Premierminister Xavier Bettel freut sich über die zahlreichen internationalen Presseberichte zum „gratis“ öffentlichen Transport. Doch weder die Ziele der Maßnahme, noch ihr Kostenpunkt sind klar. Gewerkschaften und Busbetreiber warnen vor den Folgen.

Regierungschef Bettel (DP) sagt, der „gratis“ Transport sei eine soziale Maßnahme aber auch eine Umweltmaßnahme, weil dann mehr Menschen Bus und Bahn nutzen. Transportminister François Bausch (Déi Gréng) sagt dagegen, dass er nicht erwarte, dass deshalb viele Menschen das Auto stehenlassen. Und er hofft gar, dass sie es nicht tun, denn der öffentliche Transport sei zu Spitzenstunden bereits überlastet. Für Bausch ist es eine soziale Maßnahme und ein Mittel, Luxemburg nach außen zu vermarkten.

Als Marketinggag war die Ankündigung erfolgreich, so viel ist seit diversen ausländischen Medienberichten über die geplante Reform klar. Ob sie zur sozialen Maßnahme taugt, ist jedoch fraglich. Fest steht nur: Es soll schnell gehen. Bereits ab März 2020 sollen es keine Abos oder Fahrkarten mehr geben.

Letztlich waren es die Jugendparteien, die dafür sorgten, dass der öffentliche Nahverkehr nun kostenlos wird. Die Jungsozialisten reichten erfolgreich einen entsprechenden Änderungsantrag beim LSAP-Wahlkongress ein. Auch Déi Jonk Gréng setzten sich dafür ein, dass „mittelfristig der kostenfreie öffentliche Transport anvisiert werden soll“.

Doch bei den Grünen ist man intern über das Vorhaben wenig begeistert. Der Sprecher der jungen Grünen, Meris Sehovic, erwähnte diesen „Erfolg“ nicht, als er das Regierungsprogramm beim Kongress von Déi Gréng lobte. Vielmehr betonte er, die jungen Grünen hätten sich erfolgreich für eine „feministische Außenpolitik“ eingesetzt.

Ein Finanzminister, der nicht auf den Preis schaut

Es ist nicht der einzige offenkundige Widerspruch rund um das Thema. Finanzminister Pierre Gramegna (DP) sagte gegenüber RTL: „Ob es nun 30, 35 oder 40 Millionen Euro sind, wichtig ist, dass mit den Tickets weniger als zehn Prozent der Kosten gedeckt wurden.“ Die Frage sei demnach, ob es nicht intelligenter sei, den Transport für die Nutzer ganz kostenlos zu machen, so der DP-Politiker.

Das überrascht bei einem Finanzminister, der 2014 in seinem – euphemistisch als „Zukunftspak“ getauften – Sparprogramm vorsah, mehr Fahrscheinkontrollen in Bussen durchzuführen und den gratis öffentlichen Transport etwa bei großen Konzerten abzuschaffen.

Klar ist: Der Kostenpunkt von 30 Millionen Euro, die die DP in ihrem Wahlprogramm nannte, ist falsch. Die Partei bezieht sich ausdrücklich auf den Verkauf von Fahrkarten und Abonnements. Eine Studie im Auftrag des Nachhaltigkeitsministeriums gibt aber Einnahmen von insgesamt 66,1 Millionen Euro aus dem Ticketverkauf für 2016 an – 30,4 Millionen im Busnetz und 35,7 Millionen im Schienennetz.

Die 66 Millionen Euro seien die Bruttoeinnahmen. Unberücksichtigt sei dabei der Aufwand, die Fahrkarten zu verkaufen und zu kontrollieren. Ziehe man diese Kosten ab, entgingen dem Staat „netto“ 40 Millionen Euro an Einnahmen, so die Erklärung aus dem Ministerium für Mobilität und Transport.

Eine genaue Zahl der Ticketverkäufe ist auch aufgrund der zahlreichen grenzüberschreitenden Linien schwierig zu ermitteln. Bei diesen Linien werden die Fahrkarten teils in Luxemburg, teils im Ausland verkauft.

Da immer mehr Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen, entgehen dem Staat künftig jedes Jahr mehr Einnahmen. So können die Ticketerlöse der CFL für 2017 auf 36,4 Millionen Euro geschätzt werden. Grundlage ist die sogenannte „Transportrechnung“, die von 1,59 Euro pro Zugpassagier ausgeht. Innerhalb eines Jahres wären die Einnahmen somit um 700.000 Euro gestiegen.

Die Einnahmen verschwinden, die Kosten bleiben

Egal wie man es rechnet: Die über 60 Millionen, die Bus- und Bahnfahrer zahlen, werden größtenteils vom Staat aufgefangen werden müssen. Die Kosten sind kaum zu senken, zumal die Koalition es nicht will. „Niemand muss Angst vor Massenentlassungen haben“, betont der DP-Abgeordnete Max Hahn. Kontrolleure und Zugbegleiter bekämen andere Aufgaben.

Xavier Bettel sagte gegenüber RTL, dass mögliche Einnahmeausfälle bei den kommunalen Busnetzen AVL in der Hauptstadt und TICE im Süden kompensiert würden. Allerdings geht es dabei um zwei sehr unterschiedliche Fälle.

Im TICE-Netz gehen die Erlöse aus dem Ticketverkauf integral an den Staat, sagt Direktor Steve Arendt. Das gilt allerdings nur für die Linien, die im Auftrag des Transportministeriums bedient werden. Daneben gibt es etwa Citybus-Angebote, die für die Gemeinden organisiert werden. Hier drohen den Gemeinden Einnahmeeinbußen, da sie kaum nach 2020 noch Geld für einen Citybus verlangen können.

In der Haushaltsvorlage der Stadt Luxemburg stehen für 2019 Einnahmen aus dem Ticketverkauf von 8,3 Millionen Euro. Dazu kommen 8,4 Millionen Euro mit denen der Staat die Stadt entschädigt, dass Kinder und Jugendliche die Busse gratis nutzen dürfen. Die Linien, die die städtischen Busse im Rahmen des RGTR-Netzes bedienen, vergütete der Staat 2017 mit 6,4 Millionen Euro. Aus Koalitionskreisen heißt es, die Hauptstadt müsse im Zuge des gratis Transport mit Mindereinnahmen von knapp 16 Millionen Euro rechnen.

Die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf sind für die Busunternehmen im RGTR-Netz weniger ein Thema. Zwar verkaufen die Busfahrer Tickets und einen Teil der Einnahmen dürfen die Betreiber der Überlandlinien behalten. Doch diese Summen fallen nicht ins Gewicht gegenüber der Gesamtsubvention, sagt Alain Petry, Vertreter des Verbands der Busunternehmer FLEAA. Der Staat zahlte 2017 über 170 Millionen Euro für den Betrieb der 342 RGTR-Linien.

Sorgen um vermehrten Vandalismus und Aggressionen

Auf Nachfrage heißt es aus dem Transportministerium, dass der Staat Mindereinnahmen der Unternehmen kompensiere. An Kosten spart der Staat maximal die 320.000 Euro, die für Fahrkartenkontrollen in den Bussen ausgegeben werden. Allerdings sind es CFL-Kontrolleure, die diese Aufgabe übernehmen. Sie werden wohl kaum entlassen. Kurz: Die Einsparungen, die zum „netto“ Kostenpunkt von 40 Millionen Euro führen, sind kaum realistisch.

Dazu kommen versteckte Kosten. „Wird der Transport gratis, dann werden die Busse zu einem öffentlichen Ort“, warnt Alain Petry. Bereits heute sei Vandalismus ein Problem. Doch das könne sich verschlimmern, sobald jeder im Bus sitzen bleiben könne, solange er wolle, meint der FLEAA-Vertreter. Er sieht auch ein höheres Risiko von Aggressionen gegen die Busfahrer, gerade nachts. Die Busunternehmen befürchten, dass ab 2020 Menschen im öffentlichen Transport mitfahren, die „nichts Besseres zu tun haben“.

Die beiden Gewerkschaften Landesverband und Syprolux sind ebenfalls skeptisch. Bei einer Syprolux-Versammlung war das Thema Vandalismus ebenfalls ein Thema. François Bausch versprach den Arbeitnehmervertretern mehr Polizeipräsenz und möglicherweise gar die Schaffung einer eigenen „Polizeieinheit“ für den öffentlichen Transport, heißt es vom Syprolux.

Auch Max Hahn hat die Sorge gehört, dass die Obdachlosen künftig nicht mehr im Stadtzentrum, sondern in den Zügen anzutreffen seien. „Da müssen wir eine Lösung finden“, sagt der DP-Politiker. Diskutiert werde unter anderem, weiter mit Tickets zu arbeiten. Die wären zwar kostenlos, könnten aber jenen verwehrt werden, die sich nicht an die Regeln halten.

Neue Entwerter und Ticketautomaten werden überflüssig

Immerhin wäre das eine Möglichkeit, die 1.680 Entwerter in den Bussen weiterhin zu nutzen, die ansonsten obsolet werden. Die Maschinen, an die man seine „mKaart“ beim Einstieg hält, wurden ab 2013 in die Busse eingebaut. Sie sind Teil eines Telematik-Systems, das auch die Fahrgastinformation, die Echtzeitdaten für Informationstafeln an den Haltestellen sowie die automatische Zählung der Fahrgäste umfasste. Ende 2012 erhielt das Karlsruher Unternehmen Init den Auftrag. Das Gesamtbudget des Telematik-Systems lag bei insgesamt 23 Millionen Euro. Die Summe wurde allerdings bisher nicht vollständig ausgegeben, betont der Generaldirektor des Verkéiersverbond Gilles Dostert.

Allerdings monierte der Rechnungshof in einem Prüfbericht 2016, dass die Ausstattung weiterer Busse nochmals mehrere Millionen Euro kostete. Der Auftrag für Init war der zweite Anlauf. Zwischen 2002 und 2008 versenkte das Transportministerium insgesamt knapp 17 Millionen Euro in das Projet „E-go“, welches das elektronische Ticket einführte. Es wurde aber den Bedürfnissen nie gerecht und wurde ersetzt, belegt der Rechnungshof in einem bissigen Bericht.

Fragen stellen sich allerdings zur Verlängerung des Vertrags mit Init, der nun bis Januar 2024 läuft. Die Unterzeichnung habe „vor Kurzem“ stattgefunden, heißt es aus dem Ministerium. Es gehe um die Weiterentwicklung der Echtzeitinformationen. Doch zum Vertrag gehört auch die Wartung des Systems, inklusive der Ticketentwerter. Fällt die weg, könnte es sein, dass der Staat noch einige Jahre lang für eine Leistung zahlt, die er nicht mehr braucht.

Der Artikel wurde um Informationen des Verkéiersverbond ergänzt (18.12.2018)