Sollte der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskalieren, sind strenge Sanktionen gegen Moskau wohl unausweichlich. Luxemburgs Regierung hält sich in dieser Frage bedeckt. Das dürfte auch an den engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland liegen.
Rund 2.500 Kilometer beträgt die Distanz zwischen Luxemburg und der russischen Ortschaft Persianovskii – einem jener Standorte an der Grenze zur Ukraine, an denen Russland seit Mitte vergangenen Jahres seine Truppen verstärkt hat. Eine mögliche Eskalation des Konflikts wäre demnach weit vom Großherzogtum entfernt.
Doch wie nah ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich kommen könnte, verdeutlicht eine weitere Entfernungsmessung. Keine 500 Meter Luftlinie liegen zwischen dem Finanzministerium und jenem unscheinbaren Gebäude an Nummer 15 in der hauptstädtischen Rue Bender, wo die Bank „GPB International SA“ ihren Sitz hat. Das Finanzinstitut ist der luxemburgische Ableger der russischen „Gazprombank“ – und bei Weitem nicht das einzige Beispiel für die tiefe Verankerung russischer Konzerne im Land.
Privilegierte wirtschaftliche Partnerschaft
Die Bedeutung der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und dem Großherzogtum spiegelt sich auch in den Zahlen wider. Allein im Jahr 2018 war Luxemburg, laut Internationalem Währungsfonds, mit 19,5 Milliarden Dollar der fünftgrößte Auslandsinvestor in Russland. Mittlerweile sind die Zahlen etwas gesunken, dennoch flossen auch 2020 immerhin noch fünf Milliarden von Luxemburg aus nach Russland.
Auch die heimischen Finanzberatungsunternehmen werben offensiv um Kunden aus Russland. So preist „Deloitte“ in einer internen Werbebroschüre russischen Unternehmen Luxemburg als „Zugangspforte“ in die EU an. Genau wie Konkurrent „EY“ unterhält Deloitte im Großherzogtum denn auch einen eigenen russischen „Desk“ mit mehreren Mitarbeitern. Das russische Interesse an Luxemburg zeigt sich auch bei den Bevölkerungszahlen. Seit 2011 hat sich die Zahl der in Luxemburg wohnhaften Russen mehr als verdoppelt: von 930 auf nun 1.906.
Die Politik und Akteure des Finanzplatzes machen auch keinen Hehl daraus, dass sie sich für russische Unternehmen als Türöffner in die EU verstehen. Demnach gibt sich die Regierung bisher auch zurückhaltend, wenn es um mögliche Sanktionen gegen Russland geht, sollte es tatsächlich zu einer neuen militärischen Intervention in der Ukraine kommen. Nur so viel: Außenminister Jean Asselborn (LSAP) betonte im Interview mit „Radio 100,7“, dass man solidarisch mit den EU-Partnern bleibe, auch wenn mögliche Sanktionen den Finanzplatz treffen sollten.
Unmittelbare Konsequenzen für den Finanzplatz
Wie diese Sanktionen konkret aussehen könnten, verdeutlichte jüngst ein Gesetzentwurf, den 38 demokratische Senatoren in den US-Senat einbrachten. Der von Kommentatoren als „mother of all sanctions bills“ betitelte Text führt zwölf russische Banken an, die von Sanktionen betroffen wären. Darunter unter anderem die Gazprombank, die „Sberbank“, die „Alfa Bank“ und die „VTB-Bank“. Bei einem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine wäre diesen Instituten jeglicher Zahlungsverkehr in oder durch die USA untersagt, so der Plan. Das Gleiche würde für alle Tochterunternehmen der Banken gelten – damit wäre auch Luxemburg als Standort unmittelbar betroffen.
Zusätzlich behält sich der Entwurf vor, weitere russische Staatsunternehmen, wie etwa Rohstoff- und Industriekonzerne, vom US-Finanzmarkt abzukappen. Auch ein Stopp der umstrittenen Gaspipeline „Nordstream 2“ ist im Text der Senatoren vorgesehen, ebenso wie ein Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Zahlungssystem. Es wären ähnliche Sanktionen wie jene, die die USA 2018 noch unter Präsident Donald Trump gegen den Iran durchsetzten.
Das Beispiel des Iran zeigt, dass es sich bei der Haltung der USA nicht nur um eine Drohkulisse handelt. Sollten russische Soldaten in die Ukraine einmarschieren, werde Washington „severe, unprecedented economic measures“ gegen Russland verhängen, betont auch die US-Botschaft in Luxemburg auf Nachfrage von Reporter.lu. Die Botschaft macht aber auch darauf aufmerksam, dass es zwischen den USA und ihren Alliierten, darunter auch Luxemburg, einen breiten Konsens für eine schnelle, wirkungsvolle Antwort auf eine russische Eskalation gebe.
Russische Milliarden in Luxemburger Holdings
Auswirkungen dieser schweren wirtschaftlichen Sanktionen auf den luxemburgischen Finanzplatz wären, sollte der Fall eintreffen, unausweichlich. Zu groß ist im Großherzogtum die Präsenz von Firmen mit Verbindungen nach Russland. Unmittelbaren Einfluss hätte dies auf jene Finanzinstitute, die eine direkte Verbindung zu den betroffenen Banken haben. Neben der GPB International sind in Luxemburg noch weitere russische Finanzfirmen mit Verbindungen zu einer der in den Sanktionslisten aufgeführten Banken aktiv.
So ist etwa die in einer Villa in der hauptstädtischen Rue Pierre Aspelt angesiedelte „RCB-Bank“ eine Zweigstelle der russischen Muttergesellschaft VTB-Bank. Ähnlich verhält es sich mit der Investitionsgruppe „LetterOne Holdings SA“ mit Sitz in Kirchberg. Das Unternehmen mit einem für 2020 angegebenen Buchwert von sieben Milliarden Euro gehört dem russischen Oligarchen Mikhail Fridman. Der Unternehmer ist Gründer der „Alfa“-Gruppe, zu der auch die Alfa Bank gehört.
Neben Banken sind auch zahlreiche russische Rohstoff- und Industriekonzerne in Luxemburg präsent. Der russische Ölkonzern „Rosneft“ unterhält in Luxemburg verschiedene Holdinggesellschaften, darunter „Rosneft Holdings LTD SA“. Für den letzten im Handelsregister hinterlegten Bilanzabschluss aus dem Jahr 2019 weist die Gesellschaft Finanzkapital in Höhe von rund vier Milliarden Euro aus. Auch der Stahlriese „Magnitogorsk Steel and Iron Works“ ist hierzulande präsent und das nicht nur als Hauptsponsor des diesjährigen „Russian Charity Ball“. Das Minengeschäft des Konzerns läuft mittels der „MMK Mining Assets Management SA“ zumindest teilweise über Luxemburg.
Hinzu kommt, dass der russische Einfluss auf den Finanzplatz über den sichtbaren Bereich hinausgeht. So legte eine exklusive Recherche von Reporter.lu im Herbst vergangenen Jahres offen, wie der russische Milliardär und ehemalige Vize-Stabschef von Wladimir Putin, Kirill Androsov, den Finanzplatz nutzte, um seinen Offshore-Strukturen einen respektablen Anstrich zu verleihen. Wie viel russisches Geld wirklich in den 5,6 Billionen Euro, die am Finanzplatz verwaltet werden, enthalten ist, bleibt vor diesem Hintergrund Spekulation.
Politisch geförderte Geschäftsbeziehungen
Die Präsenz russischer Unternehmen in Luxemburg ist dabei kein Zufall. Denn das Großherzogtum bemüht sich seit Jahren aktiv, russische Unternehmen und ihr Geld nach Luxemburg zu locken. Gelingen sollte das durch ein gut geöltes Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik. Ihren Anfang nahmen die Geschäftsbeziehungen bereits in den 1970er Jahren. Unter Federführung von Premierminister Pierre Werner (CSV) etablierte sich 1974 die erste sowjetische Kapitalgesellschaft in Luxemburg und somit im Westen: die noch immer operative „East-West United Bank“ mit Sitz in der Villa Foch in Luxemburg-Stadt.
Rund 30 Jahre später war es unter anderem der damalige Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP), der den Oligarchen Wladimir Jewtuschenkow dazu bewog, die damals noch staatliche Bank zu übernehmen. Seitdem ist der Gründer der „Sistema“-Gruppe Mehrheitseigner der East-West United Bank. Beteiligt an dem Deal war auch die luxemburgische Anwaltskanzlei „Arendt&Medernach“, die einen Teil der Finanzstrukturierung des Vermögens des Oligarchen ausgeführt hat. Seit 2012 unterhält die Anwaltskanzlei eine eigene Dependance in Moskau.
Auch Jeannot Krecké ist Russland und Wladimir Jewtuschenkow treu geblieben. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der East-West United Bank und Mitglied im Aufsichtsrat der Sistema-Gruppe. Eine Tradition, die sein Amtsnachfolger Etienne Schneider (LSAP) beibehalten sollte. Seit 2020 sitzt der ehemalige Wirtschaftsminister ebenfalls im Aufsichtsrat der Sistema-Gruppe.
Das mag auch daran liegen, dass Etienne Schneider in seiner Amtszeit die engen Verbindungen zwischen Luxemburg und Russland noch weiter gefestigt hat. Neben einem Abkommen zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit bei Weltraumtechnologien unterzeichnete der damalige Wirtschaftsminister 2019 einen Kooperationsvertrag mit der Sberbank. Der Vertrag soll russischen Start-Ups den Zugang zum europäischen Markt sichern, wie es in einer Pressemitteilung hieß.
Militärische Unterstützung ausgeschlossen
Zu verdanken hat Luxemburg die enge Beziehung zu Russland sicherlich auch seiner pragmatischen Haltung gegenüber der russischen Politik. Die tschechische NGO „Kremlin-Watch“, die die russische Einflussnahme auf europäische Staaten verfolgt, resümiert diese durchaus prägnant: „Within the EU, Luxembourg’s relationship with Russia is best summarized as ‘trying to stay away from the issues’.“
Es ist eine Haltung, die mit jeder weiteren russischen Truppenverlagerung an die Grenzen zur Ukraine schwerer aufrechtzuerhalten bleibt. Doch mit seiner Zurückhaltung ist Luxemburg nicht allein in der EU. Vor allem Deutschland scheut sich bisher ebenfalls, eine klare Haltung gegenüber Russland zu vertreten. Grund dafür dürfte auch die energiepolitische Abhängigkeit der Bundesrepublik von russischem Gas sein. Exemplarisch dafür steht die bereits fertiggestellte russische Pipeline „Nordstream 2“.
Diese Zurückhaltung wird nicht geteilt von einigen osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, die eine offensivere Haltung in Bezug auf Russland einnehmen und sich entsprechend mit der Ukraine solidarisieren. So haben unter anderem Litauen und Lettland bereits Panzerabwehrraketen an das ukrainische Militär geliefert. Auch das Vereinigte Königreich hat 2.000 Einheiten seines Panzerabwehrsystems „NLAW“ an die Ukraine geliefert. Das gleiche System hat auch die luxemburgische Armee im Einsatz.
Eine solche militärische Unterstützung der Ukraine schließt das luxemburgische Verteidigungsministerium konsequent aus. Auf die Frage, ob Luxemburg, wie andere NATO-Partner, Waffen an die Ukraine liefern wird, ist die Antwort aus dem Ministerium deutlich: „Es entspricht nicht der luxemburgischen Verteidigungspolitik, Material an ausländische Truppen zu liefern.“

