Pierre Gramegna hat das Finanzministerium personell neu aufgestellt. Seinem Mitarbeiterstab fehlt es jedoch in Schlüsselpositionen an Erfahrung und strategischer Weitsicht – eine generelle Tendenz, die sich zunehmend auf die politische Gestaltung auswirkt.

Es sollte nicht lange dauern bis Pierre Gramegna (DP) Akzente setzte. Der neue Finanzminister gab gleich nach seinem Amtsantritt im Dezember 2013 einer Reihe von Spitzenbeamten unmissverständlich zu verstehen, dass er künftig nicht mit ihnen plane. Mit Georges Heinrich (bis 2014 Directeur du Trésor), Alphonse Berns (bis 2014 Directeur de la Fiscalité) und Sarah Khabirpour (bis 2014 Chef de cabinet) verließen damals drei Schlüsselpersonen das Haus. Es dauerte einige Monate bis sich das Ministerium von diesen Abgängen erholte. „Er riss bestehende Strukturen ein, ohne zu wissen, was danach kommen soll“, beschrieb damals ein Insider den Vorgang.

Pierre Gramegna vertritt freilich eine andere Version der Geschichte. „Es gab da drei Mitarbeiter, die nicht bereit waren, aus welchen Gründen auch immer, mit mir zu arbeiten und ich musste die Posten neu besetzen“, sagte er jüngst im Interview mit dem „Journal“.

Unabhängig von der Interpretation der Ereignisse von damals hat der Politik-Quereinsteiger daraus gelernt. „Er ist vorsichtiger geworden“, sagt einer seiner politischen Mitstreiter. Das äußert sich etwa im Umgang mit den Medien. Pressekonferenzen sind ebenso rar wie sachliche Statements. An einem offiziellen Pressebriefing der Regierung hat Gramegna schon länger nicht teilgenommen. Und bei sogenannten „Leaks“ aus dem Ministerium wird schon einmal eine interne Sitzung einberufen, um vergeblich den in den Augen des Ministers Schuldigen ausfindig zu machen.

Gramegnas Kommunikationswandel

Der Minister habe schlechte Erfahrungen mit der Presse gemacht und fühle sich oft ungerecht behandelt, heißt es aus Parteikreisen zur Begründung. Intern hat der Minister zudem schnell die Devise ausgegeben, dass die aktive Kommunikation mit der Presse die absolute Ausnahme sein soll. Zumindest in diesem Punkt zeigt sich, dass der ehemalige Botschafter und Ex-Generaldirektor der Handelskammer bis heute noch nicht ganz im politischen Betrieb angekommen zu sein scheint. Was jedoch auffällt: Im beginnenden Wahlkampf, seinem ersten als Politiker, sucht Gramegna seit einigen Wochen vermehrt den Weg in die Öffentlichkeit.

Auch auf Nachfrage von REPORTER lässt sich der Finanzminister auf die unter Journalisten oft hörbare Kritik an seinem Kommunikationsstil ein. Wie würde er seinen Umgang mit den Medien beschreiben? „Diese Frage können Sie als Journalist besser beantworten als ich selbst“, sagt Gramegna. Er pflege jedenfalls regelmäßigen Kontakt mit nationalen und internationalen Medien und sei stets bemüht, der Presse Rede und Antwort zu stehen. Er sei sich jedoch auch bewusst, dass eine Reaktion seinerseits aufgrund eines vollen Terminkalenders „nicht immer so zeitnah“ möglich sei, „wie manche Journalisten sich dies wünschen würden“. Ebenso verweist der Minister zum Beleg seines Bemühens um „Transparenz“ auf die „interaktiven Webseiten“  zum Budget und zur Steuerreform sowie den Aufbau einer Präsenz seines Ministeriums in den sozialen Medien.

Wie Gramegna sein Haus umbaute

Eine weitere Folge der besagten Episode zu Beginn seiner Amtszeit: Gramegna hat sein Haus nach und nach umgebaut. Viel Spielraum zur personellen Erneuerung bleibt einem Finanzminister zwar nicht. Das liegt einerseits am begrenzten personellen Potenzial, das in Luxemburg für Spitzenposten in der Ministerialverwaltung in Frage kommt. Andererseits aber auch an der beschränkten Anzahl an Neueinstellungen bzw. politischen Nominierungen für die höchste Ebene des öffentlichen Dienstes sowie an der Erwartungshaltung von internen Beförderungen. So hat sich der Minister einerseits mit Vertrauensleuten umgeben, andererseits aber auch intern Posten neu verteilt sowie auf der mittleren und unteren Ebene den Personalbestand wesentlich aufgestockt.

Zu den Vertrauenspersonen zählt vor allem Bob Kieffer. Der frühere Bankangestellte (BGL BNP Paribas) wurde zunächst 2014 als Pressesprecher engagiert, machte aber schnell weiter Karriere. Seit Ende 2016 ist der Jurist als Erster Regierungsrat für die Generalkoordination im Ministerium zuständig. Die Beziehungen mit den Medien übernimmt Kieffer quasi en passant. Ein formeller Nachfolger als Pressesprecher des Finanzministeriums wurde bis heute jedenfalls nicht ernannt.

Als loyaler Vertrauter gilt ebenso Etienne Reuter. Gramegna ernannte den langjährigen Topbeamten 2014 zum Generalkoordinator und Anfang 2017 zum Nachfolger von Jeannot Waringo an der Spitze der Finanzinspektion (IGF). Der routinierte Beamte gilt als parteipolitisch flexibel bis neutral. Nicht zuletzt seine uneingeschränkte Loyalität und seine interne Kritik der abtrünnigen Spitzenbeamten zu Beginn von Gramegnas Amtszeit haben Reuter an die Spitze der Karriereleiter im Ministerium gebracht.

Gramegna belohnt Loyalität und Sachverstand, hat offenbar aber kein Interesse an Beamten, die strategische Überlegungen anstellen und langfristig politisch mitdenken.“

Ähnlich verhielt es sich mit Pascale Toussing (heute Direktorin der Steuerverwaltung) und Isabelle Goubin (Direktorin des Schatzamtes sowie der Abteilung „Budget et place financière“). Seine Personalentscheidungen begründete Gramegna übrigens im „Journal“ auch mit dem Hinweis auf die Geschlechterquote: „Ich bin heute sehr zufrieden damit, und insbesondere auch froh, dass zwei Frauen an der Spitze des Schatzamts und der Steuerverwaltung stehen.“

Eine führende Rolle sollte auch Christophe Zeeb spielen, den Gramegna aus seiner Zeit als Generaldirektor der Handelskammer kannte und als Minister rasch rekrutierte. Zeeb, der zunächst als Ersatz für die in den Privatsektor gewechselte Ex-Kabinettschefin Sarah Khabirpour gehandelt wurde, erhielt zwar schnell die Beförderung zum „Conseiller de Gouvernement 1ère classe“. Ihm wurde aber letztlich keine zentrale Position im Ministerium zuteil. Mittlerweile wurde er zur Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung nach London abgeordnet – in Ministeriumskreisen ist von „Wegloben“ die Rede.

Ein Steuerdirektor ohne Beamtenstatut

Schließlich ernannte der Minister Anfang 2017 einen Überraschungskandidaten zum neuen Direktor der Steuerabteilung. Mit Carlo Fassbinder wurde der frühere „Head of Tax Retail & Corporate Banking“ der BGL BNP Paribas an die Spitze der ministerialen Direktion „Fiscalité“ befördert. Ungewöhnlich ist dabei weniger die Verpflichtung eines Bankmanagers ohne Erfahrung im Staatsdienst, sondern eine Formalität: Fassbinder besetzt den einflussreichen Posten bisher immer noch als „Employé“, also als Staatsangestellter ohne Beamtenstatut. Eine baldige Verbeamtung ist zwar wahrscheinlich. Doch allein die Tatsache, dass einige rangniedrigeren Mitarbeiter im Ministerium besser verdienen als der Abteilungsleiter, ist bemerkenswert.

„Er ist vorsichtiger geworden“: Finanzminister Pierre Gramegna hat sein Ministerium neu aufgestellt. Den Mangel an erfahrenen und strategisch denkenden Beamten konnte er bisher aber nicht kompensieren. (Foto: Matic Zorman)

Schwerer wiegt aber, dass dem Directeur der „Fiscalité“ eigentlich eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung und Umsetzung der strategischen internationalen Steuerdossiers zufällt. In Zeiten, in denen der Finanzminister mitunter mehr europäische als nationale Politik betreibt, ist für diesen Posten immer mehr Erfahrung und Fingerspitzengefühl auf dem diplomatischen Parkett gefragt. Kein Wunder, dass Gramegnas Vorgänger Luc Frieden (CSV) einst zur Abwicklung des Bankgeheimnisses keinen ausgewiesenen Steuerrechtsexperten, sondern den ehemaligen Botschafter und mittlerweile pensionierten Karrierediplomaten Alphonse Berns für diesen Job zu sich holte.

Die inhaltlichen Folgen der Personalpolitik

Während seine Vorgänger in dieser Position die strategische Mitgestaltung der Steuerpolitik verantworteten, befindet sich Carlo Fassbinder dagegen immer noch in einer nachvollziehbaren Eingewöhnungsphase. Das rächt sich aber nicht zuletzt beim Management der großen kontroversen Dossiers der vergangenen Wochen und Monate.

Sei es das eher improvisierte Management der Nachwehen von Luxleaks und Panama Papers, die Vorstöße aus Brüssel zur Common Consolidated Corporate Tax Base (CCCTB), zur Einführung einer EU-Digitalsteuer (auch unter „GAFA“-Steuer bekannt), zum Transparenzregister, zur EU-Bankenaufsicht, die Vorbereitung des neuen Doppelbesteuerungsabkommens mit Frankreich oder die seit längerem befürchtete juristische Verfolgung weiterer Fälle von unerlaubter Staatshilfe im Kontext luxemburgischer Steuerrulings durch die EU-Kommission: Hinter den Kulissen ist schon länger die Rede von einem „strategischen Vakuum“ in der Gouvernance der Finanzpolitik.

Früher wusste man, wo man bei Luxemburgs Regierung dran ist, in den vergangenen Jahren sind die Positionen nicht immer ganz klar.“

Dass dieses Vakuum nicht kleiner wird, stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der rezenten Personalpolitik im Finanzministerium, sagt ein früherer hoher Beamter. Man habe jetzt zwar „exzellente Sachverständige“ auf Spitzenpositionen befördert. Diese würden sich aber auf die nüchterne Beschreibung der heiklen Dossiers beschränken und dem Minister kaum politische Entscheidungsoptionen vorlegen. „Gramegna belohnt Loyalität und Sachverstand, hat offenbar aber kein Interesse an Beamten, die strategische Überlegungen anstellen und langfristig politisch mitdenken“, so der ehemalige Mitarbeiter an der Rue de la Congrégation.

Begründete Zweifel an Luxemburgs Strategie

Dieser Eindruck verstärkt sich auch auf internationaler Ebene. „Früher wusste man, wo man bei Luxemburgs Regierung dran ist, in den vergangenen Jahren sind die Positionen nicht immer ganz klar“, heißt es von einem ausländischen Diplomaten, der jahrelang an hochrangigen multilateralen Treffen unter luxemburgischer Beteiligung beteiligt war. Regelmäßig höre man von luxemburgischen Vertretern auch hinter verschlossenen Türen die gleichen Floskeln und nicht weiter ausgeführte „politische PR-Sprache“ wie das Versprechen von „mehr Transparenz“ oder die Bezeichnung Luxemburgs als „Musterschüler“. Die EU-Partner könnten oft nur mutmaßen, welche Position Luxemburgs oberster Kassenwart und dessen Stab bei manchen Dossiers überhaupt vertreten, heißt es weiter.

Hinzu kommt, dass einige hohe Beamte aus Luxemburg laut diplomatischen Kreisen auf europäischer Ebene nicht so gut vernetzt sind wie ihre Vorgänger – eine weitere wenig überraschende Konsequenz der mangelnden Erfahrung. Die Gouvernance des Ministeriums wirkt sich so unmittelbar auf die politische Gestaltung aus. Luxemburg reagiert meistens nur noch auf die Vorstöße aus Brüssel oder aus anderen Hauptstädten, die man traditionell als „Attacken“ auf die eigene Souveränität begreift. Eine Antizipation solcher Situationen fällt laut mehreren Quellen aufgrund der suboptimalen strategischen Aufstellung des Ministeriums immer schwerer.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde, zumindest was die Personalpolitik angeht, an der falschen Stelle gespart.“

Gramegna scheint sich jedenfalls jedes Mal aufs Neue zu wundern, warum manche EU-Partner oder Mitglieder der EU-Kommission seiner Botschaft des radikalen Wandels des Luxemburger Images keinen Glauben schenken. Mehr als deutlich wurde dies bei der jüngsten Kontroverse um den erneuerten Vorwurf aus Brüssel, wonach Luxemburg und sechs weitere EU-Staaten nach wie vor „aggressive Steuerplanung“ betreiben würden. Hätte man früher noch hinter den Kulissen alle Kanäle aktiviert, um den Schaden zu begrenzen, begnügt sich die Regierung jetzt darauf, sich im Nachhinein medienwirksam zu echauffieren.

Unstrittig ist, dass die aktuelle Regierung sich beim automatischen Informationsaustausch und bei der Umsetzung des BEPS-Projekts der OECD bewegt hat. Fakt ist aber auch, dass die Zeichen auf europäischer Ebene weiter auf Harmonisierung und Bekämpfung von Steuervermeidung von Unternehmen stehen. Mit Schlagworten wie „early adopter“, „Musterschüler“ oder „Level playing field“ kann man in den harten Verhandlungen auf europäischer Ebene dabei niemanden beeindrucken. Unter dem Strich verpasst Luxemburgs Regierung regelmäßig die Chance, die Kritik aus dem Ausland vorzeitig zu entkräften und die internationale Entscheidungsfindung auf der höheren Beamtenebene zu beeinflussen.

Personalmangel als altbekanntes Problem

Gilles Roth, früherer Beamte im Finanzministerium und heutiger finanzpolitischer Sprecher der CSV, will das Problem aber nicht allein an dem aktuellen Amtsinhaber und der blau-rot-grünen Koalition festmachen. Etwas nuancierter als seine Parteikollegin Viviane Reding spricht er in Bezug auf die schwindende strategische Kompetenz von einem allgemeinen, aber altbekannten Phänomen. Das Finanzministerium sei „chronisch unterbesetzt“, sagt Roth. Schon zu Beginn der 2000er Jahre habe es eine Welle von Abgängen gegeben, die man bis heute nicht kompensiert habe. Dies sei eine „fatale Entwicklung“, denn gleichzeitig habe die Komplexität der finanzpolitischen Zusammenhänge freilich zugenommen.

Es braucht nicht nur Aktenfresser, sondern auch Leute, die etwas von Redenschreiben, Beratung und politischem Spin verstehen.“

Auch Pierre Gramegna bestätigt diese generelle Darstellung auf Nachfrage von REPORTER. „In den vergangenen Jahrzehnten wurde, zumindest was die Personalpolitik angeht, an der falschen Stelle gespart.“ Er habe das Problem jedoch erkannt und „konsequent angepackt“, sagt der Minister. Seit Anfang 2014 konnte der Personalbestand so quer durch alle Karrierestufen um 24 Prozent angehoben werden, „und es wird weiter eingestellt“.

Als Grund für die Personalprobleme nennen sowohl Gramegna als auch Roth die mangelnde Attraktivität der höheren Beamtenkarriere. Im Durchschnitt aller Karrieren sei der Öffentliche Dienst in Luxemburg zwar durchaus attraktiv, sagt Roth. Doch auf der höchsten Ebene der „Schlüsselministerien“ sei der Staat im Vergleich mit der Privatwirtschaft nicht konkurrenzfähig. Auch Gramegna spricht sich allgemein für „mehr Flexibilität, und dadurch mehr Attraktivität des öffentlichen Dienstes“ aus. Zur Einordnung: ein politisch nominierter „Conseiller de gouvernement“ verdient im Schnitt je nach Dienstalter und Versorgung mit Aufsichtsratsposten gut 10.000 bis 15.000 Euro brutto im Monat.

„Es braucht nicht nur Aktenfresser“

Für Gilles Roth ist es jedoch nicht nur eine Frage der Quantität, sondern auch der Qualität des Personals. Ein Trend sei jedenfalls die Rekrutierung von „jungen, hoch kompetenten Beamten, denen jedoch die nötige Erfahrung und der Blick für das große Ganze“ fehle. Den Mangel an Erfahrung könne man zwar niemandem vorwerfen, sagt Roth. Dass die Zunft der politisch denkenden Beamten rar geworden sei, liege allerdings auch an der politischen Führung. „Wir brauchen nicht nur Sachkompetenz, sondern auch Beamte, die politisch gestalten wollen. Das muss aktiv gefördert werden“, so der CSV-Abgeordnete, der selbst bereits als Nachfolger von Pierre Gramegna gehandelt wird.

Nicht auszuschließen sei laut Roth zudem, dass ein neuer Minister wiederum Anpassungen an der Spitze der Beamtenschaft vornehmen wird. Er persönlich sei überzeugt, dass die Balance zwischen Sachverstand, Loyalität und politischem Strategievermögen stimmen müsse. „Es braucht nicht nur Aktenfresser, sondern auch Leute, die etwas von Redenschreiben, Beratung und politischem Spin verstehen.“ Wenn sich im Herbst nach einem nicht auszuschließenden Regierungswechsel jedenfalls die personalpolitische Methode Gramegna von einst wieder durchsetzen sollte, darf sich manch einer in der Rue de la Congrégation also schon warm anziehen.