Betrüger stehlen den EU-Staaten jedes Jahr 50 Milliarden Euro. Doch erst jetzt erhalten die Behörden die nötigen Mittel, um gegen den Karussellbetrug vorzugehen. Luxemburg steht ausnahmsweise nicht auf der Bremse, doch die Regierung redet das Problem klein.

35 Medien aus 30 Länder deckten Anfang Mai das weiterhin immense Ausmaß des Mehrwertsteuerbetrugs auf. Die Recherche „Grand Theft Europe“ brachte die Regierungen in der EU ein Stück weit in Erklärungsnot. REPORTER berichtete über die Verwicklungen des europaweit größten Steuerraubs in Luxemburg, als Teil des Projekts, das vom deutschen Recherchezentrum Correctiv koordiniert wurde.

Konkret geht es um den sogenannten Karussellbetrug: Dabei werden Waren oder Dienstleistungen zwischen Scheinfirmen in mehreren Ländern gehandelt und Lücken in den TVA-Regeln ausgenutzt, um Staaten um Millionen Euro zu bringen. Im Zuge der Berichterstattung fragte der LSAP-Abgeordnete Mars di Bartolomeo detailliert bei Justiz- und Finanzminister nach, was die Regierung im Kampf gegen diese Form der organisierten Kriminalität tut.

In ihrer Antwort auf die parlamentarische Frage beschwichtigen die Minister Pierre Gramegna (DP) und Felix Braz (Déi Gréng). „In der Regel“ gebe es keinen Steuerausfall in Luxemburg, da die Scheinfirmen, die das Geld einheimsen, in anderen Ländern sitzen. Außerdem seien den Luxemburger Staatsanwälten in den letzten Jahren keine Fälle von Karussellbetrug gemeldet worden. Und schließlich sei die Lücke („VAT gap“) zwischen dem, was der Staat aufgrund der Wirtschaftsleistung an Mehrwertsteuer erhalten müsste, und der tatsächlichen Einnahmen, sehr gering.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache

Die Minister geben also Entwarnung. Nach dem Motto: Weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Doch zwischen den Zeilen ihrer Antwort schimmert eine andere Realität durch. Es könne vorkommen, dass ein Luxemburger Unternehmen am Schaden in anderen Ländern beteiligt seien. Im Jahresbericht 2018 der zuständigen „Administration de l’enregistrement“ klingt das anders: „Luxemburger Steuerzahler sind wie in der Vergangenheit Teil von internationalen Betrugsketten.“

Die Behörde erhielt vergangenes Jahr 208 Anträge auf Amtshilfe aus dem Ausland – davon betrifft die Mehrheit allerdings andere Betrugsformen. Doch auch die Justiz erhält Anfragen aus dem Ausland: Zwischen 2016 und 2018 gab es 65 Anträge auf Rechtshilfe in Fällen, die indirekte Besteuerung betrifft – also vor allem Mehrwertsteuer, heißt es in der Antwort. Auch das zeigt, dass Luxemburg keine friedliche Insel in einem Meer von Kriminalität ist.

Tatsächlich wurde Luxemburg bereits oft von Betrügern als Zwischenstation in ihren Geschäften genutzt – meist als Zulieferer des sogenannten „fehlenden Händlers“, der in einem anderen Land die Mehrwertsteuer erhält, aber nie an den Staat weiterzahlt. Ein Beispiel ist der Belgier Cédric G., der von Beckerich aus gleich zwei lukrative „Karusselle“ betrieb.

Selbst der Verweis der Minister auf die geringe „VAT gap“ ist beschönigend. Zwar wurde dieser Wert 2016 von der EU-Kommission auf lediglich 0,89 Prozent geschätzt, was 29 Millionen Euro entspricht. Doch 2011 lag der gleiche Indikator bei 550 Millionen Euro, davon allein geschätzte 100 Millionen Euro an Verlust für den Luxemburger Staat aus Karussellbetrug. Das gefährliche an diesem Verbrechen ist der enorme Schaden, den ein kleiner Kreis von Kriminellen innerhalb von kürzester Zeit anrichten kann. Im Betrug mit CO2-Zertifikaten ergaunerten mehrere Banden in Frankreich jeweils Hunderte Millionen Euro.

Mit „künstlicher Intelligenz“ gegen Karusselle

Auch wenn die Regierung das Problem nicht besonders ernst nimmt, rüstet sie trotzdem das Arsenal gegen den Steuerbetrug auf. Die Minister verweisen etwa auf einen Gesetzesentwurf, der vorsieht, in Luxemburg Personen zu verurteilen, die im Ausland Mehrwertsteuerbetrug durchgeführt haben. Das sei ein bedeutender Fortschritt, so Gramegna und Braz. Unerwähnt lassen sie die Europäische Staatsanwaltschaft, die ihren Sitz in Kirchberg haben wird und deren wichtigste Kompetenz der Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug sein wird. Experten sehen diese neue Zusammenarbeit als sehr wichtigen Schritt an.

Um die Betrugsfälle zu erkennen, hat die EU außerdem Ende Mai ein neues System eingeführt: die „Transaction Network Analysis“ (TNA). Luxemburg nimmt daran Teil, betont die Regierung. Das Revolutionäre daran: Die nationalen Datenbanken über grenzüberschreitende Warenlieferungen und Dienstleistungen werden verknüpft. Es baut auf einem System auf, das im Benelux seit Jahren zum Einsatz kommt, berichtete die belgische Zeitung „De Tijd“. Diesen riesigen Datensatz durchforstet eine „künstliche Intelligenz“ auf der Suche nach auffälligen Transaktionen.

Das Problem war bisher, dass die Verbrecher sich sehr schnell anpassten und ihren Betrug mit immer neuen Produkten und anderen Methoden durchführten. Es dauerte Monate, bis dies den Behörden auffiel und sie sich über Grenzen hinweg austauschten. Der Erfinder und Steuerbeamter Yannic Hulot ist sich sicher, dass mit TNA neue Formen des Karussellbetrugs sehr schnell entdeckt werden können, sagte er „De Tijd“.

Das TNA-System gründet auf dem sehr ehrgeizigen Kampf der belgischen Behörden gegen Karussellbetrug. Wichtig für den Erfolg war die enge Zusammenarbeit von Steuerbeamten und Polizei. In Luxemburg ist das bisher nicht möglich. Auch der Austausch zwischen Steuerbehörde und Justiz ist sehr begrenzt.


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