Die Immobilienpreise und die Folgen der Coronakrise führen auch hierzulande zu einer neuen Gerechtigkeitsdebatte. Indem Schlupflöcher geschlossen wurden, dreht sich international der Trend in der Vermögensbesteuerung. Doch in der Praxis lauern viele Fallstricke.

„Eine steuerfreie Erbschaft in direkter Linie bleibt für uns die letzte Freiheit der Bürger“, schrieben die CSV-Abgeordneten Gilles Roth und Laurent Mosar in einem Beitrag für das „Luxemburger Wort“ im Februar. „Mit allen politischen Mitteln“ werde die CSV gegen eine Erbschaftssteuer kämpfen.

Damals war ihr Gegner aber nicht der eigene Parteipräsident Frank Engel. Nein, sie mussten auf die rhetorische Frage von Franz Fayot Bezug nehmen. Noch als LSAP-Abgeordneter hatte er 2014 vorsichtig in Erwägung gezogen, ob man nicht eine Debatte über die Ausweitung der Erbschaftssteuer führen solle.

Der heutige Wirtschaftsminister freute sich vergangene Woche gegenüber RTL diebisch über die Widersprüche innerhalb der CSV. Es ist aber bezeichnend, dass Fayots und Engels zaghafte Vorstöße als Tabubruch gelten. Während es in den Nachbarländern normal ist, Steuern auf elterliches Erbe zu zahlen, gilt in Luxemburg ein 200-jähriger Status quo. Die Erbschaftssteuer geht noch heute in wesentlichen Teilen auf ein Gesetz von 1817 zurück, als König Wilhelm I. Luxemburg de facto als Provinz der Niederlande regierte.

Finanzplatz als übergeordnetes Interesse

Dass dieser Status quo Jahrhunderte überdauerte, hat damit zu tun, dass er für viele von Vorteil war. In den letzten Jahrzehnten lieferten die Interessen des Finanzplatzes ein wirkungsvolles Gegenargument zum Thema Erbschaftssteuer.

1989 forderte der Wirtschafts- und Sozialrat eine Erbschaftssteuer in direkter Linie – die wohl konkreteste Infragestellung des Luxemburger Sonderwegs. „Die Besteuerung des Vermögens rechtfertigt sich nicht nur aufgrund von Steuergerechtigkeit, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen“, heißt es in einem Bericht über eine allgemeine Steuerreform.

Vor 30 Jahren waren sich die Vertreter der Wirtschaft, Landwirtschaft und Arbeitnehmer einig, dass das Erben stärker besteuert werden sollte. Aber ein noch viel größeres Tabu blieb bestehen: „Le Conseil Economique et Social insiste cependant pour que le secret bancaire soit sauvegardé dans son integralité.“ Gleichzeitig warnte der Rat, dass „vu les implications possibles sur la place financière“ die Regierung von einer Erbschaftssteuer in direkter Linie absehen sollte, falls durch die Umsetzung das Bankgeheimnis in Gefahr gerate.

Als der Finanzplatz von dem Schwarzgeld der sprichwörtlichen belgischen Zahnärzte weg wollte und Ultrareiche als neue Klientel entdeckte, blieb das günstige Erbschaftsrecht ein Argument. 2008 warnten der Anwalt Jacques Loesch und der CSV-Abgeordnete Lucien Thiel, dass die Steuerbefreiung in direkter Linie eine Voraussetzung sei, um Familien mit großen Vermögen nach Luxemburg zu locken. Und tatsächlich sind Bankgeheimnis und steuerfreies Vererben die Argumente für russische Ultrareiche sich hierzulande niederzulassen, sagen Experten.

Steuertransparenz eröffnet Optionen

Doch die Dinge ändern sich. 1989 war das Luxemburger Bankgeheimnis bereits unter Beschuss, aber die „Festung“ sollte noch ein knappes Vierteljahrhundert lang halten. Heute ist es nur noch für Inländer in Kraft – aber kein Argument mehr gegen eine Ausweitung der Erbschaftssteuer.

Denn seit 2017 ist „fraude fiscale aggravée“ eine Straftat. Das gilt für Steuerhinterziehung ab einem Betrag von 10.000 Euro – auch bei einer Erbschaft. Banken vermeiden tunlichst, einen solchen Fall zu übersehen, denn ansonsten droht ihnen ein Verfahren wegen Geldwäsche. Bankgeheimnis hin oder her.

CSV-Präsident Frank Engel wollte eine Debatte über die Besteuerung von Vermögen, zu dem Menschen gekommen sind, „die in ihrem Leben keine andere Leistung vollbracht haben, als geerbt zu haben“. Nach dem REPORTER-Interview musste er allerdings zurückrudern. (Foto: Matic Zorman)

Der automatische Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden nimmt reichen Luxemburgern zudem die Option ihr Vermögen in nicht mehr ganz so diskreten Schweizer Banken zu hinterlegen. Auch die Briefkastenfirmen in Panama oder den Britischen Jungferninseln bieten kein sicheres Versteck mehr.

2009 – mitten in der Finanzkrise – deklarierten die G20-Staaten: „Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorbei.“ Es folgte ein Durchgreifen gegen Steuerparadiese und auch Luxemburg spürte die Folgen. Die aktuelle Wirtschaftskrise könnte zur Folge haben, dass Staaten die „Früchte“ der getanen Arbeit sammeln. Es gibt nur noch begrenzte Möglichkeiten für Privatpersonen sich einer Vermögensbesteuerung zu entziehen. Ein klassisches Gegenargument zu Erbschaftssteuern fällt.

Das bizarre Argument der doppelten Besteuerung

„Eine solche Besteuerung ist moralisch total verwerflich“, echauffierte sich der ADR-Abgeordnete Roy Reding in Reaktion auf Frank Engels Vorstoß. Er bemühte ein typisches Argument: „Es wird Geld, das bereits besteuert wurde, noch ein weiteres Mal besteuert.“

Das ist zugleich richtig und falsch. Es kann zu einer doppelten Besteuerung kommen. Doch das ist keine Ausnahme im Steuersystem: Arbeitnehmer zahlen Steuern auf ihren Lohn und müssen trotzdem mit dem gleichen Geld Mehrwertsteuern zahlen, wenn sie etwa Nahrungsmittel kaufen, betonen die OECD-Experten.

Steigende Tendenz bei Einnahmen

2019 waren 3.430 Erbschaften in Luxemburg steuerfrei, weil sie in direkter Linie gemacht wurden. In 805 Fällen fielen „droits de succession“ an. Das Finanzministerium rechnet mit 85 Millionen Euro an Einnahmen für 2019 und 2020. 2018 nahm der Staat 89 Millionen Euro an Erbschaftssteuern ein. 2017 war es ein Rekordbetrag von 110 Millionen Euro. Die Tendenz ist generell steigend: Zwischen 2000 und 2017 stiegen die Einnahmen um 288 Prozent – das zweifache des BIP-Wachstums. Der Anteil an den Gesamteinnahmen des Staates steigt ebenfalls leicht an. 2017 lag er bei 0,7 Prozent.

Außerdem ist ein Teil des Vermögens noch nicht besteuert: Steigt eine Immobilie im Wert, dann ist das ein Vermögenswert, der in Luxemburg noch nie besteuert wurde – bis das Haus oder die Wohnung verkauft wird. Da ein Großteil des Vermögens hierzulande aus Immobilien besteht, ist dieser Fall nicht die Ausnahme, sondern die Regel.

Das Problem, was besteuert werden soll

Problematischer ist die Frage, welchen Teil des Erbes der Staat besteuern soll. In Deutschland ist umstritten, wie stark das Vererben von Familienunternehmen entlastet werden soll. Auch die Luxemburger Handelskammer warnt vor einem potentiellen Schaden für Firmen. Das Argument: Die nächste Generation steht vor der doppelten Herausforderung den Betrieb zu übernehmen und die Steuern zu bezahlen. Geld, das dann für Investitionen fehlt.

Allerdings kann eine zu großzügige Befreiung von Familienunternehmen die Besteuerung von Erbschaften aushebeln, wie sich anhand der deutschen Zahlen zeigt. Der Steueranwalt Alain Steichen betonte in einem Vortrag, dass es kaum empirische Belege für Firmen gibt, die aufgrund der Erbschaftssteuer verschwanden.

In Luxemburg ist eher das umgekehrte Phänomen zu beobachten. Familien geben ihre Unternehmen auf, weil es rentabler ist, das Immobilienvermögen zu verwerten. Und weil Immobilien, anders als kleine und mittelgroße Betriebe, kaum besteuert werden – zumal wenn sie in „Fonds d’investissement spécialisés“ (FIS) gepackt werden.

Zudem besteht grundsätzlich das Problem der Freibeträge. Politiker betonen gerne, dass es nicht darum gehe, Familien zu besteuern, die ein Haus vererben. Aber wenn Häuserpreise bei einer Million Euro anfangen und weiter rasant steigen, ist das eine brisante Frage. Frank Engel nannte als möglichen Freibetrag 500.000 Euro. Déi Lénk hatten in ihrem Wahlprogramm 1,5 Millionen Euro, der Abgeordnete Marc Baum nannte vergangene Woche den Betrag von zwei Millionen.

Im Vergleich liegen die Freibeträge in direkter Linie in den Nachbarländern deutlich tiefer: In Deutschland sind es 400.000 Euro, in Frankreich 100.000 Euro und in der Wallonie zwischen 12.500 und 25.000 Euro.

Vermögenssteuern werden wieder salonfähig

Die Staaten könnten Vermögen also stärker besteuern, aber sollten sie auch? Ja, schrieb die OECD – ein Club reicher Länder – in einem viel beachteten Bericht 2018. „Es gibt gute Gründe, um ungleiche Vermögensverteilung durch das Steuersystem anzugehen. Die Ungleichheit ist bei Vermögen weit größer als bei den Einkommen“, schreiben die Experten. Und es gibt Hinweise, dass Unterschiede beim Vermögen zunehmen.

Wer vermögend ist, hat mehr Möglichkeiten wirtschaftliche Chancen zu nutzen. Das sei ein Vorteil, den ein Staat aus gesellschaftlicher Gerechtigkeit durch Steuern ausgleichen sollte. Ein Argument der OECD, das sich genauso auch im Bericht des Luxemburger Wirtschafts- und Sozialrats findet.

Dieser Bericht von 1989 liefert einen interessanten Denkanstoß: Die Besteuerung von Vermögen spült dem Staat nicht riesige Summen in die Kasse. Aber sie sind eine Stellschraube, um andere Steuern zu senken oder zumindest nicht zu erhöhen. Denn um die Kosten der Corona-Krise zu bezahlen, wäre es einfacher, die Mehrwertsteuer oder die Lohnsteuer zu erhöhen. Aber sicher nicht gerechter als eine Erbschaftssteuer in direkter Linie.


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