Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Eine spannende neue Folge von „Chamber“ und die Partei aller Parteien.

Da schreibt ein unabhängiges Gutachten, dass ein 100-Millionen-Vertrag des Staates mit einer Privatfirma „null und nichtig“ ist und was macht das Parlament? Genau! Fehler werden unverzüglich eingestanden, ein neues Gesetz für die „SuperDrecksKëscht“ vorbereitet und im Interesse der Allgemeinheit verabschiedet. Also fast. Es hätte so einfach sein können. Doch die „Chamber“ wäre nicht die „Chamber“, wenn es zwischen diesen Ereignissen nicht eine gehörige Portion Drama, Intrigen und Machtspielchen gäbe.

Der Luxemburger Spin-Off von „House of Cards“ überzeugte die Zuschauer von „Chamber TV“ am Dienstag mit einem fesselnden Thriller. In der rund einstündigen Sendung, die vollständig in einem abgedroschenen Dekor gedreht wurde, das wohl den Anschein eines altehrwürdigen Parlamentsgebäudes erwecken soll, widmen die Abgeordneten sich der Frage, wer das mit dem „Top Secret“-Siegel versehene Gutachten an ein gewisses Medium namens Reporter.lu geleakt haben soll. (Die Drehbuchschreiber hätten sich da wirklich einen kreativeren Namen einfallen lassen können.) „Et war net keen“, stellte die ebenso nette wie scharfsinnige Fraktionsvorsitzende der Grünen fest.

„Mir sinn hei an der Chamber…“

Die Episode mit dem Titel „Wer hat uns verraten?“ überzeugt mit gleich mehreren überraschenden Wendungen. Während zuerst noch die Opposition des parlamentarischen Hochverrats beschuldigt wird, wird es im Laufe der Debatte zunehmend unklarer, wer nun eigentlich was getan hat und worum es hier überhaupt geht. Da wurde selbst dem besten Besserwisser Sven Clement (gespielt von Sven Clement himself, weil im Casting niemand die Rolle übernehmen wollte) schwindlig: „Mir stëmme wat och ëmmer. Mir stëmmen är Resolutioun mat, mir stëmmen déi aner Resolutioun mat.“

Die Opposition kritisierte indes das Verhalten der Grünen. Immerhin habe ihr Vorsitzender und (NB) Nicht-Abgeordneter im „RTL“-Interview zugegeben, das ultramegageheime Gutachten mehr als einmal gelesen zu haben. „Dann soen ech mir, mee si mir d’Idioten hei, déi sech un alles halen an aner Leit, déi kennen alles liesen a fräi driwwer schwätzen?“, fragte Nebendarstellerin Diane Adehm.

An anderen Stellen ließ der Dialog in der Episode jedoch zu wünschen übrig. Die Dramaturgie wendete sich etwa immer stärker von der Realität einer ernstzunehmenden Volksvertretung ab. Der Parlamentspräsident wird etwa als eintönige, etwas unrealistische Figur abgehandelt, die zwar immer freundlich dreinschaut, sich aber nie auch nur ansatzweise durchsetzen kann. So auch im Dialog mit dem vorlauten Abgeordneten Gilles Roth.

Hier ein paar (unzensierte) Auszüge:

Fernand Etgen (DP): „Normalerweis ass d’Riedezäit vun der CSV-Fraktioun opgebraucht an dowéinst ginn ech als éischt d’Wuert un den Här Fernand Kartheiser. Här Roth. Här Rooooth, dir waart awer nit zitéiert gewiescht…“
Gilles Roth (CSV): „Et ass ee Fait personnel well d’Madamm Adehm hat mech zitéiert.“ (Allgemeines Gelächter)
Fernand Etgen: „Här Roth, ech bieden iech. Ohjo komm…“
Gilles Roth: „Nee.“
Fernand Etgen: „Mir sinn hei an der Chamber, Här Roth, well ech Iech soen. Hei geet et no gewësse Reegelen.“
Gilles Roth: „D’Madamm Adehm huet mech zitéiert […] Zu de Fakten…“

Obwohl wir anscheinend in der Chamber sind und hier gewisse Regeln gelten, redet Gilles Roth einfach weiter, während fünf Minuten. #FeelTheFern

Wer nun wissen will, was ein ministerieller Beamter ist, warum sich François Benoy als „ganz rouegen, ganz feinen a frëndlechen“ Mitbürger bezeichnet und was zur SuperDrecksKëscht ein Konzert in der französischen Botschaft damit zu tun hat, dem empfehlen wir etwas Popcorn beim Genießen der gesamten Episode im Replay.

Größtmögliche Parlamentsdebatte

Doch was machte die Regierung überhaupt zu dieser Zeit? Während man sich im Parlament die Köpfe einschlug, bereitete Sam Tanson schon die nächste Blitzprüfung vor. Durch ihr zögerliches Verhalten müssen nun alle Abgeordneten am Mittwoch nachsitzen. Doch auch hier gab es wohl bereits ein Leak an die Presse. Die Justizministerin arbeite in Sachen Impfpflicht an einem „Lückentext“, hieß es etwa im „RTL Kloertext“.

Wo bleibt denn da der ganze Spaß, wenn die Abgeordneten sich jetzt auch noch gebührend auf parlamentarische Debatten vorbereiten können? Der Premier zeigte sich indes von seiner strengen Seite: „Die Antwort ist nicht, ‚ich bin für eine Impfpflicht.'“ Für jede Lücke braucht es also eine Antwort. „Ich akzeptiere keine Ausreden“, so der flammende Appell des Premiers. Aber Achtung an alle parlamentarischen Prokrastinierer: Abschreiben ist auch hier nicht erlaubt …

Wir sind uns jedenfalls sicher: Es wird die größtmögliche Parlamentsdebatte am kommenden Mittwoch. Der strenge Xavier ließ bereits ein 30-seitiges „Document de synthèse“ austeilen. Puh. Da sind nur ganz wenig Bilder drin, beschwerte sich mancher Parlamentarier. Und die wenigen Bilder sind auch noch Grafiken. Wir fordern an dieser Stelle eine Komplexitätsprämie für die Abgeordneten.

The Frankster is back

Für Journalisten ist das aber auch anstrengend – immer dieses Corona und diese endlosen Debatten. Aber manchmal gibt es doch einen Lichtblick, auf den sich die Medien dann wie die Motten stürzen. „Ich habe kein Geld“, sagte Frank Engel noch im November. Will heißen: Kein Geld, keine neue Partei. Und so klang das damals wie „Ich habe fertig“. Ein trauriger Tag für das ewige Talent der CSV.

Doch jetzt heißt es: Neues Jahr, neues Glück: Frank is back! Also zumindest seine Idee einer neuen Partei. Ex-DP-Generalsekretär Marc Ruppert verkündete seinen Austritt bei den Liberalen, um mit Engel zusammen ein neues politisches Projekt aufzubauen. Wobei die „RTL“-Meldung „Marc Ruppert verléisst DP fir Frank Engel“ dann doch eher was von einer Beziehungsposse von C-Promis hatte, über die die „Bunte“ exklusiv berichtete.

Wahrlich episch: Frank Engels neuer Sidekick Marc Ruppert freut sich auf das neue Jahr. (Foto: Facebook.com)

Kurz darauf folgte aber die Meldung, dass der Ex-Gemeindewahlen-Kandidat Gary Kneip (immerhin 601 Stimmen) sich ebenfalls den „Fallen Angels“ anschließen wird. Der DP die nachweislich größten Talente abluchsen, um die CSV zu bestrafen – das ist eine unschlagbare Taktik von Frank Engel. Wir erwarten jede Minute die Ankündigung, dass auch Monica Semedo Teil der neuen Bewegung wird. Sie ist die perfekte Wahl (sie hasst Corinne Cahen wie Ruppert und ist politisch übermütig wie Engel).

Ein „serial entrepreneur“, ein verbeamteter Lehrer mit viel „politischem“ Urlaub und ein Politiker mit verkapptem Juncker-Spleen und hippen Sakkos aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts: Das ist die heilige Dreifaltigkeit der neuen Partei und im Grunde auch der Luxemburger Politik. „Anschlussfähig“, ja total „relatable“ wie die PR-Berater sagen. Mit Monica Semedo würde es dann auch weniger nach einem frustrierten Männerclub aussehen. Dass sich auch die von der Berufspolitik exkommunizierten Maggy Nagel und Roberto Traversini dem Frankster anschließen werden, ist zu diesem Zeitpunkt jedoch reine, wenn auch feine Spekulation.

Apropos: Wie es sich für einen Ex-CSV-Politiker gehört, orientiert sich der Erzengel der Luxemburger Politik bei seiner Mission an der Bibel. Dort hatte dem Vernehmen nach schon der Frank Engel der Vormoderne, ein gewisser Jesus Christus, hinausposaunt: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.“ #Matthäus11,28

Eine epische Partei der Mitte

Doch was will die neue Partei? „Wir sind die Mitte“, scheint das Motto zu sein. Das wäre ja echt revolutionär, denn eine Partei der Mitte, die sich politisch nicht festlegen lassen will, das hat es wahrlich noch nie gegeben. Gary Kneip schrieb auf Facebook: „méi basisdemokratesch, méi digital“, ohne „ideologesch Scheiklappen“. Marc Ruppert sagte „RTL“: „biergerlech Wäerter respektéieren, Solidarität, Eegenverantwortung“. #Whatever.

Zumindest haben die Journalisten wieder etwas zum Schreiben. Wie es aus mäßig unterrichteten Kreisen heißt, will Frank Engel seine neue Partei sogar nur gegründet haben, damit die Retrospect-Redaktion wieder neuen Stoff hat. Wir finden allerdings: Da geht noch mehr. Bring it on, Frankster!

All jene, die vor Spannung, wie denn die neue Partei heißen wird, kaum noch sitzen können, können wir jedoch beruhigen: Auch hier hält sich Frank Engel dem Vernehmen nach an unsere Ratschläge. Wir verweisen auf unsere visionären Empfehlungen von vor fast einem Jahr.

  • Die Engel-Go-Partei (kurz EGO) – Slogan: Me, myself and I
  • Chrëschtlech-sozial-ökologesch-liberal-alternativ Vollekspartei (CSÖLAV)– Slogan: Déi mam Frank
  • De Lëtzebuerger Dram (DLD) – Programm: Ein selbst aufgesetzter Arbeitsvertrag und 6.000 Euro Grundeinkommen für alle
  • The Victims of the Establishment (VICE) – Vorteil: Das würde auch mit Monica Semedo passen

Nur eine Bezeichnung hatten wir noch nicht auf der Rechnung. Es ist jene, die Neuling Marc Ruppert anscheinend bevorzugt:

  • Eeenzegaarteg Partei mat liicht iwwerhieflechem Charakter (EPIC) – Slogan: Wir werden es allen zeigen (aber erst nach den Faschingsferien)

„Thank you for your fantastic job!“

An dieser Stelle müssen wir uns aber auch von einem Hauptprotagonisten des Retrospect-Universums verabschieden: Pierre Gramegna. Er lieferte zuverlässig ungelenke Werbevideos, super-authentische Weihnachtsgrüße und viele andere locker-lässige Sprüche, die offenbar ernst gemeint waren.

Aber das war alles seiner Funktion geschuldet. Immer diplomatisch bleiben, erklärte der Botschafter der Herzen seine Maxime vergangenen Samstag im „RTL Background“. Aber er ist ja nicht mehr Minister. Und so reagierte er, als ihm der berühmte Asselborn-Spruch zu Luxleaks vorgespielt wurde („Wir haben kein Platz für Häuser, deshalb haben wir nur Briefkästen“) ganz natürlich, wie ein ganz normaler Bürger…

Wir lernen: Diplomatisch muss man nicht immer sein. Aber seine Nachfolgerin hält es dann doch mit der Höflichkeit, „Thank you for your fantastic job!“, dankte ihm Yuriko Backes brav in ihrer Antrittsrede. Sie folgt Gramegna auch ganz in seinen Fußstapfen und sagte in fünf Minuten zweimal „Level playing field“ und einmal „Triple A“. Wir finden aber auch an dieser Stelle: Da geht noch mehr!


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