Die Restaurants und Cafés sind von den geplanten Lockerungen ausgenommen. In der Branche herrscht nicht nur Unverständnis gegenüber der Regierungspolitik, sondern vor allem Zukunftsangst. Denn trotz staatlicher Hilfen bleiben einige Unternehmer auf ihren Kosten sitzen. 

Am Dienstagabend stand das Telefon von François Koepp nicht mehr still. „Ich war bis 2 Uhr morgens am Hörer, um mir die Sorgen und den Frust der Mitglieder anzuhören“, erklärt der Generalsekretär des Branchenverbands Horesca. Grund für deren Unverständnis war die Ankündigung der Regierung, dass Gaststätten weiter geschlossen bleiben, während gleichzeitig Geschäfte und Kultureinrichtungen unter Auflagen wieder öffnen können. Die Lage der Gastronomiebetriebe sei prekär und explosiv, so François Koepp. Daran würden auch die staatlichen Hilfen in der andauernden Krise nicht viel ändern.

Denn die Hilfen würden zwar einen Teil der Kosten decken, doch die Antragsverfahren seien umständlich und oft komme es zu Verzögerungen. Beispiel: Auszahlung des Kurzarbeitergeldes. Aktuell würden vielen Betrieben erst die Lohnkosten für November ausbezahlt, sagt François Koepp. Bei den Gehältern für Dezember hingegen müssten viele Gastronomen in Vorleistung gehen, und das nicht zum ersten Mal. „Zahlreiche Betriebe haben sich mittlerweile verschuldet, um den Betrieb überhaupt am Leben zu halten. Einige haben dafür sogar ihre Privathäuser beliehen“, berichtet der Horesca-Generalsekretär.

Neben dem Kurzarbeitergeld stehen Gastronomen noch zwei weitere Hilfen zu. Einerseits eine monatliche Direkthilfe von 1.250 Euro pro Mitarbeiter, wenn dieser weiterhin arbeitet, oder 250 Euro, wenn dieser sich in Kurzarbeit befindet. Zusätzlich hat die Regierung Anfang Dezember beschlossen, nun auch bis zu 100 Prozent der Fixkosten der Betriebe zu übernehmen – abzüglich bereits bewilligter staatlicher Hilfen. Hinzu kommen Aufschübe bei der Abführung der Mehrwertsteuer und sonstiger Steuernachzahlungen.

Von Unternehmern zu „Bittstellern“

Auch wenn die Hilfen auf den ersten Blick großzügig erscheinen, zeichnen die betroffenen Gastronomen ein anderes Bild von ihrer augenblicklichen Situation. Zwar würden die Hilfen ankommen, doch die Prozedur sei bürokratisch und zeitintensiv. Zudem fehlt vielen die Anerkennung für ihre Leistung als Unternehmer. Und vor allem würden viele Kosten nicht erlassen, sondern deren Begleichung nur in die Zukunft verschoben.

Ich kennen keinen Gastronomen, der im letzten Jahr keine Schulden aufgenommen hat, um seinen Betrieb am Laufen zu halten.“Christian Derichs, Restaurantbetreiber

Denkt Lucien Elsen an die letzten Wochen, wird er regelrecht wütend: „Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft Menschen mich schon angesprochen und gesagt haben: ‚Euch geht es doch gut. Ihr könnt doch wirklich nicht klagen bei diesen Hilfen.'“ Der Gastronom betreibt seit 30 Jahren das Restaurant „Mesa Verde“ in der Hauptstadt – eines der ersten vornehmlich vegetarischen Restaurants in Luxemburg.

Ihn stört dabei besonders die Haltung, die solche Äußerungen vermitteln würden. Vielen Menschen sei die tatsächliche Lage der Gastronomiebetreiber gar nicht bewusst. „Es gibt überhaupt keine Wertschätzung für die gesellschaftliche Rolle, die Restaurants und Bars erfüllen – als Orte der Begegnung und des Austauschs. Und jetzt wird ein ganzer Sektor zu Bittstellern gemacht. Es ist eine Demütigung“, sagt Lucien Elsen.

Verschuldung und Verunsicherung

Es sei vor allem die Ungewissheit, die an den Nerven zehre, so der Betreiber des „Mesa Verde“. „Wir gehen permanent in Vorleistung. Mit Gehältern, mit Versicherungen und wir wissen nie, wann die Gelder wieder reinkommen.“ Zudem seien die Regelungen viel zu ungenau, sagt Lucien Elsen. „Was passiert beispielsweise mit den gesetzlich vorgesehenen Urlaubstagen? Die muss ich ausbezahlen.“ Seit Beginn der Pandemie hat der Gastronom eigenen Aussagen zufolge schon über 50.000 Euro Schulden gemacht, damit der Betrieb irgendwie weiterläuft.

Die geografische Lage des Restaurants erschwert die Situation zusätzlich. Denn in der Hauptstadt war auch zwischen den Lockdowns weniger Andrang. Vor allem zur Mittagszeit blieb die Kundschaft aus. Der Grund: Viele Beschäftigte, nicht zuletzt in den Ministerien und anderen staatlichen Verwaltungen in der Nähe, befinden sich noch immer im Homeoffice.

Rund vier Monate geschlossen und kein Ende in Sicht: Trotz staatlicher Hilfen müssen sich einige Restaurantbetreiber verschulden, um einen Bankrott ihres Unternehmens zu vermeiden. (Foto: Eric Engel)

Dass es Gastronomen in der Hauptstadt in der aktuellen Situation schwieriger haben, bestätigt auch ein Wirtschaftsprüfer aus dem Osten des Landes, der nicht namentlich genannt werden will. „Restaurants und Hoteliers auf dem Land können viel mehr vom Lieferdienst und Take-Away profitieren. In Luxemburg-Stadt fällt das weg, denn die Stadt ist leer.“ Auch die Gutscheine der Regierung seien eher in touristischen Gegenden eingelöst worden und nicht in der Hauptstadt, sagt der erfahrene „Expert-comptable“. „Meiner Ansicht nach wird die Situation für Betriebe in der Hauptstadt, die hohe Schulden haben, deshalb zunehmend kritisch.“

Die Hilfen selbst hält der Wirtschaftsprüfer für ausreichend, auch wenn die Auslegung in der Praxis manchmal seltsame Blüten treibt. Er habe Kunden, die mehr verdient hätten, wenn sie ganz geschlossen hätten als mit dem laufenden Betrieb. „Das ist eigentlich absurd.“ Zudem hätten die aktuellen Hilfen einige blinde Flecken, die Betriebe vor Probleme stellten. „Es ist völlig unklar, wie Betriebe mit den Urlaubsansprüchen der Mitarbeiter umgehen sollen und die Unternehmer selbst bleiben bei den Hilfen komplett außen vor.“

Kein Vergleich mit der ersten Welle

Beides Punkte, die auch Christian Derichs und Carole Reger unangenehm aufstoßen. Das Paar betreibt seit 2018 das Restaurant „Am Kraeltgen“ in Aspelt. Im Februar 2020 wollten die Gastronomen eigentlich die „Trëntenger Stuff“ eröffnen. Dann kam der erste Lockdown und seitdem wartet das neue Lokal auf die Eröffnung.

Die aktuelle Situation sei nicht mit jener in der ersten Welle zu vergleichen, so Christian Derichs: „Im Frühjahr wussten wir nicht, wie lange es dauern würde. Damals haben die Hilfen auch wunderbar geklappt. Es gab Vorauszahlungen durch die Adem. Das ist jetzt anders.“ Ging man noch mit Reserven in den ersten Lockdown, seien diese nun völlig aufgebraucht, fügt Carole Reger hinzu.

Keiner kann uns momentan sagen, wie oder wann es weitergehen wird. Das zermürbt einen schon.“
Tom Brosius, Koch und Unternehmer

Um die schwierige Zeit zu überbrücken, seien auch neue Schulden hinzugekommen. „Ich kenne keinen Gastronomen, der im letzten Jahr keine Schulden aufgenommen hat, um seinen Betrieb am Laufen zu halten“, sagt Christian Derichs. Und auch wenn der Sommer eigentlich relativ gut lief, blieben die Einnahmen doch rund 50 Prozent unter jenen des Vorjahres. Denn auch in den Sommermonaten galten Mindestabstände zwischen den Tischen, größere Feste und Veranstaltungen fielen weiterhin aus.

Der Aufschub, den die Regierung bei der Abführung der Mehrwertsteuer und dem Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben gewährte, sei auch keine langfristige Lösung. „Das sind schließlich nur Schulden, die man in die Zukunft mitnimmt“, so Carole Reger.

Wie viele andere Betroffene zeigen die Betreiber des „Am Kraeltgen“ generell viel Verständnis für die Maßnahmen zur Pandemiebewältigung. Die nun von der Regierung beschlossene Wiedereröffnung der Geschäfte ab kommendem Montag sei jedoch niemandem mehr zu vermitteln. „Bisher waren die Maßnahmen nachvollziehbar. Aber jetzt Geschäfte wieder zu öffnen, während die Gastronomie weiter geschlossen bleibt, ist einfach nicht mehr zu verstehen“, sagt Christian Derichs.

Frust und mangelnde Anerkennung

Das Gefühl der beiden Gastronomen aus Aspelt teilt auch Tom Brosius. „Ich fühle mich von der Politik alleine gelassen“, erklärt der 34-jährige Koch, der mit seiner Frau Stéphanie die „Hostellerie Stafelter“ in Walferdange betreibt. Neben den Fixkosten und den Verdienstausfällen, sei es vor allem eine Belastung, nicht richtig arbeiten zu dürfen, während für andere das normale Leben weitergehe, so Tom Brosius.

Schulen, Geschäfte, Sport- und Kultureinrichtungen dürfen wieder öffnen, aber der Horesca-Bereich bleibt im „Lockdown“ – für viele Betroffene ist das „einfach nicht mehr zu verstehen“. (Foto: Eric Engel)

Der junge Koch hatte sich 2016 nach Zwischenstationen bei Jean-Pierre Bruneau in Brüssel, bei Alain Ducasse in Monaco und zahlreichen Sterneküchen in Deutschland, Italien und Luxemburg für die Selbstständigkeit entschieden. Auch er bestätigt die Unterschiede zwischen dem ersten Lockdown und der jetzigen Schließung. „Im Frühjahr haben wir sofort auf Take-Away umgestellt. Das wurde von der Kundschaft auch gut angenommen. Im Schnitt kamen wir auf rund 100 Menüs am Tag.“ Bei der jetzigen Schließung sei das improvisierte Geschäft aber völlig eingebrochen. „Wir kommen im Schnitt nur noch auf 30 Bestellungen am Tag“, erklärt Tom Brosius.

Vor allem für Betriebe, die gehobene Gastronomie anbieten würden, sei die Umstellung auf Take-Away nicht profitabel, erklärt auch seine Partnerin. „Für uns ist es eher eine Möglichkeit unsere treue Stammkundschaft an uns zu binden. Der Material- und Personaleinsatz ist einfach zu hoch und das Niveau dennoch nicht mit einem Essen im Restaurant zu vergleichen“, so Stéphanie Trauden-Brosius.

Besonders stört sich Tom Brosius an der fehlenden Anerkennung und der Perspektivlosigkeit. „Wir vermitteln Kultur und haben das Handwerk von der Pike auf gelernt. Und keiner kann uns momentan sagen, wie oder wann es weitergehen wird. Das zermürbt einen schon.“

Horesca-Verband auf den Barrikaden

Die Regierung ihrerseits begründet die fortwährende Schließung der Gastronomie weiterhin mit dem erhöhten Infektionsrisiko. „Wir sind uns bewusst, wie schwierig es für die Betroffenen ist. Aber wir wissen, dass an Orten, wo keine Maske getragen wird, das Risiko erhöht ist“, erklärte Premierminister Xavier Bettel (DP) die Entscheidung am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

Die Restaurants und Bars bleiben somit bis mindestens 31. Januar geschlossen – bis dann soll das angepasste Covid-Gesetz gelten, wenn es am Wochenende vom Parlament verabschiedet werden sollte. Horesca-Generalsekretär François Koepp macht im Gespräch mit Reporter.lu seinen Verbandsmitgliedern indes nur wenig Hoffnung, dass die Restaurants und Bars selbst dann pünktlich öffnen können: „Vor Mitte Februar rechne ich nicht mit einer Öffnung.“

Nous avons demandé un rendez-vous avec Madame la Ministre (…) afin de préparer la réouverture dans les meilleures conditions au 1.02.2021 de notre secteur.“Mitteilung des Horesca-Verbandes

In einer Pressemitteilung vom Donnerstag geht der Horesca-Präsident aber noch einen Schritt weiter. Er verlangt ein Treffen mit der Regierung, um eine „Wiederöffnung“ von Restaurants und Cafés ab dem 1. Februar 2021 vorzubereiten. Ebenso sollen die finanziellen Hilfen intensiviert werden. Der Vertreter der „Hôteliers, Restaurateurs et Cafetiers“ redet seinen Mitgliedern aber auch ins Gewissen, indem er sie daran erinnert, dass zu seinem Erstaunen immer noch viele Betriebe keine oder unvollständige Anträge auf staatliche Unterstützung eingereicht hätten.

Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, bringt François Koepp auch eine Demonstration gegen die neuen Maßnahmen ins Spiel. Zugleich macht er aber auch eine Reihe von konkreten Vorschlägen, um das Infektionsrisiko im Sektor einzuschränken. Dazu gehört etwa eine „Large-Scale-Testing“-Kampagne vor der Wiederöffnung sowie die Bereitstellung von Schnelltests.

Mit der Forderung nach einem Ende des Gastronomie-Lockdowns dürfte der Chef-Lobbyist des Gastronomiegewerbes seinen Mitgliedern aus der Seele sprechen. Die finanziellen Verluste und aufgeschobenen Schulden lassen sich damit zwar nicht auffangen. Doch zumindest gäbe es dann wieder so etwas wie eine Perspektive.


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