Abgeordnete sollen ihr Mandat uneigennützig, transparent und ehrlich ausüben. So sieht es der Verhaltenskodex des Parlaments vor. Doch in der Praxis legen viele Politiker die Regeln sehr weit aus. Mögliche Interessenkonflikte blenden sie im Zweifel aus.
Es war einer dieser seltenen Momente, wo Unausgesprochenes thematisiert wurde: Im Dezember 2018 stritten die Mitglieder der Finanzkommission im Parlament über die Einflussnahme auf ihre Arbeit. Mehrere Abgeordneten gaben zu, von Interessenvertretern kontaktiert worden zu sein. Doch es waren die CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth, die nach einem Gespräch mit der Anwaltskanzlei Allen&Overy eine Änderung am Gesetzestext vorschlugen – ohne ihre Quelle zu nennen. Das störte jedoch den damaligen Abgeordneten und heutigen Wirtschaftsminister Franz Fayot (LSAP), der offenbar die gleichen Kontakte hatte.
Das Bemerkenswerte: Alle drei sind bzw. waren Anwälte mit guten Kontakten am Finanzplatz. Sie führten eine Diskussion, die im Grunde unnötig war. Denn der Verhaltenskodex sieht an dieser Stelle klare Regeln vor: Wenn Interessenvertreter versuchen, Einfluss zu nehmen, dann muss jeder Abgeordnete entsprechende Gespräche offenlegen.
Nach bestem Wissen und Gewissen
Laut Verhaltenskodex besteht ein Interessenkonflikt, wenn ein Abgeordneter ein « persönliches Interesse » hat, das die Ausübung seines politischen Mandats « unrechtmäßig » (« indûment ») beeinflussen könnte. Es könne sich jedoch nicht um einen Interessenkonflikt handeln, wenn ein Abgeordneter allein aus seiner Zugehörigkeit zu einer « größeren Kategorie » der Bevölkerung einen Vorteil ziehen könnte, so der Kodex weiter. Also zum Beispiel als Staatsbeamter oder als Rentner – immerhin eine Mehrheit im Parlament.
Wer entscheidet, wann es sich um einen Interessenkonflikt handelt? Spätestens an dieser Stelle stößt der Verhaltenskodex an seine Grenzen. Denn diese Entscheidung liegt allein beim Abgeordneten selbst. Falls ein Parlamentarier, der in Aufsichtsräten sitzt oder als Anwalt bestimmte Partikularinteressen vertritt, dies aber nicht als Problem für seine Unabhängigkeit ansieht, gibt es laut dem Verhaltenskodex auch keinen Interessenkonflikt. Dabei spielen auch die Geldsummen, die ein Abgeordneter aus anderen Quellen als dem Parlament bezieht, letztlich keine Rolle.
Individuelle Wahrnehmungen und Folgen
Aus der Erfahrung lässt sich sagen: Luxemburgs Abgeordnete sehen äußerst selten einen Interessenkonflikt bei sich selbst. Der Vorsitzende der Finanzkommission, André Bauler (DP), kann sich jedenfalls nicht erinnern, dass je ein Parlamentarier eine Sitzung aufgrund eines Interessenkonflikts verlassen hätte. Auch die Parlamentsverwaltung kennt für diese Kommission sowie für den Wirtschaftsausschuss keine solchen Fälle.
Ich bringe durch meinen Verwaltungsratsposten zusätzliche Kompetenzen mit ins Parlament. »Laurent Mosar, CSV-Abgeordneter
Nur in einem rezenten Fall ging es um einen persönlichen Interessenkonflikt. In einer gemeinsamen Sitzung mehrerer Ausschüsse im Juli 2019 wurde der frühere Minister Mars di Bartolomeo (LSAP) von Claude Wiseler (CSV) aufgefordert, den Raum zu verlassen. Auf der Tagesordnung stand der Bericht des Rechnungshofes über die Finanzen der Krankenhäuser. Als früherer Gesundheitsminister habe Mars di Bartolomeo einen Interessenkonflikt, sagte Claude Wiseler damals. Daraufhin verließ di Bartolomeo die Sitzung. Ihm folgten Jean-Marie Halsdorf (CSV) und Diane Adehm (CSV), die früher im Verwaltungsrat eines Krankenhauses saßen.
Alex Bodry (LSAP) nahm damals auch an der Sitzung teil. Auch er saß einige Jahre zuvor im Verwaltungsrat des „Centre Hospitalier Emile Mayrisch“. Er sah jedoch laut Sitzungsbericht „keinen Zusammenhang zwischen meinem früheren Mandat und meiner Arbeit als Abgeordneter.“ Er blieb sitzen. Wann ein Interessenkonflikt zu einem wird, entscheidet der Abgeordnete also stets selbst. Es gibt keine eindeutigen Leitlinien, an denen man sich als Volksvertreter orientieren könnte – außer dem eigenen Gewissen.
Konflikte, die es eigentlich gar nicht gibt
Es gibt keine Interessenkonflikte, weil es quasi keine geben kann – das ist zumindest die Position mancher Abgeordneter. « Gesetze gelten für alle », sagt der ADR-Parlamentarier und frühere Anwalt Roy Reding. Ein individueller Vorteil sei in der Legislative fast unmöglich – anders als auf Gemeindeebene, wo es etwa um Baugenehmigungen gehe.
Ähnlich argumentiert Laurent Mosar, der neben seinem Mandat im Luxemburger Verwaltungsrat der Bank of China sitzt. « Ginge es um einen Gesetzestext, der dieser Bank einen direkten Vorteil gegenüber anderen Banken verschaffen würde, dann würde ich nicht mit abstimmen », sagt der CSV-Abgeordnete. Das bleibt aber letztlich eine abstrakte Hypothese.
« Es ist eine schwierige Diskussion, die aber nicht nur den Finanzplatz betrifft », so Laurent Mosar weiter. Ähnliche Fragen würden sich etwa stellen, « wenn gewerkschaftlich aktive Parlamentarier über Gesetze entscheiden, die Gewerkschaften betreffen », so der frühere Parlamentspräsident.
Zwischen Interessen und Fachwissen
Laurent Mosar sieht aber kein Problem, dass er und andere hauptberufliche Anwälte über einen Text wie jenen über die Offenlegung von aggressiven Steuertricks mit entscheiden. Dabei machte die Anwaltskammer eine intensive Lobbyarbeit, um den Entwurf zum sogenannten « DAC 6 » zugunsten von Finanz- und Wirtschaftsanwälten zu beeinflussen. Was schließlich auch über den Umweg des Staatsrats gelang.
Man merkt, dass manche Kollegen im Ausschuss sehr gut informiert sind. »André Bauler, Präsident der Finanzkommission
Der DP-Abgeordnete Guy Arendt, der als Anwalt etwa auf Aufsichtsrecht und Vermögensverwaltung spezialisiert ist, versteht die Frage nach einem möglichen Interessenkonflikt erst gar nicht. « Da gehen Sie aber weit graben », meint er auf Nachfrage von REPORTER. « Man merkt, dass manche Kollegen im Ausschuss sehr gut informiert sind », sagt dagegen André Bauler mit Bezug auf die Arbeiten der Finanzkommission, die alle wichtigen Texte zum Finanzplatz behandelt.
Genau das sei der Vorteil, wenn Abgeordnete neben ihrem politischen Mandat andere Tätigkeiten haben: « Ich bringe durch meinen Verwaltungsratsposten zusätzliche Kompetenzen mit ins Parlament », sagt Laurent Mosar selbstbewusst. Er könne dem Finanzminister und seinen Beamten auch mal unbequeme Fragen stellen, weil er die komplexe Materie kenne.
Öffentlichkeit bleibt meist im Dunkeln
Haben Anwälte, die auch Abgeordnete sind, Insiderwissen? Sowohl Roy Reding als auch Laurent Mosar verneinen das kategorisch. « Unsere Arbeit im Parlament ist öffentlich, jeder kann sie nachvollziehen », betont der ADR-Politiker. Er wisse also nicht mehr als jeder andere Anwalt. Andere Verwaltungsräte von Banken seien tagtäglich mit den relevanten Gesetzestexten befasst und würden die Materie deshalb besser kennen als er selbst, sagt Laurent Mosar.
Das Parlament arbeite « extrem transparent », meint Roy Reding. Er sehe deshalb auch keine Gefahr, dass ungerechtfertigter Einfluss ausgeübt werde. « Den anderen Abgeordneten würde es sofort auffallen, wenn jemand sich beeinflussen lässt », sagt er.
Allerdings sind die Kommissionssitzungen des Parlaments weiterhin nicht öffentlich. Die knappen Berichte, die oft mit großer Verzögerung veröffentlicht werden, lassen selten Rückschlüsse auf die tatsächliche Diskussion zu. Meist werden die Abgeordneten nicht namentlich genannt, sondern es gibt nur den Verweis « ein Mitglied der Partei XY sagte … ». Und solange die Abgeordneten keine Interessenkonflikte wahrnehmen, geschweige denn von sich aus thematisieren, ist es für die Öffentlichkeit quasi unmöglich, solche Fälle zu entdecken.
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