Wer nicht nach ihrer Pfeife tanzt, verpasst womöglich seinen Zug. Der Job der Zugbegleiterin Béatrice Bütgenbach wird sich mit der Einführung des kostenlosen öffentlichen Transports verändern. Sie hofft, dass ihre Arbeit jenseits der Fahrscheinkontrolle weiter anerkannt wird.
Sie hatten lange das Image des routinierten, grimmigen Spaßverderbers. Früher, als ein Schaffner noch Schaffner hieß – und nicht Zugbegleiter. Mit dem alten Klischee eines mies gelaunten Beamten in strenger Uniform hat Béatrice Bütgenbach so rein gar nichts gemeinsam. Während der Zugfahrt tingelt die 43-Jährige schnellen Schrittes durch die Waggons. Ein freundliches „Moien“ hier, ein sanftes Lächeln dort – schon zücken die Gäste wie auf Kommando ihre Fahrkarten.
Meistens läuft alles so reibungslos ab. Aber eben nur meistens. Dabei ist Schwarzfahren kein großes Problem bei der CFL, sagt Béatrice Bütgenbach auf ihrem Weg durch den Zug. „Auch, weil wir so viele Kontrollen machen und die Leute das wissen.“ Wer kein Ticket hat, muss tief in die Tasche greifen. Schwarzfahren wird mit einem Bußgeld in Höhe von 150 Euro bestraft. Deshalb würden sich die meisten Leute dann doch lieber für den Kauf einer Fahrkarte entscheiden.
Doch all das soll bald der Vergangenheit angehören. Mit der geplanten Abschaffung von zahlungspflichtigen Fahrkarten steht ein ganzer Berufsstand vor einem tiefgreifenden Wandel. Man könnte gar so weit gehen, dass die ganze Daseinsberechtigung der Zugbegleiter ab der Einführung des „Gratis“-Transport im kommenden Jahr in Frage gestellt wird.
Blitzableiter für unzufriedene Kunden
Ganz so düster sieht die Sache dann doch nicht aus. Denn Béatrice Bütgenbachs Kosmos besteht aus mehr als nur der Ticket-Kontrolle. Spannender als die Fahrkarten sei das Zwischenmenschliche, sagt sie. Sie hat einiges erlebt, im Guten wie im weniger Guten. So musste sie schon oft als Blitzableiter für angestauten Kundenärger herhalten.
Am unangenehmsten seien die Frühschichten am Wochenende. ‚Da riecht man Sachen, für die man morgens noch nicht bereit ist.'“Béatrice Bütgenbach
So wie an diesem Donnerstagmorgen. Eine Frau sitzt im Zug nach Petingen, die Einkaufstasche auf ihrem Schoß platziert. Ruhig schaut sie sich die vorbeiziehende Landschaft auf der anderen Seite der Fensterscheibe an – so lange, bis sie Béatrice Bütgenbach in ihrer Uniform erkennt. Dann legt sie los, ihr Blick fixiert den der Schaffnerin. „Heute Morgen sind gleich zwei Züge ausgefallen“, sagt die Kundin. Als endlich ein Zug kam, sei der aber komplett überfüllt gewesen. „Mir stoungen do ewéi d’Hierken an der Tonn“, regt sie sich weiter auf.
Beatrice Bütgenbach kann zwar nichts für die Verspätungen, muss sich aber regelmäßig dafür rechtfertigen. Dieses Mal lautet der Grund dafür: Es hatte in der Nacht stark geschneit, die Weichen waren teilweise durch die Kälte eingefroren, manche Türen der Züge funktionierten nicht. Es musste umdisponiert werden. Die Fahrgäste mussten sich wohl oder übel gedulden. Die Frau gibt sich zufrieden mit der Erklärung – wenn auch nur widerwillig. Und schaut sich wieder die Schneelandschaft an.
Starke Nerven und ein dickes Fell
Béatrice Bütgenbach ist manchmal auch im Nebenberuf Hobby-Psychologin. Dass die Leute sich bei ihr aufregen, ist sie gewohnt. „Ich bin ihre erste Kontaktperson. Wenn etwas nicht passt, wenden sie sich automatisch an mich“, sagt sie. Auch wenn sie nichts an den Problemen ändern kann, versucht sie diese immer mit einer sanften Freundlichkeit zu entschärfen. „Haben die Gäste das Gefühl, dass sie eine Erklärung bekommen, beruhigen sie sich meistens.“

Dennoch ist der Alltag nicht immer so einfach. Streitereien oder Schlägereien, Vandalismus oder betrunkene Fahrgäste, die sich im Zug übergeben – Béatrice Bütgenbach hat fast alles gesehen in ihren zehn Jahren im Job. Am unangenehmsten seien die Frühschichten am Wochenende. „Da riecht man Sachen, für die man morgens noch nicht bereit ist“, sagt die erfahrene Zugbegleiterin.
Auch sie selbst wurde schon angeschrien, Passagiere wurden handgreiflich. Wenn es zu gefährlich wird, ruft sie die Polizei zur nächsten Haltestelle. „Man muss schon starke Nerven haben“, sagt sie. „Je nachdem, welche Situation man im Zug erlebt, fühlt man sich danach richtig leer und muss erst mal wieder runterkommen.“ Ihre Berufswahl habe sie aber nie bereut.
„Tickets kontrollieren kann ja jeder…“
Béatrice Bütgenbach war aber nicht immer Zugbegleiterin. Sie arbeitete erst als Friseurin und ist dann umgesattelt. Mehr Sicherheit, ein besseres Gehalt, weiterhin viel Kontakt mit Menschen – das waren die Argumente, die sie dazu bewegten, sich bei der CFL zu bewerben.
Nach der Zusage folgte eine einjährige Ausbildung. Erst ein theoretischer Teil, dann die Arbeit im Zug, am Ende Einstellungstests. Sie hat gelernt, wie man professionell mit Passagieren umgeht, Erste-Hilfe-Kurse gemacht, sich in die Technik der Züge eingearbeitet.
Viele Menschen würden den Job nicht ernst nehmen. „Quasi nach dem Motto: Tickets kontrollieren kann ja jeder“, sagt Béatrice Bütgenbach. Dabei sei der Job viel vielfältiger und anspruchsvoller als das Klischee es erahnen lässt. Brems- und Türkontrollen, Check-Ups in den Waggons, Berichte schreiben bei Verspätungen, den Fahrgästen Rede und Antwort stehen – all das erfordere dann doch einiges an Kompetenzen.
Auch in Zukunft „kein Zug ohne Zugbegleitung“
Dass der Beruf aus mehr als nur der Fahrkartenkontrolle besteht, ist gut so, sagt sie. Gerade jetzt, da die Kontrollen bald der Vergangenheit angehören und ein wichtiger Teil des Jobs der rund 300 Zugbegleiter wegfallen wird. Die Dreierkoalition hat die Maßnahme als „soziales Sahnehäubchen“ auf dem Kuchen ihrer Mobilitätsstrategie bezeichnet. Ein Sahnehäubchen, das auch von der internationalen Presse gefeiert wurde, nach dem die Menschen in Luxemburg aber eigentlich gar nicht gefragt haben.
Ich persönlich habe Bedenken, dass die Menschen den Respekt vor uns verlieren.“
Béatrice Bütgenbach
Verkehrsminister François Bausch (Déi Gréng) versicherte, dass niemand seinen Job verlieren werde. Und auch bei der CFL macht man sich – zumindest an offizieller Stelle – keine Sorgen, um die Arbeitsplätze. „Die Schaffner werden weiterhin gebraucht. Bei der CFL fährt kein Zug ohne Zugbegleitung“, so Simone Nilles, Mitarbeiterin der Abteilung für Unternehmenskommunikation. Eine Arbeitsgruppe sei dabei, sich um die Umsetzung zu kümmern. Mehr könne man momentan nicht zu den andauernden Gesprächen sagen.
Kein negatives Wort, offenbar keine Sorge, keine Unsicherheit. Dabei wurde in den vergangenen Monaten viel über das Thema diskutiert. In den Medien, in der Gesellschaft und auch bei der CFL selbst. Doch über die Details war sich bisher auch die Politik nicht so richtig im Klaren.
„Was nichts kostet, ist auch nichts wert…“
Kritisch äußert sich vor allem die Bahngewerkschaft Syprolux. „Wir wollen nicht zu Hilfssheriffs in den Zügen werden“, so Mylène Bianchy, Präsidentin der Syprolux. Die Kontrolle fällt zwar weg, für die Qualität und die Sicherheit in den Zügen müsse aber weiterhin gesorgt werden. Wie, sei aber noch unklar. „Viele Fragen sind noch offen“, sagt Mylène Bianchy. „Deshalb verstehen wir auch nicht, warum jetzt alles so schnell gehen soll.“

Was offiziell feststeht: Es soll niemand entlassen werden. Das bestätigt auch Mylène Binachy. Der Grund dafür ist ein einfacher: Laut Statut haben die CFL-Mitarbeiter eine Jobgarantie. Zumindest das ist bei aller Ungewissheit über die künftige Jobprofil der Zugbegleiter sicher.
Auch Béatrice Bütgenbach ist etwas verunsichert. „Ich persönlich habe Bedenken, dass die Menschen den Respekt vor uns verlieren. Jetzt haben wir noch eine gewisse Macht. Wenn jemand kein Ticket hat, können wir den Kunden an der nächsten Haltestelle raussetzen“, sagt sie. Das könne sich jetzt ändern. „Wenn etwas kostenlos ist, verlieren die Menschen gerne den Respekt davor. Denn was nichts kostet, ist auch nichts wert.“
Kleine Gesten versüßen den Alltag
Dabei hat die Bahn jetzt schon mehr als genug Kritiker. Verspätungen, Ausfälle, Probleme mit anderen Fahrgästen – die Liste der Beschwerden ist lang, das Image angeschlagen. Den Beinamen „CFHell“ bekam das Unternehmen vor Jahren von der Satirezeitung „Feierkrop“ verliehen. Unter dem Hashtag #CFHell machen sich aber auch heute noch regelmäßig Kritiken in den sozialen Medien breit.
Béatrice Bütgenbach lässt Kritik aber nicht an sich heran. Muss sie auch nicht. Denn sie hat echte Fans unter ihren Fahrgästen. Ihre Charme-Offensive kommt gut bei den Leuten an. Sie hat schon Schokolade, Bonbons und Blumen von Fahrgästen geschenkt bekommen, erzählt sie. Der Beweis dafür, dass eben nicht alles schlecht ist bei der Bahn – und dass die Kunden mit ihr zufrieden sind. Ein freundliches Feedback, Lob, eine nette Geste. Auch das kommt regelmäßig vor.
Auch am Bahnsteig in Bettemburg wird sie an diesem Arbeitstag noch einmal für ihren Einsatz belohnt. Eine Frau mit raspel-kurzen blonden Haaren kommt plötzlich auf sie zugelaufen. „Schön Sie hier zu sehen, wir sind uns schon so lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Bis hoffentlich bald mal wieder“, sagt sie und zieht schnell weiter. Die Frau fährt regelmäßig mit Béatrice Bütgenbach. Man kennt sich, man plaudert manchmal miteinander. Sie ist froh über das kurze Wiedersehen am Bahnsteig.
„Das hier sind so kleine Dinge, die mir den Tag versüßen“, sagt die Zugbegleiterin, bevor sie wieder das Signal zur Weiterfahrt gibt. Die Zuversicht, dass das Zwischenmenschliche auch den Wegfall der traditionellen Ticket-Kontrolle überleben wird, lässt sie sich jedenfalls nicht nehmen.
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