Infolge des bahnbrechenden Urteils des Verwaltungsgerichtshofs erhielten die Abgeordneten Einblick in die Verträge zwischen Staat und RTL Group. Mehrere Fragen blieben offen. Das Parlament will sich nun einen Leseraum einrichten und ein neues Regelwerk ausarbeiten.
Es war eine empfindliche politische Niederlage für Premierminister Xavier Bettel (DP): Der Abgeordnete Sven Clement (Piraten) hatte gegen Bettels Entscheidung geklagt, dem Parlament keine Einsicht in die Verträge zwischen dem Staat und dem RTL-Konzern zu geben. Nach zwei Instanzen bekam der Parlamentarier Recht. Die Folge: Am Freitag konnten die Mitglieder der parlamentarischen Medienkommission die entsprechenden Dokumente erstmals einsehen.
Die Sitzung fand unter striktem „huis clos“ statt, um die Vertraulichkeit der Verträge zu gewährleisten. Die Parlamentarier äußerten sich deshalb auch im Anschluss an die Sitzung nicht zum Inhalt. Die Zeit reichte allerdings nicht, um die umfangreichen Vertragstexte im Detail zu analysieren, hieß es. Es geht vor allem um die Verankerung des Medienkonzerns in Luxemburg. RTL Group hatte einen Teil des „Corporate Center“ von Kirchberg nach Köln verlagert. Die Opposition will prüfen, ob mit diesem Schritt der Vertragstext eingehalten wurde.
Offene Fragen und ein Leseraum
Der Premier- und Medienminister legte den Abgeordneten unter anderem die Texte von 2007 und 2017 zum „ancrage“, also zur Verankerung des Konzerns im Großherzogtum vor. Letzteres Dokument gilt seit dem 1. Januar 2021. Zwischen beiden gebe es Unterschiede, die durchaus politische Fragen aufwerfen würden, sagte Sven Clement nach der Sitzung. Diese Fragen seien am Freitag jedoch ohne Antwort geblieben.
Xavier Bettel stellte sich nach der Sitzung nicht den Fragen der Journalisten. Zuvor hatte sich der Regierungschef im Interview mit „Wort.lu/fr“ generell besorgt über die Wahrung der Vertraulichkeit der Dokumente geäußert. Laut der CSV-Abgeordneten Diane Adehm war das Interesse an Texten seitens der Abgeordneten von DP, LSAP und Déi Gréng sehr bescheiden. Vor allem die Opposition habe während der Sitzung Fragen gestellt.
Es sei nötig, die Texte nochmals in Ruhe lesen zu können, um sich eine Meinung zu bilden, betonte der Abgeordnete David Wagner (Déi Lénk). Der Premier bot den Abgeordneten an, die Dokumente im Staatsministerium einsehen zu können. Einigkeit herrscht aber unter den Abgeordneten, dass im Parlament selbst ein Leseraum eingerichtet werden soll.
Neue Prozedur und Kritik
Der erweiterte Parlamentsvorstand soll nun die Details regeln, wie ein solcher Leseraum aussehen könnte. Ein erster Entwurf könnte bereits nächste Woche stehen. Der Leseraum im Europäischen Parlaments könnte ein Vorbild sein, sagte Diane Adehm. Die Diskussionen seien positiv verlaufen, aber es sei doch zu bedauern, dass für die offene Aussprache und die Einsicht der Dokumente ein Gerichtsurteil nötig wurde, so die CSV-Abgeordnete.
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes könnte generell die Kontrollkompetenzen der Abgeordnetenkammer stärken. Das Staatsratsmitglied Alex Bodry verwies in einem Beitrag „Tageblatt“ zudem auf die geplante neue Verfassung. Der Text sieht auch ein Recht der Abgeordneten auf Zugang zu Dokumenten und Informationen vor, so der ehemalige LSAP-Fraktionsvorsitzende.
Doch die neue Praxis stößt nicht nur auf Zustimmung. Die Präsidentin des Industrieverbands Fedil, Michèle Detaille, hatte am Freitag im Interview mit RLT den im Urteil festgehaltenen Informationszugang als „idiotisch und kontraproduktiv“ bezeichnet. Ihre Aussagen stießen im Parlament auf wenig Verständnis und wurden sowohl von Mehrheits- als auch Oppositionsvertretern heftig kritisiert.
Mittlerweile hat sich die Fedil-Präsidentin für einen Teil ihrer Aussagen entschuldigt. Gleichzeitig versicherte sie ihren tiefen Respekt vor den demokratischen Institutionen.