Künftig sollen Whistleblower EU-weit besser geschützt werden. Die entsprechende Richtlinie wird von vielen als Erfolg für Demokratie und Transparenz gefeiert. Die ideologischen Debatten im Vorfeld deuten aber auf eine schwierige Umsetzung der Reform hin.
Wenn europäische Gesetze zwischen Rat, Parlament und Kommission verhandelt werden, geht es oft um technische Details. Es wird lange debattiert und gefeilscht bis schließlich – oft spät in der Nacht – die Unterhändler müde, aber zufrieden in die Kameras lächeln. Dann wurde ein Kompromiss gefunden, mit denen alle Partner – irgendwie – leben können.
Nicht anders war es vergangene Woche bei der Richtlinie, die europaweite Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern garantieren soll. Um Mitternacht postete die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Virginie Rozière, das typische Foto. Eine provisorische Einigung war gefunden. Inzwischen wurde der Kompromiss vom Rat bestätigt.
Dennoch hat man das Gefühl, dass es dieses Mal um mehr ging als bloße Details. Die Berichterstatterin bezeichnet den Deal als ihren „größten Erfolg“. Transparency International spricht von einem „historischen Tag“, das Whistleblower-Netzwerk von einem „Durchbruch“. Und der Deutsche Journalistenverband nennt den Deal einen „Meilenstein für den Journalismus“.
Warum sich Whistleblower lohnen können
Bis zu diesem „Durchbruch“ war es ein langer Weg. Spätestens seit Luxleaks, Panama Papers und Dieselgate wurde klar: Die EU braucht einen konsequenten, harmonisierten Schutz für Hinweisgeber. Die Luxleaks-Affäre um Raphaël Halet, Edouard Perrin und Antoine Deltour wurde immer wieder als Begründung angeführt – auch von der EU-Kommission.
Denn obwohl Luxemburg zu den zehn Staaten gehört, die bereits eine entsprechende Gesetzgebung haben, zeigte der Luxleaks-Prozess: Der Schutz ist unzureichend – auch wenn Justizminister Felix Braz nicht müde wird, das Gegenteil zu behaupten. Der PwC-Mitarbeiter Antoine Deltour wurde erst vor dem Kassationsgericht als Hinweisgeber anerkannt. Und Raphaël Halet zieht gegen das Luxemburger Urteil jetzt vor den Europäischen Gerichtshof.
Rund 120 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern kostet Korruption die EU jedes Jahr. Zu diesem Schluss kam 2017 eine Studie der Beratungsfirma „Milieu“, die von der EU-Kommission in Auftrag gegeben wurde. Ein starker Whistleblower-Schutz könne dabei helfen, die Gelder zurückzugewinnen, betonen die Autoren der Studie.
Doch obwohl „Luxleaks“ bereits vier Jahre her ist, ließ die Ausarbeitung EU-weiter Mindeststandards auf sich warten. 2016 haben die Grünen im Parlament einen eigenen Entwurf für eine Richtlinie vorgelegt. Im April 2018 folgte ein Vorschlag der Kommission. Rat, Parlament und Kommission feilschten seitdem monatelang um einen Kompromiss.
Ideologische Debatte um die Transparenz
Wieso man sich nicht einigen konnte? Nicht etwa, weil man sich in technischen Detailfragen nicht festlegen konnte, sondern weil die Detailfragen stellvertretend für eine viel grundlegendere Debatte standen. „Es ist eine ideologische Debatte. Es geht um die Frage, welche Demokratie wir haben wollen. Eine, die von Intransparenz geprägt ist und bei der es darum geht, Betriebe und Unternehmen zu schützen? Oder eine Demokratie, bei der das Recht auf Information der EU-Bürger respektiert wird“. So fasste der französische Grüne und Unterhändler des Parlaments, Pascal Durand, den Zwiespalt zusammen.
Für Felix Braz geht diese Diskussion zu weit. „Die Debatte kann man nicht in einem Satz zusammenfassen“, so Luxemburgs Justizminister. Von Ideologie und Demokratie zu sprechen, würde die komplizierten Verhandlungen zu sehr vereinfachen. „Das war schon etwas nuancierter“, fasst es Braz zusammen.
Dann gehen sie mal zu den Big Four und sagen ihnen, dass Steuerrulings vielleicht keine so gute Idee sind.“ Pascal Durand, EU-Abgeordneter
Konkret ging es um die Meldewege: Das Parlament wollte, dass Hinweisgeber die Wahl haben. Entweder melden sie Verstöße intern, durch sichere Kanäle innerhalb des Unternehmens. Oder sie wenden sich an externe Aufsichtsbehörden oder an die Öffentlichkeit. Doch insbesondere Frankreich und Deutschland haben sich dagegen gewehrt: Der interne Meldekanal sollte zur Pflicht werden, damit Whistleblower überhaupt unter den Schutz der Richtlinie fallen. „Dann gehen sie mal zu den Big Four und sagen ihnen, dass Steuerrulings vielleicht keine so gute Idee sind“, erläutert Durand das Problem anhand der LuxLeaks-Affäre.
Demnach hätte Antoine Deltour die von PwC für die hiesige Steuerbehörde abgeschlossenen Steuerbescheide firmenintern melden müssen – sonst wäre ihm die Anerkennung als Whistleblower verwehrt geblieben. Nichtregierungsorganisationen schlugen Alarm. „Eine solche Hierarchie bei den Meldewegen führt lediglich zur Einschüchterung der Hinweisgeber und hält sie davon ab, Verstöße zu signalisieren“, beschreibt Nicholas Aiossa von Transparency International die Risiken der hierarchischen Vorgehensweise. „Luxleaks und Co. wären damit nie ans Licht gekommen“. Offene Briefe von ehemaligen Whistleblowern – darunter auch Halet und Deltour – bestärkten diese Aussage.
Widersprüchliche Haltung Frankreichs
Zu den Streitpunkten gehörte auch, inwiefern Journalisten zu den Nutznießern der Richtlinie werden könnten. Das Positionspapier der französischen Regierung zur Whistleblower-Richtline, welches REPORTER vorliegt, war hier sehr deutlich. Frankreich stellte sich etwa gegen all jene Artikel, die den Anwendungsbereich der Richtlinie ausweiten würden – etwa auf anonyme Hinweisgeber oder investigative Journalisten, an die sich die Whistleblower wenden könnten.
„Placer le journaliste d’investigation dans le champ de la directive en tant que bénéficiaire direct de la protection reviendrait à confondre les statuts et régimes de protection en traitant le journaliste à parité avec le travailleur“, so der Wortlaut im Positionspapier. Bis zuletzt versuchte Frankreich demnach die Richtlinie zu blockieren. Präsident Emmanuel Macron, der ansonsten die europäische Einigung vorantreiben will, erwog sogar eine Blockade-Minderheit mit Österreich und Ungarn zu bilden, wie es aus Verhandlungskreisen heißt.
Das hat letztlich nicht geklappt. Frankreich musste vergangene Woche zurückrudern. Die Flexibilität bei der Wahl des Meldekanals bleibt erhalten, wenn auch in etwas abgeschwächter Form als es sich das Parlament wünschte. Whistleblower sollen jetzt auch dann geschützt sein, wenn sie sich direkt an die Regulierungsbehörden wenden, sie sollen jedoch wenn möglich interne Kanäle vorziehen.
Journalisten wollen noch mehr Schutz
Was Organisationen wie Transparency International als Meilenstein sehen, genügt einigen Journalistenverbänden allerdings nicht. „Hinweisgeber, die sich direkt an die Medien wenden, sind immer noch unzureichend geschützt“, kritisiert etwa Ricardo Gutierrez vom Europäischen Journalistenverband (EFJ). Denn Whistleblower dürfen nur unter gewissen Umständen an die Öffentlichkeit. Etwa wenn sie Vergeltungsmaßnamen befürchten, wenn sie Angst haben, dass die Beamten sich mit Unternehmen abgesprochen haben oder wenn die Gefahr der Beweismittelvernichtung besteht.
Nach dem neuen Text hätte sich Antoine Deltour 2015 an die Behörden wenden können, um auf die systematischen Rulings aufmerksam zu machen. Und wenn diese innerhalb von sechs Monaten nicht auf die Berichterstattung reagiert hätten, hätte er sich an die Öffentlichkeit wenden können und wäre dennoch als Whistleblower anerkannt worden. Nicht erst vor dem Kassationsgericht.
Das heißt nicht zwangsläufig, dass der Status nicht angefochten werden kann. Doch dass ein Hinweisgeber einen langwierigen Prozess à la Luxleaks durchmachen muss, wird mit der Richtlinie dennoch unwahrscheinlicher.
Unternehmen fürchten Missbrauch
Unternehmen dürften mit dem gefundenen Kompromiss nicht unbedingt zufrieden sein. Denn der Text betrifft nicht nur europäische Steuer-und Finanzgesetze, sondern greift auch bei Verstößen gegen das EU-Recht in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, nukleare Sicherheit, Schutz der Privatsphäre, Konsumentenschutz sowie die öffentliche Auftragsvergabe. Der Europäische Unternehmensverband „BusinessEurope“ etwa bezweifelte den Sinn und Nutzen eines europaweiten Gesetzes bereits im Vorfeld.
Auf Nachfrage von REPORTER bezeichnet ein Sprecher die flexiblen Meldewege als „ineffektiv und unverhältnismäßig“ – insbesondere, weil die Einrichtung interner Meldewege für Unternehmen einen erheblichen finanziellen Aufwand bedeutet, wenn sie dann eventuell nicht genutzt würden.
In Luxemburg halten sich die Reaktionen jedoch in Grenzen. So hat etwa die UEL die Richtline laut Generaldirektor Jean-Paul Olinger nicht diskutiert. Die Fedil hingegen hatte ihre Position bereits im Vorfeld der Verhandlungen dargelegt. Sie deckt sich mit der Haltung von „BusinessEurope“, bei der die Fedil Mitglied ist. In dem damaligen Schreiben begrüßte der Arbeitgeberverband die Richtline, gleichzeitig kritisiert er den breiten Anwendungsbereich des Textes. Die Fedil befürchtet zudem einen Missbrauch des Hinweisgebersystems durch jene, die einem Betrieb schaden wollen.
Die Verantwortung der Mitgliedstaaten
Für Änderungen an der Richtlinie ist es nun jedoch zu spät. Der Kompromiss des Trilogs muss noch formal angenommen und in geltendes Recht umgewandelt werden. Darin liegt jedoch die Krux. Denn auch wenn etwa Pascal Durand am Montagnacht zufrieden in die Kamera lächelte, warnt er: „Ein Text kann nicht alles erreichen. Nun müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie hinreichend in nationales Recht umsetzen und den Schutz auch in der Praxis gewährleisten.“
Den Mitgliedsstaaten ist es dabei selbst überlassen, ob sie den Anwendungsbereich der Richtlinie ausdehnen wollen – sie also mehr umfasst als nur Verstöße gegen europäisches Recht. Luxemburg wolle einen Schritt weiter gehen, betont Felix Braz im Gespräch mit REPORTER. Man wolle sich nach der Straßburger Jurisprudenz richten, schließlich sei damit der umfassendste Whistleblower-Schutz garantiert.
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