Claude Turmes agiert als Minister eher diskret und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Im Interview mit Reporter.lu spricht er über blau-rot-grüne Kompromisse, „Riesensauereien“ aus Brüssel und warum neue klimapolitische Maßnahmen noch etwas warten können.

Interview: Pit Scholtes

Herr Turmes, in der Silvesternacht hat die Europäische Kommission mitgeteilt, dass künftig auch Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Energieformen gelten sollen. Sie sind strikt dagegen. Warum?

Der Vorstoß der Kommission ergibt energiepolitisch und finanzpolitisch keinen Sinn. Es ist wichtig, dass die Finanzmärkte eine klare Botschaft erhalten, wie es in den nächsten Jahren weitergehen soll. Um ein Atomkraftwerk zu bauen, braucht man 15 bis 20 Jahre. Hinzu kommen das Abfall- und das Risikoproblem, allein deshalb ist eine Förderung nicht sinnvoll. Die aktuelle Diskussion lenkt zudem nur von jenen Bereichen ab, wo wir wirklich weiter kommen müssen und das ist der Ausbau von Solarenergie und von Windanlagen an Land und Offshore. Die Sicht der Kommission ist ungefähr so, als würde man sagen, ein pestizidbelasteter Apfel ist jetzt auch ein Bioapfel. Zudem ist der Schritt demokratisch sehr bedenklich. Atomenergie und Erdgas werden jetzt einfach zusammen in einem Dossier behandelt, was es unmöglich macht, dass die Regierungen sich dazu einzeln positionieren können.

Aber stehen Sie mit Ihrer Position nicht ziemlich alleine da? Zwar teilt Österreich Ihre Ansicht, andere Länder wie etwa Finnland jedoch nicht. Dort gibt es gegenüber der Atomkraft eine größere Akzeptanz, auch zum Teil bei den Grünen.

Ich kenne die Grünen aus Finnland gut. Es ist aber meiner Ansicht nach nicht so, dass sie in Finnland für Atomkraft sind. Da spielt eher die Koalitionsräson die entscheidende Rolle. Auch wenn man sich die europäischen Staaten einzeln anschaut, überwiegt die Ablehnung gegenüber der Atomkraft. Spanien ist dagegen, Portugal ist dagegen, Irland ist dagegen, Malta, Zypern, Griechenland, das Baltikum, Dänemark, Österreich und Deutschland sind alle dagegen. Würde man die Nachhaltigkeit der Atomkraft einzeln zur Abstimmung bringen, wäre es unwahrscheinlich, dass sich dafür eine Mehrheit findet. Und genau deshalb ist es eine Riesensauerei, dass darüber nicht separat abgestimmt wird. Damit die Atomlobby gewinnt, nimmt sie quasi die Gaslobby als Geisel, um sich dann gemeinsam durchzusetzen.

Die CO2-Steuer ist die sozial gerechteste CO2-Steuer in ganz Europa, sie finanziert in relevantem Maße Klimaalternativen und sie bewirkt, dass der Tanktourismus abnimmt.“

Beim Strom ist es doch aber so, dass Luxemburg rund 80 Prozent seines Bedarfs importiert – darunter auch Kapazitäten, die nicht aus erneuerbaren Energien stammen. Steht es uns da überhaupt zu, anderen Lektionen darüber zu erteilen, was nachhaltig ist und was nicht?

Auf jeden Fall. Luxemburg ist ähnlich wie Paris, Barcelona oder Berlin sehr dicht besiedelt mit einer hohen wirtschaftlichen Aktivität. Diese Regionen werden immer Strom importieren müssen. Zudem ist es ja so, dass wir den Anteil an erneuerbaren Energien in Luxemburg massiv ausbauen werden, damit am Ende eine weniger große Abhängigkeit besteht. Und dass der Strom, den wir noch importieren müssen, immer mehr aus erneuerbaren Quellen kommt. Wieso schließen wir sonst einen Kooperationsvertrag mit Dänemark und nicht mit Frankreich? Weil das unsere Partner sind, genauso wie die neue deutsche Bundesregierung. Ich finde, das ist eine ganz klare Politik.

Bleiben wir kurz bei Deutschland. Dort wurde dieses Jahr eine CO2-Steuer eingeführt. Luxemburg erhebt bereits seit einem Jahr eine solche Abgabe auf Benzin und Diesel. Wie ist die Bilanz nach einem Jahr? Ist bereits eine Lenkungswirkung festzustellen?

Beim kommerziellen Diesel ist definitiv eine Lenkungswirkung da. Wir bringen es damit fertig, dass die Dieselverkäufe nicht wesentlich gestiegen sind im Vergleich zu 2020. Der Preisunterschied bei den Privatkunden ist im Vergleich zu den Nachbarländern noch immer groß. Beim LKW-Diesel ist das anders. Schon jetzt ist es da günstiger, in Belgien zu tanken …