Das kulturelle Programm Luxemburgs auf der Weltausstellung in Dubai ähnelt einem Passepartout, das so auch für ein Kunstfestival in der Eifel gedacht sein könnte. Politische Kontroversen werden ausgeblendet – und das scheint niemanden so recht zu stören. Eine Analyse.
Maggy Nagel wirkte dann doch etwas unglaubwürdig, als sie auf der Pressekonferenz am vergangenen Dienstag die Wichtigkeit von Kunst und Kultur im Luxemburger Pavillon auf der Weltausstellung in Dubai betonte. Das liegt sicher nicht nur an dem vorgestellten Programm und der Haltung der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler.
Es ist vielmehr das Konzept der Veranstaltung an sich: Eine internationale Weltausstellung ist ein Wirtschaftsevent der Superlative, eine Plattform zur Selbstdarstellung eines Landes, aber auch ein klares Bekenntnis zu Wachstum, Wohlstand und den ökonomischen Effekten des „Nation Branding“. Die Frage nach der dortigen Rolle von Kunst und Kultur ist deshalb schon für sich allein diskussionswürdig.
Spätestens durch den Austragungsort aber bekommt die künstlerische Auseinandersetzung zwangsläufig eine politische Dimension. Dubai ist nach Abu Dhabi das zweitgrößte der sieben Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Knapp drei Millionen Einwohner leben dort, davon 85 Prozent Ausländer. Expats und Hilfsarbeiter aus aller Welt, die in Großkonzernen und Start-Ups, auf Baustellen und in Hotelküchen zu völlig unterschiedlichen Arbeitsbedingungen arbeiten, um im einkommenssteuerfreien Emirat ein Teil des Wachstums-Booms zu sein.
Zur Wirklichkeit gehört aber auch: Es gibt keine Wahlen nach demokratischen Prinzipien, keine Gewaltentrennung und keine politischen Parteien. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsverletzungen gehören willkürliche Verhaftungen von Dissidenten sowie von Folter und Misshandlungen geprägte Haftbedingungen.
Ausgeblendete politische Dimension
Doch genau von dieser politischen Dimension ist beim kulturellen Auftritt im Luxemburger Pavillon nicht viel zu erwarten. Auch Kulturministerin Sam Tanson (Dei Gréng) erwähnte die politische Situation in Dubai nicht mit einem Wort. Statt darin Herausforderungen für die Kultur zu sehen, zog sie Parallelen zur Weltausstellung in Paris im Jahr 1925, als Werke von Auguste Trémont, Lucien Wercollier oder auch Joseph Kutter den Luxemburger Pavillon schmückten.
Wir sind doch nicht blöder als andere Menschen! Natürlich haben wir uns mit dem politischen Kontext auseinandergesetzt.“Guy Helminger, Schriftsteller
Die Botschaft ist klar: Auf einer Weltausstellung geht es um Repräsentation und Selbstvermarktung, bei der Kunst und Kultur durchaus eine Rolle zu spielen haben. Zu dieser Haltung passt nun auch der Slogan des Kulturprogramms „Mir wëlle bleiwe, wat mir ginn“, ist er doch eine folkloristische Variation der Luxemburger Identitätssuche, zu der die sechs Projekte gut zu passen scheinen. Ein Zusammenhang mit dem Austragungsort hingegen lässt sich nicht so leicht erschließen.
Ein Bezug ist am ehesten noch beim Projekt „How to Host a Ghost“ von Simone Mousset und Renelde Pierlot zu erkennen, die mit einer von Künstlerinnen aus verschiedenen Ländern gefertigten Skulptur, dem „Ghostcatcher“, in Dubai auftreten. Eine Woche lang möchten die Künstlerinnen im Pavillon leben und übernachten, „um sich mit den Geistern, mit den Problematiken, die in der Weltausstellung nicht im Vordergrund stehen, auseinanderzusetzen“, wie Simone Mousset im Gespräch mit Reporter.lu erklärt.
Dabei sind einige der vorgestellten Projekte durchaus politisch. „Spectrum Cinqfontaines“ von Karolina Markiewicz und Pascal Piron etwa, das sich mit dem ehemaligen Internierungslager für Juden im Norden Luxemburgs beschäftigt. Oder auch der Kurzfilm von Adolf El Assal, der einem Geflüchteten aus Syrien eine Stimme gibt. Und das Herausgeben einer Poesie-Anthologie, wie es Guy Helminger tut, kann ohnehin schon als revolutionärer Akt gedeutet werden, wenn man bedenkt, wie schwer es für die Poesie allgemein ist, auf dem freien Markt der Ware zu etwas Sichtbarkeit zu gelangen.
Kultur als gewollte Nebenrolle
Anstatt sich auf einen spezifischen Bezug zu Dubai, zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und letztlich zum politischen Kontext eines kulturellen Auftritts auf der Weltausstellung in Dubai einzulassen, weichen die Künstler und Künstlerinnen dieser Frage aus und entziehen sich bewusst einer Positionierung. Dadurch verpassen sie nicht nur eine großartige Chance, sich künstlerisch mit Parallelen und Verstrickungen zwischen Dubai und Luxemburg auseinanderzusetzen. Sie nehmen vor allem ohne den geringsten Widerstand eine begleitende Neben-, wenn nicht gar eine schmückende Statistenrolle an.
Denn hätten sie die „Fiesta“ tatsächlich „aufmischen“ wollen, wie Karolina Markiewicz im Gespräch mit der „woxx“ vor knapp zwei Jahren noch in Aussicht stellte, dann hätte dies, wenn überhaupt, nur durch eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsort geschehen können.
Wir haben das Potenzial einer kontroversen Debatte über die Expo falsch eingeschätzt und waren schlussendlich auch frustriert darüber, dass wir wirklich allein waren.“Künstlerkollektiv „Richtung 22“
Stattdessen scheinen die Künstlerinnen und Künstler ihre Aufgabe eher darin zu sehen, Luxemburg zu vertreten. „Ich freue mich, Luxemburg repräsentieren zu dürfen und zu zeigen, dass Luxemburg eine reiche Kunst- und Kulturszene hat“, sagt etwa der Filmemacher Adolf El Assal im Gespräch mit Reporter.lu. Für Kritik sei die Weltausstellung der falsche Ort. „Ich bin nicht dazu da, Luxemburg oder Dubai anzuprangern.“
„Wir sind doch nicht blöder als andere Menschen! Natürlich haben wir uns mit dem politischen Kontext auseinandergesetzt“, lautet Guy Helmingers Antwort, als er von Reporter.lu auf die Situation in Dubai und ihren Einfluss auf das kulturelle Programm angesprochen wird. Das sei Teil „normaler theoretischer Vorüberlegungen“ gewesen. „Aber Kunst ist frei!“, sagt er. „Jeder Künstler hat selbst entschieden, mit welchen Themen er sich beschäftigen will und mit welchen nicht.“
Die Frage, wie gut das Programm zum Austragungsort passe, beantwortet er mit einer Gegenfrage: „Spielt das denn überhaupt eine Rolle?“
Aufforderung zum Boykott
Völlig lässt sich die politische Dimension dann aber doch nicht ausblenden. Wenige Tage vor der Pressekonferenz im Kulturministerium hatte das Europäische Parlament eine Entschließung verabschiedet, in dem die EU-Abgeordneten die Mitgliedsstaaten auffordern, „sich nicht an der Veranstaltung (Expo Dubai 2020) zu beteiligen“. „Um ihre Missbilligung der Menschenrechtsverletzungen in den VAE zu signalisieren“, fordern sie auch Sponsoren auf, sich aus Dubai zurückzuziehen.
Die Resolution bezieht sich ausdrücklich auf den Fall des in den Vereinigten Arabischen Emiraten inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Ahmad Mansoor. Zitiert werden Berichte verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die auf zahlreiche Tatbestände wie willkürliche Verhaftungen, Folter, Erpressung, mutmaßliche Verbrechen gegen Frauen, Geldwäsche oder auch moderne Sklaverei hinweisen.
Kritik im Keim erstickt
Bereits vor knapp zwei Jahren hatte das Künstlerkollektiv „Richtung 22“ versucht, in einer mehrteiligen Aktion gegen die kulturelle Beteiligung Luxemburgs auf der Weltausstellung in Dubai zu protestieren. In einem offenen Brief forderten die Künstler damals das Kulturministerium auf, das Projekt zu stoppen.
Die Aktionen verfehlten ihre Wirkung, wie die Autoren heute selbst einräumen. „Wir haben das Potenzial einer kontroversen Debatte über die Expo falsch eingeschätzt und waren schlussendlich auch frustriert darüber, dass wir wirklich allein waren“, so das Kollektiv rückblickend. Die teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen hatten sich bereits damals überwiegend von der Kritik distanziert, wie sie Reporter.lu erzählten.
Die Statue, die „Richtung 22“ dem Kulturministerium damals „für seinen mutigen Einsatz für Kunstfreiheit und Menschenrechte“ schenkte, steht heute wie ein zusammengefallenes Zimmerpflänzchen in der Eingangshalle des Kulturministeriums.
Zwischen Rhetorik und Beliebigkeit
Passend dazu ist das Wort Menschenrechte auf der besagten Pressekonferenz von vergangener Woche kein einziges Mal gefallen. Und es taucht auch im immerhin 16-seitigen Pressedossier nicht auf. Das liegt allerdings auch nicht nur am fehlenden Engagement oder gar am mangelnden Politikbewusstsein der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler. Generell spielt die Kultur auch bei dieser Weltausstellung eine untergeordnete Rolle.
Dass die Wichtigkeit des kulturellen Beitrages in Dubai dennoch so stark betont wird, ist politische Rhetorik. Dies lässt sich schon allein daran erkennen, dass für das Kulturprogramm nur zwei Wochen im Januar vorgesehen sind. Um ein „roter Faden“ des Events zu sein, wie Maggy Nagel die Kultur darstellen wollte, hätte es zumindest etwas mehr Kontinuität gebraucht.
Auch die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler wissen das. Deshalb haben sie ihre Projekte zu einem Großteil wohl auch nicht spezifisch für Dubai entwickelt. Vielmehr wirken sie wie für Dubai kurz ausgeliehene Versatzstücke einer größeren künstlerischen Auseinandersetzung. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit wurde darauf geachtet, ihnen vor allem außerhalb der Weltausstellung Bedeutung zu geben.
Der Film von Adolf El Assal etwa ist einer von 18 Kurzfilmen Luxemburger Regisseure, die während der Pandemie unter dem Namen „Quickies“ entstanden sind. Der Film von Karolina Markiewicz und Pascal Piron wird seine Wirkung wohl nicht in Dubai, sondern im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Klosters Cinqfontaines als Erinnerungsort für die Opfer der Shoah sicher in Luxemburg entfalten.
Die Frage, inwieweit sich Kunst politischen Debatten entziehen darf, bleibt aber bestehen. Sie ist nur durch das Selbstverständnis der Kulturschaffenden zu beantworten. Dass sie sich von Kontroversen der Weltpolitik freimachen wollen, kann mit der Kunstfreiheit gerechtfertigt werden. Durch ihre bewusste Nichtpositionierung verneinen sie jedoch nicht nur eine politische Haltung. Sie haben auch eine Gelegenheit verpasst, um die Autonomie der Kunst und den Stellenwert der Kultur zu stärken. Durch seine Beliebigkeit riskiert der Slogan „Mir wëlle bleiwe, wat mir ginn“ letztlich als kleiner Teil des großen „Nation Branding“-Happening unterzugehen.

