Die EU-Kommission will Hinweisgeber besser schützen. Ihre Pläne könnten hierzulande vieles verändern. Denn Luxemburg ist alles andere als ein Schlaraffenland für Whistleblower.
Schulterlange blonde Haare, eine ruhige Stimme, ein resolutes Auftreten: Sue Shelley ist eine Frau, der man gerne glaubt, was sie sagt. Doch als sie ihre Chefs auf Unregelmäßigkeiten bei der HSBC Private Bank in Luxemburg aufmerksam machte, wollten die Manager nicht zuhören. Die Bank entließ Shelley im Juli 2013 fristlos, als sie gerade im Krankenschein war.
Das war außergewöhnlich: Seit 2010 leitete Shelley die Compliance-Abteilung der Bank, also jene interne Kontrolleure, die darauf achten sollen, dass alle Mitarbeiter sich an die Gesetze halten. Shelley fiel auf, dass die Bank weiterhin Kunden half, Steuern zu hinterziehen. Dabei beschloss HSBC spätestens 2012, auf Transparenz zu setzen, betonte die Bank 2015 gegenüber dem Journalistenkonsortium ICIJ in der Folge von Swissleaks.
In der Realität war das aber laut Shelley nur bedingt der Fall. „Ich machte mehr und mehr Krach. Bis ich dem Management zu lästig wurde“, sagte Shelley im Februar 2015 in der BBC-Sendung „Panorama“. Sie klagte in Luxemburg gegen ihre Entlassung und erhielt Schadensersatz in Höhe von 110.000 Euro, berichtete „Paperjam“. Aus der Sicht des Gerichtes war es eine unbegründete Entlassung. Ob sie eine Whistleblowerin ist, war aber kein Thema.
Es geht auch um sexuelle Belästigung und Diskriminierung
Dabei schützt seit 2011 das Arbeitsrecht in Luxemburg Hinweisgeber in bestimmten Situationen. „Wir haben eines der umfassendsten Whistleblower-Gesetze in der Europäischen Union“, rühmte sich Justizminister Felix Braz im Gespräch REPORTER.
Diese Einschätzung teilen Experten nicht. „Das Gesetz von 2011 schützt Arbeitnehmer nur, wenn es um Korruption, Bestechung oder illegale Vorteilsnahme geht“, sagt die Expertin für Arbeitsrecht Ariane Claverie, Partnerin bei der Kanzelei Castegnaro. Aufgrund dieses sehr beschränkten Wirkungskreises fiel der ehemalige PwC-Mitarbeiter Antoine Deltour nicht unter diesen Whistleblower-Schutz, erklärt sein Anwalt Philippe Penning auf Nachfrage.
„Im Code du travail wurden nach und nach weitere Artikel eingeführt, die Hinweisgeber schützen“, so Ariane Claverie weiter. Das gilt in Fällen von sexueller Belästigung oder Diskriminierung am Arbeitsplatz. Allerdings fehlt ein solcher Schutz im Fall von Mobbing. Der aktuellen Gesetzeslage fehle es deshalb an Kohärenz, kritisiert die Anwältin.
Zu dieser konfusen Lage trägt auch bei, dass nur manche Unternehmen verpflichtet sind, betriebsinterne Möglichkeiten zum Whistleblowing einzurichten. Dazu zählt der Finanzsektor sowie Dienstleister, die sich gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung absichern müssen. Das sind etwa Versicherungen oder Anwälte. Eine Besonderheit der Finanzbranche ist, dass Whistleblower Unregelmäßigkeiten direkt der Aufsichtsbehörde CSSF melden können.
Gerade in internationalen Konzernen sind interne Meldekanäle unabhängig von der Branche dennoch üblich. In diesen Fällen sind es oft spezialisierte, externe Firmen, die die Hinweise per E-Mail oder Telefon von Mitarbeitern des jeweiligen Unternehmens entgegennehmen. „Das Ziel ist, dass die Arbeitnehmer sich wohler fühlen als wenn sie sich im eigenen Haus an Manager wenden müssen“, erklärt die Juristin Ariane Claverie, die Unternehmen in diesem Bereich berät.
EU-Kommission schlägt umfassenden Schutz vor
Ist die Lage innerhalb Luxemburgs bereits unübersichtlich, so gilt das umso mehr für die gesamte EU. Am Montag stellte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zu einem besseren Schutz von Whistleblower vor. So solle die Kohärenz innerhalb der EU gesichert werden, argumentiert die Kommission.
Der Entwurf hat es in sich und ist überaus ambitiös. Der EU-Abgeordnete Sven Giegold (Die Grünen/EFA) nennt den Entwurf einen Durchbruch. Die NGO Transparency spricht von einem „Sieg für Whistbleblower.“ Lange Zeit weigerte sich die Kommission, mehr Verantwortung in diesem Dossier zu übernehmen.
Im Kommissionstext geht es auch um fragwürdige Steuerpraktiken und „Schädigungen der finanziellen Interessen der EU“. In Anbetracht der vergangenen Skandale scheint dies fast wie ein Augenzwinkern gen Luxemburg und andere Staaten der EU. Betroffen sind aber weitere Bereiche des EU-Rechts. Der Vorschlag umfasst ein breites Spektrum: von Korruption und Geldwäsche über Umweltschutz und Lebensmittelsicherheit bis hin zu Datenschutz und Sicherheit von Informationssystemen.
Spätestens seit LuxLeaks brauchen Whistleblower in Luxemburg nicht mehr zu zweifeln.“Justizminister Fellix Braz
Schutz bedeutet, dass Vergeltungsmaßnahmen seitens des Arbeitgebers geahndet werden. Die Beweislast wird umgekehrt: Das heißt, der Hinweisgeber muss seine Vorwürfe nicht zweifelsfrei beweisen können. Es ist Aufgabe des Unternehmens, die möglichen Verstöße zu prüfen. Diesen Schutz genießen nicht nur jene, die in einem klassischen Arbeitgeber-Arbeitnehmer Verhältnis stehen, sondern auch Leiharbeiter, Volontäre und sogar jene, deren Arbeitsverhältnis erst beginnt.
Wie ambitiös der Entwurf der Kommission ist, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass nicht nur bereits begangene Rechtsbrüche unter die angedachte Richtlinie fallen. Hinweisgebern würde auch dann Schutz gewährt, wenn sie potentielle Rechtsbrüche melden oder einen begründeten Anlass zur Sorge geltend machen.
Der Luxleaks-Prozess und die Folgen
Der Vizepräsident der Europäischen Kommission Frans Timmermans betonte, dass die EU lediglich Mindeststandards festlege. Er appellierte an die Mitgliedsländer, die gleichen Regeln bei Meldungen über Brüche der nationalen Gesetze geltend zu machen.
Justizminister Felix Braz (déi gréng) fühlt sich davon nicht angesprochen. Luxemburg sei alles andere als ein „Whistleblower-Niemandsland“. „Die Realität hierzulande geht über das heraus, was der EU-Text vorschlägt. Spätestens seit LuxLeaks brauchen Whistleblower in Luxemburg nicht mehr zu zweifeln“, so Braz.
Er betont, dass in diesem Prozess die Kriterien der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte betreffend Hinweisgeber angewendet wurden. Man müsse allerdings noch sehen, wie sich dies in einem Gesetzestext verankern ließe.
Es kann nicht sein, dass jeder Whistleblower einen Prozess à la Luxleaks durchhalten muss.“Yann Baden
Die Argumentation ist aber nicht für jeden ganz schlüssig. Antoine Deltour sei ein vorbildlicher Whistleblower, der die Kriterien alle erfüllte, betont dessen Anwalt Philippe Penning. Dazu zählt etwa, dass er im öffentlichen Interesse und in gutem Glauben gehandelt habe. Dem zweiten PwC-Mitarbeiter Raphaël Halet hat der Kassationshof jedoch das Statut des Whistleblowers verweigert, kritisiert die NGO Reporter ohne Grenzen in ihrem diesjährigen Bericht. Hier wird wohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg entscheiden müssen.
Das vage Konzept des „öffentlichen Interesses“
„Es kann nicht sein, dass jeder Whistleblower ein Prozess à la Luxleaks durchhalten muss“, sagt der Anwalt Yann Baden, dessen Verein StopCorrupt mögliche Hinweisgeber berät. Momentan greift der Schutz erst auf der Anklagebank. Darauf angesprochen, weicht Felix Braz aus. Auch die EU-Richtlinie könne nicht verhindern, dass Enthüllungen vor Gericht verhandelt werden, „denn es gibt immer Leute, die das Verhalten von Hinweisgebern anfechten“, so der Justizminister.
Luxleaks hat dem Whistleblowing in Luxemburg geschadet.“Yann Baden
„Ich muss als Whistleblower im Voraus wissen, welches Risiko ich tatsächlich eingehe“, betont Yann Baden. 90 Prozent aller Whistleblower weltweit hätten später ihren Job verloren. Das Problem sei, dass als Whistleblower gilt, wer im öffentlichen Interesse Informationen weitergibt. So sieht es auch der Kommissionsvorschlag vor. Doch dieses Konzept sei sehr vage. „Letztlich kann nur ein Richter entscheiden, ob in einem bestimmten Fall das Kriterium des öffentlichen Interesses erfüllt ist, so der Jurist.
Allerdings gehen die Einschätzungen, was als meldewürdigen Verstoß gilt, sehr weit auseinander. „Luxleaks hat dem Whistleblowing in Luxemburg geschadet“, sagt etwa Baden. Der Grund: „Viele am Finanzplatz fanden, dass die Dinge durch Luxleaks verbreitet wurden, bereits landesweit bekannt waren und auch nicht sonderlich schwerwiegend waren“, erklärt der hauptberufliche Anwalt.
Sein Verein betrieb eine Hotline, über die Hinweisgeber Korruptionsfälle melden konnten. Nach Luxleaks sei das Interesse an der Hotline deutlich gesunken und sie existiere faktisch nicht mehr. Ihm hätten potentielle Hinweisgeber gesagt: Wenn das Whistleblowing ist, dann will ich nichts damit zu tun haben.
Zusammenarbeit mit Medien nur als letzter Ausweg
Dabei geht es auch um die Frage, ob es richtig war, dass Deltour und Halet ihre Informationen direkt mit dem Journalisten Edouard Perrin geteilt haben. Sich an die Medien oder Öffentlichkeit zu wenden, sieht der Kommissionsvorschlag dagegen nur als ultima ratio an. Meldekanäle innerhalb der betroffenen Unternehmen sollen bevorzugt werden. Danach folgen Meldungen an zuständige Behörden und zuletzt – wenn das nicht zum Erfolg führt oder eine unmittelbare Gefährdung oder Gefahr vorliegt – darf sich ein Whistleblower an die Öffentlichkeit wenden.
Viele Fälle werden so nie an die Öffentlichkeit gelangen.“Ricardo Gutiérrez
Genau das kritisieren die Europäische Journalistenföderation (EFJ), die Europäische Rundfunkunion (EBU) und News Media Europe. „Dieses dreigliedrige Meldesystem schreckt viele potentielle Hinweisgeber ab und schützt vor allem die Interessen der Unternehmen. Viele Fälle werden so nie an die Öffentlichkeit gelangen“, kritisiert EFJ-Generalsekretär Ricardo Gutiérrez im Gespräch mit REPORTER. Er ergänzt, dass mit diesem System Sicherheit vorgetäuscht würde. Diejenigen, die sich wie Antoine Deltour aber direkt an die Medien wenden, würden weiterhin einer unklaren Rechtslage entgegen sehen.
Interessant ist, dass der Kommissionsvorschlag genau in diesem Punkt von der Empfehlung des Europarates abweicht, auf die der Text in großen Teilen basiert. Die Straßburger Empfehlung überlässt den potentiellen Whistleblowern die Entscheidung über die Wahl des Meldekanals. Für Gutiérrez gleicht die Änderung der Kommission einer Abwertung der Medien.
Widersprüchliche Unterstützung für Journalisten
So scheint es wie ein Widerspruch, dass sowohl Kommissionsvize Frans Timmermans wie auch Justizkommissarin Věra Jourová am Montag wiederholt hervorgehoben haben, wie wichtig Whistleblower für den investigativen Journalismus sind. „Wir müssen journalistische Quellen besser schützen“, betonte Frans Timmermans.
Es ist ein Widerspruch, der übrigens auch Justizminister Felix Braz aufgefallen ist. Er kritisiert: „Auf der einen Seite begründet Frans Timmermans den Vorschlag mit LuxLeaks, Panama Papers und der Unabdingbarkeit der Whistleblower als Quellen für den investigativen Journalismus. Auf der anderen Seite gibt es zum dritten Meldekanal kaum Ausführungen. Das macht wenig Sinn“, bemängelt Braz im Interview mit REPORTER.
Der Vorschlag der Kommission ist allerdings nur die erste Etappe. Die EU-Richtlinie soll noch vor Ende dieser Legislaturperiode 2019 angenommen werden, versprach Timmermans. Während das Parlament wohl für den ambitiösen Schutz plädieren wird, so werden einige Mitgliedsstaaten sich alles andere als freuen. „Die Diskussionen werden nicht einfach werden“, meint Braz und hofft, dass es bei einem anspruchsvollen Text bleiben wird.
Vor den Wahlen passiert nichts mehr
Die seit 2015 versprochene Reform des luxemburgischen Whistleblower-Gesetzes liegt bis dahin auf Eis, bestätigt Braz. Es wird also an der nächsten Regierung sein, sich damit zu befassen.
Der Kommissionsvorschlag sei komplett und orientiere sich genau wie die geplante nationale Gesetzesänderung an irischem Recht. „Wenn der Text jetzt schlecht gewesen wäre, dann hätte ich mich dafür eingesetzt, die Arbeiten an unserem Text zu beschleunigen“, erklärt der Justizminister. Die Arbeiten müssten jetzt auf europäischer und nationaler Ebene weitergehen, damit man am Ende eine Gesetzesänderung für beide Texte vorlegen könne.
Das wird eine Herausforderung. Der Richtlinienentwurf betrifft lediglich Bereiche, in denen die EU auch kompetent ist. Wird der Text dann in Luxemburg umgesetzt, befürchtet die Juristin Ariane Claverie, dass das Arbeitsrecht weiter zerstückelt wird. „Die Umsetzung sollte die Gelegenheit für eine komplette und kohärente Erneuerung aller Texte über das Whistleblowing sein“, meint die Expertin.
Vielleicht, aber nur vielleicht haben es die nächsten Sue Shelleys und Antoine Deltours dann einfacher.