Wladimir Putin nutzt die Abhängigkeit Europas von russischem Gas offen als Druckmittel im Ukrainekrieg. Obwohl dies bereits 2006, 2009 und 2014 passiert war, hofierte Luxemburg Russland als Energielieferanten. Rückblick auf eine besondere Beziehung.

„Wladimir, sag du mal was“, rief Jean-Claude Juncker (CSV) seinem Duzfreund und Staatsgast zu. Im Mai 2007 weilte der russische Präsident für einen sechsstündigen Besuch in Luxemburg. Der Presse hatte Wladimir Putin nicht viel zu sagen – weshalb es eine sanfte Aufforderung des damaligen Luxemburger Premiers brauchte.

Ansonsten lief es zwischen Russland und Luxemburg aber sehr gut. Jean-Claude Juncker bescheinigte Wladimir Putin, „ein russischer Demokrat auf dem Weg in die Lupenreinheit“ zu sein. Vor allem diente der Besuch dazu, wirtschaftliche Deals zu schmieden – auch im Energiebereich. Alexei Miller, Chef des russischen Staatskonzerns Gazprom und Putin-Vertrauter, unterzeichnete ein Abkommen mit dem Luxemburger Gasversorger Soteg (heute Encevo), um ein gemeinsames Gaskraftwerk in Ostdeutschland zu errichten. Dem damaligen Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) lag dieses Vorhaben besonders am Herzen.

Das Projekt stand stellvertretend für die Luxemburger Energiepolitik: Enge Beziehungen mit Russland pflegen und dank billigem Gas daraus Profit schlagen. Geopolitische Risiken blendeten Jeannot Krecké und sein Nachfolger Etienne Schneider (LSAP) konsequent aus. Gas aus Russland sollte alle Ziele erfüllen: die Versorgungssicherheit verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie steigern, weniger CO2 ausstoßen als bei Öl und Kohle sowie Luxemburg als eigenständigen Energieplayer auf dem europäischen Markt etablieren.

Energiekrise mit Ansage

15 Jahre später sieht die Lage „nicht besonders rosig aus“, wie es Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) formulierte. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Putin uns maximal in Schwierigkeiten bringen will“, warnte er im Interview mit „Radio 100,7“. Es ist eine Krise mit mehreren Ansagen und Warnhinweisen, die aber in Luxemburg – genau wie in Deutschland – weitestgehend ignoriert wurden.

Es wird mit Sicherheit eine Abhängigkeit von Russland geben. Deshalb kommt es mir immer darauf an, eine privilegierte Beziehung auf politischer Ebene mit Russland zu haben.“Ex-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké in 2008

Ende Juni drosselte Russland seine Lieferungen über die Pipeline „Nordstream 1“ Richtung Westeuropa nun um 60 Prozent. Mehrere osteuropäische Länder werden seit Wochen nicht mehr vollständig beliefert. „Die Lage kann zu einem harten Winter führen“, sagte Claude Turmes zu den möglichen Konsequenzen. Wenn die Gasspeicher jetzt nicht gefüllt werden, dann fehlt diese Menge, um in den kalten Monaten zu heizen – auch in Luxemburg. Dann müssen Industrieunternehmen ihre Produktion einschränken, um Gas zu sparen. Mit allen wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Immerhin ist Claude Turmes einer der wenigen Politiker, die vor Jahren vor der Abhängigkeit von russischem Gas gewarnt haben. Europa sei „ein Spielball Putins“, schrieb er 2014 als Europaabgeordneter in einem Gastbeitrag im „Luxemburger Wort“. Russland zögere nicht, Gaslieferungen „als Waffe einzusetzen“. Tatsächlich führte Russland parallel zur Annexion der Krim und den Kämpfen im Donbass 2014 ebenfalls einen „Gaskrieg“ gegen die Ukraine – genau wie schon 2006 und 2009.

Da die Ukraine ein wichtiges Transitland für russisches Gas war, brachten diese Konflikte jedes Mal Risiken für die Versorgungssicherheit in Westeuropa mit sich. Die Abhängigkeit von Russland war der Luxemburger Regierung durchaus bewusst. Doch sie sei gegenseitig, war 2014 die vorherrschende Meinung. „Russland muss sein Gas auch an Europa verkaufen“, meinte damals Außenminister Jean Asselborn (LSAP).

Eine besondere Beziehung

Jeannot Krecké erklärte 2008 seine Strategie: „Es wird mit Sicherheit eine Abhängigkeit von Russland geben. Deshalb kommt es mir immer darauf an, eine privilegierte Beziehung auf politischer Ebene mit Russland zu haben“, sagte er im Interview mit der Zeitschrift „forum“. Jedes Mal, wenn er in Moskau sei, treffe er den Gazprom-Chef Alexei Miller. „Diese Beziehungen muss man pflegen.“

Der frühere Wirtschaftsminister Jeannot Krecké baute die russisch-luxemburgischen Beziehungen in der Energiepolitik aktiv und bewusst aus. (Foto: Europäische Union 2005)

Dieser Aspekt stand auch im Mittelpunkt des geplanten Gaskraftwerks im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, das Gazprom und Soteg gemeinsam bauen sollten. Das Projekt solle „Vertrauen schaffen“, sagte Etienne Schneider dem „Luxemburger Wort“ 2008. Damals war er als hoher Beamter im Wirtschaftsministerium für die Energiepolitik zuständig. „Wir versuchen parallel zur europäischen Strategie im Energiebereich eine eigene Beziehung zu Russland aufzubauen“, erklärte er. In seiner ihm eigenen Direktheit ließ der spätere Minister und Vizepremier keine Zweifel am Grund für diese Herangehensweise: „gute Preise“.

Erste Pläne für das Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk in Eisenhüttenstadt entstanden im Februar 2007. Die Investitionen sollten 400 Millionen Euro betragen für eine mehr als doppelt so hohe Leistung wie die des einzigen Luxemburger Kraftwerks, der Twinerg in Belval. Nicht ganz unwichtig war beim Projekt, dass ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt seit 2006 Stahl produziert. Luxemburg sollte einen Teil der Stromproduktion erhalten. Das erhöhe die Versorgungssicherheit, so Jeannot Krecké 2008. Die Inbetriebnahme war für 2010 geplant. Dazu kam es aber nie.

Gazproms Machtstrategie

Warum der russische Gaskonzern ausgerechnet mit dem Kleinstaat Luxemburg ein Joint Venture einging, wurde in der Luxemburger Öffentlichkeit wenig thematisiert. Tatsächlich ergibt sich in der Rückschau das Bild einer gewieften Machtstrategie.

Russland nutzte die Nullerjahre, um wichtige Schaltstellen im europäischen und vor allem im deutschen Gasmarkt zu besetzen. Die Ostsee-Pipeline „Nordstream 1“ wurde 2005 beschlossen und 2011 fertiggestellt. Mit diesem Projekt stieg Gerhard Schröder (SPD) drei Monate nach dem Ende seiner Kanzlerschaft in die von Gazprom dominierten Aufsichtsgremien der an der Pipeline beteiligten Unternehmen ein. 2008 übernahm der russische Konzern 50 Prozent von Wingas, dem Betreiber deutscher Gasspeicher, 2015 dann vollständig.

Das Ziel sei gewesen, „aus Gazprom eine Organisation zu formen, die die gesamte Wertschöpfungskette im Gasgeschäft kontrolliert“, sagte ein früherer Gazprom-Manager dem Recherchezentrum „Correctiv“. Das Luxemburger Werben um Gazprom ebnete den Weg für noch mehr Einfluss auf dem deutschen Markt.

„Ein guter Partner“

Auch in Luxemburg wurde eine direkte Beteiligung von Gazprom am neuen Energieunternehmen Enovos zumindest angedacht. Der Luxemburger Quasi-Monopolist entstand aus der Fusion von Cegedel, Soteg und Saar Ferngas. „Gazprom wollte sich damals stärker in Westeuropa engagieren. Da jedoch eine Beteiligung an Soteg/Cegedel kein Thema war, haben wir nach anderen Wegen der Zusammenarbeit gesucht“, erklärte der Enovos-Geschäftsführer Jean Lucius 2010 dem „Tageblatt“.

„Russland ist ein guter Partner“, betonte Jean Lucius damals. Der Grund: Es bestehe eine gegenseitige Abhängigkeit. Die Gaskrise 2009 sei eine Ausnahme gewesen. Russland hatte die Lieferungen an die Ukraine gedrosselt und damit auch in Europa die Versorgung gefährdet. Außerdem werde die „Nordstream“-Pipeline das Problem des Transitlands Ukraine künftig umgehen. Sein Fazit: „Mit dem russischen Gas schlafe ich ruhig.“

Doch bereits kurze Zeit später erwies sich Gazprom als doch nicht so guter Partner. Das Projekt in Eisenhüttenstadt lag auf Eis. 2009 unterzeichnete Enovos ein neues Abkommen mit Gazprom. Dieses sah vor, dass Gazprom nicht mehr selbst investieren sollte, sondern nur das Gas liefern, den produzierten Strom abnehmen und unter langfristigen Verträgen an Enovos Luxemburg verkaufen würde. Doch 2011 war das Projekt endgültig am Ende: Im Jahresbericht schrieb Enovos International eine Summe von 824.537 Euro ab. Als Grund für das Scheitern galt die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008.

Luxemburgs Gas-Boom

Zu diesem Rückschlag kam nach 2015 ein weiterer dazu: Die Stromproduktion des Gaskraftwerks Twinerg in Belval lohnte sich nicht mehr. Die erneuerbaren Energien waren zu einer zu günstigen Alternative geworden. Da konnte selbst russisches Gas nicht mithalten. Mit dem 350-Megawatt-Kraftwerk verschwand 2017 auch der größte Verbraucher von Erdgas in Luxemburg. Bei den CO2-Emissionen Luxemburgs führte das zu einem deutlichen Rückgang.

Bei der Inbetriebnahme der Twinerg 2002 hatte sich der Gasverbrauch Luxemburgs auf einen Schlag verdoppelt. Um das nötige Gas heranzuschaffen, wurde eine neue Pipeline über Remich nach Deutschland gebaut – mit direkter Verbindung zu den sibirischen Gasfeldern. Es bestanden langfristige Verträge mit Ruhrgas – einem Unternehmen, das laut dem „Spiegel“ eine entscheidende Rolle in der schleichenden Abhängigkeit Deutschlands von Russland spielte.

Die bis 2040 und darüber hinaus angestrebte Verringerung des Gasverbrauchs wird implizit zu einer Erhöhung der Versorgungssicherheitssituation führen."Nationaler Energie- und Klimaplan von 2018

Doch selbst ohne das Twinerg-Intermezzo wurde Gas insgesamt zu einer immer wichtigeren Energiequelle für Luxemburg. Zwischen 1990 und 2020 stieg der Verbrauch um ein Drittel. Rechnet man den Tanktourismus und das Kerosin heraus, dann ist Gas als Energieträger inzwischen wichtiger als Erdöl, verzeichnet die Umweltverwaltung im „Nationalen Emissionsinventar“. Der Grund ist, dass das Gasnetz ausgebaut und Gas vermehrt zum Heizen eingesetzt wurde. Erdgas galt als umweltfreundliche Alternative zu Heizöl.

Das aus heutiger Sicht Überraschende: Obwohl Luxemburg nach dem Twinerg-Aus weniger Gas importierte, stieg der Anteil der Importe aus Russland zwischen 2007 und 2020 von 23 auf 27 Prozent. Dazu kommt der Anteil des Gases, den Unternehmen kurzfristig an der Börse (Spotmarkt) kaufen und dessen Herkunft statistisch nicht erfasst ist. Nur noch Norwegen war neben Russland ein wichtiger Lieferant.

Dauerhafte Abhängigkeit

Auch die Politik änderte ihre Haltung: Nach dem aktiven Umwerben Russlands überließ sie dem Markt, wo das Gas herkommt. Im nationalen Energie- und Klimaplan steht etwa, dass der Regierung „nicht vorliege“, von wo die Unternehmen ihr Gas beziehen. Über eigene Analysen verfügt das Energieministerium dazu bis heute nicht: Ende April zitierte Energieminister Claude Turmes etwa Recherchen des Thinktanks "Bruegel", wonach Luxemburg 2021 knapp 14 Prozent seines Gasverbrauchs aus Russland bezog.

Es ist davon auszugehen, dass anders als 2006, 2009 und 2014 der aktuelle Gaskrieg dazu führen wird, dass Russland als Lieferant mittelfristig vollständig ausgeschlossen wird. Ob auch weniger Gas verbraucht wird, ist dagegen offen. In den Analysen vor dem Ausbruch des Ukrainekrieges am 24. Februar ging die Regierung mindestens von einem leicht steigenden Verbrauch bis 2030 aus.

Doch Luxemburgs Energie- und Klimaplan lässt zumindest in einem Punkt Hoffnungen zu: „Die bis 2040 und darüber hinaus angestrebte Verringerung des Gasverbrauchs wird implizit zu einer Erhöhung der Versorgungssicherheitssituation führen.“


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