Omikron verpasst den Hoffnungen auf ein rasches Ende der Pandemie einen neuen Dämpfer. Experten warnen vor der Aggressivität der Variante, die Politik reagiert mit neuen Maßnahmen. Und über allem schwebt die immer dringlicher werdende Frage der Impfpflicht.

„Die Omikron-Variante wird dafür sorgen, dass jeder in Kontakt mit dem Virus kommt“: Die Worte von Dr. Gérard Schockmel klingen wie eine düstere Prognose. Doch eine Stunde null der Pandemie will der Experte im Gespräch mit Reporter.lu nicht heraufbeschwören. Denn immerhin gibt es ein Mittel zum Schutz gegen die ungewissen Folgen des mutierenden Virus – auch und besonders angesichts der neuen Variante.

„Die Impfung schützt vor einem schweren Verlauf, die Booster-Impfung erhöht den Schutz vor einer Infektion“, so der Spezialist für Infektionskrankheiten an den „Hôpitaux Robert Schuman“ (HRS) weiter. Aktuell würde sich Luxemburg, wie viele andere Länder, aber auf einem gefährlichen Weg befinden, „weil so viele Menschen noch nicht geimpft sind“, sagt Dr. Gérard Schockmel.

Wenige Fälle, aber große Vorsicht

Bisher wurden fünf Omikron-Fälle in Luxemburg nachgewiesen. Doch diese wenigen Fälle reichten bereits aus, damit Premierminister Xavier Bettel (DP) das Auftauchen der Variante als neues Moment in der Pandemie bezeichnete. Auch Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) unterstrich die Wucht, mit der sich die Variante in Europa ausbreitet. „Im Ausland wurde zum Teil eine Verdopplungszeit von zwei Tagen bei der Omikron-Variante festgestellt“, so die Gesundheitsministerin am Mittwochmorgen vor der Presse.

Die medizinische Direktorin des „Centre Hospitalier de Luxembourg“ (CHL), Dr. Martine Goergen, veranschaulicht ihrerseits die neue Dimension der Omikron-Variante mit einem Vergleich zur ersten Corona-Welle 2020: „Während in der ersten Welle ein Infizierter bei einer Versammlung oder einer Familienfeier mit zehn Personen eine oder zwei der Anwesenden mit dem Virus infizierte, infiziert er nun alle.“

Auch wenn die bisher verfügbaren Studien wie immer in dieser Pandemie mit Vorsicht zu genießen sind, lässt sich die Gefahr der Omikron-Variante bereits medizinisch einschätzen. „Was wir bisher wissen, ist, dass die Omikron-Variante noch einmal deutlich infektiöser ist als die Delta-Variante. Zudem schützt eine Doppel-Impfung nicht mehr ausreichend gegen eine Infektion“, erklärt Dr. Gérard Schockmel im Gespräch mit Reporter.lu.

Der Grund: Einerseits verringern sich die Virus-Antikörper über die Zeit – ein Vorgang, der laut Gérard Schockmel auch bei anderen Impfungen üblich ist. Andererseits unterwandere die Omikron-Variante aufgrund der vielen Mutationen wahrscheinlich die Antikörper-Antwort und somit die erste Immunbarriere im menschlichen Körper. Beide Feststellungen treffen zudem auch auf Personen zu, die bereits eine Infektion durchgemacht haben, so der Infektiologe weiter.

Ernüchternde Zahlen aus dem Ausland

Wie schnell die Omikron-Variante das gesamte Pandemiegeschehen bestimmen kann, zeigt Dänemark. Das skandinavische Land erlaubt mit einer Impfquote von rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung einen Ausblick darauf, wie sich Omikron in Westeuropa verbreiten könnte. Das liegt auch an den detaillierten Daten, die das staatliche Laboratorium für Infektionskrankheiten dort liefert. Das Labor sequenziert konsequent jeden verdächtigen PCR-Test im Land auf die Omikron-Variante.

Die Ergebnisse sind ernüchternd. Am 29. November wurde Omikron in elf von 5.096 Proben nachgewiesen, das entsprach 0,2 Prozent der Proben. Nur rund zwei Wochen später, am 14. Dezember, waren von 11.489 Proben bereits 4.446 auf die Omikron-Variante zurückzuführen. Die neue Variante machte damit 38,7 Prozent der Proben aus. Eine ähnlich schnelle Verbreitung zeigt das Virus auch in Großbritannien, Belgien und den USA, wo die Variante mittlerweile die Mehrzahl der Infektionen ausmacht.

Aufgrund des gleichzeitigen, extremen Patientenaufkommens ist eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten.“Deutscher Expertenrat zu Omikron

Während die hohe Infektiosität der neuen Variante bereits nahezu gesichert ist, sind konkrete Aussagen zur Virulenz der Variante noch nicht mit zuverlässigen Daten belegt. Auch Dr. Gérard Schockmel warnt davor, von den ersten Erfahrungen aus Südafrika auf das Infektionsgeschehen in Europa zu schließen: „Die erfassten Patienten in Südafrika waren zum Großteil jung und entweder geimpft oder durch eine Infektion in den Wellen davor teilimmunisiert. Daraus lässt sich nicht schließen, dass Omikron einen milderen Verlauf begünstigt.“

Erste Daten aus England deuten bei Omikron jedoch auf eine niedrigere Hopitalisierungsrate im Vergleich zu Delta hin. Dies könnte ein Indiz für einen weniger schweren Krankheitsverlauf sein. Den größten Einfluss auf die Virulenz hat laut einem Forschungsteam des „Imperial College London“ die Impfung. Doppelt-Geimpfte bleiben substanziell vor einem Krankenhausaufenthalt geschützt, auch wenn der Schutz vor einer Infektion mit dem Aufkommen der Omikron-Variante abgenommen habe, so das Fazit der vorläufigen Studie. Auch Personen, die bereits eine Corona-Infektion überstanden haben, hätten bei Omikron ein um 50 bis 60 Prozent niedrigeres Risiko, ins Krankenhaus zu müssen, als bei einer Erstinfektion.

„Die Macht der großen Zahl“

Generell gehen die Forscher bei Omikron für alle Bevölkerungsgruppen von einem um 20 bis 25 Prozent niedrigeren Risiko für eine Hospitalisierung im Vergleich zu Delta aus. Allerdings seien vor allem die Daten zu Hospitalisierungen bei Ungeimpften, die sich bei ihrer Erstinfektion mit der Omikron-Variante infizieren, derzeit noch begrenzt, so die wissenschaftliche Einschätzung. Grund dafür seien unter anderem die hohen Infektionszahlen in den zurückliegenden Corona-Wellen in England. Ein Problem, auf das auch Dr. Leif Erik Sanders, Infektiologe an der „Charité“ in Berlin, hinwies: „Für Aussagen zur inhärenten Virulenz von Omikron bräuchten wir vergleichende Analysen der Krankheitsschwere von Infektionen durch Omikron und Delta in Nicht-Geimpften und Nicht-Genesenen.“

Doch selbst wenn die Variante milder verlaufen würde, könnte allein die stark erhöhte Infektiosität dazu führen, dass die schiere Anzahl an Neuinfektionen das Gesundheitssystem überlastet, weil es statistisch gesehen dann gleichzeitig zu vielen schweren Verläufen kommen wird, so Dr. Gérard Schockmel. „Das ist schlicht die Macht der großen Zahl“, erklärt der Infektiologe.

Es ist eine Einschätzung, die von Experten im Ausland geteilt wird. Der von der neuen deutschen Bundesregierung ernannte Expertenrat warnte kürzlich in einer Stellungnahme: „Aufgrund des gleichzeitigen, extremen Patientenaufkommens ist eine erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten – selbst für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante.“

Die Luxemburger Regierung reagierte auf die zunehmende Vorsicht der Nachbarländer. Sie setzt bei der Bekämpfung der neuen Variante aber zunächst auf mehr Tests und auf die Einschränkung von Großereignissen. Stimmt das Parlament für die Änderungen am Covid-Gesetz, soll bereits ab kommendem Samstag die 2G-Plus-Regel in der Gastronomie eingeführt werden. Das heißt, dass sowohl Doppelt-Geimpfte als auch Genesene, neben dem Covid-Check-Pass einen vor Ort durchgeführten, negativen Schnelltest vorweisen müssen, bevor sie eine Bar oder ein Restaurant betreten dürfen.

Kein wirklicher Schutz durch Schnelltests

Dr. Gérard Schockmel sieht die neue Regelung skeptisch. Zwar sei es sinnvoll, vor einer Familienfeier oder einem Restaurantbesuch einen Antigen-Schnelltest durchzuführen. Die Tests würden uns in dieser Pandemie aber nicht wirklich weiterbringen, so der Mediziner. „Mit mehr Tests allein erhöht sich die Immunität in der Bevölkerung überhaupt nicht.“

Damit der Weg aus der Pandemie gelingen kann, führt kein Weg an einer Impfpflicht vorbei.“Dr. Gérard Schockmel, Infektiologe

Dass Schnelltests allein kein Garant für den Schutz vor einer Infektion sind, zeigt dabei das erste nachgewiesene Omikron-Cluster in Norwegen. In einem abgetrennten Raum eines Restaurants in Oslo feierte die Belegschaft einer Firma am 26. November ihre Weihnachtsfeier. Insgesamt 117 Personen nahmen daran teil, 96 Prozent von ihnen waren geimpft, das Durchschnittsalter lag bei 39 Jahren. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt in Norwegen keine 2G-Plus-Regel galt, gaben alle Befragten an, vor der Feier einen Schnelltest durchgeführt zu haben – einige auch einen PCR-Test.

Einer der Anwesenden war zwei Tage zuvor, am 24. November, aus Südafrika zurückgekehrt. Die norwegischen Behörden gehen davon aus, dass es sich bei dieser Person um den Auslöser der Infektionskette handelt. Nach der Feier wurden 81 der 117 Teilnehmer positiv auf die Omikron-Variante getestet. Die gute Nachricht: Niemand musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, die meisten hatten einen milden Krankheitsverlauf, auch wenn knapp die Hälfte Fieber entwickelte. Die Fall-Studie hält dazu fest: „Wir können nicht ausschließen, dass die Impfung schwere Verläufe verhindert hat (…). Somit bleibt die Impfung sowie die Booster-Impfung eine zentrale Maßnahme in der Pandemiebewältigung.“

Impfpflicht als Weg aus der Pandemie

Die Omikron-Variante werfe ein Schlaglicht darauf, dass die meisten westlichen Regierungen sich davor geziert hätten, konsequent eine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, resümiert Dr. Gérard Schockmel die aktuelle Lage. „Damit der Weg aus der Pandemie gelingen kann, führt kein Weg an einer Impfpflicht vorbei. Und ich finde, das ist auch der gerechteste Weg. Denn vor dem Gesetz sind wir alle gleich und eine Impfpflicht würde diesem Grundsatz auch in der Pandemie gerecht werden“, so der Spezialist für Infektionskrankheiten zum Schluss.

Auch der Dachverband der Pflegeeinrichtungen „Copas“ sowie der Krankenhausverband FHL haben sich bereits für eine Impfpflicht ausgesprochen. Dies allerdings nur für Mitarbeiter in Gesundheitsberufen. Noch weiter geht der Virologe Prof. Dr. Claude Muller, der sich im Gespräch mit „Radio 100,7“ ausdrücklich für eine allgemeine Impfpflicht aussprach, ebenso wie der „Collège médical“ und auch der Berufsverband der Anästhesisten und Intensivmediziner (CMARL).

Bisher hält sich die Regierung mit konkreten Aussagen zu einer Impfpflicht jedoch zurück. Gesundheitsministerin Paulette Lenert betonte bei der Pressekonferenz am Mittwoch nochmals, dass die Entscheidung für sie persönlich aktuell zur Unzeit komme: „Ich finde, die Diskussion über eine Impfpflicht sollte nicht in einer Notsituation geführt werden, in der die Gemüter aufgeheizt sind. Für mich bleibt es die letzte Stellschraube, an der wir drehen können.“

Dennoch würden die Juristen in ihrem Ministerium aktuell prüfen, wie genau eine verpflichtende Regelung in der Praxis aussehen könnte, so die Ministerin weiter. Premierminister Xavier Bettel stellte eine Entscheidung über eine gesetzliche Impfpflicht bis zum 15. Januar in Aussicht.


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