Das Konzept der Volkspartei scheint ausgedient zu haben. Doch auch der Trend zu neuen Sammlungsbewegungen wie „En Marche“ in Frankreich bewirkt keine dauerhafte politische Erneuerung. Das gilt auch für Luxemburg. Eine Analyse.
Würde man nach dem tierischen Pendant zu den Volksparteien suchen, man müsste bei den Hochseehaien landen. Nicht etwa wegen des Raubtierinstinkts – im Gegenteil, sondern weil der Stillstand sie tötet. Hört der Hochseehai auf sich zu bewegen, erstickt er. Hört eine Partei auf sich zu bewegen, droht ihr der Tod an der Wahlurne. Für beide ist Antrieb eine Überlebenstaktik.
Aber die Volksparteien sind für viele Wähler zu groß und unbeweglich geworden, klammern sich an ihrer Macht und alten Lösungsansätzen für fortschreitende Probleme fest. Die Bürger scheinen der politischen Spitze überdrüssig zu sein. Ihre Glaubwürdigkeit wird in Frage gestellt, ihre Massentauglichkeit ebenso.
Die Stammwähler laufen den traditionellen Parteien in Scharen davon und Randgruppierungen in die Arme. Während diese sich als begeisterungsfähige Alternativen entpuppen, verfallen die Parteien der Mitte in eine Schockstarre. Nach und nach stürzen die einstigen Polit-Riesen: die amerikanischen Demokraten, die deutsche SPD, die französischen PS und UMP – es ließe sich weiterführen. Nicht nur scheinen die Volksparteien kein Volk mehr zu haben, selbst das Grundkonzept der politischen Partei wirkt aus der Zeit gefallen.
Die großen Erfolge feiern selbsternannte Außenseiter wie Macron, Trump oder das Brexit-Lager. Hinter ihnen stehen keine großen Parteien, keine Elite, sondern nur die Stimme des Volkes. Zumindest nach eigener Darstellung.
Scheinbare Schablonen für politischen Erfolg
Trump ging von Anfang an auf Distanz zur eigenen Partei und verbuchte seinen Erfolg bei seiner Amtseinführung als Sieg seiner Bewegung, also des wahren Amerikas und seiner Bürger. Emmanuel Macron verzichtete gleich ganz auf die Unterstützung einer etablierten Partei und setzte auf die Kraft seiner Bewegung „En Marche!“. Die Erfolge wurden getragen von der Sehnsucht nach Erneuerung und Umbruch, nach einer wie auch immer gearteten Disruption. Alle waren sie Denkzettel an das politische Establishment und symbolisierten Bewegung in einem erstarrten Politikbetrieb.
Solche Bewegungen schicken sich an die Politik zu revolutionieren, dabei es ist zumeist mehr Etikettenschwindel als wahrer Aufbruch.“
Sammlungsbewegungen scheinen sich so als Schablone für politischen Erfolg durchzusetzen. Sie finden sich rechts wie bei Trump oder der Liste Kurz in Österreich, im Zentrum wie bei Macron, oder links wie bei Bernie Sanders. Sie versprechen Teilhabe, Wandel, Authentizität und ein Gemeinschaftsgefühl und präsentieren sich als Gegenstück zu überholten Parteistrukturen. Solche Gruppierungen schicken sich an, die Politik zu revolutionieren, dabei es ist zumeist mehr Etikettenschwindel als wahrer Aufbruch.
Neue Anlaufstellen für bürgerliche Empörung
In Deutschland formiert sich derzeit unter der Ägide von Sahra Wagenknecht und Politikern von SPD und Grünen eine neue Bewegung, ihr Symbol und Hashtag lautet „aufstehen“. #aufstehen – sie propagieren „Gegenkonzepte zum herrschenden Politikmodell der letzten 30 Jahre“ und die „Sehnsucht nach Aufbruch“ inmitten der Bevölkerung.
50 Jahre nach der Revolte der Studenten- und Friedensbewegungen von 1968 will man das revolutionäre Erbe nicht an die Aufwiegler von rechts abtreten. Denn in jüngster Vergangenheit war es vor allem das AfD-Umfeld, das mit Pegida-Märschen und durch andere Bewegungen die Gegenöffentlichkeit für sich beanspruchte. Deshalb will Wagenknecht nun eine Sammelbewegung auf die Beine stellen, die vom linken Rand bis ins politische Zentrum reicht und neue Anlaufstelle für bürgerliche Empörung werden soll.
Es wird auf bewährte politische Kräfte gesetzt, um bewährte politische Institutionen den Kampf anzusagen.“
Hinter den meisten Sammlungsbewegungen steckt politisches Kalkül. Sie präsentieren sich als Alternative zu den Parteien doch sind eigentlich tief in diesen verankert. Genau wie bei der „Liste Kurz“ oder „En Marche!“ sind die Volksparteien hier Fundament und Feindbild zugleich. Es wird auf bewährte politische Kräfte gesetzt, um bewährte politische Institutionen den Kampf anzusagen. Dabei wird Einheit und Schulterschluss simuliert, wo Spaltung und Abgrenzung stattfinden.
Letztlich geht es allen um politische Macht
Es wäre gefährlich, die Bewegung um Wagenknecht und Co. mit tatsächlichen Grassroots-Bewegungen wie Occupy, Black Lives Matter oder #metoo zu verwechseln. Wagenknecht erhält derzeit viel Zuspruch für ihre Initiative, aber Jubel macht noch keine Bewegung. Vielmehr wird es darum gehen, diese wirklich in der Gesellschaft zu verwurzeln, anstatt sie als Sprungbrett für parteipolitische Zwecke zu nutzen.
Der Berliner Soziologe Simon Teune sieht das problematisch, da die meisten politischen Bewegungen – egal ob rechts, links oder zentristisch – nicht von unten, sondern von oben gelenkt werden. „En Marche!“ oder die populistische „Fünf-Sterne-Bewegung“ in Italien sind orchestrierte und machtpolitische Versuche, einer Plattform einen bürgernahen und authentischen Anstrich zu verpassen. So soll ein Momentum geschaffen werden, das auf der Sehnsucht nach Veränderung basiert und sich an Wahlterminen orientiert.
Zaghafte Sammlungsansätze in Luxemburg
In Luxemburg macht Fred Keup mit seiner national-identitären Bewegung „Wee 2050“ mobil und wird mit der ADR eine gemeinsame Liste bei den anstehenden Wahlen aufstellen. Lange scheute Keup den Schritt hin zur Kooperation mit einer etablierten Partei, um die Reinheit seiner Bewegung und deren Kernbotschaft nicht zu gefährden. Letztlich geht es aber auch ihm um Macht und die Vertretung seiner politischen Anliegen.
Aber auch im Zentrum gibt es den Wunsch nach einem breitangelegten Schulterschluss. Anfang des Jahres hatte Vizepremier Etienne Schneider den Wunsch geäußert, aus der Dreierkoalition eine gemeinsame Bewegung erwachsen zu lassen, als explizites Gegengewicht zu einer allzu dominanten CSV. Ganz uneigennützig dürfte die Idee nicht gewesen sein, sondern eher Schneiders Versuch, sich das Staatsministerium im Oktober zu sichern.
Parteikollege Alex Bodry zeigte sich von solchen Vorhaben wenig begeistert. Im Interview mit REPORTER warnte er vor der naiven Vorstellung, man könnte den Erfolg von „En Marche!“ mit ein paar Handgriffen in Luxemburg kopieren. Ein stärkere Kooperation zwischen Rot und Grün sei zwar denkbar, aber ein dauerhaftes Dreierbündnis zu unterschiedlich und gegensätzlich, um eine kohärente Alternative zur CSV zu präsentieren. Damit spricht Bodry auch die Crux der Sammlungsbewegungen an: Pluralismus.
Das große Pluralismus-Problem
Der renommierte Politologe Jan-Werner Müller schreibt hierzu, dass politische Bewegungen deutlich weniger pluralistisch seien als Volksparteien, da sie nicht nur Dynamik implizieren, sondern sich auch auf die Annahme stützen, dass hinsichtlich des Weges nach vorne vollkommene Einigkeit unter allen Mitgliedern herrschen muss. Doch die Konflikte lassen sich auf Dauer nicht ausblenden, wie man mittlerweile an den Streitigkeiten innerhalb Bewegungen wie „En Marche!“ oder der „Fünf-Sterne-Bewegung“ feststellen kann.
Sie haben eine wertvolle Funktion: als Partner der großen Parteien, nicht als Gegner. Sie können den Volksparteien den Anschub verpassen, der ihnen momentan fehlt.“
Die innerparteiliche Demokratie macht Volksparteien träge und unbeweglich, aber sie ist für die demokratische Grundordnung unverzichtbar. Parteien sind demokratische Unternehmungen zur Herstellung von Politik. Sie sind bewährte Institutionen, um sicherzustellen, dass gesellschaftliche Standpunkte in die Politik aufgenommen werden.
Das will nicht heißen, dass Bewegungen das nicht vermögen – im Gegenteil. Sie haben eine wertvolle Funktion: als Partner der großen Parteien, nicht als Gegner. Sie können den Volksparteien den Anschub verpassen, der ihnen momentan fehlt. Selbst sind sie bisher aber keine Kräfte des politischen Aufbruchs, geschweige denn der Revolution.