Ohne gewählt zu sein und ohne politische Erfahrung übernahm Pierre Gramegna den Schlüsselposten im Kabinett Bettel. Heute ist der DP-Finanzminister in der Rolle des Politikers angekommen – zum Entsetzen seiner Ex-Kollegen aus der Unternehmerwelt. Ein Porträt.
Entspannt lehnt sich Pierre Gramegna zurück. Die Mouvéco-Präsidentin Blanche Weber hat gerade dem CSV-Kandidaten Laurent Zeimet eine mehrteilige Frage gestellt, verbunden mit einer Breitseite gegen das Programm der Volkspartei. „Da bin aber froh, dass ich jetzt nicht dran bin“, scherzt Gramegna und der Saal im gut gefüllten „Cercle Cité“ lacht.
So gelöst wie jetzt im Wahlkampf hat man den DP-Politiker nicht immer erlebt – gerade dann nicht, wenn er mit Kritik konfrontiert war. „So empfängt man einen Minister nicht!“, blaffte er barsch im November 2017 Vertreter der Finanzdienstleister an. Gramegna klagte, er erwarte mehr Respekt für alles, was die Regierung für den Finanzplatz getan habe, berichtete das „Luxemburger Wort“.
Sein Kommunikationsstil war lange recht eigenwillig. Der Finanzminister ließ auch schon mal Journalisten stehen, wenn er fand, sie würden zu lange mit Oppositionsabgeordneten sprechen. Fragen außerhalb von Pressekonferenzen und formellen Interviews ließ er am liebsten von seinen Sprechern beantworten.
Der Shitstorm Luxleaks
Die Anspannung des Ministers fand ihren Höhepunkt im November 2014. Weltweit berichteten dutzende Medien über Steuervermeidung großer Konzerne über den Weg der Rulings, die die Steuerverwaltung tausendfach ausstellte. Pierre Gramegna wurde von der Presse und der CSV kritisiert, weil er trotz dem umfangreichen Fragenkatalog des Journalistenkonsortiums ICIJ die Tragweite der Enthüllungen unterschätzte. Bei kritischen Nachfragen einer Journalistin zu seiner persönlichen Rolle bei der Reaktion der Regierung auf Luxleaks platzte ihm gar der Kragen.
Als wir 2014 das Bankgeheimnis aushöhlten, warnten die Big Four, das sei eine Katastrophe für Luxemburg.“Pierre Gramegna
Nach Ausbrechen des Skandals um die Rulings fehlte es an einer Kommunikationsstrategie und Luxemburg war auf der politischen Bühne isoliert. Gerade drei Wochen zuvor hatte Gramegna das „Zukunftspak“ vorgestellt – ein umfassendes Sparpaket. Zum Bild des überforderten Ministeriums passt auch, dass sich der Minister Anfang 2014 medienwirksam von den Top-Beamten Georges Heinrich, Alphonse Berns und Sarah Khabirpour trennte. Das hinterließ ein längerfristiges Strategie-Vakuum. Erst nach und nach baute der DP-Minister sein eigenes Team auf und rekrutierte massiv Beamte, um das jahrzehntelang unterbesetzte Ministerium samt den zugehörigen Verwaltungen zu verstärken.
Die andere „kopernikanische Wende“
Doch die wohl wichtigste Entscheidung seiner fünf Jahre als Finanzminister war bei Ausbruch des Luxleaks-Skandals längst gefällt: das definitive Ende des Bankgeheimnisses. Am Anfang seiner Amtszeit versprach Pierre Gramegna eine Revolution in der Art und Weise, wie der Staatshaushalt aufgestellt werde. Eine „koperikanische Wende“ sollte es sein.
Die blieb aus. Doch in der Luxemburger Steuerpolitik blieb unter dem DP-Minister kein Stein auf dem anderen. Was das Bankgeheimnis anging, blieb Gramegna in Kontinuität zu seinem Vorgänger. Luc Frieden (CSV) sagte am 7. April 2013 der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“: „Der internationale Trend geht zum internationalen Informationsaustausch. Den lehnen wir anders als früher nicht mehr strikt ab.“ Damit war klar, dass mittelfristig ausländische Steuerbehörden Zugriff auf Kontodaten in Luxemburg erhalten würden.
Jene, die sechs Monaten zuvor noch protestierten, dass wir eine neue Richtung eingeschlagen haben, sahen nach Luxleaks ein, dass wir nicht auf dem alten Weg bleiben konnten.“
Gramegnas Strategie beruhte auf der Annahme, dass dieser Trend in Richtung Steuertransparenz unausweichlich ist. Deshalb blockierte die Dreierkoalition Anfang 2014 auch nicht den erweiterten Informationsaustausch – etwa auf Dividenden. „Als wir das Bankgeheimnis aushöhlten, warnten die Big Four, das sei eine Katastrophe für Luxemburg. Das ist aber nicht eingetreten. Das Bankgeheimnis war nicht mehr zu halten. Es kam uns zugute, dass wir das relativ schnell gemacht haben – im Vergleich etwa zur Schweiz“, erklärt er.
Ein weiteres Argument, warum Luxemburg aus Gramegnas Sicht nicht an der alten Blockadepolitik festhalten konnte, war wie Luxemburg im Ausland gesehen wurde. Der internationale Ruf des Landes habe sich über Jahrzehnte verschlechtert, so der Finanzminister. „Ich kann mich erinnern, wie ich als junger Diplomat in den 1980er Jahren erlebte, wie sich die Regierung Santer/Poos gegen eine Quellensteuer auf Zinsen stellte.“
Warum Luxleaks Gramegna half
„Luxleaks war der Tiefpunkt. Gott sei dank hatten wir damals bereits angekündigt, dass wir den Informationsaustausch wollen. Sonst wäre es sehr schwierig geworden, aus dieser Schmuddelecke rauszukommen. Heute hat sich der Ton gegenüber Luxemburg geändert“, sagt Gramegna.
Und so war der Skandal letztlich ein Argument für seine Politik. „Jene, die sechs Monaten zuvor noch protestierten, dass wir eine neue Richtung eingeschlagen haben, sahen nach Luxleaks ein, dass wir nicht auf dem alten Weg bleiben konnten. Ich hätte mir Luxleaks aber lieber erspart.“

Pierre Gramegna sprach öfters Klartext: „Eh bien, déi optimisation fiscale déi mat sech bréngt, datt d’Entreprise bal keng Steieren néierens bezuelen, fanne mir als lëtzebuerger Regierung net gutt“, sagte er am Tag, als der Luxleaks-Skandal öffentlich wurde. Für Briefkastenfirmen wie jene von McDonald’s sei in Luxemburg kein Platz mehr, betonte er Anfang 2017. Kurz vor Ende der Legislaturperiode reichte er zwei Gesetzesentwürfe ein, die Regeln enthalten, die das Ende zahlreicher Steuernischen bedeuten.
Die Begeisterung der Kandidaten, Finanzminister zu werden, war sehr klein.“
In anderen Punkten sträubte sich der liberale Minister dagegen länger. Erst am Dienstag wurde deutlich, dass die Luxemburger Regierung sich nicht mehr gegen eine Besteuerung der Internetriesen wie Google und Amazon sträubt, wie sie Frankreich forderte. Zumindest als Übergangslösung während maximal drei Jahren, wie das „Luxemburger Wort“ berichtete. Auch die weitgehende Harmonisierung der Unternehmensbesteuerung, wie sie die EU-Kommission fordert, bleibt ein rotes Tuch für Gramegna. Eine Sichtweise, die allerdings alle Abgeordnete bis auf Déi Lénk teilen.
Als Sparmeister angetreten
Doch aus der Unternehmenswelt wird Gramegna mangelndes Verhandlungsgeschick vorgeworfen. „Nachdem Luxemburg von allen schwarzen Listen gestrichen war, sagten wir Ja, ja, ja zu allem ohne Druckmittel zu behalten“, zitiert das Onlinemagazin „Luxembourg Times“ einen früheren Kollegen des Finanzministers.
In der internationalen Steuerpolitik zeigte Gramegna einen ausgeprägten Pragmatismus, der nicht jedem passte. In seiner Haushaltspolitik dauerte es jedoch deutlich länger, bis er den Weg der Realpolitik einschlug.
Als am 30. November 2013 bekannt wurde, dass der damalige Direktor der Handelskammer das Finanzressort übernehmen würde, war die Überraschung groß. „Die Begeisterung der Kandidaten, Finanzminister zu werden, war sehr klein“, sagt Gramegna trocken. Claude Meisch hatte früh in der Phase der Regierungsbildung auf den Posten verzichtet. Auch Etienne Schneider hatte abgelehnt, wie der heutige Vizepremier im Buch „Blau. Rot. Grün. Hinter den Kulissen eines Machtwechsels“ freimütig erzählte.
Im Gespräch mit REPORTER erinnert Gramegna daran, dass die Prognosen für die Staatsfinanzen damals düster waren. Eine „Note au formateur“ ging von einem Loch im Haushalt von über zwei Milliarden Euro bis 2016 aus. Der Finanzminister würde ein Sparmeister sein – soviel war klar.
Diese Aussicht störte Gramegna nicht, im Gegenteil. „Ich sagte Xavier Bettel nach einer Phase des Nachdenkens, ich könnte mir vorstellen, den Posten zu übernehmen. Aber nur, wenn im Koalitionsabkommen Garantien stehen, dass der Finanzminister auch handeln kann.“ Knapp zwei Wochen vor den vergangenen Wahlen hatte Gramegna als damaliger Handelskammerdirektor noch Einsparungen bei RMG, beim Kindergeld, bei den Studien- und Wohnungsbeihilfen sowie bei den Renten vorgeschlagen.
Der letzte Verteidiger des „Zukunftspak“
Ganz so forsch sollte er dann als Politiker doch nicht vorgehen. Und doch brachte Gramegna ein Sparpaket mit 258 Maßnahmen auf den Weg, das die Koalition euphemistisch „Zukunftspak“ taufte. Ein Fehler sagen heute Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) und – wenn auch etwas abgeschwächter – Premier Xavier Bettel (DP). Indem die Koalition an allen Ecken und Enden sparte, brachte sie das ganze Land gegen sich auf, lautet das Argument.
„Im Rückblick kann man sagen, dass manche Maßnahme nicht populär war, manche hätte man sich wortwörtlich sparen können. Ich sage aber weiterhin, dass es besser war, viele Maßnahmen zu treffen, statt pauschal die Steuern zu erhöhen“, meint der DP-Minister heute. Allerdings tat die Regierung letztlich beides. Sie erhöhte parallel zum „Zukunftspak“ die Mehrwertsteuer von 15 auf 17 Prozent und führte eine vorübergehende 0,5-Prozent-Steuer ein.
„Da hatten wir Glück beim Timing“
Spätestens nach dem desaströsen Ausgang des Referendums im Juni 2015 sorgte sich die Dreierkoalition um ihr politisches Überleben. Etienne Schneider drängte auf ein Ende des Sparkurses. Das ursprüngliche Ziel, die 2017 durchgeführte Steuerreform budgetneutral zu halten, ließ die Koalition schnell fallen.
„Aus der Steuerreform wurde eine Steuererleichterung. Manche sagen, wir profitierten von einer guten Konjunktur. Ja, das stimmt. Da hatten wir Glück beim Timing. Allerdings wäre ohne Reformen zuvor gar nichts möglich gewesen“, sagt Pierre Gramegna im Rückblick.
Dir hutt mech wahrscheinlech scho mol an der Zeitung oder an der Télé gesinn.“
Diese Abweichung der reinen, wirtschaftsliberalen Lehre haben die Wirtschaftsvertreter und früheren Kollegen ihrem „léiwe Pierre“ nicht verziehen. Die Steuerreform ging ihnen gleichzeitig zu weit und nicht weit genug. Zur Senkung der Betriebsbesteuerung von 29 auf 26 Prozent sprach der Unternehmensverband UEL von „homöopathischen Maßnahmen“, „ein zaghafter Schritt“ meinte der Generaldirektor der Handelskammer Carlo Thelen. Auch dass die Reform den Staatshaushalt wesentlich belasten würde, sorgte für Kritik.
In einer ungewöhnlich politischen und liberalen Stellungnahme kanzelte der Staatsrat Gramegnas Werk als teuer und nutzlos ab. Der Clou: Alain Kinsch, der Chef des Beratungsunternehmen EY und DP-Vertreter in den Koalitionsverhandlungen, verfasste das Dokument zu maßgeblichen Teilen.
„Mäin Numm ass Pierre“
Inhaltlich hat Pierre Gramegna die Verwandlung zum Politiker vollzogen. Dabei hat er seine ursprünglichen Überzeugungen zum Teil über Bord geworfen. Ob er die Wähler heute erreicht, da ist er sich selbst nicht so sicher. „Dir hutt mech wahrscheinlech scho mol an der Zeitung oder an der Télé gesinn“, so seine etwas gestelzte Vorstellung in einem DP-Wahlkampfspot.
Pierre Gramegna sagte gegenüber „Luxembourg Times“ über die Herausforderung für einen politischen Neuling: „Die Lernkurve war die politische Balance zwischen Institutionen und der öffentlichen Meinung. Das ist das schwierigste, für Politiker und für alle, denn man unterschätzt das gerne. Als Diplomat etwa ist es nicht die Priorität, zu überlegen, wie man die Bürger überzeugt.“