Die Kosten der Corona-Krise lassen nahezu weltweit die Verschuldung von Staaten steigen. Das Schuldenmachen wird von Regierungen und Zentralbanken gestützt und gilt als alternativlos. Auch Luxemburg reiht sich seit geraumer Zeit in den globalen Trend ein.
Nicht mehr ausgeben, als man einnimmt: Das Prinzip, das jeder Privathaushalt über kurz oder lang befolgen muss, um die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, gilt für Staaten nur bedingt. Im Gegenteil: Dass ein Staat mehr ausgibt als ihm durch seine laufenden Einnahmen zur Verfügung steht, ist eher die Regel der öffentlichen Finanzpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Spätestens seit der letzten Finanzkrise gilt das auch für Luxemburg. Die Folge sind ultimativ auch wachsende Staatsschulden.
Die Verschuldungsquote des Luxemburger Staates hält sich im europäischen Vergleich zwar durchaus in Grenzen. Doch auch die Schulden des Großherzogtums befinden sich aktuell mit rund 15 Milliarden Euro auf einem Rekordniveau. Für das laufende Jahr rechnet das Finanzministerium mit einer Neuverschuldung von zwei Milliarden Euro. Und damit ist die gesamte Rechnung der andauernden Corona-Krise noch lange nicht beziffert.
Corona-Krise: Koste es, was es wolle
International ist man damit allerdings in « guter » Gesellschaft: Zur Bewältigung der andauernden Corona-Krise nehmen die allermeisten Staaten der Welt Geld in die Hand, das sie eigentlich nicht haben. Seit dem vergangenen EU-Gipfel werden die Mitgliedstaaten zudem dazu verpflichtet, sich zusätzliche Liquiditäten an den Märkten zu beschaffen, um das neue Konjunktur- und Investitionsprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro im Rahmen der Corona-Krise zu finanzieren.
Weltweit haben Staaten bisher für die Bekämpfung der Corona-Pandemie und deren Folgen schon 15 Billionen Dollar – also 15.000 Milliarden – locker gemacht. Konkret heißt das: Mehr Schulden, die eines Tages wiederum mit neuen Schulden zurückbezahlt werden müssen. Denn das ist der Kreislauf der Staatsverschuldung. Kaum ein Staat der Welt erwirtschaftet so viel Geld und legt es auf die Seite, um damit eines Tages den angehäuften Schuldenberg ansatzweise zu tilgen.
Allein diese Perspektive wirft die Frage auf: Inwiefern sind Staatsschulden überhaupt ein Problem? Wenn sie eh nicht zurückbezahlt werden, sind sie dann nicht letztlich egal?
Schulden sind an sich nicht das Problem
Die meisten Menschen würden diese zugespitzte These natürlich mit Nachdruck ablehnen. Man muss doch an die kommenden Generationen denken, die diese Schulden eines Tages bezahlen müssen. Oder? Im Prinzip schon. Doch ähnlich wie schon beim Prinzip, nicht mehr auszugeben, als man einnimmt, trifft die Idee der linearen Schuldentilgung für Staaten nicht gleichermaßen zu wie für uns Bürger.
Das Zauberwort heißt Geldpolitik. Anders als der Normalverbraucher kann ein souveräner Staat eigenes Geld drucken. Dank der Unterstützung der Zentralbanken kann er sich so leicht neue Liquiditäten verschaffen und damit Banken retten, die Kaufkraft ankurbeln oder sonstige Investitionen stemmen.
Doch die Nachteile werden über kurz oder lang auch spürbar, zumindest für die Allgemeinheit. Denn die Geldentwertung führt letztlich auch zur Entwertung der Schulden, befeuert aber auch die Inflation und schadet damit der Kaufkraft und gefährdet die Spareinlagen der Bürger. Andererseits kann der Staat durch Schulden auch das Wirtschaftswachstum fördern, was wiederum mehr Einnahmen – und damit zumindest potenziell weniger Neuverschuldung in der Zukunft bewirken kann.
Staatsschulden sind also kein Problem an sich, lautet die Theorie mancher Wirtschaftswissenschaftler. Vertreter der sogenannten « Modern Monetary Theory » behaupten gar: Steigende Schulden sind positiv, weil damit – je nach politischer Ideologie – hohe öffentliche Investitionen oder niedrige Steuern dauerhaft ermöglicht werden. Der Staat muss demnach nur noch auf die Regulierung der Inflation und damit die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Geldpolitik achten. In letzter Zeit wird die Theorie vor allem von linken Politikern in den USA, wie Ex-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders, befürwortet.
Schuldenpolitik als bewusste Strategie
Die Voraussetzung der modernen Geldtheorie lautet aber: Die Staaten müssen ihre eigene Währung kontrollieren und die Zentralbanken die staatliche Defizitpolitik mit frischem Geld unterstützen. Demnach sind die Befürworter auch vor allem in den USA, Großbritannien und Japan – also in Staaten mit eigenständiger Geldpolitik und bereits hoher öffentlicher Verschuldung – beheimatet. Auf die EU ist der Traum des grenzenlosen Schuldenmachens nur bedingt übertragbar.
Zwar nehmen auch die EU-Staaten künftig neue Schulden auf, um die vielen Milliarden an Corona-Hilfen untereinander solidarisch aufzuteilen. Die Regierungen refinanzieren die Hilfsprogramme durch Staatsanleihen, die Europäische Zentralbank (EZB) garantiert und beteiligt sich aktiv an der Schuldenpolitik. Doch anders als die USA verfolgt die EU keine gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik.
Damit sind der ungleichmäßigen Verteilung des günstig geschaffenen Geldes zwischen den Mitgliedstaaten Tür und Tor geöffnet. Trotz des solidarischen Charakters des jetzt beschlossenen Konjunkturprogramms der EU drohen in naher Zukunft mit Griechenland, Italien und Spanien die gleichen Staaten wie schon bei der letzten Krise in eine Situation zu geraten, in der die staatlichen Schuldenberge nicht mehr tragbar sind.

Natürlich handelt es sich bei der « Modern Monetary Theory » nur um ein wissenschaftliches Konzept, das zudem höchst umstritten ist. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman sieht die Theorie als gefährliches Rezept für eine « Hyperinflation ». Der frühere US-Finanzminister Larry Summers nennt es « voodoo economics » bzw. das Vorgaukeln einer unbegrenzten Ausgabenpolitik, deren Kosten scheinbar niemand tragen müsse.
Die Theorie hat aber einen großen Vorzug: Sie ist mit der aktuellen schuldenfinanzierten Politik der allermeisten Staaten der Welt kompatibel. Sie liefert zumindest den theoretischen Unterbau für das, was sich in der Praxis längst durchgesetzt hat. Sie erklärt zwar nicht den Trend zu niedrigen Zinsen und weltweit ansteigenden Schuldenbergen. Dafür wirft sie aber die richtige Frage auf, nämlich, ob die Staatsschulden von heute und morgen irgendwann tatsächlich einmal abgebaut werden können.
Luxemburgs Schuldenberg wächst weiter
Unabhängig von der reinen Theorie bleiben Staatsschulden aber doch ein praktisches Problem – zumindest für jene Staaten, die ihr Geld nicht selbst drucken können und überdurchschnittlich von äußeren Faktoren abhängen. Also auch für Luxemburg. Und damit ist nicht das ominöse « Triple A » gemeint. Denn die Bewertung der Bonität von Staaten geschieht stets im internationalen Vergleich – und Luxemburg ist eben bei weitem nicht das einzige Land, bei dem sich das Coronavirus auf die finanziellen Prognosen auswirkt.
Luxemburgs Schuldenproblem ist ein ziemlich rezentes Phänomen. Vor 2008 lag die öffentliche Schuld noch bei etwas mehr als 500 Millionen Euro. Erst im Zuge der Finanz- und Bankenkrise stiegen die Staatsschulden rasant an und beliefen sich 2013 auf rund zehn Milliarden Euro.
Doch auch vor der aktuellen Krise zog die Verschuldung wieder an. Zwischen 2013 und heute häufte der Staat weitere fünf Milliarden Euro an Verbindlichkeiten an. Laut aktuellen Schätzungen sollen die Staatsschulden Ende 2021 bei nahezu 20 Milliarden Euro liegen, was dann fast 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entsprechen würde. Eine doppelte Rekordzahl, die noch vor 15 Jahren unmöglich geschienen hätte.
Die Perspektive der kommenden Jahre zeigt zudem, dass das Land auf diesem Schuldenstand längerfristig sitzen bleiben wird. Schon Ende dieses Jahres müssen 350 Millionen Euro an kurzfristigen Krediten zurückgezahlt werden. 2021 und 2022 werden dann Staatsanleihen in Höhe von insgesamt 1,3 Milliarden Euro fällig. Und im Juli 2023, also kurz vor den kommenden Wahlen, muss der Staat eine einzige Anleihe in Höhe von zwei Milliarden Euro refinanzieren.
Kurzfristiger politischer Anpassungsdruck
Wegen der Kosten der Bewältigung der Corona-Krise wird die finanzielle Lage des Staates angespannt bleiben. An Schuldentilgung ist in absehbarer Zeit nicht zu denken. Hinzu kommt, dass die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte versäumten, finanzielle Reserven anzulegen. Luxemburg ist als Finanzplatz auch stärker abhängig von der internationalen Konjunktur als andere Länder. Zu guter Letzt droht die europäisch und global fortschreitende Steuerharmonisierung, bestimmte Einnahmequellen des Staates schrumpfen zu lassen.
Wirtschaftstheorie hin oder her: Damit wird der Spielraum für politische Gestaltung kleiner. Die Regierung will zwar keine « Austeritätspolitik », aber die im Koalitionsprogramm angekündigten Ausgaben oder Mindereinnahmen im Rahmen der Steuerreform dürften nicht mehr haltbar sein. Denn auch die Beschränkung der Staatsschulden auf unter 30 Prozent des BIP ist ein Ziel aus dem blau-rot-grünen Programm.
Und nicht zu vergessen: Luxemburg kann nicht dafür sorgen, dass nach Belieben Geld gedruckt wird, wie andere, mächtigere und unabhängigere Staaten der Welt. Man ist auf Abstimmung innerhalb der EU angewiesen und auch der Stabilitäts- und Wachstumspakt grenzt die Finanzpolitik der Mitgliedstaaten wesentlich ein.
Luxemburgs längerfristige Haushaltspolitik wird sich wohl oder übel an die neue Situation anpassen müssen. Bis auf Weiteres sind die Schulden des Luxemburger Staates nämlich nicht egal. Obwohl in einem Punkt dann doch große Einigkeit zwischen der « Voodoo-Ökonomie » der modernen Geldtheorie und den klassischen ökonomischen Denkschulen herrscht: Im Vergleich mit einer anhaltenden Rezession oder sozialen Verwerfungen sind mehr Schulden das kleinere Übel. Oder wie schon John Maynard Keynes wusste: Krisen müssen zwar kurzfristig gelöst werden, aber « auf lange Sicht sind wir alle tot ». Nur die Staaten und ihre Schulden scheinen unsterblich.
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