Das Bildungsministerium will bereits ab September Schülern mit einem Abschluss in Sozial- und Humanwissenschaften erlauben, den Erzieherberuf nach einem zusätzlichen Jahr auszuüben. Das Pilotprojekt trifft allerdings auf großen Widerstand bei den Lehrbeauftragten.

„Braderie vun den Diplomer“, „perte de qualité“ und „Qualiteit statt Quantiteit“ titeln Lehrergewerkschaften und die Schulkonferenz der Erzieherschule. Grund für den Unmut ist ein neues Pilotprojekt des Bildungsministeriums. Durch eine zusätzliche einjährige Ausbildung im „Lycée Technique pour Professions Educatives et Sociales“ (LTPES) oder der „Ecole Nationale Pour Adultes“ (ENAD) können Schüler mit einem Abschluss in Sozial- und Humanwissenschaften Zugang zum Erzieherdiplom erhalten.

Das Projekt gilt als Reaktion des Ministeriums auf den andauernden Fachkräftemangel im sozialen Sektor. „Damit können wir auf der einen Seite dem Mangel entgegenwirken und auf der anderen Seite den Schülern mit einem Abschluss in Sozial- und Humanwissenschaften einen neuen Berufsweg anbieten“, erklärte Claude Meisch (DP) kürzlich im Parlament. Doch das Projekt stößt auf große Unzufriedenheit unter den Lehrbeauftragten.

Fehlende praktische Erfahrung

Inzwischen haben sich alle Lehrergewerkschaften des Erziehungsbereiches gegen das Projekt ausgesprochen. Den Quereinsteigern fehle die praktische Erfahrung, so die Kritik. Die übliche Ausbildung sieht vor, dass die Schüler in den ersten zwei Jahren im LTPES ein Pflichtpraktikum von jeweils neun und sechs Wochen mit einem Erfahrungsbericht abschließen müssen. „Diese sind absolut notwendig, um die Theorie in der Praxis anwenden zu können“, schreibt das „Comité de la Conférence“ der Erzieherschule in einer Pressemitteilung.

Vor den Abgeordneten entgegnete der Bildungsminister, dass bereits abgeschlossene Praktika eine Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Pilotprojekt sind. Im Einschreibungsformular sollen die Kandidaten ihre Berufserfahrung eintragen. Davon muss zumindest in einem Praktikum eine Arbeitswoche von mindestens 16 Arbeitsstunden gegeben sein. Die Dauer der Praktika wurde allerdings nicht festgelegt. „Wir wissen nicht, welche Profile sich danach auf die Plätze bewerben werden und können deshalb auch keine Vorgaben erstellen“, erklärt Claudine Muller, Direktorin des LTPES im Gespräch mit Reporter.lu. Werden mehr als 23 Kandidaturen pro Schule gestellt, will das Ministerium weitere Kriterien, wie die Praxiserfahrung oder das Alter der Bewerber, berücksichtigen. Das Ministerium wird die Kandidaten anschließend gemeinsam mit den beiden Schulen auswählen.

Wie genau die angehenden Erzieher den Rückstand aufholen sollen, bleibt indes offen. „In dem Jahr müssen gewisse Punkte des Schulprogramms stärker gewichtet werden“, sagte Claude Meisch im Parlament. Welche dies sein sollen, erwähnte der Bildungsminister allerdings nicht. Alle Schüler müssen zu Beginn des Abschlussjahres ein elfwöchiges Praktikum abschließen, das während des Jahres parallel zum Unterricht stattfindet. Für den neuen Ausbildungsweg wäre es somit die einzige verpflichtende Praxiserfahrung im Sozialwesen.

Pilotprojekt mit unklarem Ausgang

Für die Gewerkschaften ist es allerdings auch eine Frage der Anerkennung ihres Berufs. Die Erzieher fühlen sich „widdert den Kapp gestouss“, da nun angeblich ein Jahr ausreichen würde, um ihren Beruf zu erlernen, schreibt etwa die „Association Luxembourgeoise des Educateurs et Educatrices“ des CGFP. Das derzeitige Erzieherdiplom ist Teil einer Berufsausbildung, der Abschluss in Sozial- und Humanwissenschaften ist hingegen Teil des „Enseignement Général“. „Von jungen Menschen mit diesem Abschluss kann man erwarten, dass sie autonomer arbeiten und diesen Rückstand aufholen“, erwidert Claude Meisch vor den Abgeordneten.

Für das kommende Schuljahr soll in der ENAD eine solche Übergangsklasse eingeführt werden. Im LTPES sollen die erfolgreichen Kandidaten auf die verschiedenen Abschlussklassen aufgeteilt werden, erklärt die Direktorin der Schule. Insgesamt sollen etwa 40 bis 50 Schüler von dem neuem Angebot profitieren können. Nach dem ersten Jahr sollen der „Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et technologiques“ (SCRIPT) des Ministeriums und ein unabhängiges Forschungsteam das Projekt auswerten.


Lesen Sie mehr zum Thema