Die 2G-Regel ist ein erster Schritt zur obligatorischen Impfung. Gegen eine allgemeine Impfpflicht wehrt sich die Regierung aber weiter. Beispiele aus dem Ausland und aus der Geschichte zeigen, dass die kontroverse Maßnahme juristisch machbar und wirksam sein kann.

„Der Impfzwang ist nicht zu rechtfertigen, weil die Wirksamkeit der Impfung nicht zweifellos feststeht, weil die Impferei sogar sehr schädlich sein kann,“ erklärt ein Abgeordneter im Parlament. Er führt weiter an, dass „die Italiener“, welche die Seuche eingeschleppt haben sollen, das bestgeimpfte Volk seien. Zudem beschränke das geplante Gesetz die individuelle Freiheit zu sehr und drohe das Land unter eine „Diktatur der Bakteriologen“ zu stellen.

Trotz seiner vehementen Einwände im Parlament wird Emile Prüm, Anwalt aus Clerf und Präsident der „Rietspartei“, das neue Gesetz „concernant la protection de la santé publique“ nicht verhindern können. Der damals unter Premierminister Paul Eyschen nach deutschem Vorbild entstandene Text wird am 19. Juni 1906 mit 31 zu 14 Stimmen von der Abgeordnetenkammer angenommen. Das Gesetz enthält eine unmissverständliche Impfpflicht. Ab Inkrafttreten müssen Kinder im ersten Lebensjahr, und dann nochmal im Alter von elf Jahren, gegen Pocken geimpft werden. Eltern können bei einer fehlenden Schutzimpfung haftbar gemacht und zu einer Geldstrafe verurteilt werden.

Die Skepsis der Ministerin

Kontrovers bleibt die Debatte um eine Impfpflicht auch mehr als 100 Jahre später. „Ich finde es persönlich zurzeit nicht günstig, mitten in einer Pandemie, in der die Emotionen hochkochen, über eine Impfpflicht zu entscheiden“, sagte Paulette Lenert während einer Pressekonferenz am Montag. Man müsse auch gesellschaftspolitische und juristische Aspekte beachten, bevor man diesen Schritt gehe, so die Gesundheitsministerin.

Bereits zuvor hatte sich die LSAP-Politikerin kritisch zur Impfpflicht geäußert. „Wir haben keine Kultur des Zwangs. Wir sind an unsere Freiheiten gewöhnt. Wir sind für eine Impfpflicht nicht bereit“, sagte Paulette Lenert kürzlich im Interview mit „Radio 100,7“. Die Wortwahl der Ministerin betont ihre Skepsis. Man müsse nach der Pandemie darüber diskutieren, ob ein „Impfzwang“ in Zukunft umsetzbar wäre. Einen ausdrücklichen „Zwang“ zur Impfung gibt es jedoch selbst in Ländern mit einer Impfpflicht nicht.

Was ist überhaupt unter einer „Impfpflicht“ zu verstehen? Es gibt unterschiedliche Definitionen und Modelle. Eine generelle Impfpflicht gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 ist weltweit betrachtet noch die Ausnahme. Generelle Impfpflicht bedeutet: Jeder muss sich impfen lassen. Bisher haben lediglich Turkmenistan, Indonesien und Mikronesien eine entsprechende Regelung eingeführt.

In diesen Ländern wird ein Nichtbefolgen der Impfpflicht mit harten Strafen belegt. So gilt in Turkmenistan etwa die „no jab, no job“-Politik. Wer sich nicht impfen lässt, bekommt also de facto ein Berufsverbot. In Indonesien werden Verstöße mit einer Geldstrafe und beschränktem Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen bestraft. Österreich will Anfang Februar nachziehen, wie Verstöße dort geahndet werden, steht derzeit noch nicht fest.

Impfpflicht wird salonfähig

Auch der künftige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht sich laut Medienberichten für eine bundesweite Impfpflicht aus. Dabei steht in Deutschland als Stichtag ebenfalls Anfang Februar im Raum. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zieht vor dem Hintergrund der neuen Omicron-Virusvariante eine Impfpflicht in der EU in Erwägung. Die Entscheidung darüber liege jedoch bei den Regierungen der Mitgliedstaaten.

Weiter verbreitet sind bereits jetzt berufsspezifische Verpflichtungen zu einer Corona-Schutzimpfung. So hat die US-Regierung im September eine Impfpflicht für Staatsangestellte eingeführt. Betroffen von der Regelung sind rund 3,5 Millionen US-Bürger. Auch in anderen Ländern gilt eine Impfpflicht für jene Menschen, die vom Staat beschäftigt werden. Eine entsprechende Verpflichtung gibt es derzeit in der Ukraine, Saudi-Arabien, Ägypten und den Fidschi-Inseln. Wer sich der Regelung widersetzt, wird sowohl in Fidschi als auch in Saudi-Arabien mit einem Berufsverbot belegt.

Eine Impfung ist kein Test. Es ist etwas anderes, wenn ich jemandem einen Test auferlege oder ein invasiver Vorgriff verpflichtend wird.“
Gesundheitsministerin Paulette Lenert

In Deutschland besteht seit dem 23. November eine Impfpflicht für Soldaten der Bundeswehr. In Frankreich gilt derzeit eine Impfpflicht für Arbeitnehmer in Gesundheits- und Pflegeberufen. Die Regierung hat dort seit dem 15. September alle Mitarbeiter in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen verpflichtet, sich impfen zu lassen. Wer die Impfung ablehnt, wird vom Dienst freigestellt, davon betroffen waren rund 3.000 Angestellte im Gesundheitsbereich.

Auch in Luxemburg werden die Stimmen, die eine entsprechende Verpflichtung fordern, lauter. Im Gespräch mit „Radio 100,7“ bezeichnete der Virologe Dr. Gérard Schockmel eine Impfpflicht für Berufsgruppen, die Kontakt zu vulnerablen Personen haben, sowie „idealerweise“ für Menschen über 50 als „unerlässlich“.

Neben dem Beruf kann die Impfpflicht auch von einem Ort abhängig gemacht werden. So erhalten nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt zu bestimmten Orten, etwa Restaurants oder Bars. Eine entsprechende Regelung ist beispielsweise die 2G-Regel, die derzeit in einigen deutschen Bundesländern wie dem Saarland, gilt. Auch die luxemburgische Regierung hat bekanntlich angekündigt, eine solche Regelung einzuführen. Faktisch kommt diese einer sektoriellen Impfpflicht gleich, also einer Impfpflicht, die sich auf bestimmte Bereiche des Lebens bezieht.

Juristisch zweifelhafte Argumente

Für eine generelle Impfpflicht will sich die Luxemburger Regierung jedoch nicht aussprechen. Diese sei gesetzlich nur schwer umsetzbar, heißt es. Weder die Weltgesundheitsorganisation noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) haben sich jedoch gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Vielmehr sollten Staaten mehrere Kriterien beachten. So sollte die leitende Frage sein, ob eine Impfpflicht nötig und verhältnismäßig sei. Denn im Fall einer Impfpflicht könnte zwar der Druck auf die Ungeimpften weiter steigen, doch niemand könnte tatsächlich zu einer Impfung gezwungen werden. „Was man sich vorstellen kann, ist, dass man Strafen kriegt oder Ähnliches“, so Paulette Lenert gegenüber „Radio 100,7“.

Ausgerechnet eine Studie, die vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde, widerspricht jedoch der bisherigen Auffassung der Ministerin. Das Max-Planck-Institut hat bereits im Januar geprüft, wie eine Impfpflicht gesetzlich umsetzbar sein könnte. Die Analyse der Gesetzgebung der Nachbarstaaten sowie in Österreich und der Schweiz, aber auch die europäische Rechtsprechung zeige, dass die Impfpflicht nicht mit einer Zwangsimpfung gleichzusetzen sei.

Jedoch gibt es in einigen Ländern spürbare Einschränkungen für Ungeimpfte. Erst kürzlich bezog der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Position zur Impfpflicht von Kindern in der Tschechischen Republik. Das Gesetz sieht sowohl eine Geldstrafe vor als auch die Möglichkeit, die Kinder von Kindertagesstätten auszuschließen. Das Gericht befand, dass dies im Sinne des Gesundheitsschutzes des Kindes und der restlichen Bevölkerung gerechtfertigt sei. „Die Schwelle, ab der der EGMR die Rechtswidrigkeit einer Pflichtimpfung feststellen kann, ist offenbar relativ hoch“, schlussfolgern die Forscher des Max-Planck-Instituts.

Ethische und politische Fragen

Doch für die Regierung stellen sich auch ethische Fragen. Auf diese versucht die Weltgesundheitsorganisation einzugehen. Sie empfiehlt, eine Impfpflicht nur einzusetzen, wenn die Impfquote durch reine Überzeugungsarbeit nicht hoch genug sei. Zudem müsse sichergestellt werden, dass ein breites und kostenloses Impfangebot bestehe und das Vertrauen in die Politik keine langfristigen Schäden davontrage. Dies solle „empirisch untersucht werden“. Fraglich scheint jedoch, wie genau die einzelnen Kriterien, etwa das Vertrauen in die Politik, messbar sind.

„Eine Impfung ist kein Test. Es ist etwas anderes, wenn ich jemandem einen Test auferlege oder ein invasiver Vorgriff verpflichtend wird“, sagte Paulette Lenert am Montag und machte sich damit ein Argument von Impfskeptikern zu eigen. In der Tat kann eine Impfung als Einschnitt in die Privatsphäre gelten und könnte nach dem deutschen Grundgesetz auch gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verstoßen. Doch genau in diesem Punkt erklärte der EGMR, dass der Gesundheitsschutz der Allgemeinheit im Zweifel stärker wiege als das Recht des Einzelnen.

Eine Impfpflicht an sich ist keine reine medizinische oder schon gar nicht virologische Frage, sondern eine gesellschaftspolitische.“Sandra Ciesek, Virologin

In Luxemburg sprachen sich in einer Umfrage immerhin 54 Prozent der Bevölkerung für eine Impfpflicht aus. Die WHO empfiehlt, zusätzlich zu überprüfen, ob die wissenschaftliche Faktenlage für das selbst gesteckte Ziel ausreicht. Soll durch die Impfpflicht etwa eine Herdenimmunität erreicht werden, müsste die Regierung die nötigen Daten und Fakten dafür vorlegen. Die Beispiele aus dem Ausland zeigen aber, dass diesen Bedenken durchaus Rechnung getragen werden kann.

Voraussetzung ist jedoch der politische Wille zur Umsetzung einer Impfpflicht und eine glaubwürdige Überzeugungsarbeit der politisch Verantwortlichen. „Eine Impfpflicht an sich ist keine reine medizinische oder schon gar nicht virologische Frage, sondern eine gesellschaftspolitische“, sagt auch die Virologin Sandra Ciesek im „NDR-Podcast“.

Historische Wirkung der Impfpflicht

Die Herausforderungen sind dabei nicht neu. Bereits bei der Einführung der verpflichtenden Pockenimpfung reagierte ein Teil der Bevölkerung mit vehementer Ablehnung. Und wie heute vernetzten sich Impfgegner dabei über die Landesgrenzen hinaus. So erschien einige Jahre, nachdem der Deutsche Reichstag 1874 das Seuchenschutzgesetz verabschiedet hatte, die erste Ausgabe der Zeitschrift „Der Impfgegner„. In dem selbst betitelten „Organ der Impfgegner Deutschlands und der übrigen deutschredenden Nationen“ warnten Impfgegner und skeptische Mediziner unter anderem vor langfristigen Impfschäden.

Darunter auch der Arzt Prof. Dr. Adolf Vogt aus Bern. Die Skepsis des Schweizer Mediziners sollte es rund 20 Jahre später bis in die Debatten im luxemburgischen Parlament schaffen. Denn der Abgeordnete Emile Prüm zitierte den bekannten Impfskeptiker, um das besagte luxemburgische Hygienegesetz und somit die Impfpflicht zu verhindern.

Die Geschichte sollte die Skepsis des Emile Prüm widerlegen. Denn die Impfpflicht gegen Pocken wurde zu einem historischen Erfolg. Auch in Luxemburg. In einer Bilanz des deutschen Reichsgesundheitsamts werden die Auswirkungen der flächendeckenden Pockenimpfung mit länderspezifischen Zahlen dokumentiert. Zum Großherzogtum heißt es dort: „Während in den Jahren 1905 und 1906 sich in Luxemburg noch 37 und 206 Pockenfälle ereignet haben, betrug ihre Zahl in den 13 folgenden Jahren insgesamt nur 10. Todesfälle wurden überhaupt nicht mehr gemeldet.“ Auch in den anderen Ländern sollte sich die flächendeckende Pockenimpfung als äußerst wirksam erweisen. 1979 deklarierte die Weltgesundheitsorganisation die Seuche offiziell als ausgerottet.

In jenen Ländern, die eine Impfpflicht gegen das Coronavirus auf den Weg brachten, hatte die Einführung einen nachhaltigen Effekt auf die Impfquote. So verkündete der US-Präsident, dass Stand November 96,5 Prozent der Staatsangestellten in den Vereinigten Staaten geimpft seien. Auch in Frankreich lag die Impfquote beim Gesundheitspersonal beim Stichtag der Impfpflicht Mitte September bereits um die 90 Prozent.