Der Verteidigungsetat des Staates wächst beständig. Ein Großteil des Geldes fließt an Unternehmen im Ausland. Dabei sollen laut Koalitionsvertrag auch heimische Firmen von den Verteidigungsausgaben profitieren. Die nationale Rüstungsindustrie befindet sich bereits im Aufbau.
Noch nie hat Luxemburg mehr für Verteidigung ausgegeben als dieses Jahr: 0,57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließen in die Verteidigung. Das entspricht laut neuesten Zahlen der NATO etwa 389 Millionen Euro. Und die Ausgaben sollen weiter steigen. Auf bis zu 550 Millionen Euro im Jahr 2024, so ein internes Planungsdokument der Regierung aus dem Jahr 2019.
Zum Vergleich: Das Budget 2021 sieht für den « Fonds spécial de soutien au développement du logement » eine Finanzierung in Höhe von 173 Millionen Euro vor. Bis zum Jahr 2024 soll diese auf 216 Millionen Euro steigen. Damit müssen alle Sozialwohnungsprojekte in Luxemburg finanziert werden.
Der Grund für die steigenden Kosten im Verteidigungsetat: Nur so kann Luxemburg seine Verpflichtungen gegenüber der NATO erfüllen. Diese sehen vor, dass die Bündnisländer langfristig zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aufwenden. Aufgrund des hohen BIP und der kleinen Truppe ist dieses Ziel für Luxemburg nur schwer zu erreichen. Der Kompromiss der Regierung: Den Fokus auf die zweite Zielvorgabe der NATO legen. Diese sieht vor, dass die Bündnispartner jährlich mindestens 20 Prozent ihres Etats in Material investieren. Und dieses Ziel erreicht Luxemburg mühelos. 2020 gingen laut NATO 52,7 Prozent der Ausgaben auf Materialkäufe zurück.
Nationale Strategie in den Kinderschuhen
Diese Vorgehensweise stellt Luxemburg vor ein Problem, das Länder wie Deutschland und Frankreich nicht kennen. Denn Ausgaben für Militärausrüstung fließen in unseren Nachbarländern oft in die eigene Wirtschaft. Anders als das Großherzogtum verfügen sie nämlich über eine Rüstungsindustrie. Und auch wenn Teile der Bevölkerung dieser kritisch gegenüberstehen, bleibt das Geld der Aufträge dennoch im Land und schafft Arbeitsplätze. Luxemburg hingegen finanziert durch Großaufträge, wie den Kauf des Truppentransporters A400M oder die Erneuerung der Dingo- und Hummerflotte, größtenteils die ausländische Rüstungsindustrie. Ohne dass dadurch Umsatz für die heimische Wirtschaft entsteht.
Es ist ein Problem, dessen sich die Regierung durchaus bewusst ist. So hält der Koalitionsvertrag von 2018 im Kapitel zur Verteidigung fest: « Der Zugang von kleinen und mittleren Betrieben zu Ausschreibungen im Bereich der Verteidigung wird priorisiert, und die Verteidigungspolitik gewährleistet die notwendige Einbindung der nationalen Unternehmen, die aufgrund ihres technologischen Know-hows, ihrer Forschung und Entwicklung über alle Stärken verfügen, die europäische Kapazitätenentwicklung zu unterstützen. »
Ich finde auch nicht, dass das Ziel sein soll, große Rüstungskonzerne in Luxemburg anzusiedeln. Dennoch braucht auch ein kleiner Sektor eine verteidigungspolitische Strategie. »Andy Bowyer, CEO von Kleos
Und auch die 2017 noch unter der Regie des damaligen Verteidigungsministers Etienne Schneider (LSAP) verfassten « Lignes directrices de la défense luxembourgeoise » fordern die stärkere Einbindung der heimischen Wirtschaft in der Verteidigungspolitik. Dort heißt es zu den Zielen: « Promouvoir et fédérer les compétences nationales en vue de développer une base industrielle et technologique compétitive apte à contribuer aux besoins capacitaires dans le cadre de l’OTAN et de l’Union européenne. »
Für Luxemburg besonders interessant dürfte dabei der Bereich der Satelliten-Technologie und der Materialentwicklung sein. Denn dort gibt es im Großherzogtum bereits Firmen, die international tätig und im Verteidigungsbereich aktiv sind. Wenngleich Vertreter aus der Verteidigungsindustrie gerne betonen, dass die von ihnen entwickelten Produkte oft eine « Dual-Use »-Verwendung haben, also sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können.
Big Player aus Little Luxembourg
Ein Beispiel ist die Firma « Euro-Composites S.A. » mit Sitz in Echternach. Der Hersteller von Verbundstoffen und patentieren Honigwaben-Strukturen aus Kevlar beliefert die Zug- und Luftfahrtindustrie, Satellitenhersteller aber auch die Verteidigungsindustrie. Jahresumsatz 2019: 108 Millionen Euro.Laut aktueller Firmenpräsentationen baut der Konzern gerade an einer eigenen Produktionshalle für die Verteidigungsproduktion in Echternach.
Zu Projekten, an denen Euro-Composites beteiligt ist, zählen der US-amerikanische Kampfjet F-35, der europäische Eurofighter und der Truppentransporter A400M. Zudem beliefert die Firma den Rüstungskonzern « General Dynamics Europe Land Systems » (GDELS) mit Explosionsschutzbeplankung für Fahrzeuge. Jene Firma, bei der die luxemburgische Armee jüngst vier Militärkrankenwagen für 15 Millionen Euro geordert hat.
Doch darüber, ob das Luxemburger Verteidigungsministerium sich aktiv bemüht, das Unternehmen in der Praxis zu unterstützen, schweigt sich Euro-Composites auf Nachfrage aus. Da derzeit Audits und Qualifikationen durch Großkunden durchgeführt würden, verweist Euro-Composites auf den Herbst, ehe man sich öffentlich zur Entwicklung am Standort Luxemburg äußern wolle, so ein Vorstandsmitglied auf Nachfrage von Reporter.lu. Laut Firmenpräsentation wurde der Verbundstoffhersteller bereits 2019 von der Luxemburger Regierung als NATO-Zulieferer zertifiziert.
Auf die Kooperation mit Firmen angesprochen, erklärt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums: « Gemeinsam mit Luxinnovation ermutigt das Verteidigungsministerium Firmen, sich an multinationalen, europäischen Rüstungsprojekten zu beteiligen. » So informiere das Ministerium Betriebe über anstehende Ausschreibungen und stelle Kontakte zwischen Firmen und Forschern her, erläutert der Sprecher die Vorgehensweise. Konkret zur Zusammenarbeit mit der Firma Euro-Composites äußert sich das Ministerium nicht und erklärt nur: « Firmen, die sich in Luxemburg als NATO-Zulieferer zertifizieren lassen wollen, können beim Verteidigungsministerium über ein Formular einen Antrag zur NATO-Zertifizierung stellen. »
Strategie für eine kleine Industrie
Auskunftsfreudiger ist Andy Bowyer. Der Engländer ist CEO des Satelliten-Start-ups « Kleos S.A.« . Das Unternehmen hat sich auf maritime Ortung durch Radiofrequenzen spezialisiert. Im Gespräch mit Reporter.lu erklärt der Geschäftsführer, wie das in der Praxis funktioniert: « Man muss sich das vorstellen wie ein umgekehrtes GPS-System. Durch vier geostationäre Satelliten können Radiofrequenzen im Meer abgefangen und geortet werden. »
Im Abgleich mit anderen Daten, etwa offiziellen Radar-Positionen von Handelsschiffen, können nicht-registrierte Schiffe so geortet werden. « Denkbare Applikationen sind der Kampf gegen illegale Fischerei, aber auch die Bekämpfung von Piraterie und Drogenhandel », erklärt Andy Bowyer die Anwendungsgebiete der Daten, die mit den etwa Schuhkarton-großen Satelliten des Luxemburger Start-up-Unternehmens erhoben werden.
Kleos gehört zu den Firmen, die die Regierung im Rahmen der « Space Resources »-Initiative unterstützt. Beim Start des Kleos-Satelliten im November sagte der Verteidigungsminister François Bausch (Déi Gréng): « Es ist für mich von herausragender Bedeutung, dass alle unsere Bemühungen dazu dienen, die Welt aber auch das All friedlich zu halten. Die Aktivitäten von Kleos in Luxemburg passen perfekt zu diesen Zielen. »
Auf die Unterstützung durch Aufträge des Verteidigungsministeriums angesprochen, erklärt Andy Bowyer: « Die Kooperation mit dem Verteidigungsministerium und dem Wirtschaftsministerium war eher informell, wenn auch sehr hilfreich. Ich würde sie als Türöffner bezeichnen. » Die Idee der konkreten Förderung von nationalen Rüstungsprojekten begrüßt Andy Bowyer: « Luxemburg hat einen sehr kleinen Verteidigungssektor. Und ich finde auch nicht, dass das Ziel sein soll, große Rüstungskonzerne in Luxemburg anzusiedeln. Dennoch braucht auch ein kleiner Sektor eine verteidigungspolitische Strategie. »
Punktuelle Kooperation vor Struktur
Doch eine eigene Agentur für Verteidigungsindustrie, wie sie andere EU-Staaten, beispielsweise Estland, betreiben, gibt es in Luxemburg nicht. Und auch die staatliche Agentur « Luxinnovation » betreut bisher kein eigenes « Defence-Cluster ». Zudem läuft auch die Materialbeschaffung für die Armee nicht über eine eigene Agentur, sondern über die NATO Support and Procurement Agency (NSPA) mit Sitz in Capellen.
Auf Nachfrage erklärt Luxinnovation, dass es aktuell keine Pläne gäbe ein « Defence-Cluster » zu schaffen. Was aber nicht heiße, dass Luxinnovation nicht in diesem Bereich tätig wäre, so die Agentur. « Luxinnovation hat erst Anfang Juni den « European Defence Fund Luxembourg Info Day » mit 80 teilnehmenden Firmen und Forschungsinstituten veranstaltet. Die Veranstaltung hatte zum Ziel, heimische Akteure im Verteidigungsbereich über europäische Finanzierungsmöglichkeiten zu informieren », erklärt Luxinnovation schriftlich. Zudem habe man dieses Jahr bereits Treffen zwischen Luxemburger Firmen und Verteidigungsagenturen aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich organisiert.
Die in den « Lignes Directrices » zur Verteidigungspolitik angedachte « Agence Nationale de développement capacitaire » hat man beim Verteidigungsministerium hingegen bereits wieder verworfen. Durch interne Reorganisation und eine personelle Aufstockung sei eine eigene Agentur überflüssig geworden, so das Ministerium auf Nachfrage.
Somit beschränkt sich die Einbindung nationaler Unternehmen bei Rüstungsprojekten bis jetzt vorwiegend auf direkte Kooperation. Wie etwa beim Joint Venture GovSat, dem Aufklärungssatelliten, den der Staat seit 2018 gemeinsam mit der Satellitengesellschaft SES betreibt. Über ein eigenes Gesetz aus dem Jahr 2014 beteiligt sich der Staat mit insgesamt 150 Millionen Euro an dem Projekt. Der Satellit soll anderen Ländern und institutionellen Kunden sichere Satelliten-Kapazität zur Verfügung stellen. Dies in erster Linie für die NATO-Partner.
Vereinigtes Königreich nutzt GovSat-Kapazitäten
Unter anderem die belgische Marine nutzt Kapazitäten des Satelliten, auch wenn sie nicht zum festen Kundenkreis gehört. Die Gewinnung von Neukunden verlief nach dem Start des Satelliten in den Orbit derweil schleppend. So bestätigte Verwaltungsratsmitglied Philippe Glesener 2018 gegenüber dem Radio 100,7, dass GovSat mit dem Luxemburger Staat lediglich über einen festen Kunden verfüge.
Zwei Jahre später ist GovSat weiterhin auf der Suche nach Neukunden. Auf Nachfrage von Reporter.lu erklärt GovSat, dass neben Belgien auch das Vereinigte Königreich mittlerweile zum Nutzerkreis zähle. Über die genaue Auslastung schweigt man sich jedoch aus. Jedoch habe die Corona-Pandemie Hürden für eine zeitnahe Entwicklung des Projekts mit sich gebracht, erklärt eine Sprecherin des Unternehmens.
Einen ersten Schritt in Richtung Kundengewinnung dürfte GovSat im September gehen. Dann findet mit der « Defence and Security Equipment International » in London eine der größten Rüstungsmessen der Welt statt. Und auch das staatliche Joint Venture ist mit einem Stand auf der Messe vertreten. Damit hat die Verteidigung « made in Luxembourg » ihren Platz gesichert.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde um die gemeinsame Antwort des Verteidigungsministeriums und Luxinnovation ergänzt. Diese lag bis Redaktionsschluss nicht vor.
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