Russlands Krieg gegen die Ukraine empört die Regierungen der europäischen Staaten. Mit der militärischen Eskalation droht sich auch die Energiekrise zu verschärfen. Auch Luxemburg ist abhängig von russischem Gas. Doch die aktuelle Lage könnte zu einem Umdenken führen.

„Wir müssen Land und Leute vor einer geopolitisch bedingten Verteuerung der Energie schützen“, sagte Premierminister Xavier Bettel (DP) am Donnerstag – wenige Stunden nach dem Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine. In einer ersten Reaktion vor der Presse verurteilte er die russische Aggression, äußerte sich besorgt um die Zivilbevölkerung vor Ort und kündigte an, dass die EU weitere Sanktionen gegen Moskau beschließen werde.

Gleichzeitig nahmen die Auswirkungen auf die Energiepreise in Luxemburg einen wesentlichen Teil der Rede des Premiers ein. Demnach will sich die Regierung am Montag zu einem „Energiedësch“ mit den Energieversorgern treffen. Unterstützung für Haushalte, die besonders unter den Energiepreisen leiden, sei ebenfalls geplant. „Wir sind bereit, die nötigen Maßnahmen zu treffen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren“, twitterte Luxemburgs Energieminister Claude Turmes (Déi Gréng) kurz vor Xavier Bettels Erklärung.

Europa ist mit einer Situation konfrontiert, mit der in den vergangenen Jahren niemand rechnete. 40 Prozent des Erdgases, das die EU importiert, kommt aus Russland. Es droht der komplette Ausfall dieser Lieferungen – sei es, weil Russland den Hahn komplett zudreht oder weil die EU nicht Milliarden Euro an Moskau zahlen und damit indirekt den Kriegseinsatz der Russen in der Ukraine finanzieren will. Am Donnerstag stieg der Gaspreis am Markt bereits um ein Drittel. Der russische Energiekonzern Gazprom betonte am Donnerstag, dass die Gaslieferungen nach Europa normal liefen, berichtete die Agentur „Reuters“.

Die russische Gas-Waffe

Dass in den kommenden Wochen Heizungen ausfallen, weil es an Erdgas fehlt, ist jedoch sehr unwahrscheinlich. „Es gibt noch keinen Versorgungsengpass, aber eine Knappheit auf dem Markt“, erklärt der Regierungskommissar für Energie, Simeon Hagspiel, im Interview mit Reporter.lu. Selbst in extremen Szenarien sei die Versorgung nicht in Gefahr, betonte der hohe Beamte am Mittwoch. „Für diesen Winter sind wir auf der sicheren Seite“, sagte auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am vergangenen Samstag. Das gelte selbst für den Fall, dass die Lieferungen aus Russland völlig ausbleiben sollten.

Die Hauptlösung ist, weniger Erdgas zu verbrauchen.“Simeon Hagspiel, Regierungskommissar für Energie

Die russische Regierung ließ ihrerseits Anfang der Woche keinen Zweifel daran, dass sie Europa über die Gaspreise erpressen will. „Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2.000 Euro pro [Tausend] Kubikmeter Gas zahlen werden!“ Diese offene Drohung twitterte Ex-Präsident und Vize des russischen Sicherheitsrats Dmitri Medwedew als Reaktion auf den deutschen Stopp der „Nord-Stream-2“-Gaspipeline. Der von ihm genannte Preis wäre mehr als das Doppelte vom Handelspreis am Dienstag, berichtete die Agentur „Bloomberg“.

Doch nicht frieren zu müssen ist das eine, der Gaspreis das andere. Das ist die schlechte Nachricht. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die hohen Energiepreise bis mindestens 2023 andauern. Doch es gibt auch keine Garantie, dass es danach besser wird. Genaue Zahlen, wie sehr Luxemburg von russischem Gas abhängt, gibt es nicht. 2020 stammte laut Eurostat aber über ein Viertel des in Luxemburg verbrauchten Erdgases aus Russland.

Langfristige Abhängigkeit

Bereits jetzt sind die Preise für Privathaushalte explodiert. 2020 zahlte ein durchschnittlicher Haushalt 100 Euro pro Monat für Gas. Das geht aus Zahlen der Regulierungsbehörde ILR hervor. Schließt man zum jetzigen Zeitpunkt einen neuen Vertrag bei gleichem Verbrauch ab, sind es laut dem ILR mindestens 250 Euro pro Monat. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass die Preise für Endverbraucher sich dieses Jahr weiter an die Marktpreise angleichen – also noch steigen werden.

Die Abhängigkeit von Russland ist allerdings nicht neu. Der Anteil an importiertem russischem Gas lag in den vergangenen zehn Jahren konstant bei rund einem Viertel. Verschiebungen gab es allerdings bei den anderen Exportländern. Bis 2016 kam die Hälfte bis zwei Drittel des Gases aus Norwegen. Mit der Einstellung des Escher Gaskraftwerks Twinerg im Jahr 2016, damals der bei Weitem größte Verbraucher im Land, verschoben sich jedoch die Importe. Für 2017 gibt das Statistikamt Statec an, dass ein Fünftel des Erdgases vom sogenannten Spotmarkt stammte, also vom tagesaktuellen Gashandel.

Der Anteil des Erdgases, der statistisch nicht einem Exportland zugeordnet werden kann, liegt laut Eurostat für 2020 bei 40 Prozent. Das Statec hat keine aktuellen Zahlen dazu. Der Grund seien die längerfristigen Lieferverträge, die die Energieversorger abschließen würden, erklärte die Behörde auf Nachfrage von Reporter.lu. In den nächsten Monaten sei aber mit neuen Daten zu rechnen. Der Generaldirektor des Energieversorgers Enovos, Erik von Scholz, sagte im Interview mit "Radio 100,7", dass im Winter etwa ein Viertel des Erdgases aus Russland stamme.

Unterschätzte Risiken

Schon vor dem Ausbruch des aktuellen Konflikts gab es in Luxemburgs Regierung durchaus ein Bewusstsein für das potenzielle Problem der Abhängigkeit von Russland. Der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) sagte 2012: "[Wir planen] eine Gasanbindung an Frankreich, um unsere Abhängigkeit von Russland zu reduzieren. Über Frankreich könnten wir somit algerisches Gas beziehen."

Aus diesem Plan wurde allerdings nichts, wie die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem Bericht zu Luxemburg 2020 beschreibt. 2013 suchte Luxemburg demnach vergeblich Investoren, die die Pipeline aus Richtung Frankreich ausbauen könnten. Mit dem Anschluss des Großherzogtums an den belgischen Gasmarkt 2015 war das Vorhaben einer Anbindung an Frankreich - und damit einer verringerten Abhängigkeit von Russland - dann ganz vom Tisch.

Gleichzeitig ging das Energieministerium in den vergangenen Jahren davon aus, dass mit Versorgungsunterbrechungen nicht zu rechnen sei, heißt es etwa in einem Bericht von Juli 2020. "Derartige Ereignisse sind international äußerst selten und in Luxemburg in der Gasversorgung in den letzten Jahren überhaupt nicht aufgetreten, auch nicht im Zusammenhang mit den Einschränkungen in der Lieferung russischen Erdgases nach Europa aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine […] ; diese Problematik weist damit für Luxemburg keine unmittelbare Relevanz auf." Es brauche aber eine "strategische Beobachtung" und Vorsorge, so die Feststellung im "Bericht über die Versorgungssicherheit im Gasbereich in Luxemburg".

Flüssiggas als Zwischenlösung

Eine Versorgungsunterbrechung aus Russland ist heute allerdings ein sehr reales Szenario. Die Europäische Kommission bemühte sich in den vergangenen Wochen denn auch, weitere Importmöglichkeiten an Flüssiggas zu sichern. Das "Liquefied Natural Gas" (LNG) ist, wie der Name schon sagt, unter extrem niedrigen Temperaturen verflüssigtes Erdgas, das per Tanker in die ganze Welt verschifft werden kann. Über den gemeinsamen Gasmarkt mit Belgien hat Luxemburg Zugriff auf die LNG-Terminals in Zeebrugge, hielt die Regierung im Klima- und Energieplan fest.

Wir sind bereit, die nötigen Maßnahmen zu treffen, um die Versorgungssicherheit zu garantieren."Claude Turmes, Energieminister

"Es wurde in den vergangenen Jahren sehr viel investiert. Inzwischen macht die Importkapazität beim Flüssiggas etwa 50 Prozent des EU-Verbrauchs aus", betont Regierungskommissar Simeon Hagspiel. Allerdings stehe Europa in einem globalen Wettbewerb um Flüssiggas, besonders mit Asien. Und das hat wiederum Folgen für den Preis.

In den vergangenen Wochen setzte sich Energieminister Claude Turmes dafür ein, dass die Gasfirmen dazu verpflichtet werden sollten, ihre Speicher vor dem Winter maximal zu füllen. Das richtet sich vor allem gegen den russischen Konzern Gazprom. Dessen Speicher waren zu 16 Prozent gefüllt, während das Niveau insgesamt bei 44 Prozent lag, kritisierte die Europäische Kommission. „Russland hat die Preise nach oben getrieben“, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag.

Mehr Gründe für Energiewende

"Die Hauptlösung ist, weniger Erdgas zu verbrauchen", betont Simeon Hagspiel. Konkret bedeutet das, auf erneuerbare Energien umzusteigen und die Energieeffizienz zu steigern. In neugebauten Wohnhäusern werden heute kaum noch Gasheizungen verbaut, sondern Wärmepumpen. Insgesamt sank der Gasverbrauch in Luxemburg in den vergangenen Jahren leicht. Bis 2035 ist mit einem Zuwachs um lediglich vier Prozent zu rechnen.

Der Klima- und Energieplan der Regierung ist an dieser Stelle deutlich: Die Sanierung von Wohngebäuden sowie die Abkehr von fossilen Heizbrennstoffen sollen die Versorgungssicherheit indirekt stärken, weil weniger Gas verbraucht wird. Doch auch in diesem Bereich wurde die Regierung von der aktuellen Energiekrise kalt erwischt. Die Förderprogramme für das Dämmen, den Austausch von Heizungen und die Förderung von energieeffizienten Neubauten sind am 31. Dezember 2021 ausgelaufen. Zwar plant die Regierung eine Verlängerung der Förderprämien auf weiterhin hohem Niveau. Doch die entsprechenden Texte hängen in der Gesetzgebungsprozedur fest.

Neben den geopolitischen Auswirkungen hat der Russland-Ukraine-Konflikt aber zumindest einen Nebeneffekt: Durch Russlands militärische Intervention und gleichzeitig unverhohlene Erpressungstaktik gegenüber den westlichen Staaten dürfte die politische Bedeutung einer nachhaltigen Energiepolitik auch in Luxemburg zunehmen.


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