Waren die Europawahlen ein Fortschritt für die Demokratie? Wird sich das System der Spitzenkandidaten bewähren? Welche Rolle spielt Luxemburgs Regierung in diesen Debatten? Darüber diskutieren die Journalisten Diego Velazquez und Victor Weitzel im REPORTER-Podcast.
„Ein Merkmal einer gesunden Demokratie ist die öffentliche Debatte und der Konflikt von Ideen“, sagt Diego Velazquez. Laut dem Europa-Korrespondenten des „Luxemburger Wort“ kann diese demokratische Debatte eben viel besser in einem vom Volk legitimierten Parlament stattfinden, als in Gremien, die von Diplomaten und Regierungschefs bestimmt werden. Das seit 2014 praktizierte System der europaweiten Spitzenkandidaten sei dabei ein klarer Fortschritt auf dem Weg zu mehr Demokratie, zu „mehr Parlamentarisierung und mehr Politisierung“ der EU.
Die europäische Demokratie-Debatte sei durchaus komplex, meint dagegen Victor Weitzel. Auch der frühere Beamte im Außenministerium und Ex-Chefredakteur des „Le Quotidien“ sieht zwar in der Stärkung der parlamentarischen Demokratie auf EU-Ebene den einzigen Weg aus der politisch-institutionellen Krise. Inwiefern dabei das System der Spitzenkandidaten aktuell den Ausschlag geben kann – da gehen die Meinungen der beiden EU-Kenner dann doch auseinander.

Im REPORTER-Podcast sprechen Diego Velazquez und Victor Weitzel jedoch nicht nur über die Demokratiefrage und die aktuellen Diskussionen um die Nominierung des nächsten Kommissionspräsidenten. Sie beschäftigt auch die Rolle und das Gewicht der luxemburgischen Regierung auf der EU-Ebene. Dabei stellen sie letztlich ein chronisches „Debattendefizit“ in Luxemburgs Politik fest, das nicht unbedingt zu mehr Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit der in Brüssel getroffenen Entscheidungen beitrage.
Vom Demokratiedefizit zum Debattendefizit
„Wenn es um die Positionen der luxemburgischen Regierung in der EU geht, komme ich nicht mehr aus dem Staunen heraus“, bemerkt Victor Weitzel. Nicht erst seit den Europawahlen habe man es mit einer „gedopten DP“ zu tun, die sich besonders in der Europapolitik nicht mehr um die Meinungen der eigenen Koalitionspartner schere und „letztlich macht, was sie will“. Dabei sei die Bewahrung des Status quo in der Europapolitik schon länger die Leitlinie der Regierungspolitik, so der Publizist.
Zudem habe Luxemburgs Europapolitik ein akutes Gouvernance-Problem. Ein Außenminister, der sich in der Substanz nur marginal um europäische Themen kümmere, trage dafür einen Teil der Verantwortung, so Weitzel. Die mit europäischen Dossiers betrauten Beamten im Außenministerium, wüssten etwa nicht immer, was die Richtlinien der Europapolitik sind und vor allem, wer sie bestimmt.

„Wenn etwa Pierre Gramegna nach Brüssel kommt, frage ich mich immer, wen oder was vertritt der Minister hier eigentlich? Woher kommt das Mandat, um die Politik zu machen, die er auf EU-Ebene macht. Ist das die Meinung der DP, seines Ministeriums, der Regierungsmehrheit?“, fragt sich auch Diego Velazquez.
Ein weiteres Problem sei der akute Mangel einer europapolitischen Debatte im Parlament. Das Desinteresse für Europa sei in der ganzen politischen Klasse tief verankert, so der in Brüssel lebende Journalist. Das liege vor allem daran, dass die politische Elite, aber auch die Wirtschaftsvertreter, der Meinung seien, dass der Grad der europäischen Integration eigentlich ausreiche. Luxemburg sei kein „Ideenmotor“ der EU mehr und verhindere sogar in manchen Bereichen bewusst den Fortschritt des europäischen Projekts.
Der REPORTER-Podcast zur Demokratie in der EU (auf Luxemburgisch):
Lesen Sie mehr zum Thema


