2014 schloss er sich dem Islamischen Staat in Syrien an. Nun sitzt Steve Duarte in einem kurdischen Gefängnis und möchte zurück nach Luxemburg. Luxemburg weist jegliche Verantwortung für den IS-Anhänger von sich. Doch die Sachlage ist komplex.

Seit der Festnahme des in Luxemburg aufgewachsenen IS-Anhängers ist der Name Steve Duarte in Regierungskreisen wohl zu einem regelrechten Unwort geworden. Justiz- und Außenministerium meiden das Thema so gut wie möglich. „Mir persönlich wäre es auch lieber, wenn so jemand nicht plötzlich hier im Land auftaucht“, sagte Außenminister Jean Asselborn jüngst dem „Luxemburger Wort“.

Ohnehin sei Luxemburg für Steve Duarte nicht zuständig, betonte neben Asselborn auch Justizminister Felix Braz. Zwar war Duarte vor seiner Reise nach Syrien vor knapp fünf Jahren in Luxemburg ansässig. Er hat jedoch einen portugiesischen Pass. Lissabon solle sich demnach um das weitere Schicksal des IS-Anhängers kümmern. Ob sich Luxemburg so einfach der Verantwortung für den mutmaßlichen Kämpfer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) entziehen kann, ist allerdings unklar.

2014 hatte sich Steve Duarte von Luxemburg aus auf den Weg nach Syrien gemacht, um sich dem IS anzuschließen. Dort soll er für die Propagandazelle der Terrorgruppe gearbeitet haben. Seit dem Fall von Baghuz, der letzten IS-Festung im Osten Syriens, befindet sich Duarte in kurdischer Gefangenschaft.

„Ich möchte zu meiner Familie zurück und arbeiten. […] Ich will nach Luxemburg und einen neuen Job anfangen“, sagte Duarte kürzlich in einem Interview mit dem kurdischen Sender „Rudaw“. Das Interview wurde von luxemburgischen und portugiesischen Medien aufgegriffen und belebte die Frage um eine mögliche Rückkehr des IS-Mitglieds neu.

Auf den ersten Blick ein klarer Fall

Natürlich ging Duarte nicht nach Syrien, um „Religion zu studieren“ oder lediglich Videos für den IS zu drehen, wie der früher im Großherzogtum Ansässige im besagten Interview behauptet. „Wenn er bis zur Schlacht von Baghuz dabei war, dann war er ein eingefleischter IS-Anhänger. Er ist im waffenfähigen Alter. Es ist schier unmöglich, dass er nicht gekämpft hat“, betont der BBC-Korrespondent und IS-Experte Quentin Sommerville im Gespräch mit REPORTER. Dafür spricht auch ein IS-Propagandavideo aus dem Jahre 2016. Es zeigt mehrere IS-Kämpfer, darunter mutmaßlich Steve Duarte, bei einer Hinrichtung.

Welche Rolle Duarte innerhalb der IS-Maschinerie spielte und welche Straftaten er begangen hat, müssen jetzt die Gerichte klären. Doch welches Gericht sich mit dem Fall Duarte befassen soll, hängt eben eng damit zusammen, welcher Staat letztlich für den Dschihadisten zuständig ist.

Formell kann Luxemburg nicht eingreifen. Es kann weder konsularische Hilfe anbieten noch diplomatischen Schutz gewähren.“
Michel Erpelding, Experte für Völkerrecht am Max-Planck-Institut

Auf den ersten Blick scheint die Rechtslage tatsächlich so unkompliziert, wie es die Einschätzung der luxemburgischen Regierung vermuten lässt. Die Nationalität sei entscheidend, betont der luxemburgische Rechtsanwalt Frank Wies im Gespräch mit REPORTER. Nur das Land, dessen Staatsbürgerschaft Duarte besitzt, also Portugal, könne über seine Auslieferung oder Überstellung verhandeln.

Dass Steve Duarte in Luxemburg aufgewachsen ist und zur Schule ging, sich hier radikalisiert hat, bevor er nach Syrien zog, spielt aus politischer Sicht also keine Rolle. „Luxemburg kann sich demnach von dem Problem reinwaschen“, sagt Frank Wies. So sieht das auch der Völkerrechtsexperte des Max-Planck-Instituts, Michel Erpelding. „Formell kann Luxemburg nicht eingreifen. Es kann weder konsularische Hilfe anbieten noch diplomatischen Schutz gewähren.“

Internationaler Haftbefehl aus Luxemburg

Die Sache scheint also klar: Portugal muss über alle weiteren Schritte entscheiden. Doch es gibt einen Haken: Luxemburgs Justiz hat sowohl ein internationales Rechtshilfeersuchen (commission rogatoire internationale), wie einen internationalen Haftbefehl gegen Steve Duarte erlassen. Zwar behauptete Jean Asselborn erst kürzlich gegenüber „L’essentiel“, dass der Fall „eine juristische und keine politische Angelegenheit sei“ und berief sich auf die Gewaltentrennung.

So einfach wie vom Außenminister dargestellt, ist die Sachlage laut Frank Wies jedoch nicht. „Gewaltentrennung hin oder her. Ohne politische Abmachungen mit dem jeweiligen Staat kann der Generalstaatsanwalt nichts erreichen“, betont der Anwalt. Nur dazu müsste das Außenministerium diplomatisch aktiv werden.

Dabei wird die Situation dadurch komplizierter, dass die gefangenen IS-Kämpfer unter der Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien stehen, und es sich dabei nicht um einen von den Vereinten Nationen anerkannten Staat handelt. Über die Auslieferung von IS-Anhängern oder deren Nachfahren wird nicht mit den Kurden, sondern mit dem syrischen Assad-Regime in Damaskus verhandelt.

Der schwierige Weg der Diplomatie

Luxemburg unterhält laut dem Außenministerium keine diplomatischen Beziehungen zu der kurdischen Selbstverwaltung. Auch gibt es aktuell keinen formellen Kontakt zwischen dem Assad-Regime und den meisten westlichen Staaten.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Verhandlungen mit Damaskus per se unmöglich sind. Kasachstan hat kürzlich hunderte Staatsbürger, viele davon Kinder von IS-Kämpfern, aus Syrien in ihre Heimat zurückgebracht. Auch andere Staaten, etwa Deutschland und Belgien, haben vereinzelt Kinder repatriiert.

Lissabon wollte sich über Duarte nicht äußern. Auf Nachfrage von REPORTER lässt das portugiesische Außenministerium mitteilen, dass eine mögliche Rückführung von IS-Anhängern eine komplexe Angelegenheit sei, die die nationale Sicherheit betreffe. Eine entsprechende Entscheidung würde in Abstimmung mit den westlichen Alliierten und im Einklang mit den nationalen und internationalen Gesetzen erfolgen.

Im Irak wartet das sichere Todesurteil

Manche Staaten haben allerdings bereits entschieden, wie mit ihren Kämpfern zu verfahren ist. Die meisten, darunter Frankreich, überstellen die Kämpfer an jenes Land, auf dessen Gebiet die IS-Verbrechen begangen wurden. „Dort dauert der Prozess dann maximal eine halbe Stunde und dann werden die Kämpfer hingerichtet“, berichtet der „Middle East Correspondent“ der BBC, Quentin Sommerville.

Im Falle Duartes fordert die CSV ein gleiches Vorgehen. „Nos concitoyens ont le droit de savoir […] s’il n’y a pas d’alternatives à un retour au Luxemborg. Notons que la France prône par exemple à ce que les combattants étrangers soient jugés et condamnés dans le pays de perpétration des infractions“, schreiben die Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth in einer parlamentarischen Anfrage.

Die CSV fordert zudem, dass der Fall Duarte in einer nächsten Sitzung des Justizausschusses auf die Tagesordnung gesetzt wird. Man wolle von Justiz und Regierung Klarheit im Fall Duarte, fordert Laurent Mosar auf Nachfrage von REPORTER.

Bei Menschen, die politisch nicht populär sind, wird die Frage der Menschenrechte auf einmal vergessen.“
Frank Wies, Rechtsanwalt

Doch auch ein IS-Kämpfer wie Steve Duarte hat gewisse Rechte, die unter anderem durch das internationale Abkommen über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) und die Europäische Menschenrechtskonvention gewahrt werden. Allen voran das Recht auf einen fairen Prozess. „Bei Menschen, die politisch nicht populär sind, wird die Frage der Menschenrechte auf einmal vergessen“, sagt Frank Wies.

Fakt ist auch: Würde Duarte tatsächlich an den Irak überstellt werden, wäre ihm die Todesstrafe sicher, die bekanntlich sowohl Luxemburg als auch Portugal ablehnen. Gleichzeitig machen Menschenrechtsorganisationen immer wieder auf menschenunwürdige Bedingungen in den kurdischen und irakischen Gefängnissen aufmerksam. Die NGO Human Rights Watch hat wiederholt davor gewarnt, dass mutmaßliche IS-Kämpfer im Irak gefoltert werden.

Luxemburgs moralische Verantwortung

Luxemburg mögen im Falle Duartes formell die Hände gebunden sein. „Doch es gibt immer Wege, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen“, betont Michel Erpelding. So gibt es informelle Möglichkeiten, um sich für den IS-Anhänger einzusetzen, wenn man das denn wolle. Etwa indem die Behörden Informationen über Duarte nur unter der Bedingung herausgeben, dass seine Rechte gewahrt werden.

Auch unterhält Luxemburg gute Beziehungen zu Portugal und könnte mit Lissabon zusammenarbeiten. Erst am 25. Juni dieses Jahres waren Xavier Bettel und Felix Braz in Portugal und haben Premierminister António Costa getroffen. Zu dem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass sich Duarte in kurdischer Gefangenschaft befand. Steve Duarte sei aber bei dem Treffen kein Thema gewesen, heißt es aus dem Staatsministerium.

Unabhängig von der juristischen Seite und dem möglichen Gefährdungspotenzial könnte Luxemburg aber noch an seine moralische Verantwortung erinnert werden. Denn aufgewachsen und zur Schule gegangen ist Duarte in Luxemburg. Er hat sich hier radikalisiert, hat hier die Entscheidung getroffen, sich dem IS anzuschließen. Mit ihrer kategorischen Haltung riskiert die Regierung, diesen Aspekt auszuklammern und die Frage nach den Gründen für Duartes Radikalisierung gar nicht erst zuzulassen. Damit könnte Steve Duarte zu einem Präzedenzfall werden, bei dem man es bewusst verpasst hat, die nötige Ursachenforschung zu betreiben.


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