Die Daten zum Infektionsgeschehen in der Schule stimmen kaum noch mit den Aussagen des Bildungsministeriums überein. Minister Claude Meisch neigt dazu, die Lage schönzureden. Damit verliert das Ministerium nicht nur Zeit, sondern auch an Glaubwürdigkeit. Ein Kommentar.
Am 28. Juni 2020 sagte Claude Meisch (DP) im Interview mit „RTL Radio“ einen Satz, den er wohl bis heute bereut. „In der Regel steckt man sich nicht in der Schule an“, sagte der Bildungsminister kurz vor dem Ende eines besonderen Schuljahrs. Noch Monate später hallte die Aussage nach, als immer mehr Fälle von Infektionsclustern in Schulen bekannt wurden.
Seit Beginn der Corona-Krise versuchte das Bildungsministerium die Rolle der Schule in dieser Pandemie herunterzuspielen, um den Präsenzunterricht so lange wie möglich stattfinden zu lassen. Das Ziel – möglichst viel Normalität im Unterricht – ist dabei löblich. Doch die Kommunikation war oft widersprüchlich. Und die Vorgehensweise des Ministeriums passte selten zur harten Wirklichkeit der Pandemieentwicklung in der ganzen Gesellschaft – und damit auch in den Schulen.
Mehr oder weniger wissenschaftlich
Seit Beginn der Pandemie steht die Schule im Verdacht, Infektionstreiber zu sein. Die neue britische Variante hat diesen Verdacht nun noch weiter bestärkt. Die Daten sind jedoch wie so oft widersprüchlich. Im August stellte das Ministerium deshalb einen ersten Bericht über das Infektionsgeschehen in Luxemburgs Schulen vor. Der Bericht „L’école face à la COVID-19 au Luxembourg“ sollte Entwarnung geben. „Statistisch benötigt man also vier Infizierte, um eine weitere Person anzustecken“, sagte Claude Meisch bei der Vorstellung im vergangenen Sommer.
Mitte Oktober veröffentlichte das Ministerium auch erstmals wöchentliche Zahlen über die Infektionen in der Schule. Einen Monat später folgte der zweite Bericht. Das Ministerium stellte fest, dass die Infektionen in der Schule dem generellen Geschehen in der Bevölkerung folgen. Der Bericht erwies sich allerdings als wissenschaftlich fragwürdig. Grafische Aufarbeitungen waren zum Teil irreführend. Das Ministerium wollte nun in seinem dritten Bericht nachbessern.
Doch auch das neueste Dokument lässt zu wünschen übrig. „Wenn diese neuen Varianten erst in den Schulen sind, dann kann das Infektionsgeschehen schnell an Fahrt aufnehmen“, sagte Romain Nehs auf einer Pressekonferenz am Donnerstag. Am Beispiel von Schifflange zeigte der hohe Beamte aus dem Bildungsministerium auf, wie die Fallzahlen parallel mit den Infektionen in der lokalen Bevölkerung angestiegen sind. „Das Infektionsgeschehen in den Schulen ist immer nur ein Spiegelbild von dem, was in der Gesellschaft passiert“, so Romain Nehs.
Faktenferne politische Analyse
Was wie eine Banalität klingt – und ganz nebenbei dem berühmt-berüchtigten Satz seines Ministers „In der Regel steckt man sich nicht in der Schule an“ widerspricht – ist letztlich mehr als das. Die Analyse des Ministeriums von vergangener Woche zeigt nämlich auch, dass seit dem 25. Januar die Inzidenz bei den Schülern höher ist als in der Gesamtbevölkerung.
Beim Lehrpersonal ist das Ergebnis durchwachsen, bis zur letzten Januar Woche waren unterdurchschnittlich viele Lehrer betroffen. Mit dem Auftreten der Cluster in den Grundschulen folgte die Inzidenz danach bis zum 15. Februar dem Infektionsgeschehen bei den Schülern, um anschließend wieder abzunehmen. Der neueste Bericht widerspricht somit den Aussagen des hohen Beamten – und natürlich auch wieder der besagten Aussage von Claude Meisch vom vergangenen Juni.
Es ist eine durchaus neue Entwicklung, denn zuvor waren die verschiedenen Inzidenzgrade tatsächlich vergleichbar. Das Ministerium versucht indes das Problem zu relativieren. „Auf der einen Seite sehen wir, dass wir vorsichtig bleiben müssen, weil die britische Variante sich schnell ausbreitet – auch in der Schule. Auf der anderen Seite sehen wir, dass wir die Zahlen trotzdem stabilisieren konnten und wir die Situation doch gut im Griff hatten“, sagte Claude Meisch während der Pressekonferenz am Donnerstag. Sprich, es mussten kaum Klassen oder gesamte Schulen in Quarantäne gesetzt werden.
Der Minister beruft sich auf die geringe Zahl von Infektionsketten, die in den Schulen nachgewiesen werden konnten. Doch auch hier sind Zweifel angebracht. Infektionen, die im schulischen Umfeld, etwa beim Schülertransport stattfinden, können zu mehreren Einzelfällen führen, die nicht zurückverfolgt werden. Eigentlich hätte durch die Sequenzierung des Virus auch geklärt werden können, wie genau es sich in den Schulen ausgebreitet hat. Obwohl bereits mehrere Proben sequenziert wurden, um die Verbreitung der Varianten nachzuverfolgen, wurde die Chance vertan, Infektionen über diese Methode zurückzuverfolgen.
Maskenpflicht zeigt Wirkung
Demnach darf die Frage erlaubt sein, inwiefern sich nicht auch die eigenartige Auslegung der wissenschaftlichen Faktenlage durch das Bildungsministerium auf das Infektionsgeschehen ausgewirkt hat. Bestes Beispiel dafür: Das Ministerium scheute sich noch im Sommer, eine landesweite Maskenpflicht in den Schulen einzuführen. Die Verantwortung wurde auf die Schuldirektionen und Lehrer abgewälzt. Dies auch auf Wunsch von Ersteren, da die Direktionen von Lyzeen aus dem Norden des Landes nicht einsahen, bei niedriger Inzidenz eine Maskenpflicht einzuführen, erklärte der hohe Beamte Lex Folscheid im Dezember gegenüber Reporter.lu.
Angesichts des exponentiellen Anstiegs der Infektionen im Oktober beschlossen die meisten Sekundarschulen schließlich selbst, eine Maskenpflicht einzuführen. Erst als Anfang dieses Jahres vermehrt Cluster in Grundschulen auftraten, empfahl das Ministerium das Maskentragen auch während des Unterrichts. Eine gesetzliche Grundlage gab es allerdings lange nicht. Im März besserte das Bildungsministerium nach und passte das Covid-Gesetz entsprechend an.
Dabei war auch schon vor dem Schulstart im September belegt, dass die Einhaltung der physischen Distanz in einem Klassenraum nicht ausreicht, um Infektionsketten effektiv zu verhindern. In dem neuesten Bericht des Ministeriums wird die Einführung der Maskenpflicht nun als möglicher Grund für die Abnahme der Ansteckungen bei den Lehrern in der Grundschule angeführt. Angesichts der klaren Faktenlage ist diese Schlussfolgerung nur wenig überraschend. Gleichzeitig ist sie ein spätes (und sehr leises) Eingeständnis, dass die frühere Leitlinie des Bildungsministeriums falsch und riskant war.
Kontroverse um den Stufenplan
Dies ist allerdings nicht der einzige Bereich, bei dem die Umsetzung lange auf sich warten ließ. Seit dem Sommer sollte eigentlich der Stufenplan des Ministeriums Klarheit für Schüler und das Lehrpersonal schaffen. Doch gleich zu Beginn herrschte Verwirrung, wer eigentlich für die Meldung der Infizierten zuständig war. Die angestrebte „normale Rentrée“ habe sich zu einem „Albtraum-ähnlichen, unkontrollierbaren Chaos“ entwickelt, schrieb etwa die Lehrergewerkschaft SEW. Zudem gab es widersprüchliche Aussagen, ob Lehrer im Falle eines positiven Tests in Quarantäne müssten oder trotzdem unterrichten sollten. Erst im Zuge dieser Diskussionen richtete das Ministerium eine eigene Abteilung für die Kontaktnachverfolgung ein.
Im November räumte der Bildungsminister dann ein, dass Infektionen mit dem Coronavirus zwar in der Schule vorkommen könnten, diese aber nicht der Ort sei, an dem Kinder und Jugendliche sich am meisten anstecken. Um das Infektionsrisiko weiter zu verringern, sollten auch mobile Testlabore in den Schulen zum Einsatz kommen. Diese seien aber erst im Januar voll funktionsfähig gewesen, gestand Claude Meisch am Donnerstag ein.
Späte Einsicht zur « Transparenz »
Einen zusätzlichen Schutz sollen ab heute auch Schnell- bzw. Selbsttests bieten. Diese werden seit Monaten bereits in Österreich, in Flandern und auch in einigen deutschen Bundesländern eingesetzt. Die Tests sind schon lange auf dem Markt erhältlich, doch das Ministerium zögerte mit einer entsprechenden neuen Teststrategie. Die Begründung: Der Test musste erst vom „Laboratoire National de la Santé“ auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden.
Erneut wurde wertvolle Zeit verspielt in einer Situation, in der das eigentliche Ziel die bestmögliche Verhinderung einer Infektion sein sollte. Mittlerweile steht allerdings eine Strategie, die verstärkt auf den Einsatz von Schnelltests in der Schule setzt. Doch auch hier herrscht noch Ungewissheit, denn ein bis in alle praktischen Details ausgearbeitetes Konzept fehlt offenbar. Patrick Arendt vom SEW wirft etwa im Interview mit dem « Tageblatt » die Frage auf, wer sich um die Betreuung des positiv-getesteten Kindes kümmern solle, bevor die Eltern es abholen. Auch andere Fragen bleiben laut der Gewerkschaft unbeantwortet, das Projekt läuft allerdings bereits heute an.
« Wir machen diesen Bericht, weil es uns wichtig ist, für Transparenz zu sorgen, weil Transparenz wichtig ist, um Vertrauen in das Krisenmanagement in den Schulen zu schaffen », sagte Claude Meisch zu Beginn der Pressekonferenz am Donnerstag. Was der Minister nicht sagte: Auch er und sein Ministerium trugen in den vergangenen Monaten zur Intransparenz, zur Unsicherheit und damit potenziell zum Vertrauensverlust bei.
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