Eine Straße weist landesweit die schlechteste Luftqualität auf. Dass eine Ortsumgehung helfen würde, ist unbestritten. Doch die Regierung zögert seit Jahren mit einer Entscheidung: Das Beispiel Hesperingen zeigt, wie langwierig der Kampf gegen Schadstoffbelastung sein kann.
Wenn es um das Streitthema „Contournement“ geht, hat sich bei Marc Lies viel Ärger angestaut. Seit Jahren fordert der Bürgermeister von Hesperingen eine Ortsumgehung für seine Gemeinde. Die Gründe liegen auf der Hand: Das hohe Verkehrsaufkommen führt in Stoßzeiten zu langen Autoschlangen und damit zu einer hohen Schadstoffbelastung für die Anwohner.
Dass die Umgehungsstraße jetzt als mögliche Maßnahme im nationalen Luftqualitätsplan zurückbehalten wurde, begrüßt der CSV-Politiker zwar. Doch bei der für 2023 anvisierten Umsetzung wird Marc Lies deutlich: „Das Timing ist absurd. Bisher wurde nicht einmal die nötige Bürgerbefragung abgehalten, geschweige denn ein Gesetz verabschiedet.“
Höchste gemessene Schadstoffwerte im Land
Dabei sind die in Hesperingen ermittelten Schadstoffwerte die höchsten des Landes. Die mobilen Messungen der Umweltverwaltung bei der von Howald in den Ortskern von Hesperingen führenden Rue de Gasperich waren besonders schlecht. 2018 lagen die Stickstoff-Dioxid-Werte hier im Jahresmittel mit 53 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (ug/m3) rund 13 Mikrogramm über den von der EU festgelegten Höchstwerten. Zum Vergleich: Auf dem Boulevard Royal in Luxemburg-Stadt lagen die Werte mit 45 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft deutlich tiefer.
Im Entwurf zum Luftqualitätsplan der Regierung wurde für 2019 in Hesperingen ein Wert von 48 ug/m3 zurückbehalten. 2019 wurden zwar 41 ug/m3 gemessen, jedoch kam es bei dieser Messreihe zu unplausiblen Messergebnissen, die nicht aus der Statistik entfernt wurden. Die detaillierten Messergebnisse liegen Reporter.lu vor. Die Umweltverwaltung erklärt die unterschiedlichen Messwerte mit dem Wechsel eines Dienstleisters. Der Hersteller der Messröhrchen habe gewechselt und die Messergebnisse seien daraufhin korrigiert worden.
Laut den Messungen sind die hohen Schadstoffwerte nahezu ausschließlich auf die hohe Verkehrsbelastung zurückzuführen. Ein Grund dafür ist wiederum die stadtplanerische Erschließung des Südens der Hauptstadt. Mit der Cloche d’Or und dem Ban de Gasperich bündelt die Region zwei der sich am schnellsten entwickelnden Stadtteile. Mit der Nationalstraße N3 führt dabei eine Hauptzubringerstraße zum Süden der Hauptstadt durch die Ortsmitte von Hesperingen. Zu Stoßzeiten ist die Straße derart überlastet, dass der Verkehr sich bis in die Wohnviertel staut.
Pandemie führte zu leichter Entspannung
Vor der Corona-Pandemie ergab eine Zählung der Gemeinde, dass in einer Woche rund 12.500 Autofahrer die Abkürzung durch Wohnviertel nutzten, um den Stau auf der N3 zu umfahren. An einer Bürgerversammlung zum Thema nahmen im Dezember 2019 rund 350 Anwohner teil. Die Gemeinde ließ punktuell Poller errichten und machte einige Nebenstraßen zu Einbahnstraßen. Die Maßnahmen dürften aber eher zu einer Beruhigung der Einwohner als zur Lösung der Luftproblematik geführt haben.
Langfristig könnte ich mir vorstellen, den Ortskern in einen Shared Space umzugestalten, in dem alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Ohne die Ortsumgehung ist dieser Plan jedoch illusorisch.“Marc Lies, Bürgermeister von Hesperingen
Allerdings habe sich die Lage in der Corona-Pandemie durchaus beruhigt, meint Bürgermeister Marc Lies. Für die Zeit nach den Einschränkungen und dem Home-Office befürchtet er jedoch wieder eine starke Zunahme des Verkehrs: „Meiner Ansicht nach wird der Verkehr durch den Ortskern nach der Pandemie wieder auf Vorkrisen-Niveau steigen.“
Diese Einschätzung gründet nicht zuletzt auf der Aktivität in der unmittelbaren Nachbarschaft. Zahlreiche Bauprojekte im Ban de Gasperich seien ja gerade erst fertiggestellt worden, weshalb die Folgen für den Durchgangsverkehr noch nicht wirklich abzusehen seien, erklärt Marc Lies. Durch diese Perspektive wird der Abgeordnete der CSV in seinem Fazit nur bestärkt: Hesperingen brauche eine langfristige Lösung, also eine Umgehungsstraße.
Priorität für Hauptstadt und sanfte Mobilität
Auch der Abgeordnete François Benoy (Déi Gréng) ist sich der hohen Stickstoff-Dioxid-Belastung in Hesperingen bewusst: „Die Werte in Hesperingen sind hoch.“ Die Verantwortung liege aber nicht nur bei der aktuellen Regierung, sagt der Präsident des Umweltausschusses im Parlament. „Der Grundstein für die Entwicklung im Ban de Gasperich wurde bereits Anfang der 2000er Jahre gelegt. Die damaligen Versäumnisse müssen nun nach und nach aufgearbeitet werden.“
Dazu gehören laut dem Grünen-Politiker eine konsequente Förderung der Fahrradnutzung und der öffentlichen Verkehrsmittel. Langfristig müsse man zudem darüber nachdenken, wie man den Verkehr in der Route de Thionville beruhigen und die Stadt weniger attraktiv für Autofahrer machen könne.
Es sind Forderungen, denen auch der Bürgermeister von Hesperingen nicht abgeneigt ist: „Langfristig könnte ich mir vorstellen den Ortskern in einen Shared Space umzugestalten, in dem alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt sind. Ohne den Bau der Ortsumgehung ist dieser Plan jedoch illusorisch“, so Marc Lies.

Um der verkehrstechnischen Mehrbelastung durch den wachsenden Südteil der Hauptstadt Rechnung zu tragen, hat die Regierung zwei große Infrastrukturprojekte auf den Weg gebracht. Diese konzentrieren sich jedoch zunächst auf dem Gebiet der Hauptstadt und folgen teilweise der neuen Tramtrasse.
2016 bekam der Ausbau der N3 zwischen dem Hauptbahnhof und Bonnevoie eine gesetzliche Basis. Das Investitionsvolumen für den Straßenausbau bis zum neuen Pôle d’Echange beläuft sich auf 106 Millionen Euro. Zwei Jahre später folgte das Finanzierungsgesetz über weitere 130 Millionen Euro für das zweite Teilstück zwischen der Rue de Scillas und dem Pôle d’Echange Howald.
Zeitlich flexible Mobilitätsstrategie
Einzig das letzte Teilstück der neuen N3 blieb bisher außen vor. Es ist das sogenannte „Modul Süd“, also die Anbindung von Hesperingen. Bezeichnend ist dabei, dass die Ortsumgehung Alzingen/Hesperingen im Maßnahmenpaket der Regierung zur Mobilität „MoDu 2.0“ zwar angeführt wird. Es fehlt jedoch ein Datum zur Umsetzung. Die Mobilitätsstrategie der Regierung reiche nur bis nach Howald, heißt es demnach bei Kommunalpolitikern in Hesperingen.
Die zusätzlichen Maßnahmen müssen noch ausgearbeitet werden und in diesem Kontext müssen Entscheidungen auf Regierungsebene getroffen werden.“Umweltverwaltung
Es ist jedoch dieses Maßnahmenpaket, auf das sich die Umweltverwaltung beruft, um die besseren Projektionen der Schadstoffemissionen in den kommenden Jahren zu begründen. Hinzu kommt, dass die Verwaltung die Ortsumgehung bloß als zusätzliche Maßnahme ansieht. Eine Einschränkung, für die die Umweltverwaltung eine vermeintlich einfache Erklärung liefert. „Weil die Ortsumgehung von Alzingen in die Kategorie der zusätzlichen Maßnahmen fällt, muss die Ortsumgehung nicht bis 2023 umgesetzt werden“, erklärt die Verwaltung auf Nachfrage von Reporter.lu.
In ihren Prognosen für die Entwicklung der Schadstoffbelastung in Hesperingen, geht die Umweltverwaltung erst für 2024 von einer Einhaltung der Grenzwerte aus. Die Projektionen, mit denen die Verwaltung die Einhaltung der Grenzwerte begründet, werden allerdings auf EU-Ebene bezweifelt. Im Prüfbericht zu den von Luxemburg eingereichten Zahlen, bemängelt das Kontrollteam diese als „intransparent“. Zudem seien die Zahlen nicht sonderlich genau und vollständig. Luxemburg habe das europäische Kontrollteam auch nur unzureichend in seiner Arbeit unterstützt.
Regierung zögert Entscheidung hinaus
Was aus dem Luftqualitätsplan aber deutlich hervorgeht: Der Bau der Ortsumgehung würde deutlich Abhilfe schaffen. Die Verwaltung selbst geht hier von einer zusätzlichen Senkung der Stickstoff-Dioxid-Belastung um 7 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft aus.
Woran hapert es also? Die Umgehungsstraße zwischen Howald und Alzingen sei zwar eine „politische Priorität“, die Entscheidung zu ihrer Umsetzung stehe aber noch aus, heißt es lapidar im Entwurf zum nationalen Luftqualitätsplan. Die Umweltverwaltung verweist auf Nachfrage von Reporter.lu ohne Umschweife auf die politischen Entscheidungsträger: „Die zusätzlichen Maßnahmen müssen noch ausgearbeitet werden und in diesem Kontext müssen Entscheidungen auf Regierungsebene getroffen werden.“

Zuständig für die Planung der Ortsumgehung ist das Ministerium für Mobilität und Öffentliche Arbeiten. Auf Gemeindeebene ist die Forderung nach einem „Contournement“ schon seit Jahrzehnten zu hören. Vehement eingefordert wurde sie aber erst mit der Entwicklung des Ban de Gasperich und dem stetig steigenden Verkehrsaufkommen.
Mitte 2019 hatte der zuständige Minister François Bausch (Déi Greng) schließlich eine schnelle Umsetzung der Umgehungsstraße in Aussicht gestellt und betont, dass der öffentlichen Anhörung prinzipiell nichts mehr im Weg stünde. Als problematisch sollte sich jedoch der Streckenverlauf der Ortsumgehung erweisen. Denn die zwei zunächst zurückbehaltenen Varianten wären durch ein europäisches Vogelschutzgebiet oder ein nationales Schutzgebiet verlaufen. Zu der vom Minister angekündigten Bürgeranhörung kam es demnach nicht.
Virtuelle Bürgerversammlung Ende Januar
Ende 2019 brachte das Ministerium dann eine weitere Variante ins Spiel. Ein rund zwei Kilometer langer Tunnel sollte die Auswirkungen für das Naturschutzgebiet möglichst klein halten. 2020 sollte eine Machbarkeitsstudie die neue Variante prüfen.
In der Gemeinde Hesperingen sah sich der Gemeinderat indes veranlasst, am 26. Oktober 2020 eine gemeinsame Stellungnahme zu verfassen, in der geschlossen eine endgültige Entscheidung zur Ortsumgehung für Alzingen/Hesperingen gefordert wurde. Denn bis zu diesem Zeitpunkt lagen weder die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie für einen Tunnel, noch ein Termin für eine öffentliche Anhörung zur Ortsumgehung vor.
Auch eine Videokonferenz zwischen Gemeinde und Ministerium am 18. Dezember 2020 brachte nur wenig neue Erkenntnisse. „Uns wurde lediglich versichert, dass wir 2021 mit der öffentlichen Anhörung rechnen können“, erklärt Marc Lies im Gespräch mit Reporter.lu.
Auf die Machbarkeitsstudie und den aktuellen Planungsstand angesprochen, bittet das zuständige Ministerium nun erneut um Geduld. Eine Sprecherin des Ministeriums für Mobilität und Öffentliche Arbeiten verweist auf die kommende Woche: „Am 28. Januar 2021 findet eine virtuelle Bürgerversammlung zur Ortsumgehung statt.“ Wann die Regierung eine Entscheidung trifft, ist damit aber immer noch nicht abzusehen. Bis auf Weiteres bleibt es also bei der dicken Luft in Hesperingen.
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