Politiker, Journalisten, Touristen: Sie alle waren gern gesehene Gäste im Bistrot de la Presse. Das Lokal gegenüber dem großherzoglichen Palast gehört fast schon zum Inventar der Hauptstadt. Doch seine Zukunft ist ungewiss. Ein Porträt zum langsamen Ende der „kleinen Chamber“.
Es ist kurz vor Mittag. Heidi Pia sitzt an einem der runden Holztische im Bistrot de la Presse und hat Zeit, sehr viel Zeit. Und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie genervt ist. Die Stühle stehen umgekehrt auf den Tischen, die Heizung ist aus, es ist kalt. Ihr Knie wippt nervös auf und ab, herumsitzen und abwarten ist einfach nicht ihr Ding.
Früher, da hat sie um diese Uhrzeit das Tagesmenü vorbereitet. 30 Portionen Bouneschlupp etwa. Oder knapp hundert Portionen Wäinzossis, dazu Salat gewaschen und Kartoffelpüree gestampft. Von Hand natürlich. Oder sie hat ein paar Pferdesteaks angebraten, die Soße mehrmals abgeschmeckt und verfeinert, so lange bis sie perfekt war.
„Ich habe den richtigen Zeitpunkt verpasst, aufzuhören“, sagt Heidi Pia und zuckt mit den Achseln. Sie wisse nicht, wie es mit dem Bistrot nun weitergehen soll. Eigentlich wollte sie Ende 2019 in Rente gehen, mit 67 Jahren. Doch dann hat sie doch noch ein Jahr drangehängt, weil der Pachtvertrag noch bis Ende 2020 lief. Und weil sie auch noch nicht so richtig loslassen konnte.
Eigentlich bereut Heidi Pia nichts in ihrem Leben, würde alles noch einmal genauso machen. Nur das letzte Jahr und die jetzige Ungewissheit, das hätte sie sich gerne erspart. Denn jetzt sitzt sie da, an einem ihrer Tische. Sie weiß nicht, ob sie im neuen Jahr noch einmal aufmachen wird. Jener Gastronom, der das Bistrot ab Januar eigentlich übernehmen wollte, ist quasi in letzter Minute abgesprungen. Aus persönlichen Gründen, wie es heißt. Er versuche zwar, Ersatz zu finden, aber das sei natürlich alles andere als leicht in diesen Zeiten, sagt Heidi Pia. Sie zuckt mit den Achseln. „Lass uns über die Vergangenheit reden, die ist schöner als die Gegenwart.“
Ein wahres Original am „Krautmaart“
Heidi und ihr Bistrot de la Presse sind echte „Originale“ der Hauptstadt. So ziemlich jeder und jede in der Gegend kennt die Gastwirtin. Als sie mit 19 Jahren aus der Nähe von Coimbra in Portugal nach Luxemburg kam, fing sie sofort an, in der Gastronomie zu arbeiten. Am meisten gelernt habe sie bei Helen Klein in Hesperingen, erzählt sie. Traditionelle luxemburgische Küche. Hier schaute sie sich einige Rezepte ab, um sie später zu verfeinern und ihnen ihre eigene Note zu geben.
In den Achtzigern und Neunzigern arbeitete sie in verschiedenen Restaurants und Cafés der Altstadt. In der „Maison des Brasseurs“, in der „Brasserie Pole Nord“, in der „Auberge du pays“. Alle diese Restaurants existieren heute nicht mehr. Doch sie alle leben auf irgendeine Art und Weise in den Gerichten aus dem Bistrot de la Presse weiter, das Heidi 1998 gemeinsam mit ihrem Mann Osvaldo eröffnete.

Heidi Pia erzählt gerne, besonders von Erlebnissen aus der Vergangenheit, die bis in die Zukunft hereinreichen. Von ersten Begegnungen vor Jahrzehnten, aus denen heute so etwas wie Freundschaften entstanden sind. Von der Familie Desom zum Beispiel, ihre Lieferanten von der Mosel, die seit nun fast 25 Jahren exklusiv den Wein in das Bistrot liefern. „Hier fließt der Wein im Sommer wie Wasser“, sagt Heidi Pia und lacht. „Da haben wir beide was davon.“ Sie macht eine kurze Pause. „Naja, hatten“, sagt sie, denn wer weiß, ob die neuen Betreiber die Desoms als Bezugsquelle übernehmen werden. Und wann geselliges Trinken überhaupt wieder möglich sein wird.
Zwischen Wut und Enttäuschung
Heidi Pia kann sich nicht mehr zurückhalten. Sie beginnt, zuerst den Virus, dann die Politik zu beschimpfen. Lautstark rechnet sie ihre Ausfälle und ihre laufenden Kosten zusammen: Komplettausfall während des Lockdowns. Und danach, wenn überhaupt, die Hälfte der Einnahmen.
Von einem Moment auf den anderen wird ihr zorniges Gesicht jedoch plötzlich ganz weich. Ihre Wut hat sich in Enttäuschung verwandelt: „Es tut mir wirklich weh, die Sachen nicht so zu Ende zu bringen, wie es sich gehört“, sagt sie und wischt sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. Sie spricht von ihren etwa hundert Stammgästen, von denen sie sich so gerne gebührend verabschiedet hätte. Das wäre ein so schöner Umtrunk geworden.
Stammlokal der politischen Klasse
Sie erzählt von den Beamten und Bankern, die kommen, wenn sie mal wieder zu Mittag essen wollen, „wie bei ihrer eigenen Großmutter“. Saftig, deftig und viel. Meistens zu viel. Bei der Vorstellung an all die vollgefutterten Bäuche, die sich gegen 14 Uhr wieder an die Schreibtische in den umliegenden Büros schleppen, muss Heidi Pia lauthals lachen.
Dann erzählt sie von den Journalisten, die hier seit Jahrzehnten den neuesten Klatsch austauschen und die – trotz unsäglicher Internetverbindung – nicht selten ein provisorisches Büro bei ihr aufschlagen, um Texte und Fotos an die Redaktionen im Land zu schicken. Sie erzählt von herumirrenden Touristen und Tagesausflüglern, von Rentnern, die „immer alles sofort“ und von Jugendlichen, die „alles für nichts“ haben möchten.

Und immer wieder erzählt sie von den Politikern, die im Bistrot de la Presse ein- und ausgehen. Egal welchen Alters, welcher Partei und welcher Funktion: „Beim Heidi“, da treffen sie sich, um eine Lücke zwischen zwei Sitzungen zu überbrücken, um zu Mittag zu essen oder um den Ärger nach einer anstrengenden Parlamentssitzung gemeinsam herunter zu spülen.
„Ob roud oder schwaarz, ob giel oder orange, ‘t ass keen dee sech dorunner stéisst. An hei ginn och dacks no dem zwieleften Humpen, politesch Problemer geléist“, heißt es aus den Kehlen von Serge Tonnar und Fernand Fox in dem dem Bistrot und seinen politischen Gästen gewidmeten Lied „Déi kleng Chamber“ von Legotrip.
Bopebistro-Charme in der Altstadt
Die Lage des kleinen Bistrots ist kaum zu schlagen: Mitten im Stadtzentrum, gegenüber vom Parlament und dem großherzoglichen Palast. Viele Geschäfte, Banken, Büros drumherum. Dennoch besteht das Geheimrezept für die Beliebtheit des kleinen Bistrots aus mehr. Die unzähligen Fotos der großherzoglichen Familie, die Fähnchen und Hexenmasken an den Wänden, machen den unvergleichlichen Bopebistro-Charme aus.
Doch was das Bistrot de la Presse von vielen anderen Restaurants und Cafés in der Altstadt noch unterscheidet: das Preis-Leistungsverhältnis. Ein täglich wechselndes Tagesmenü, mit Suppe, Salat und Nachschlag. Einen Wein, randvoll eingeschenkt, ab drei Euro und höchstens 5,50 Euro das Glas. Lieber ein Würstchen zu viel, als zu wenig in der Lënsenzopp. Hungrig oder durstig verlässt niemand das Bistrot, das ist Heidi Pia wichtig. Großzügig kellt sie auf. Ordentlich Sauce drüber. „Ich glaube nicht, dass die Menschen wegen des Fleisches kommen“, sagt Heidi und lächelt verschmitzt: „Es sind meine Saucen!“ Und natürlich die gemütliche, freundliche Atmosphäre, denn Störenfriede haben bei ihr keinen Platz.
„Die Schlechten vertreiben die Guten“, pflegt sie immer zu sagen. „Ein bisschen aussortieren“, das gehöre zum Beruf. Man müsse den Mut haben, Leute herauszuschmeißen und auf die „schwarze Liste“ zu setzen, wenn sie sich nicht benehmen können. Ein gutes Dutzend, alles Männer, dürften bei ihr keinen Fuß mehr über die Schwelle setzen. „Sollen sie doch schimpfen“, sagt sie. „Da lache ich nur.“
„Salut mäi Jong“
Doch den allermeisten Gästen begegnet sie mit einer natürlichen Offenheit und mütterlichen Fürsorge. „Salut, mäi Jong“, begrüßt sie sie. Ob Rentner, Schüler, Banker, Bauarbeiter oder Minister, Heidi Pia macht keinen Unterschied. Mit ihrer direkten, manchmal etwas schroffen, aber immer ehrlichen Art, behandelt sie jeden gleich. Jeder muss sich an ihre Regeln halten. Jeder bezahlt den gleichen Preis. Jedem sagt sie ihre Meinung.

Ihre bevorzugte Anrede mit „mäi Jong“ hat aber auch noch einen anderen Grund. „Ich kann mir keine Namen merken“, gibt Heidi Pia ohne Umschweife zu. Deshalb spreche sie alle Gäste mit gleich an. Und in der Küche, wo keine fremden Ohren mithören, da hätten zumindest die Stammkunden ohnehin ihre Spitznamen weg. Sie zitiert aus alltäglichen Konversationen zwischen ihr und ihren Servicekräften Biliane und Gisette: „Mister Steak de cheval will noch Soße“. „Monsieur Elbling hat wieder kein Trinkgeld gegeben.“ „Filet bleu sieht heute aber müde aus.“
Heidi Pia lacht. Sie hat sie gerne, ihre Kundschaft. Und auch wenn sie sich die Namen nicht merken kann, ihre Gesichter wird sie niemals vergessen.
Heute wird sie noch ein bisschen aufräumen. Einige Sachen zusammenpacken. Sie zieht eine Schublade auf. Stapelweise Kassetten liegen darin, vor allem französische Chansons, zusammengemixt von ihrem Mann Osvaldo. „Die brauchen wir hier nicht mehr“, sagt sie, „der Kassettenrekorder ist sowieso kaputt“. Und der neue Betreiber, sollte er denn kommen, mache die Musik sicher über Internet.
Heidi Pia wünscht sich, dass sich schnellstmöglich ein Nachfolger findet. Sie ist müde, träumt von einer Thalasso-Kur in Griechenland. Und dennoch: Das Bistrot solle schon so bleiben, wie es ist. Die Möbel, die Dekoration, die Karte. Ihre Stammkundschaft und ihre Rezepte will sie großzügig weitergeben. Sie würde auch aushelfen, wenn das denn gewünscht ist. Die Sauce für das Pferdesteak zubereiten, zum Beispiel. Schließlich hat sie ja Zeit, sehr viel Zeit.