gekürzt werden
Noch müssten die Koalitionspartner die Details ausrechnen, heißt es von Radio 100,7. Allerdings zeigen öffentlich verfügbare Zahlen, dass die Rechnung nicht so einfach aufgehen wird. Klar ist: Muss der Fahrgast in Bus und Bahn keine Fahrkarte kaufen, dann fehlt logischerweise Geld, um den öffentlichen Transport zu betreiben. Der Staat müsste die fehlenden Einnahmen ausgleichen. Das sei aber keine Riesensummen, schrieb die DP in ihrem Wahlprogramm: „Der Verkauf von Fahrkarten und Abonnements deckt derzeit nur einen geringen Teil des Kostenpunkts, nämlich rund 30 Millionen Euro.“
Das Problem: Diese Zahl ist falsch. Eine Studie im Auftrag des Nachhaltigkeitsministeriums gibt Einnahmen von insgesamt 66,1 Millionen Euro aus dem Ticketverkauf für 2016 an – 30,4 Millionen im Busnetz und 35,7 Millionen im Schienennetz. Es geht demnach um mehr als die doppelte Summe. Man kann davon ausgehen, dass die Zahlen stimmen, denn die sogenannte „Transportrechnung“ kostete 500.000 Euro.
Wie sieht es auf der Seite der Kilometerpauschale aus? Dieser Steuervorteil kostete den Staat 2016 105 Millionen Euro, laut den Zahlen des Wirtschafts- und Sozialrats. Sinkt die Pauschale, dann zahlen die Beschäftigen mehr Steuern, weil ihr besteuerbares Einkommen steigt. Konkret: Wollte die Koalition die Kosten des gratis öffentlichen Transport komplett über die Kilometerpauschale finanzieren, dann müsste diese um knapp zwei Drittel gekürzt werden. Selbst mit der – falschen – Zahl von 30 Millionen wäre es noch immer eine Steuererhöhung um ein Drittel.
Die Grenzgänger zahlen die Zeche
Ein weiterer Fakt ist entscheidend in der Bewertung. Nicht nur Einwohner in Differdingen, Grevenmacher oder im Norden wären stark betroffen. Auch die überwiegende Mehrheit der Grenzgänger kommt in den Genuss der maximalen Pauschale von 2.574 Euro, betont der Wirtschafts- und Sozialrat. Wird dieser Steuervorteil gekürzt, dann sind sie die ersten, die definitiv leiden. Als 2013 die Pauschale auf den ersten vier Kilometern abgeschafft wurden, protestierten die Gewerkschaften. Das sei ungerecht gegenüber den Grenzgängern. Damals ging es um knapp 400 Euro. Diesmal könnte es deutlich mehr sein.
Nun könnte man argumentieren, dass die Grenzgänger auf Zug und Bus umsteigen könnten. Allerdings ist etwa die Lage auf den Zuglinien aus Richtung Frankreich bereits heute katastrophal. Überfüllte Züge, regelmässige Verspätungen, mangelnde Investitionen sind Dauerprobleme. Und gratis wäre die Zugfahrt so oder so nur auf dem Luxemburger Teil der Strecke.
Die Regierung setzt auf Mitfahrgelegenheit, damit nicht jeder Grenzgänger allein im Auto ins Land kommt. Die Fondation Idea schlug vor, die Kilometerpauschale zu erhöhen, wenn eine Person auf den „covoiturage“ zurückgreift.
Vor allem ist aber bei den Koalitionsverhandlungen auffällig, dass andere Quellen, um den gratis öffentlichen Transport gegenzufinanzieren, offenbar außer Acht gelassen werden. Man denke etwa an die Autosteuer oder die Besteuerung von Diesel und Benzin. Sie hätten den offensichtlichen Nachteil, zuvorderst die Einwohner und damit die Wähler zu treffen.
Eine sozial ungerechte Maßnahme
Lediglich an der Stellschraube der Pauschale zu drehen, wäre nicht nur gegenüber den Grenzgängern ungerecht. Aktuell gilt die gleiche Pauschale unabhängig vom Gehalt. Sie hat deshalb eine deutlich höhere Bedeutung für Beschäftigte, die den Mindestlohn oder leicht mehr verdienen. Der gesetzliche Mindestlohn entspricht aktuell einem Bruttojahresgehalt von knapp 24.600 Euro. Die maximale Pauschale entspricht also knapp zehn Prozent des Mindestlohns.
Das ist ebenfalls von Bedeutung für die Erhöhung des Mindestlohns, die Blau-Rot-Grün diskutiert. Dies soll zum großen Teil über eine Anpassung der Steuertabelle geschehen. Eine Senkung der Pauschale müsste demnach zumindest für Mindestlohnempfänger wieder ausgeglichen werden. Damit wird der Einschnitt für mittlere Einkommen noch deutlicher ausfallen.
Problematisch ist die Idee einer niedrigeren Kilometerpauschale auch in Betracht der Wohnungskrise. Wer sich die hohen Preise im Zentrum des Landes nicht leisten könne, müsse in Kauf nehmen, etwa von Troisvierges aus zu pendeln, meinte Wohnungsbauminister Marc Hansen im März. „Auch in Brüssel leben nicht alle auf der Grand-Place, in Paris nicht alle unter dem Eiffelturm“, meinte der DP-Minister schnippisch.
Da aber die Jobs im Zentrum des Landes konzentriert sind, ist das Pendeln angesichts mangelnden Wohnraums kaum zu vermeiden. Das Argument von Déi Gréng, die Kilometerpauschale widerspreche den Zielen der Landesplanung, Wohnort und Arbeitsplatz näher aneinander zu bringen, greift zu kurz. Viele können sich weder aussuchen, wo sie arbeiten, noch wo sie sich eine Wohnung leisten können und schon gar nicht, ob der Ort an den öffentlichen Transport angebunden ist.
Ökologische Steuerreform?
Es ist klar, dass die Kilometerpauschale wenig dazu beiträgt, dass die Bürger ihre Gewohnheiten ändern. Fast drei Viertel der Menschen, die in Luxemburg arbeiten, nehmen das Auto zur Arbeit, ist das Ergebnis der „Luxmobil“-Studie. 2012 wollten Déi Gréng die Kilometerpauschale komplett abschaffen – bis auf Härtefälle. Der Grund: Sie fördere umweltschädliche Mobilität.
Als 2013 die ersten vier Kilometer aus der Berechnung der Pauschale herausgenommen wurde, hätte es in der Logik von Déi Gréng zur einer sinkenden Nutzung des Autos führen müssen. Belegt ist das nicht. Es ist also nicht selbstverständlich, dass Beschäftigte öfters mit Bus und Bahn fahren, wenn die Pauschale sinkt.
Anders ist es bei der steuerlichen Begünstigung von Dienstwagen, die den Staat 2016 laut „Transportrechnung“ 28 Millionen Euro kostete. 2017 gab es in Luxemburg knapp 85.000 Dienstautos, knapp ein Fünftel des gesamten Fuhrparks, laut einer Studie von KPMG. Anlässlich der Steuerreform von 2016 wurde die Begünstigung je nach Autotyp angepasst und so Elektroautos gefördert. Trotzdem bleibt die Maßnahme attraktiv. Sinkt die Pauschale, scheint es wahrscheinlich, dass Unternehmen auf Dienstautos zurückgreifen, um attraktiv vor allem für Grenzgänger zu bleiben.
Andere Wege, um auf die Autonutzung Einfluss zu nehmen, wäre die Abgaben auf Benzin und Diesel sowie die in Luxemburg sehr niedrige Autosteuer. Letztere brachte 2016 lediglich 67 Millionen Euro ein. Doch vor den Wahlen entschied Minister François Bausch, eine notwendige Anpassung der Autosteuer auf 2020 zu verschieben. Den Sprit über Steuern teurer zu machen, führt zur Diskussion über Tanktourismus – ein Punkt bei dem unter den Koalitionspartnern alles andere als Einigkeit herrscht.
Man könne die Spritpreise erst erhöhen, wenn die Infrastruktur für Alternativen wie Elektroautos und öffentlichen Transport stehe, sagte Claude Turmes (Déi Gréng) noch im März. Für die Kilometerpauschale gilt das offenbar nicht.
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