In Luxemburgs Innenstadt stehen mehr als 30 Geschäftsflächen leer – zum Teil in bester Lage. Seit dem vergangenen Jahr hat sich die Krise der Einzelhändler im Zentrum noch einmal verschärft. Doch eine Lösung des Problems ist kaum in Sicht.
Ob Sonia Rykiel, Muse by, Promod oder Fabienne Belnou in der Rue Philippe II oder Courrèges und Wellendorff in der Grand-Rue: Die ehemaligen Lokale dieser Marken stehen heute leer. Hinzu kommen mindestens vier Lokale in der Rue Louvigny, drei in der Rue Beck, zwei in der Rue Chimey, drei in der Rue de la Boucherie, eins in der Côte d’Eich, drei in der Rue du Fossé und zehn weitere in unmittelbarer Umgebung.
Insgesamt konnten jüngst mindestens 32 leerstehende Geschäftsflächen in der Innenstadt gezählt werden. Hinzu kommen mindestens acht weitere Flächen, die im Bahnhofsviertel einen neuen Vermieter suchen. Bereits vermietet oder im Umbau sind die wenigsten davon.
Als im September 2013 rund 20 Luxus-Boutiquen der lothringischen Geschäftsmänner Frédéric Castera und Pascal Einhorn (FCPE) schlossen, kam es zum Aufschrei. Heute, fast sechs Jahre später, scheint man sich an die Situation gewöhnt zu haben.
Vermieter bleiben lieber auf ihren Geschäftsflächen sitzen
5.500 Euro für 130 Quadratmeter in der hauptstädtischen Rue Beaumont sind ein regelrechtes Schnäppchen – das sind 42 Euro pro Quadratmeter. Das liegt daran, dass der Besitzer des Geschäftslokals, seinen Preis vor Kurzem nach unten anpasste. Denn das Geschäft hat seit dem Umzug vom Herren-Bekleidungsgeschäft Thilges keinen Langzeit-Mieter mehr gefunden.
Hört man sich in der Branche um, ist die Praxis der Mietpreissenkung eher eine Seltenheit. „In der Regel stellen wir fest, dass die Besitzer keine Eile haben, Mieter zu finden. Viele sind nicht bereit, unter dem gewünschten Preis zu vermieten“, sagt Claude Bizjak, beigeordneter Direktor der CLC, dem Dachverband für den Handel. Dies führt dazu, dass einige Lokale, die bereits vor eineinhalb Jahren leer standen, immer noch keine neuen Anwärter gefunden haben.
„Ich wollte den Mietpreis-Erpressungen nicht nachkommen“
Auch das ehemalige Lokal des Luxus-Labels Courrèges in der Grand-Rue wurde bereits im Mai 2018 auf athome.lu aufgeführt. Zwischendurch eröffneten ein Kinderkleidergeschäft und ein weiterer Pop-Up Laden. Der Mietpreis dieser 250 Quadratmeter-Fläche liegt heute laut der führenden Online-Immobilienplattform erneut bei 25.000 Euro.

Schon fast legendär ist das ehemalige Lokal der Schmuckdesignerin Fabienne Belnou in der Rue Philippe II: Seit ihrem Umzug im Juli 2016 haben sich bereis mehrere Immobilienmakler die Zähne daran ausgebissen. Die Besitzer haben den Mietpreis zumindest seit Mai 2018 nicht mehr angepasst. 18.000 Euro sollen monatlich für diese Gewerbefläche von 140 Quadratmetern her. „Als mein Mietvertrag nach neun Jahren auslief, wollte die Besitzerin den Mietpreis vervierfachen“, berichtete die Geschäftsfrau REPORTER vergangenes Jahr. Für sie war klar: „Ich wollte den Mietpreis-Erpressungen nicht nachkommen.“
70 Euro pro Quadratmeter im Durchschnitt
Rechnet man die Mietausfälle anhand des ehemaligen Mietpreises der französischen Créatrice, sind dem Besitzer inzwischen rund 150.000 Euro entgangen. Eine Summe die dem Besitzer offenbar nicht reichte – statt eines ehemaligen Einkommens von rund 50.000 Euro jährlich, möchte er nun über 200.000 Euro pro Jahr beziehen.
Die Situation wird inzwischen zum Teufelskreis: Je höher die Mietausfälle, desto niedriger ist oft die Bereitschaft der Eigentümer, ihre Preisstrategie zu überdenken. Immerhin hofft man, die Verluste irgendwann über den höheren Mietpreis wettzumachen.
15 Gewerbeflächen werden gegenwärtig mitsamt Preisen auf athome.lu aufgeführt. (Screenshot: athome.lu)
Über die hohen Mietpreise wollen Politiker ihrerseits kaum noch diskutieren – sie werden als Privatangelegenheit abgetan. Für die 15 Gewerbeflächen, die gegenwärtig auf athome.lu aufgeführt werden, schwanken die Quadratmeterpreise zwischen 30 und 112 Euro. Wer heute nach einem Lokal in der Innenstadt sucht, sollte im Schnitt 70 Euro pro Quadratmeter einrechnen. Im Bahnhofsviertel liegen die heute verfügbaren Flächen zwischen 40 und 60 Euro pro Quadratmeter.
Tapis Hertz: Der Mietpreis war das geringste Problem
Hohe Mietpreise sind aber längst nicht das einzige Problem, das den Geschäftsleuten zu schaffen macht. Bei der jüngst angekündigten Schließung des Traditionshauses „Tapis Hertz“ in der Stadt, betonte die Geschäftsführerin, dass diese Entscheidung nicht auf den Mietpreis zurückzuführen sei. Im Gegensatz zu anderen Geschäften zahle sie einen „durchaus korrekten Mietpreis für diese erstklassige Lage.“
Warum sie die Entscheidung dennoch traf? Zu einem Überdenken der Firmenstrategie trugen das veränderte Kundenverhalten, der Erfolg des Online-Handels und zu wenige Parkplätze in der Umgebung bei.
Die Menschen achten beim Kauf womöglich weniger auf Qualität.“Nathalie Aach, Geschäftsführerin von „Tapis Hertz“
Und es war der richtige Zeitpunkt. Weil der Mietvertrag auslief. Weil größere Renovierungsarbeiten hohe Investitionen bedeutet hätten. Weil vier ihrer Angestellten vor der Rente standen. „Weil die Leute inzwischen eher zum Spazieren als zum Einkaufen in die Stadt kommen“, wie die Geschäftsführerin Nathalie Aach im Gespräch mit REPORTER sagt. Sie wolle ihre Aktivität auf die beiden Geschäfte in Bartingen konzentrieren, heißt es.
Auch Geschäfte wie der Traditionsladen „Tapis Hertz“ spüren die Konkurrenz des Online-Handels. „Bedeutender ist allerdings die Konkurrenz der günstigeren Einrichtungsläden wie Ikea oder Zara Home“, sagt Nathalie Aach.
„Die Menschen achten beim Kauf womöglich weniger auf Qualität. Einigen ist es egal, wenn sie ihre Tischdecken, Bettlaken oder Handtücher nach zwei Jahren wegschmeißen. Sie wechseln lieber öfters“, meint die Geschäftsführerin von „Tapis Hertz“.
Lage ist schwierig, aber „nicht besorgniserregend“
Shopping-Experten sahen den Höhepunkt der Krise in der Innenstadt einst mit der kollektiven Schließung von 20 Geschäften im Herbst 2013. Heute fällt es Experten schwer, zu bewerten, ob sich die Lage in den vergangenen Jahren verschlimmert hat. Zu einer solchen Aussage wollte sich Claude Bizjak nicht hinreißen lassen. „Die Stadt ist im Umbau, es gibt momentan viele Baustellen und es können sicherlich nicht alle Geschäfte diese schwierige Situation zwei oder drei Jahre überbrücken“, sagt der beigeordnete Direktor der CLC.

Als besorgniserregend würde er die aktuelle Situation nicht bezeichnen, so Bizjak weiter. „Bisher konnte man die Ladenschließungen nicht so recht quantifizieren. Wir würden die Debatte gerne auf einer objektiven Ebene führen, indem wir uns auf die Daten der 8.000 Gewerbelokale in Luxemburg stützen, die wir zwei Mal im Jahr erheben und vergleichen wollen.“
Für Vergleiche sei es heute noch zu früh. Obwohl die besagte Analyse bereits 2016 von der damaligen Staatssekretärin Francine Closener (LSAP) im „Pakt Pro commerce“ festgehalten wurden, konnte das erste komplette Inventar erst Ende 2018 aufgestellt werden.
Regierung fühlt sich nur bedingt verantwortlich
Wie schon im vergangenen Jahr liegen viele Hoffnungen der Experten in der für November 2019 geplanten Eröffnung der Shopping Mall „Royal-Hamilius“. Das Großprojekt könnte zu einer größeren Dynamik mit mehr Laufkundschaft im Zentrum führen. Zudem sehnen Vermieter und Händler ein Ende der diversen Baustellen in der Innenstadt herbei.
Ich denke nicht, dass es die Rolle einer Gemeinde ist, leerstehende Gewerbeflächen aufzukaufen, um sie dann zu einem günstigen Preis zu vermieten.“Lex Delles (DP), Minister für Mittelstand und Tourismus
Könnte die Politik aktiver zur Lösung des Problems beitragen? Dies wollte der Abgeordnete Dan Biancalana (LSAP) Anfang Juli im Parlament von Mittelstandsminister Lex Delles (DP) wissen. Die Antwort des zuständigen Ministers: „Ich denke nicht, dass es die Rolle einer Gemeinde ist, leerstehende Gewerbeflächen aufzukaufen, um sie dann zu einem günstigen Preis zu vermieten“, so der Minister.
Dies würde lediglich zu einer „Konkurrenzverschiebung“ zwischen den Geschäftsleuten führen. Lex Delles sprach stattdessen von einem Pilotprojekt in vier Gemeinden im Land. Weitere neue Lösungsansätze hatte er nicht parat.
Lesen Sie mehr zum Thema


