Ob Tram oder Nordstraße: Die Luxemburger streiten mit Vorliebe über Verkehrsprojekte. Nachhaltigkeitsminister François Bausch will eine objektivere Debatte mithilfe einer umfassenden Kosten-Nutzen-Analyse erreichen. Der Erfolg dieses neuen Ansatzes hängt aber von politischem Mut ab.

Nicht kleckern, sondern klotzen: Das war offenbar das Motto des Nachhaltigkeits- und Infrastrukturministeriums bei der Ausarbeitung der neuen Studie. Ihr Ziel ist zweigeteilt: Erstens geht es um die Transportrechnung, also wer welche Kosten im Verkehr verursacht und wer dafür zahlt. Zweitens erlaubt diese Kostenrechnung, Verkehrsprojekte wie etwa neue Straßen oder eine höhere Taktfrequenz bei einer Zuglinie anhand ihres Nutzens zu bewerten. Diese Methode wurde am Projekt einer „schnellen“ Straßenbahn zwischen der Hauptstadt und Esch erstmals getestet.

„Dieses Projekt schafft, wenn auch nicht die detaillierteste, so aber unseres Wissens nach weltweit die umfassendste Kosten-Nutzen-Analyse und Software“, hieß es ganz unbescheiden in der öffentlichen Ausschreibung vergangenen Sommer. Die Ausschreibung gewann das Schweizer Büro Ecoplan, das ähnliche Studien ebenfalls für die Schweizer Regierung durchführte. Luxemburger Partner waren die Verkehrsplaner von Komobile und die Beratungsunternehmen PRH und BDO.

Der Ehrgeiz des Vorhabens hat auch seinen Preis. Das Ministerium gab 500.000 Euro für die am vergangenen Donnerstag vorgestellte Studie aus, heißt es auf Nachfrage. In der Ausschreibung standen dagegen ein Richtwert von 375.000 Euro und ein Maximum von 420.000 Euro. Zum Vergleich: Die Rifkin-Studie kostete 425.000 Euro. Diese Summe sei aber gut investiert, weil die Ergebnisse helfen würden, die Ausgaben des Staates für Mobilität zielführender einzusetzen, betont das Ministerium. 2016 gab der Staat 972 Millionen Euro für Transport aus.

Bei der Vorstellung der 350-Seiten-Studie nannte Minister Bausch Debatten, die seiner Ansicht nach mit mehr Objektivität – sprich Fakten – geführt werden müssten. Dazu gehört der Preis des öffentlichen Transports für die Nutzer. Regelmäßig höre er von Bürgern, dass Bus und Bahn zu teuer seien. „Das ist absurd“, so Bausch. EU-weit seien die Tickets in Luxemburg am billigsten.

Kostenloser öffentlicher Transport würde 66 Millionen Euro kosten

„Der öffentliche Verkehr in der Schweiz wird weniger subventioniert, aber die Qualität ist wesentlich besser“, betonte Bausch. „Komplett falsch“ sei deshalb auch die Annahme, dass ein kostenloser öffentlicher Transport der Schlüssel sei, damit mehr Menschen sich für Bus und Bahn entscheiden.

Der grüne Minister und Ex-Eisenbahner stellt sich damit offen gegen die Gratis-Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, wie sie die DP, Déi Lénk und Piratepartei in ihren jeweiligen Wahlprogrammen fordern. Die Pläne der DP seien eine „populistische Forderung“, so Bausch gegenüber RTL.

Sein Argument: Was eine Fahrkarte kostet, sei nicht das Hauptproblem bei Bus und Bahn. Trotzdem steht auch im Programm der Grünen, dass man „mittelfristig“ den kostenfreien öffentlichen Transport „anvisieren“ wolle. Es scheint das perfekte Wahlversprechen zu sein: Bis auf die Gewerkschaften des Transportsektors hat niemand etwas dagegen und es ist eine vermeintlich billige Maßnahme.

60 Prozent der Fahrgäste werden auf 27 Linien befördert.“Modu 2.0

Doch die Parteien gehen von einem falschen Kostenpunkt aus: Sowohl DP-Spitzenkandidat Xavier Bettel als auch das Wahlprogramm von Déi Lénk schätzen, dass das Abschaffen der Tickets und Abos etwa 30 Millionen Euro kosten würde. Die Transportrechnung kommt dagegen auf mehr als die doppelte Summe: Die Studie gibt Einnahmen von insgesamt 66,1 Millionen Euro aus dem Ticketverkauf an – 30,4 Millionen im Busnetz und 35,7 Millionen im Schienennetz.

Wenig Fahrgäste in den Bussen und davon sind viele Schwarzfahrer

In der Studie werden ebenfalls die Einnahmen durch die Zahl der Fahrgäste geteilt. Und da stellt sich heraus, dass Luxemburg nicht weit vom „gratis“ Busfahren entfernt ist. Auffällig ist nämlich, dass die Einnahmen pro Fahrgast in den Bussen mit 0,35 Euro deutlich unter jenen der Züge von 1,59 Euro liegen. Der ganz prosaische Grund: Die äußert seltenen Kontrollen in Luxemburgs Bussen fördern das ohnehin weit verbreitete Schwarzfahren.

Ein Grund für die geringen Einnahmen des öffentlichen Transports sind neben dem Schwarzfahren die geringe Zahl an Passagieren. Laut den Zahlen der Studie transportiert ein Bus im Schnitt knapp neun Passagiere. Das Problem der leeren Überlandbusse des RGTR-Netzes wird auch in der „Modu 2.0“-Strategie angesprochen: „60 Prozent der Fahrgäste werden auf 27 Linien befördert.“ Insgesamt gibt es aber 342 Linien.

Diese Studie räumt mit dem Argument auf, dass die Autofahrer die Melkkühe der Nation sind.“Nachhaltigkeitsminister François Bausch

Tatsächlich zeigen die Zahlen der Studie, dass der Verkauf von Fahrkarten die Kosten im Busverkehr lediglich zu sechs Prozent deckt. Der Staat trägt zu 88 Prozent die Gesamtkosten des Busverkehrs. Im Zugverkehr machen die Einnahmen zehn Prozent der Kosten aus, der Staat zahlt 86 Prozent. Bausch führte die Schweiz als Gegenbeispiel auf: Dort beträgt die Kostendeckung durch Ticketverkäufe zwischen 42 und 43 Prozent.

Die Autofahrer oder die behüteten „Melkkühe der Nation“

Autofahrer klagen oft und gerne über Strafzettel durch Radare, das teuere Benzin oder die Autosteuer. Das dominante Gefühl: Wer Auto fährt, wird oft und kräftig zur Kasse gebeten. Doch die Frage ist, ob die Ausgaben für Benzin, Steuern, Versicherungen usw. die Kosten decken, die der Autoverkehr verursacht. Zu den Kosten gehören etwa das Bauen von Straßen, Aufenthalte im Krankenhaus nach Unfällen oder die Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung.

Die auf Fakten basierende Antwort lautet Nein: Die Verkehrsexperten kommen zum Schluss, dass die Allgemeinheit und der Staat jede Fahrt quasi zu einem Fünftel subventioniert. In der Schweiz ist es lediglich ein Zehntel. „Diese Zahl räumt mit dem Argument auf, dass die Autofahrer die Melkkühe der Nation sind“, meinte Bausch.

Doch er blieb im Ungefähren, welche Folgen aus dieser Feststellung zu ziehen sind. „Das muss man schauen“, so Bausch. Das Thema ist sensibel, denn es geht unweigerlich um Steuererhöhungen – sei es bei den Abgaben auf dem Treibstoff oder der Autosteuer. Der Grund: Steuern sind in diesem Fall Transfers von Autofahrern zum Staat. Damit das Sinn macht, ist es wichtig zwischen sogenannten internen und externen Kosten zu unterscheiden.

Dieselfahrer zahlen am wenigsten

Interne Ausgaben trägt der Autofahrer selbst: etwa Benzin, Reparaturen oder eben die Autosteuer. Externe Kosten betrifft alles, was der Autobesitzer nicht direkt zahlt: die Schäden der Luftverschmutzung, den Unterhalt der Straßen usw. Indem wir Steuern zahlen, übernehmen wir den Anteil an den Kosten, die wir verursachen, indem wir von A nach B fahren.

Doch der Anteil, den die Autofahrer übernehmen, ist sehr unterschiedlich. Jene, die einen Benziner fahren, bezahlen 86 Prozent der Kosten. Die Dieselfahrer tragen allerdings nur zu 77 Prozent bei. Deutlich wird der Unterschied vor allem bei der Umweltbelastung. Die Dieselautos verursachen 91,9 Millionen Euro an Klimakosten, die Benziner nur ein Drittel davon. Noch deutlicher ist der Unterschied bei den Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung: Hier verursachen die Dieselautos Schäden von 54 Millionen Euro, die Benziner nicht einmal ein Fünftel davon.

Natürlich verursachen die Dieselautos auch deshalb mehr Kosten, weil ihre Zahl deutlich höher ist im Vergleich zu den Benzinern. Allerdings sind so auch die Steuereinnahmen höher. Trotzdem bleibt am Ende ein Kostendeckungsgrad, der geringer ausfällt.

Autosteuer bringt 67 Millionen Euro ein

Insgesamt nahm der Staat 2016 219 Millionen Euro von den inländischen Verkehrsteilnehmern ein – Lastwagen inbegriffen. Die Einnahmen aus dem Tanktourismus von 570 Millionen Euro sind in dieser Summe herausgerechnet.

Diese Einnahmen reichen von Strafzetteln über Treibstoffabgaben bis zur Autosteuer. Die Autoren der Studien rechnen die Pendler-Pauschale (115 Millionen Euro) und Leasing-Abschreibung (28 Millionen) heraus. Auffällig ist, dass die Autosteuer mit 67 Millionen Euro sehr wenig Einnahmen hervorbringt.

Die jetzige Regierung sträubte sich, die Autosteuer anzupassen. Dabei ist klar, dass diese Steuer keinen Einfluss darauf hat, für welches Auto sich ein Bürger entscheidet. Dann bringt auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung wenig.

Eine Software zum Entscheiden

Die Studie beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Transportrechnung und die Frage, wer wieviel zahlt oder zahlen müsste. Es geht auch um die Bewertung von Infrastrukturprojekten. Dazu dient die Berechnung der Kosten, etwa wie viel es kostet, wenn eine Person einen Kilometer in einem Dieselauto zurücklegt.

Diese Kosten helfen den Nutzen einer Straße zu berechnen: Wie können möglichst viele Personen möglichst effizient von A nach B kommen? Wie kann eine Umgehungsstraße etwa die Gesundheitsschäden durch Lärm und Luftverschmutzung senken?

Die Kosten-Nutzen-Analyse gibt lediglich ein objektives Resultat. Natürlich muss politisch entschieden werden, wie es zu deuten ist“François Bausch

All diese Parameter werden von einer Software zusammengefasst und miteinander verrechnet. Das Programm Mobimpact fasst die Ergebnisse für die Entscheider in einer übersichtlichen Tabelle zusammen. Quasi auf einen Blick sieht der Minister, welches Projekt sich lohnt.

Die Frage nach Infrastruktur in ländlichen Gegenden

Das Problem: Ein Kilometer Straße kostet im ganzen Land in etwa das Gleiche. Doch der Nutzen hängt wesentlich damit zusammen, wie viele Menschen die Straße nutzen würden und in der Umgebung wohnen. In einer ländlichen Gegend mit einer geringeren Bevölkerungsdichte wird es demnach schwierig.

Der Hauptautor der Studie, Christoph Lieb, meinte zu dieser Frage knapp: Es sei klar, dass man keine Autobahn für eine Villa baue. Der Nachhaltigkeitsminister war etwas diplomatischer: „Die Kosten-Nutzen-Analyse gibt lediglich ein objektives Resultat. Natürlich muss politisch entschieden werden, wie es zu deuten ist“, so Bausch.

Auch wenn in einem Ort nur 20 Menschen wohnen, dann sei eine Anbindung vielleicht nicht rentabel, aber das sei dann auch nicht der Punkt. Das Tool sei dann nützlich, um zu entscheiden, welches Verkehrsmittel noch am meisten Sinn mache, betonte der Minister.

Die politische Sprengkraft von Kosten-Nutzen-Argumenten

Die Frage ist allerdings, ob sich die Politiker gegen ein negatives Resultat der Software stellen werden. Die Objektivität, die Bausch sich wünscht durch diese neue „Werkzeugkiste“, hat letztlich eine eigene Überzeugungsmacht. Es ist wie bei Umfrageergebnissen: Man weiß, dass sie im besten Fall einen Teil der Realität abbilden. Trotzdem gelten deren Ergebnisse für viele Menschen quasi als Fakten.

Vor allem heißt es auch in der Studie, dass die Grundversorgung an Straßeninfrastruktur überall in Luxemburg garantiert sei. Was diese Grundversorgung bedeutet, ist wohl Interpretationssache. Im Modu 2.0 wird etwa lang und breit argumentiert, warum ein Ausbau der N7 zur Autobahn nicht sinnvoll sei.

Allein auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu verweisen, kommt bei der Bevölkerung allerdings selten gut an. Die hitzige Debatte über die Schließung von Postfilialen zeigte, wie sensibel die Bürger in ländlichen Gegenden gegenüber solchen Argumenten sind. Fakten sollen zwar die Grundlage von politischen Entscheidungen sein, ersetzen können sie diese allerdings nicht.