Seit Kurzem hat Luxemburg eine „Wasserstoff-Strategie“. Zur Klimaneutralität könnte der saubere Energieträger entscheidend beitragen. Doch es sind noch einige Hürden zu überwinden, bis dieses Versprechen Realität wird. Forschung und Industrie arbeiten mit Hochdruck daran.

2050 will Luxemburg klimaneutral sein. Ab dann soll nur so viel CO2 ausgestoßen werden, wie von der Umwelt, also etwa Bäumen, wieder aufgenommen werden kann. Erreichbar ist das Ziel nur, wenn Öl, Gas und Kohle ersetzt werden. Also durch die Energiewende und den Umstieg auf Strom aus erneuerbaren Energien, wie zum Beispiel Fotovoltaik oder Windkrafträder. Das Problem dabei: Was ist, wenn weder der Wind weht, noch die Sonne scheint? Wie stellt man in Zukunft die Grundlast im Netz sicher, ohne auf Erdgas oder Kohle zurückzugreifen? Und was ist mit jenen Bereichen, die sich nur schwer elektrifizieren lassen, wie etwa Flugzeuge oder bestimmte Industriezweige?

Im Wasserstoff bündeln sich die Hoffnungen von Industrie, Politik und Forschung gleichermaßen, was die Antworten auf diese Fragen betrifft. Das Element ist der am weitesten verbreitete Stoff im Universum, ganze Planeten, etwa Jupiter, bestehen fast vollständig daraus.

Auf der Erde kommt das Molekül zum Großteil in gebundener Form vor und zwar in Form von Wasser. Seinen Namen verdankt das flüchtige Gas ursprünglich einer Eigenschaft bei der Verbrennung, denn dabei wird neben Energie fast ausschließlich Wasser freigesetzt. Anders als bei fossilen Energieträgern wie Erdöl oder Erdgas wird bei der energetischen Nutzung hingegen kein CO2 freigesetzt. Wasserstoff ist in seiner Nutzung somit klimaneutral.

Wasserstoff als Energiespeicher

Eine Eigenschaft, die Wasserstoff zu einem Schlüsselelement auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft machen könnte. Doch der Hoffnungsträger im Periodensystem sei nicht ohne Makel, unterstreicht Pit Losch im Gespräch mit Reporter.lu. Nach Stationen am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung sowie an der Stanford University in Kalifornien ist der 32-jährige Luxemburger seit zwei Jahren Referent für nachhaltige Energien und Wasserstoff im Energieministerium von Claude Turmes (Déi Gréng). „Wasserstoff ist ein Molekül, das es erlaubt, erneuerbare Energie zu lagern und bei Bedarf wieder freizusetzen. Hinzu kommt, dass man es verhältnismäßig leicht über weite Strecken transportieren kann“, erklärt er.

Größere Quantitäten Wasserstoff hier herzustellen, halte ich für unrealistisch.“Pit Losch, Energieministerium

Dennoch ist die Ende September vorgestellte Wasserstoff-Strategie der Regierung deutlich: Priorität bei der Energiewende in Luxemburg hat die Dekarbonisierung der Wirtschaft mittels Strom. Erst danach kommt der Wasserstoff, sozusagen als sekundärer Energieträger. Der Grund liegt in seiner Gewinnung. Dazu gibt es, grob umrissen, zwei Möglichkeiten. Einerseits durch die sogenannte Dampfreformierung von Erdgas. Dabei wird neben Wasserstoff jedoch gleichzeitig eine große Menge CO2 freigesetzt. Wegen der Ausgangsmaterialien spricht man dann von fossilem Wasserstoff und dieser macht derzeit den Großteil der globalen Wasserstoffproduktion aus.

Die zweite Möglichkeit dürfte den meisten noch aus dem Chemieunterricht bekannt sein. Man setzt Wasser mittels einer Kathode und einer Anode unter Gleichstrom. Bei dieser Elektrolyse entsteht neben Wasserstoff nur noch Sauerstoff. CO2 wird hingegen nicht freigesetzt. Nutzt man in diesem Verfahren zudem noch Strom, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, entsteht klimaneutraler, sogenannter grüner Wasserstoff.

Das Effizienz-Problem

Dieser zusätzliche Schritt stellt dann auch eines der grundlegenden Probleme bei der Wasserstoffherstellung dar. Pit Losch erklärt: „Gegenüber einer direkten Stromnutzung hat Wasserstoff ein Effizienzproblem. Dessen Herstellung geht mit Umwandlungsverlusten einher. Auch deshalb setzen wir auf die maximale Elektrifizierung. Wir wollen, dass der Strom, der hier produziert wird, dann auch hier als Strom genutzt wird. Denn das bleibt die intelligenteste und auch ökonomischste Nutzung.“ Es sind auch diese Umwandlungverluste beim Wasserstoff, die eine Nutzung des Energieträgers in Brennstoffzellen in Autos problematisch machen.

Das Energieproblem bei der Wasserstoff-Erzeugung unterstreicht auch Ingo Both, Leiter der Wasserstoff-Taskforce beim Luxemburger Anlagenbauer „Paul Wurth“: „Vor einigen Jahren haben wir eine Modellrechnung erstellt: Was wäre, wenn in allen deutschen Hochofen-Werken nur noch Wasserstoff verwendet würde? Das Ergebnis: Würde man versuchen, den Wasserstoff mit Windkraftanlagen aus Deutschland zu produzieren, müsste der Windpark an Land bundesweit verdoppelt werden.“

Grüne Stahlproduktion ist immer auch eine Frage der Kalkulation und der Konkurrenzfähigkeit.“Ingo Both, Paul Wurth

Trotz dieses Effizienzproblems setzt man beim Hochofenhersteller große Hoffnungen in den Wasserstoff. Das hat auch mit dem CO2-Abdruck in der Stahlproduktion zu tun. Ingo Both erklärt: „Schaut man sich das derzeitige Portfolio von Paul Wurth an, stellt man fest, dass rund 85 Prozent des CO2-Ausstoßes aus der Stahlindustrie in Verbindung mit unseren Produkten stehen. In Hochöfen und Kokereien kommen bis heute im wesentlichen fossile Brennstoffe zum Einsatz. Will man den CO2-Austoß reduzieren, ist Wasserstoff für die Stahlindustrie der ideale Energieträger.“

Machbar, aber langwierig

Denn eine Wasserstoff-Nutzung in der Stahlindustrie ist, anders als etwa in der Zementindustrie, verhältnismäßig leicht umsetzbar. Heute wird in besonders erdgasreichen Gebieten, wie zum Beispiel im Mittleren Osten, mittels des sogenannten Direktreduktionsverfahrens, Erdgas zur Eisenerz-Reduktion genutzt, erklärt Ingo Both. Eine Umstellung der Anlagen auf Wasserstoff sei technisch kein Problem, so Both weiter, das eigentliche Problem seien die derzeitige Verfügbarkeit von insbesondere grünem Wasserstoff und dessen Kosten.

„Grüne Stahlproduktion ist immer auch eine Frage der Kalkulation und der Konkurrenzfähigkeit. Ein Stahlwerk in Europa muss im weltweiten Wettbewerb mithalten können“, erklärt der Ingenieur. Auch deshalb hält er eine komplette Umstellung der gesamten Stahlindustrie auf Wasserstoff in wenigen Jahren eher für unrealistisch. „Für realistischer halte ich es, dass an einzelnen Standorten sukzessive die Hochöfen umgestellt werden. Aber dabei sprechen wir von einem Prozess über mehrere Jahrzehnte“, so Ingo Both.

Luxemburg kooperiert beim Bau einer „Energieinsel“ in der Nordsee, wo Strom von Offshore-Windparks direkt zur Wasserstoffproduktion genutzt werden kann. (Foto: Danish Ministry of Climate, Energy and Utilities)

Die Rolle des Standorts Luxemburg sieht der Ingenieur dabei eher in der Forschung und der Entwicklung sowie dem Anlagenbau als in der direkten Erzeugung vor Ort: „Die Größe des Landes und die klimatischen Bedingungen und das damit verbundene limitierte Potenzial zur Erzeugung von erneuerbarem Strom sprechen eher gegen eine direkte Wasserstoff-Produktion in Luxemburg. Länder wie Norwegen, mit einem derzeit nicht genutzten Überschuss an Wasserkraft, machen da einfach mehr Sinn.“

Wasserstoff aus Luxemburg

Auch für Pit Losch vom Energieministerium wird Luxemburg in Zukunft zu einem Importland für Wasserstoff werden: „Größere Quantitäten Wasserstoff hier herzustellen, halte ich für unrealistisch. Das verhindert aber nicht, dass wir bis 2030 ausdrücklich Pilotanlagen fördern und dass es wichtig ist, dass wir gewisse Quantitäten auch hier vor Ort produzieren.“

Dies sei nötig, so der Chemiker, um eines der Hauptziele der nationalen Wasserstoff-Strategie zu erreichen. Denn bis 2030 soll der gesamte Wasserstoff-Verbrauch in Luxemburg auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. „Es ist wichtig, das Know-How vor Ort zu fördern und zu nutzen. Denn auch Know-How lässt sich exportieren“, erklärt Pit Losch.

Auch deshalb fördert die Regierung die Forschung und Entwicklung in der Wasserstoff-Wirtschaft. Ähnlich wie in Deutschland greift man dabei auf die Möglichkeiten im Rahmen der europäischen „Important Projects of Common European Interest“ zurück. Dieses Instrument erlaubt es, Wirtschaftszweigen, die in Zukunft eine strategisch wichtige Rolle in Europa spielen werden, eine direkte staatliche Förderung zukommen zu lassen.

Es ist wichtig, das Know-How vor Ort zu fördern und zu nutzen. Denn auch Know-How lässt sich exportieren.“Pit Losch, Energieministerium

Infolge eines ersten Förderaufrufs wurden insgesamt zehn Projekte beim federführenden Wirtschaftsministerium eingereicht. Die Anträge hatten dabei eine potenzielle Förderhöhe von insgesamt 100 Millionen Euro. „Beim anschließenden Auswahlverfahren wurden zwei Projekte zurückbehalten und in Brüssel eingereicht“, erklärt Pit Losch, der bereits weitere Aufrufe in Aussicht stellt.

Neben der direkten Förderung von Industrieprojekten unterstützt das Energieministerium sowie die gesamte Regierung auch ausdrücklich den Forschungsstandort in Luxemburg. Besonders im „Luxembourg Institute of Science and Technology“ (LIST) wird aktuell an der zukünftigen Wasserstoff-Wirtschaft geforscht. So versucht das Team um den Forscher Nicolas Boscher beispielsweise, die Wasserstoff-Elektrolyse direkt in eine Solarzelle zu integrieren und die Umwandlungsverluste so zu reduzieren.

Die Frage der Pipeline

Doch für die Nutzung von Wasserstoff in Luxemburg stellt sich ein weiteres Problem: Wenn der Energieträger größtenteils importiert werden soll, über welche Wege soll dies geschehen? Denn das größte Potenzial für die Wasserstoff-Herstellung liegt entweder weit im Süden oder hoch im Norden. Etwa in Skandinavien, wo die Herstellung über Wind und Wasserkraft vielversprechend ist, oder in Nordafrika, wo Solarenergie ergiebiger genutzt werden kann. Da Wasserstoff sehr flüchtig ist und derzeit zudem noch bei hohem Druck gelagert werden muss, stellt sich die Frage der Lagerung und des Transports. Auch deshalb legt man beim Energieministerium vermehrt ein Augenmerk auf die für die Wasserstoff-Nutzung nötige Infrastruktur.

Eine direkte Anbindung an das von der „Encevo“-Tochter „Creos Deutschland“ geplante „MosaHyc“-Pipeline-System im Saarland schließt Pit Losch dabei aber kurzfristig aus. „Das Projekt rüstet bestehende Gasleitungen auf Wasserstoff um. Ein Anschluss an das System würde aber neue, weitläufige Pipelines bis zu den Abnehmern im Südwesten des Landes bedeuten und diese Mehrkosten lassen sich aktuell nicht rentabel machen“, begründet der Berater aus dem Energieministerium die Entscheidung.

Attraktiver scheint dem Ministerium deshalb eine gemeinsame Infrastruktur mit den anderen Benelux-Staaten. „Zusammen mit den Niederlanden und Belgien finanzieren wir aktuell eine Studie darüber, wie ein gemeinsames Wasserstoff-Netz und dessen Realisierung aussehen würden. Da erwarten wir uns die ersten Schlussfolgerungen im nächsten Jahr“, erklärt Pit Losch. Bereits entschieden ist hingegen über eine Wasserstoff-Tankstelle im Großherzogtum. Denn Luxemburg ist ein Standort im „H2BeNeLux“-Programm, das insgesamt acht Wasserstoff-Tankstellen umfassen soll. Die hiesige Tankstelle soll laut Reporter.lu-Informationen in Bettemburg in Betrieb gehen.


Mehr zum Thema