Bezahlbarer Wohnraum ist in der Hauptstadt ein rares Gut. Die Gemeinde verfügt kaum über eigene vergünstigte Wohnungen. Dennoch lässt die DP-CSV-Koalition vier bezugsfertige städtische Häuser in Rollingergrund seit über zwei Jahren leer stehen.
Trotz Maske sieht man den Politikern das Strahlen an. Der Anlass: Im Januar 2021 sind die sieben öffentlichen Wohnhäuser offiziell bezugsfertig, die die Stadt Luxemburg in der Rue Jean-François Boch hat bauen lassen. Selbst Wohnungsbauminister Henri Kox (Déi Gréng) ist zur Einweihung erschienen. Ein Foto zeigt den Minister gemeinsam mit Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) und Sozialschöffe Maurice Bauer (CSV). Die Politik ist sich der Wohnungsnot in der Hauptstadt bewusst und handelt, das soll die Kernbotschaft sein an diesem Wintertag vor zwei Jahren. Von den sieben Häusern vermietet die Gemeinde vier zu einem reduzierten Mietpreis, die anderen drei als Sozialwohnungen.
Wenn Valérie Gimber an die sieben Häuser in der beschaulichen Straße im Stadtviertel Rollingergrund denkt, ist ihr jedoch nicht nach Strahlen zu Mute. „Ich weiß nicht, ob die Wut oder die Trauer überwiegt“, sagt die alleinerziehende Mutter im Gespräch mit Reporter.lu. Die 45-Jährige, die selbst im Immobilienbereich tätig ist, hatte sich für eines der Häuser beworben. Umso fassungsloser ist Valérie Gimber, dass die vier Häuser aktuell noch immer leer stehen. „Der Stichtag für die Bewerbungen war Juni 2022. Ich hatte eigentlich geplant, dass wir aus unserer damaligen Wohnung in Hesperingen bis Oktober ausziehen würden. Das Angebot der Stadt kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, dachte ich damals.“
Keine Antwort auf Bewerbung
Doch die Realität sah anders aus. Nachdem Valérie Gimber ihre Bewerbung eingereicht hatte, passierte zunächst einmal nichts. Als sie sich nach einem Monat bei der Stadtverwaltung erkundigte, lautete die Antwort, dass die Auswertung der Anträge mehrere Monate dauern werde. Denn wer die Wohnung schlussendlich erhält, unterliegt nicht dem Zufall, sondern einem Punktesystem. Berücksichtigt wird bei der Vergabe, ob man in der Gemeinde arbeitet und wie lange, wie viele Kinder dem Haushalt angehören und ob man aktuell bereits in der Hauptstadt wohnt. Je höher der Punktewert, desto größer die Wahrscheinlichkeit, für die Wohnung ausgewählt zu werden.
Eigentlich bräuchten wir eine TGV-Geschwindigkeit, doch der Schöffenrat sitzt im Bummelzug.“Guy Foetz, Déi Lénk
Wegen des langwierigen Verfahrens beschließt Valérie Gimber, parallel zur Bewerbung für die öffentliche Wohnung, auch auf dem freien Markt zu suchen. Dort sind die Preise allerdings deutlich höher. Das Haus in Rollingergrund mit einer nutzbaren Fläche von 133 Quadratmetern vermietet die Gemeinde für rund 1.500 Euro. Wer etwas Ähnliches auf dem freien Markt finden will, muss deutlich mehr ausgeben. Damit sah sich auch Valérie Gimber konfrontiert. Auf eine Antwort der Gemeinde auf ihre Bewerbung wartet die Immobilienfachfrau indes bis heute.
Die vier günstigen Häuser in der Rue Jean-François Boch, sie stehen auch heute noch leer. Mehr als sieben Monate nachdem sich Valérie Gimber beworben hatte und mehr als zwei Jahre nach der Fertigstellung. Eigentlich eine unmögliche Situation. Denn nirgends im Land ist der Immobilienmarkt aufgeheizter als in der Hauptstadt.
Hohe Mieten, hohe Nachfrage
Im Schnitt lagen die Mieten zwischen Oktober 2020 und September 2021 hier bei 1.613 Euro. Damit zahlten Mieter in der Hauptstadt rund 100 Euro mehr als im Rest des Großherzogtums. Das zeigt der Sozialbericht des Forschungsinstituts „Liser“. Allerdings bezieht sich der Durchschnittspreis zum Großteil auf Wohnungen und nicht auf Einfamilienhäuser. Rechnet man etwa den durchschnittlichen Quadratmeterpreis für Mietwohnungen in der Hauptstadt von 36 Euro auf die Fläche der Häuser in der Rue Jean-François Boch hoch, würden diese auf dem freien Markt etwa 4.000 Euro an Miete kosten.
Wirklich sozial ist Luxemburg-Stadt überhaupt nicht. Und das ist auch nicht erwünscht.“Valérie Gimber
Ein Grund für die hohen Preise ist die enorme Nachfrage. Denn in den vergangenen fünf Jahren ist die Hauptstadt um rund 17.000 Bürger angewachsen. Und wer neu in der Hauptstadt ist, wohnt tendenziell eher zur Miete. Der Bestand an öffentlichen Wohnungen hat im Vergleich zur Bevölkerung weit weniger stark zugenommen. Nur rund 1.627 Wohnungen von öffentlichen Trägern gibt es in Luxemburg-Stadt, so ebenfalls der Sozialbericht des Liser. Das sind zwar landesweit die meisten, doch im europäischen Vergleich schneidet die Hauptstadt beim Anteil an sozialem Wohnraum schlecht ab. Der Bericht des Liser schätzt, dass nur 3,2 Prozent der Wohnungen in der Hauptstadt Sozialwohnungen sind. Der europäische Schnitt liegt bei neun Prozent der verfügbaren Wohnungen. In den Niederlanden sind es sogar 34 Prozent.
Hinzu kommt, dass zwischen Sozialwohnungen und öffentlichen Wohnungen mit einer vergünstigten Miete unterschieden werden muss. Zwar verwaltet der „Service Logement“ der Hauptstadt 620 Sozialwohnungen und 121 möblierte Zimmer. Allerdings gelten bei der Vergabe dieser Mietwohnungen strenge Bedingungen. Die Vergabe erfolgt in Zusammenarbeit mit den Sozialämtern und die Antragsteller müssen ihre Bedürftigkeit nachweisen. Wer aus der Mittelschicht kommt, hat demnach wenig Chancen auf eine Sozialwohnung.
„Situation ist unglücklich“
Wohnungen und Häuser mit einer vergünstigten Miete („Logement abordable“), wie jene in der Rue Jean-François Boch, sollen diese Lücke schließen. Eigentlich. Denn die Stadt Luxemburg besitzt weit weniger vergünstigte Immobilien als Sozialwohnungen. Auf Nachfrage von Reporter.lu teilt die Verwaltung mit, dass die Gemeinde aktuell lediglich 41 Immobilien besitzt, die günstig vermietet werden, davon sind neun Häuser und der Rest Wohnungen.
Bei diesem geringen Bestand sind leere Neubauten in öffentlicher Hand eigentlich ein Skandal. Aber wieso stehen die Häuser, mehr als zwei Jahre nachdem sie fertiggestellt wurden, noch immer leer? Maurice Bauer, Sozial- und Wohnungsschöffe der Stadt, gibt zu: „Die Situation ist natürlich unglücklich.“ Allerdings gebe es einige Gründe, die die Verzögerung bei der Vergabe erklären würden, so der CSV-Schöffe im Gespräch mit Reporter.lu: „Die Corona-Pandemie hat Besichtigungstermine der Häuser erschwert. Es musste alles online stattfinden, was deutlich langwieriger war.“
Zudem werde der zuständige Service Logement gerade neu aufgestellt, auch um der hohen Nachfrage nach öffentlichen Wohnungen besser gerecht zu werden, erklärt Maurice Bauer. Als Beispiel nennt der Politiker die Bewerbungen für die Häuser in der Rue Jean-François Boch. Insgesamt habe die Stadt bis zum Stichtag 242 Anträge erhalten, wovon 131 die Konditionen für die Häuser erfüllten. Daraus eine Auswahl zu treffen, sei zeitaufwendig, betont Maurice Bauer. Aktuell stehe der zuständige Dienst in Kontakt mit jenen Personen, die in dem Auswahlverfahren zurückbehalten wurden. Diese würden in den nächsten Wochen in die Häuser einziehen können, so der CSV-Schöffe. Allen Bewerbern sei zudem am 21. November 2022 mitgeteilt worden, ob sie für eines der Häuser ausgewählt wurden oder nicht.
Opposition nicht überrascht
Die Opposition zeigt sich indes wenig beeindruckt vom öffentlichen Wohnungsbau in der Hauptstadt. Auf den konkreten Fall angesprochen, fällt die Antwort von Guy Foetz, Vertreter von Déi Lénk im städtischen Gemeinderat, knapp aus: „Diese Vorgehensweise ist symptomatisch für die Wohnungssituation in der Hauptstadt und die ist katastrophal. Eigentlich bräuchten wir eine TGV-Geschwindigkeit, doch der Schöffenrat sitzt im Bummelzug.“ Das Problem des Wohnungsmangels müsste zur Priorität werden in der Hauptstadt, meint Guy Foetz. Deshalb fordern Déi Lénk auch, eine städtische Wohnungsbaugesellschaft aufzubauen, die endlich genügend öffentliche Wohnungen schaffen soll. „Die Stadt Luxemburg hat hohe Haushaltsreserven, die für den Wohnungsbau mobilisiert werden müssen. Aber aktuell kommt es bei den verschiedensten Bauprojekten auf dem Stadtgebiet immer wieder zu Verzögerungen. Das können wir uns nicht mehr leisten“, sagt Guy Foetz.

Kaum überrascht vom Fall in Rollingergrund zeigt sich auch François Benoy, Gemeinderatsmitglied und Spitzenkandidat von Déi Gréng in der Hauptstadt: „Die Gemeinde lässt immer wieder Wohnungen leer stehen. Das ist definitiv kein Einzelfall und zeigt, wie nachlässig die Stadt mit dem öffentlichen Wohnungsbau umgeht.“ Auch der Grünen-Politiker verweist auf die hohen Haushaltsreserven in der Hauptstadt: „Die Stadt hat Reserven von mehr als einer Milliarde Euro, die ungenutzt bleiben. Das ist doch eine einmalige Chance. Vor allem, da der Pacte Logement 2.0 vorsieht, dass Gemeinden bei großen Bauprojekten ein Anteil von mindestens 20 Prozent öffentlicher Wohnungen zusteht. Um diese Chance auch zu nutzen, müsste sich die Gemeinde aber völlig neu aufstellen. Davon sieht man aktuell jedoch leider wenig.“
Für Valérie Gimber kommt das sowieso zu spät. Sie und ihre drei Söhne sind mittlerweile in ein Haus in Bereldingen in der Gemeinde Walferdingen umgezogen, für das die Familie mehr als 2.000 Euro monatlich zahlt. Für das Verhalten der Stadt Luxemburg hat Valérie Gimber ihre eigene Erklärung: „Ich glaube, die Politik in der Hauptstadt sieht den öffentlichen Wohnungsbau vor allem als Marketing-Maßnahme. Die Fertigstellung einer neuen Wohnung macht sich gut im Hochglanzmagazin der Gemeinde, aber eine wirkliche Priorität ist es nicht. Denn mein Eindruck ist, wirklich sozial ist Luxemburg-Stadt überhaupt nicht. Und das ist auch nicht erwünscht.“


